There ain’t no such thing as a free lunch.
Gestern gab es wieder große Aufregung im Netz. Instagram, unser aller liebster Social-Foto-Filter-Dingens-Service, hat seine AGBs geändert und zwar auf besonders schlimme Art und Weise. Schnell geisterten entrüstete Rufe durch die weiten Hallen des Internets, bevorzugt bei Twitter und Facebook (zu dieser Ironie kommen wir später), Instagram würde jetzt alle Rechte an unseren Bildern haben und die verkaufen wollen und überhaupt müsste man sich jetzt schnellstens nach was Neuem umsehen, wo sind eigentlich die Zugangsdaten zum Flickr-Account?
Ich muss zugeben, dass ich für sowas auch erstmal anfällig bin. Allerdings lernt man ja dazu, und weiß, dass so manches, was da aufgeregt durch die Kanäle getrieben wird, sich bei genauerem Hinsehen als entweder gar nicht so schlimm oder zumindest doch anders als zunächst angenommen entpuppt.
So gab es bereits genug schlaue Leute, die die bösen geänderten AGBs mal etwas genauer angeguckt haben und zu dem Schluss kamen, dass das, was da jetzt steht, erstens bestimmte auch für den Nutzer sinnvolle Funktionalitäten erst ermöglicht und dass sich die kritisierten Textstellen so oder so ähnlich in den AGBs von Twitter, Facebook, Tumblr und übrigens auch Flickr wiederfinden. (Ich empfehle hier mal exemplarisch die Artikel auf neunetz.com hier, hier und hier. Es gibt aber noch viele andere, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema befasst haben und über die üblichen Suchmaschinen und Aggregatoren zu finden sind.)
Jetzt kann man an dieser Stelle vieles zu Recht kritisieren. Die schlechte Formulierung in unverständlichem Legalese zum Beispiel, die ja nicht ganz unschuldig am Aufruhr ist. Die Frage, ob die Formulierung jetzt aufgedröselt tatsächlich bedeutet, dass Instagram Bilder von Nutzern an beliebige Dritte verkaufen darf. Die Frage nach dem Urheberrecht und einiges mehr.
Für mich stellen sich aber nach einigem Nachdenken ganz andere Fragen, und die beziehen sich eher auf das teilweise sehr eigentümliche Anspruchsdenken der Nutzer solcher Services.
Und dann frag ich mich: Was soll die Aufregung eigentlich? Instagram ist kein Wohlfahrtsunternehmen, sondern ein irgendwie gewinnorientiertes Privatunternehmen. Genau wie Tumblr übrigens, oder Facebook, oder Twitter. Aber ich befürchte ja, man muss noch viel früher anfangen, nämlich bei der Selbstverständlichkeit, mit der angenommen wird, Software müsste umsonst sein und der irgendwie darin enthaltenen Annahme, das könnte ja a) alles gar nicht so schwer sein und b) Software zu programmieren müsste den Entwicklern ja ohnehin so viel Spaß machen, dass sie unmöglich irgendeine monetäre Gegenleistung dafür verlangen dürften.
In gewisser Weise sind wir Entwickler an der Misere auch selber Schuld, ein bisschen vielleicht sogar vergleichbar mit den Verlegern und Journalisten, über die wir sonst so gerne lästern. Wir unterbieten uns gegenseitig auf dem App-Markt, denn schließlich kann ich unmöglich meine To-Do-Listen-App für nen Euro auf den Markt werfen, wenn es da hundert Alternativen für umme gibt. Das kauft mir doch niemand ab, im wahrsten Sinne des Wortes.
Klar hab ich da viele Stunden dran gesessen, um die App so schön und gut zu machen wie möglich. Klar hab ich mit viel Aufwand versucht, auch die letzten Bugs zu finden und auszumerzen, habe noch zwei Zusatzfeatures gebaut, die’s sonst nirgends gibt und hübsch sieht es auch noch aus, aber solange es kostenlose Alternativen gibt, wird keiner das Ding kaufen, selbst wenn es nur ein Viertel so viel kostet wie ein normaler Kaffee bei Starbucks.
Im Web sieht es genauso aus. Für kaum einen Dienst, den ich nutze, muss ich bezahlen, ich könnte noch nicht mal, wenn ich wollte. Prinzipiell ist das ja auch toll, aber es verzerrt auf Dauer den Blick auf die bittere Realität, nämlich darauf, dass Softwareentwicklung sehr wohl etwas kostet. Man braucht Entwickler, die nicht gerade günstig sind, diese sitzen dann erstmal wochen- oder monatelang an ihren Rechnern, bis überhaupt irgendwas marktfähiges fertig ist. Und dann muss das noch gepflegt werden, und das gleich in dreifacher Hinsicht. Erstens wird es immer Bugs geben, die behoben werden wollen, sonst nölen die Nutzer nämlich rum. Zweitens soll es immer wieder neue Funktionalität geben oder alte verbessert werden. Und drittens braucht man Infrastruktur, die Bilder, die da auf Instagram hochgeladen werden, landen nämlich leider gar nicht auf einer fluffigen Wolke, sondern auf einem Server, der auch direkt dreimal Geld kostet: Zuerst bei der Anschaffung, dann bei dem Menschen, der sich drum kümmert und nicht zuletzt braucht so ein Server dann auch Strom, und zwar verblüffenderweise dauernd.
Bei fast allen anderen Diensten wird das nicht anders sein. Warum hält sich also diese unbeirrbare Überzeugung, solche Dienste müssten umsonst sein? Klar, wir haben schon irgendwie kapiert, dass wir mit unseren Daten zahlen und damit, dass uns Werbung angezeigt wird, aber eigentlich finden wir das auch nicht gut. Möglicherweise verbirgt sich hier das wahre Gesicht der so oft besungenen Gratiskultur im Netz. Es geht gar nicht um Musik oder Bücher oder Filme. Wir wissen, dass es Arbeit ist, ein Buch zu schreiben, dass es Zeit, Mühe und Kreativität braucht, um einen Song zu schreiben und zu produzieren, dass Filmproduktionen teuer und oft aufwändig sind. Wir kauften und kaufen Bücher, CDs und DVDs, wenn wir uns etwas, das sonst etwas kosten würde, umsonst runterladen, dann wissen wir auch, dass das eigentlich falsch ist, wir tun es aus Gründen 1 bis 378 aber trotzdem manchmal.
Auch für Software und Computerspiele zahlten und zahlen wir immer wieder, aber mit dem ganzen Smartphone-App-Web-Dreipunktirgendwas-Kram hat sich da die Welt doch noch mal etwas geändert. Auf einmal kostet Software 89 Cent oder vielleicht mal 2,59 Euro. Vieles ist aber auch einfach umsonst, und ich weiß gerade nicht, ob das so gut ist. Klar, die Währung von Diensten wie Facebook, Twitter, Instagram und Co. sind die Nutzerdaten, die man irgendwie zu Werbung und damit Geld verwursten kann. Auf der einen Seite wissen wir das, auf der anderen Seite blenden wir es gerne aus und wenn man drüber redet, findet man es meistens auch gar nicht so gut. Lieber hätte man, das wäre umsonst. Das wäre auch so rein ethisch-moralisch besser. Also für Mark Zuckerberg, nicht für uns, wir sind ja keine Datenkrake und ethisch-moralisch fein raus.
Es gibt Leute, die sicher bereit wären, für solche Dienste Geld zu bezahlen. Ich hatte sogar mal einen Flickr-Pro-Account und liebäugele mit einem Spotify-Premium-Account. Ich zahle monatlich irgendeine Summe an meinen Webhoster für die drölfzig Domains, die ich da über die Jahre hinweg mal registriert habe und noch mal was an Squarespace. Ob ich für Facebook zahlen würde, weiß ich nicht. Für Twitter vermutlich schon. Für Instagram, vielleicht, aber vielleicht würde ich dann auch einfach wieder ganz zu Flickr gehen.
Man muss sich aber vor allem bewusst sein, dass Software etwas kostet. Sie kostet Zeit, Wissen, Mühe, man zahlt Lizenzgebühren, nur damit man für iOS entwickeln kann und wenn man auch nur irgendwas mit der Cloud macht, braucht man auch Server, auf denen der Kram liegt. Selbst, wenn wir Zeit und Wissen da rausrechnen und davon ausgehen, dass der Entwickler den Rechner, auf dem er arbeitet, sowieso hätte und außerdem so viel Spaß an der ganzen Sache hat, dass er gar kein Geld verdienen will, dann ist Softwareentwicklung zunächst mal ein Verlustgeschäft.
Hinter Instagram steckt aber nun mal kein Privatprogrammierer, der mal eben so nebenbei, sondern ein Geschäftsmodell. Das macht niemand, weil ihm gerade langweilig ist, sondern, weil er sich früher oder später Gewinn davon verspricht. Und das macht man auch nicht alleine, sondern mit vielen Leuten und zwar Vollzeit.
Es geht hier gar nicht um die AGBs von Instagram oder anderen, sondern darum, dass ich bei der ganzen Diskussion das Gefühl hatte, das vielen Leuten überhaupt nicht klar ist, was für eine Riesenarbeit allein so etwas wie Instagram überhaupt ist. Wie unglaublich das ist, dass es sowas für umsonst gibt, dass man es einfach so nutzen kann, dass es eine iPhone-App und eine Android-App gibt, dass es (zumindest, was die iPhone-App angeht) kaum Bugs gibt, dass die Sicherheit (meines Wissens) funktioniert, auf dem Server Platz für Abermillionen von größtenteils völlig belanglosen Bildern ist, und, und, und…
Ich hatte das Gefühl, dass sich viele Leute nicht darüber bewusst sind, dass so etwas nicht einfach mal so eben gemacht ist, sie nutzen die angebotenen Dienste wie selbstverständlich, monieren Bugs, nölen, wenn das Update für Android erst Wochen nach dem iOS-Update kommt, drohen damit, irgendwo anders hinzugehen, weil’s da schöner, besser oder flauschiger ist und sobald irgendwas mit Nutzerdaten ist, wird auf die Barrikaden gegangen.
Ein bisschen sind wir auch selber schuld, denn wir machen das ja mit, also wir Entwickler. Ich jetzt nicht direkt, denn die Software, die ich beruflich entwickle, wird für gutes Geld verkauft bzw. hat an anderer Stelle einen sehr gut fassbaren (monetär messbaren) Nutzen für die Firma. Aber würde ich Software für Smartphones oder irgendeinen Webdienst entwickeln, ich hätte Bedenken, dafür Geld zu fordern, weil es ja sonst auch kaum einer mehr tut. Wenn wir nicht aufpassen, dann ist das, was bei den Leuten ankommt, aber folgendes: Software ist nichts wert, denn sie kostet ja nichts. Wir machen das, weil wir das können und es uns Spaß macht, aber wir glauben nicht daran, dass uns jemand dafür Geld bezahlen sollte. Und so viel Aufwand war es jetzt auch nicht, außerdem arbeite ich dem Klischee gemäß eh die Nächte durch und esse dabei Tiefkühlpizza und trinke Cola oder Club-Mate.
Will das jemand? Vom Coolness-Faktor abgesehen, ich glaube nicht, dass das die Vorstellung ist, die man anderen Leuten von Softwareentwicklung vermitteln sollte. Genauso wenig, wie ich einen Illustrator bitten würde, mir mal eben für umme was zu zeichnen oder einen Schreiner, mir mal schnell zu Materialkosten einen hübschen Tisch zu bauen, genauso wenig möchte ich, dass man mich fragt, ob ich nicht mal schnell für lau eine App schreiben könnte. Mach ich nicht. Für den Mann vielleicht. Oder meine Mutter, die würde das aber nie fragen.
Wir sind verwöhnt. Wir kriegen alles für umsonst und halten das mittlerweile für selbstverständlich, jedenfalls, wenn es ums Internet geht. Wird ein Dienst kostenpflichtig oder gibt zu, dass er mit den Daten der Nutzer gerne Geld verdienen würde, dann wird erstmal rumgezetert, als sei das jetzt der größte Verrat, den man sich überhaupt vorstellen könnte. Was man sich da herausnehme! Geld verdienen! Dabei war das doch immer umsonst! Und jetzt machen die damit den großen Reibach!
Ich hab gleich zwei Newsflashs:
1. Man muss diese Dienste gar nicht nutzen. Überraschenderweise besteht nach wie vor kein Facebook-Zwang. Ja sicher, man kann dann nicht mit den ganzen anderen Leuten auf Facebook abhängen, aber das ist dann wirklich ein persönliches Problem.
2. Auch wenn viele Entwickler ihren Job lieben und durchaus oft das ein oder andere auch zeitaufwändige Spielprojekt am Laufen haben, man kann leider immer noch nicht in den Supermarkt gehen und sagen: „Ich habe heute zehn Stunden gearbeitet und hatte total viel Spaß dabei, und von diesem Spaß würde ich mir jetzt gerne Brot und Milch kaufen.“ Ist schade, ist aber so.
Mal abgesehen davon, dass ja wohl kaum jemand die AGBs von irgendwas lesen würde. Oder will mir jemand erzählen, dass er sich erstmal die Twitter-AGBs ausgedruckt hat und sie dann mit Textmarker als Abendlektüre sorgfältig durchgegangen ist, noch mal kurz den Anwalt gefragt hat, wichtige Stellen mit dem Partner besprochen hat und sich dann nach einigen Tagen Bedenkzeit doch dazu entschlossen hat, sich da mal ein Konto anzulegen?
Eben. Habt ihr nicht. Twitter darf nämlich auch einiges mit den Tweets, die man da so schreibt, denen überträgt man auch Rechte, von denen man gar nicht weiß, was das eigentlich bedeutet, die AGBs lesen sich ähnlich verschwurbelt wie die für Instagram, und da hat sich noch keiner beschwert. Statt dessen hat man sich auf Twitter darüber aufgeregt, dass Instagram jetzt Sachen machen will, die man Twitter schon vor Monaten oder Jahren mit einem fröhlichen Klick auf den Akzeptieren-Button erlaubt hat.
Bleibt bei Instagram oder lasst es. Es ist mir relativ wumpe. Aber regt euch bitte nicht auf, wenn ein Unternehmen sogar einigermaßen transparent darauf aufmerksam macht, dass sich die Geschäftsbedingungen geändert haben und es jetzt mit den Daten, die ihr denen freiwillig und gerne auf den Server legt, ein bisschen Geld verdienen will. Das ist nämlich dann tatsächlich ein Beispiel für die unangenehme Gratiskultur im Netz.