Drei sehr gute Gründe, Funny van Dannen zu lesen

Der Mann und ich sind ja große Fans von Funny van Dannen, seit wir vor dreizehn Jahren mit ein paar anderen Musikwissenschaftlern in Paris waren und einer der Kommilitonen mit seiner Ukulele durch die Stadt lief und abwechselnd „Chanson aus Paris“ und „Ich muss immer an die Frauen denken“ sang. Das war ganz toll und wenn man nicht aufpasst, dann kommt es vor, dass der Mann Gäste dazu nötigt, ein tolles Lied von Funny van Dannen nach dem anderen zu hören. Ich kann da dann auch nichts mehr machen und er hat ja irgendwie auch Recht.

Und jetzt lese ich Funny van Dannen, genauer gesagt lese ich „Zurück im Paradies“, das hat hier nämlich anscheinend mal irgendwer gekauft und dann stand es im Schrank, und weil mir letztens langweilig war, dachte ich, man könnte das ja mal lesen.

Positiv ist: Funny van Dannen schreibt genauso schön-bekloppte Geschichten wie Liedtexte. Negativ ist: Bislang nichts.

Ob man das selber lesen will, hängt vermutlich davon ab, ob man mit dem Stil des Autors zurecht kommt, der ist nämlich doch ein bisschen schräg. Als grobe Richtlinie würde ich sagen: Wer Max Goldt mag, für den könnte der Herr van Dannen auch was sein. Aber am besten entscheidet man das selber, ich zitiere einfach mal aus drei Geschichten:

Am nächsten Wochenende durften wir daher bereits im Champions Race mitmachen und unser Hühnchen gewann schon wieder. Bei der Dopingprobe fragten sie uns nach dem Futter.
Wir sagten: Normales Hühnerfutter, Frühlingssuppe, Milky-Way, sonst nichts. Aha!, sagten die Kontrolleure. Milky-Way! Steht auf der Dopingliste! Unerlaubtes Speedpräparat! Der Sieg wird euch aberkannt und das Hühnchen für ein Jahr gesperrt.

(aus „Das grüne Hühnchen“)

Ein Riesenrad, sagte Gunnar, ein Riesenrad hier mitten im Wald für alle Tiere, das fänd ich geil!
Ja, sagte Charly, das fänden alle Tiere geil. Ein großes Riesenrad mit Fähnchen und Beleuchtung und Rummelmusik!
Kein Problem!, sagte der Außenminister. Kann ich euch besorgen!
Und Autoscooter!, rief Charly. Autoscooter für Elche!
Ihr seid ja echte Rummelfans, was?, sagte der Außenminister.
Alle, brummte Charly, alle Tiere sind totale Rummelfans!
Bis auf Gunda, die furzende Nachtigall, warf Gunnar ein. Aber die ist ja auch gestört.

(aus „Evolution“)

Der schlaksige Wanderpanda Andreas G. hatte sich am Bahnhofskiosk eine Tüte Kräuterbonbons gekauft und schlurfte bonbonlutschend Richtung Innenstadt. Weil ihm die Süßigkeit zu Kopf stieg, schloss er die Augen und lief eine Rentnerin über den Haufen.
Oho!, rief er. Was hab ich angestellt?
Sie haben mein Leben ruiniert!, rief die Rentnerin.

(aus „Die letzte Station“)

Wer jetzt „Hihihi“ dachte, der findet wahrscheinlich Gefallen an den vielen kleinen Geschichten in dem Buch. Wer eher „Was soll der Unfug?“ dachte, für den ist es vermutlich nichts, denn die anderen Geschichten sind nicht weniger abgedreht.

Mit solchen Geschichten und einem bequemen Sofa kann man ja sogar so eine gepflegte Laryngitis ganz gut aushalten. Und jetzt lasst mich, ich muss weiterlesen.

Zurück im Paradies gibt’s bei Amazon oder bei der Buchhandlung am Turm in Ochsenfurt.

Lieblingstweets im Januar (Teil 2)

Wer krank auf dem Sofa liegt, darf auch zwei Tage vor Monatsende die Lieblingstweets zusammensuchen.

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Außerdem war es schön zu wissen, dass ich heute morgen mit meinem Wartezimmerleid nicht alleine war:

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24 Stunden später

Zu #aufschrei wurde eigentlich schon fast alles gesagt, manches so gut und ausführlich, dass ich tatsächlich kaum mehr etwas hinzuzufügen habe.

Am besten drückt der Blogbeitrag von Natalie Springhart das aus, was ich noch hätte schreiben wollen.

Weswegen jetzt doch? Weil, ja weil, das hier mein Blog ist und ich zumindest die Chance nutzen wollte, noch ein paar Worte aus ganz persönlicher Sicht hinzuzufügen.

Vorgestern äußerte ich mich auf Facebook zu dem Artikel von Mina, bei dem kritisiert wurde, dass die Aussage “Jede Frau kann solche Geschichten erzählen” doch etwas pauschalisierend wäre und es durchaus Frauen gäbe, die solche Geschichten nicht erlebt hätten. Ich sagte so etwas wie: “Ja, das hätte ich spontan auch gesagt, aber wenn ich ein bisschen nachdenke, dann fallen mir eben doch solche Geschichten ein”.

Das, was ich tatsächlich zu #aufschrei beizutragen hatte, war für mein Gefühl eher klein im Vergleich zu dem, was andere Frauen dort schilderten. Aber es waren meine Erlebnisse und es waren Beispiel für Alltagssexismus, bei denen ich mich unwohl fühlte, bei denen meine Grenzen überschritten wurden und die ich als nicht okay empfinde.

Ich glaube im Übrigen, dass es auch einen anderen Grund gibt, warum ich verhältnismäßig wenig solcher Geschichten kenne und der ist ganz einfach: Ich bin seit ich 19 bin mit dem Mann zusammen und fand auch vorher Diskos eher doof (laute Musik, die ich nicht mochte, tanzen mach ich zu Hause, zu stickig, zu viele Menschen). Natürlich findet Sexismus überall statt, aber ich habe das Gefühl, dass ich Orte, an denen sie gehäuft stattfinden, einfach sowieso oft weiträumig umfahre. Nicht aus Angst, sondern aus Desinteressse.

Dann gibt es noch eine Frage, die zu Recht gestellt wird, nämlich die, ob man überhaupt noch flirten darf, und wie schwierig das (als Mann) ist, wenn man immer Angst haben muss, dass man sofort als Sexist abgestempelt wird.

Vielleicht bin ich naiv, wenn ich sage: So schwierig ist das doch nun wirklich nicht. Hierzu empfehle ich den Artikel “Schrödinger’s Rapist” und behaupte, dass es wirklich nicht so schwer ist, Signale in einer potentiellen Flirtsituation zu deuten.

Nun kann ich überhaupt nicht flirten, weil ich das nie machen musste. Ich behaupte einfach mal Folgendes: Reagiert eine Person auf einen respektvollen, höflichen und erkennbaren Flirtversuch mit “Nein” oder anderweitig einsilbig, sagt sie “Ich habe kein Interesse” oder “Danke, sehr nett, aber ich möchte keinen Drink spendiert bekommen”, dann meint sie das wohl auch so. An dieser Stelle sind weitere Flirtversuche abzubrechen und Beschimpfungen zu vermeiden.

Reagiert sie jedoch mit Interesse, beantwortet Fragen, stellt selber welche, und bricht das Gespräch nicht ab, dann darf man selbstverständlich weiter reden.

Auch vor einem Gespräch gibt es doch einfache Signale, die man durchaus im Stande ist zu deuten. Wiederholter Augenkontakt bedeute vermutlich, dass Interesse an einem Kennenlernen besteht. Kein Augenkontakt bzw. Abwenden bei Augenkontakt bedeutet vermutlich, dass kein Interesse besteht. Sollte man hier nicht sicher sein, kann man immer noch wie oben beschrieben nachfragen und auf die Antwort entsprechend reagieren.

Ja. Es gibt Grauzonen. Ja. Es gibt Menschen, die solche “Ich tu mal so, als interessiere ich mich nicht”-Spielchen spielen. Ja. Es gibt auch Situationen, in denen ein initiales Interesse signalisiert wurde, sich jedoch im weiteren Verlauf der (ich nenne es mal neutral) Interaktion herausstellt, dass es zu nichts weiterem kommen wird.

Aber ganz ehrlich. Wenn man ein bisschen das Gehirn einschaltet, ein bisschen Empathie mitbringt, zuhört, hinguckt und eben ein “Nein”, wie auch immer es formuliert wird, akzeptiert und respektiert, der wird keine Probleme haben.

Insofern geht dieser Aufruf auch an all die Männer (und Frauen), die sich beschweren, man könnte gar nicht mehr wirklich flirten: Wenn wir all den Idioten, die eine plumpe Anmache nicht von respektvollem Flirten unterscheiden können, die ein “Nein” nicht als “Nein” verstehen und die Desinteresse damit begegnen, dass sie erst recht weitermachen, wenn wir denen also zeigen, dass sowas nicht okay ist, dann werden wir vermutlich alle langfristig wieder deutlich entspannter und das Flirtterrain wird kein Minenfeld mehr sein.

Ich saß letztens in der U-Bahn-Station und wartete auf die U-Bahn. Neben mir ein Mann, der mir auf einmal eine Schachtel mit Schokoriegeln hinhielt. Fast schon ohne nachzudenken, schüttelte ich den Kopf und lehnte ab. Instinktiv. Weil ich keine Lust hatte, mich auf ein Gespräch einzulassen, von dem ich befürchten muss, dass ich nicht da rauskomme, ohne unhöflich zu sein und mit einem schlechten Gefühl nach Hause zu fahren.

Vielleicht wollte der Mann gar nicht reden. Vielleicht hatte er einfach nur zu viele Schokoriegel und wollte nett sein. Ich hab auch gar nicht lange abgewägt, sondern zu meiner Default-Reaktion gegriffen. Lächeln, Kopf schütteln, woanders hingucken. Und dabei habe ich noch nicht mal wirklich viele schlimme Erlebnisse gehabt.

Ich finde das schade. Ich möchte gerne nett zu Leuten sein, die mir einen Schokoriegel anbieten. Ich möchte eigentlich auch gerne diesen Schokoriegel. Aber die möglichen Kosten sind mir zu hoch.

In einer Welt, in der man nicht zickig ist, weil man dann doch die Telefonnummer nicht rausrücken will, wo akzeptiert wird, wenn ich eindeutig signalisiere, dass ich an einer Fortführung des Gespräches nicht interessiert bin, wo ich mich so anziehen kann, wie ich will, ohne dass das als irgendwie geartete Aufforderung verstanden wird, kurz: In einer Welt, in der Sexismus nicht normal ist, da wären wir vermutlich alle zufriedener.

Außer vielleicht die Sexisten. Aber das sind sowieso Idioten.

Nicht wissen, was man schreiben soll

Ich wollte das hier schon länger aufschreiben. Zwischendurch dachte ich immer wieder mal, jetzt wäre es soweit, jetzt könnte ich, jetzt würde ich mich trauen, aber dann hab ich doch wieder einen Rückzieher gemacht. Aus Angst. Angst, etwas zu schreiben, dass man nicht aufschreiben sollte. Etwas öffentlich zu machen, dass nicht öffentlich sein sollte. Gefühle zu verletzen, wo verletzen so ziemlich das allerletzte ist, was ich bezwecken wollte. Sich in den Mittelpunkt von einer Sache zu stellen, die man gar nicht selber erlebt habe, die zu dem Leben einer anderen Person gehört.

Heute saß ich dann völlig überraschend mit einem Heulkrampf am Küchentisch und jetzt sitze ich hier und denke, dass es vielleicht doch besser ist, wenn ich das aufschreibe. Und ich hoffe, ich liege da richtig.

Ich habe eine Freundin. Eine Freundin, die ich seit Jahren nicht gesehen habe, die ich aber am Anfang unserer Freundschaft in einer kurzen Phase sehr oft sah, mit der ich – für mich völlig unüblich – sehr lange telefonieren konnte, mit der ich mich sofort verstand, aus diversen Gründen. Dann zog sie erst in eine Stadt, die sehr weit weg war, dann in eine andere, die genauso weit weg war und dann in eine dritte, die noch viel weiter weg war. In Kontakt blieben wir über Skype und E-Mail, später auch über Facebook und Twitter. Aber wirklich gesprochen haben wir uns seitdem eigentlich nicht.

Ich glaube, dass dieser Freundin etwas Schlimmes passiert ist. Oder, um es deutlicher zu sagen: Ich glaube, dass diese Freundin vergewaltigt wurde. Aber ich weiß es nicht. Ich habe diese Ahnung, weil sich auf einmal etwas verändert, ein Schnitt in dem von mir nachvollziehbaren Onlineleben, Bilder und Worte gegen Vergewaltigung, es ging um wiederkehrende Albträume, um zerrissene Bilder und um Orte, die man nicht mehr besuchen konnte. Ein Einschnitt, bei dem man mit ein bisschen Hingucken recht klar ein Vorher und Nachher erkennen konnte.

Und ich saß da vor meinem Bildschirm, war sprachlos und wusste nicht, was ich machen sollte. Ich weiß immer noch nicht, was ich machen soll. Ich weiß noch nicht mal, ob meine böse Ahnung stimmt, weil ich nicht fragen kann, mich nicht traue zu fragen, nicht weiß, ob man sowas fragen darf und wenn ja, wie man so etwas fragt. Ich fühle mich hilflos und sprachlos und gleichzeitig schäbig, weil ich denke, dass diese Hilflosigkeit so ungefähr ein Dreck gegen das ist, was meiner Freundin wahrscheinlich passiert ist und dass ich überhaupt kein Recht habe, mich deswegen schlecht zu fühlen, weil mir ja nichts passiert ist.

Ich habe in meinem Kopf schon oft einen Brief an diese Freundin formuliert. Einmal habe ich spontan dabei angefangen zu weinen. Und heute saß ich wieder da und fing an, loszuheulen, weil auf einmal in diesem ganzen Wirrwarr von #aufschrei-Tweets genau diese Freundin auftauchte. Da saß ich da und starrte den Bildschirm an und fühlte mich wieder genauso sprach- und hilflos und überhaupt nicht nach Aufschreien. Weil die tausend Geschichten für mich plötzlich ein vertrautes Gesicht bekamen.

Ich weiß immer noch nicht, wie ich damit umgehen soll. Es mag feige sein, aber ich kann keine Mail schreiben, in der ich „Sag mal, bist du eigentlich vergewaltigt worden?“ frage. Ich weiß nicht, wie das geht und ich weiß erst recht nicht, was ich machen soll, wenn die Antwort „Ja“ ist.

Deswegen schreibe ich das jetzt das hier, und hoffe, dass sie es liest.

Ich weiß, dass ich spät dran bin. Ich weiß, dass ich lange nichts gesagt habe, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich weiß nicht, was passiert ist, ich weiß nicht, wann es passiert ist. Ich weiß nicht, ob du darüber reden willst oder ob es dir lieber ist, wenn nie wieder ein Wort darüber verloren wird.

Was ich sagen will ist, dass ich es gemerkt habe und dass ich es nicht ignorieren wollte, dass ich sprachlos bin, und dich nicht fragen konnte, nichts sagen konnte, aus Angst, etwas Falsches zu sagen oder zu fragen. Aus Angst, selber nicht handlungsfähig zu sein, nutzlos und schwach.

Was ich noch sagen will ist, dass ich immer da bin, ganz klischeemäßig, auch mitten in der Nacht, wann auch immer. Auch wenn ich mich selbst so hilflos fühle, dass ich nicht glauben kann, dass ich irgendwas hilfreiches sagen oder tun könnte, wenn ich trotzdem irgendwas tun kann, dann werde ich das tun. Ich kann immer noch nicht fassen, dass einem Menschen, der so toll und stark und selbstbewusst und klug ist sowas passieren kann.

Ich habe keine Worte dafür, wie furchtbar leid es mir tut, wie gerne ich helfen würde.

Ich freue mich über jedes Mal, wenn ich höre, dass es dir gut geht, über jedes Bild, auf dem du glücklich aussiehst.

 Und ich vermisse dich.

 

(PS: Ob es richtig ist, das so öffentlich im Blog zu schreiben, kann ich nicht beantworten. Ich habe lange mit mir gehadert, mich aber aus diversen Gründen dafür entschieden. Ich bitte darum, das zu akzeptieren, selbst wenn man es nicht unbedingt nachvollziehen kann.)

Auf dem Weg zur Arbeit – Die „Schnee und Eis“-Edition

Momentan brauche ich für den Weg zur Arbeit etwas länger. Das liegt daran, dass ich alle paar Meter stehen bleibe und eingefrorene Blätter anfassen, Beeren mit kleinen Eiszapfen bestaunen und alles mögliche fotografieren muss. Wer mir auf Instagram folgt, wird die Bilder schon kennen, aber natürlich hab ich noch mehr gemacht und es ist ja auch nicht jeder auf Instagram.

Deswegen gibt’s hier die große “Schnee und Eis”-Sonderedition des täglichen Wegs zur Arbeit. Und man könnte fast meinen, ich würde durch einen üppig begrünten Luxusstadtteil laufen. Tu ich aber gar nicht. Hier ist es nur bedingt schöner als sonst für diese Stadt üblich, aber es gibt ein bisschen mehr Wohnhäuser mit Vorgärten und so Nahaufnamen von kleinen roten schneebedeckten Beerchen gehen halt immer gut.

Ast

Zaun

Efeu

Blume

Rote Beere

Blätter

Zeug

Blaue Beeren

Tannenzweig

Rosa Beere

Knospe

Beerenknospen

Mehr Blätter mit Eiszapfen

Efeu

Der Rest vom Ruhrgebiet (16) – Die Touristen-Edition: Spaziergang durch Duisburg

Aktuell ist es ein bisschen still um der Rest vom Ruhrgebiet, obwohl wir immer noch nichts zu Bochum, Oberhausen oder Duisburg gehört haben. Da muss doch noch was gehen, da wohnen doch bestimmt auch tolle Leute. Das mit Duisburg ändern wir jetzt, da erreichte mich nämlich Anfang der Woche eine Mail von Daniel. Er wohnt zwar nicht in Duisburg, war aber vor kurzem als Tourist in dieser gelegentlich etwas unterschätzten Ruhrpottstadt unterwegs und hat darüber berichtet.

Mangels eigenem Blog darf ich diesen langen Spaziergang durch Duisburg hier veröffentlichen. Ich wünsche viel Lesespaß bei dieser etwas anderen Sicht auf das Ruhrgebiet. Danke an Daniel für die viele Mühe und seinen Sonderbeitrag zum Rest vom Ruhrgebiet.

Duisburg

Kurz vor Duisburg reißt der Himmel auf und lässt Sonnenstrahlen durch die Wolken fallen. Ich bin quer durch den Pott gefahren. Unna. Dortmund. Bochum. Essen. Mülheim.

Als ich also in Duisburg aus der Eisenbahn steige, empfangen mich milde 10° C und Sonnenstrahlen, die nur gelegentlich von großen grauen Regenwolken unterbrochen werden. Es ist mein erster Besuch in der Stadt und ich freue mich auf einen Spaziergang. Was will ich denn hier, ausgerechnet in Duisburg? Was will ich sehen und worüber will ich schreiben?

Jeder typische Raum wird durch typische gesellschaftliche Verhältnisse geschaffen. Alles Geschaffene ist ein Traumbild der Gesellschaft, meistens schafft nur ein kleiner Teil der höheren Gesellschaft etwas, wofür ein anderer Teil erst Traumbilder finden muss. Deswegen sollte die Frage im Hinterkopf bleiben, wieviele Menschen und wer überhaupt mit der Umnutzung einverstanden ist. Ich jedenfalls weiß es nicht.

Gehend durchschreite ich verschiedene Zeiten, wenn ich Gebäude ansehe. Sehe Architekturen, diese 80 Jahre alt und jene ganz neu. Geht es nicht auch darum, wenn man in den Ruhrpott fährt? Wie verändert sich die Stadt? Wie verändert sich der Ort an dem ich lebe? Ich verkürze das mal auf die Formel, dass man die Veränderungen in den Gebäuden und der Umgebung sieht. Einerseits bleiben Architekturen bestehen und es ändert sich nur die Bestimmung. Gestern hatte ein Gebäude die Funktion einer Mühle, heute eine andere, als Museum. Was bleibt ist die Hülle und eine Erinnerung und etwas neues. Andererseits behalten manche ihre Funktion. Und dann stehen sie aus dem Zusammenhang gerissen nebeneinander. Das Heutige soll auch morgen noch sein, Eisenbahnen fahren ein und aus. Die Idee ist, diesen Ausflug als Momentaufnahme festzuhalten, als einen sehr subjektiven Blick auf die Stadt am Ende eines Jahres.

Am Hauptbahnhof geht es los. Vergangenheit. Gestern. Heute. Er ist immer noch bestimmungsgemäß. Gebaut in einem funktionalen Design. Muss das Schöne sich dem Funktionieren unterordnen? Vielleicht geht ja beides. Funktion und Schönheit. Ich erlebe es am eigenen Leib. Steige aus meiner Eisenbahn und sehe die Schönheit dieses Gebäudes erst nach einigen Metern. Der Bahnhof hat einen großen kubischen Mittelbau und nach links und rechts ausgestreckte Flügel. Die Schönheit steckt im Stein. Die Fläche ist hier eher monochrom, dunkelroter Backstein, einzelne hellere, manche mit blauem Stich, andere glänzend. Die Bahnhofsuhr zeigt 13.55h. Der Block in der Mitte trägt auf den Ecken links und rechts Figuren aus hellem Sandstein und pyramidenförmig vermauerte Steine über dem Eingang deuten Pfeiler an. Ein toller Effekt als Kontrast zu den horizontalen Steinen.

An den Flügeln wird der Backstein durch dünne Sandsteinbänder von den Sprossenfenstern getrennt, unten links, unter dem Dach der Arkaden, stehen ein Junge und ein Mädchen, er legt seine Hand an ihre Wange. Sie fühlen sich beschützt und lachen sich an.

Ich wende mich vom Bahnhof ab und gehe einfach und freue mich über eine kleine Sonnenblume an einem Stromkasten.

Wenige Meter später biege ich rechts ab und gehe zur Königsallee. Der leere Weihnachtsmarkt, mit verschlossenen Buden, weiß nicht was er mit sich anfangen soll. Trübe Langeweile und künstliche blaue Weihnachtsbäume sind hier aufgereiht. Schön machen sie sich vor der weiß-blauen Fassade des Hauses eines Brillenherstellers. Auf dem Boden sind QR-Codes aufgeklebt. Ich möchte einen ausprobieren. Aber durch Dreck und Nässe sind sie funktionslos geworden. Das Interesse daran verloren gehe ich weiter und stoße auf kleine Rasenflächen. Man muss zu einem Sprung ansetzen. Also springe ich auf die erste von vielleicht fünf und blicke auf das Stadttheater von 1912. Hier stehe ich und lese laut aus dem Giebel: „MIT ALLEN SEINEN TIEFEN SEINEN HÖHEN ROLL ICH DAS LEBEN AB VOR DEINEM BLICK WENN DU DAS GROSSE SPIEL DER WELT GESEHEN SO KEHRST DU REICHER IN DICH SELBST ZURÜCK“

Schillers Idee mache ich mir zu Eigen und rolle das Leben der Stadt vor meinem Blick ab und kehre reicher in mich selbst zurück. Aber das lasse ich an dieser Stelle so stehen und das Theater rechts liegen. Die Augen geradeaus erscheint nach einigen Metern in der Moselstraße Ecke Fuldastraße ein Wohnungsbau, der wie ein ehemaliger Bunker aussieht. Das Bunkerhaus ist an der zur Fuldastraße gewandten Seite mit einer Kletterpflanze bewachsen, die jetzt im Winter freilich blätterfrei ist. Direkt davor steht ein Stromkasten, auf ihm ist eine gelbe Sonne gemalt und in der Sonne hockt ein grimmiger Igel. Ein verblichener Aufkleber darüber verkündet „I Love Duisburg“. Ich folge der Moselstraße in Richtung Innenhafen.

In der Angerstraße treffe ich auf einen Mann, der wie ich, mit einem Fotoapparat durch die Straßen läuft. Ich gucke ihn skeptisch an und gehe weiter. Im Grachtenviertel werde ich ihn wiedersehen und wir nicken uns zu.

Was erwartet mich nun, hier im umgewidmeten Bereich des Duisburger Hafens? Wohlwissend, dass es hier anders aussieht als noch vor 30 Jahren, versuche ich Kontroversen zu finden, kleine Bereiche, die auf die Veränderungen hinweisen. Inzwischen bin ich von der Hansegracht zur Speichergracht gekommen. Gemütliche Neubauten reihen sich neben den Grachten auf und präsentieren ihre Fassaden farblich an die Umgebung angepasst. Auf keinem der Balkone sind Menschen zu sehen. Gegenüber vor dem Legoland sitzt ein gelber Mann auf einer Bank und philosophiert über das Loch in seinem Socken, aus dem sein gelber Zeh guckt. Der schwarze Strumpf am linken Bein ist bis zum Knie hochgezogen. Die Fassade des Legoland- Gebäudes besteht aus fein geputztem Backstein. In den Steinen sieht man viele Riefen und Unebenheiten, die Fugen sind recht groß und bis an die Kante der Steine ausgefüllt. Die Steine nehmen sich durch das jetzige Licht matt und farblich zurückhaltend aus.

Gleich darauf gehe ich auf das Museum Küppersmühle zu und erkenne in dem Museum für Moderne Kunst einen alten Getreidespeicher, der ebenfalls aus Backsteinen erbaut ist. Früher also diente das Gebäude der Lebensmittelversorgung, heute dient es der Versorgung geistiger Nahrung. Über den fehlgeschlagenen Anbau will ich hier nix sagen. Mich interessiert der Ort schräg gegenüber der Küppersmühle.

Auf einer kleinen Rasenfläche stehen in halbrunder Anordnung elf Betonstelen mit je einem Loch im oberen Drittel, meine Faust würde knapp hindurchpassen. Links davon ein überdachter dreieckiger Platz. Etwas Unrat liegt herum, der Boden ist feucht. Es riecht. Das ignoriere ich und schaue mir interessiert einige Bilder an, die jemand hier, möglicherweise illegal, befestigt hat. Eines davon ist ca. 60 x 80cm groß, im Hochformat und mit vier Winkeln an der Wand befestigt. Es ist eine Leinwand und sie ist rot angemalt. Das Bild ist komplett überzogen mit locker sitzender durchsichtiger Folie, innen befindet sich ein Knäuel aus abgerolltem gelbem Klebeband. Es gibt auch eine Variation in blau, rechts neben einem blauen Pfeiler. Hier befinden sich noch zwei weitere Streifen des Klebebandes in der durchsichtigen Folie.

Was für ein schöner Kontrast zum sauber durchgeplanten Museum Küppersmühle; für mich hat es einen schönen Unterhaltungswert durch die Kombination von Farbe und Formen, ebenso wie die backsteinerne Küppersmühle, der man diesen Wert auch nicht absprechen kann, immerhin zeigt es an den Fassaden eine Kombination von gemischten bunten Steinen. Die Fensterrahmungen und Ecken sind aus einheitlichen roten Steinen, ebenso wie die Zahnfriese unter den Dächern. Sandstein bildet helle Streifen als Kontrastpunkte.

Die Zeit drängt und ich gehe weiter, über den schwimmenden Steg und dann nach links, hier gehen Familien spazieren, Kinder werfen Dinge in den Innenhafen und Hunde wuseln um die Beine der Menschen. In den Erdgeschossflächen der Neubauten sind gastronomische Betriebe, über ihnen befinden sich Büros. Aluminiumjalousien flattern im Wind, vor einem Lokal stehen Olivenbäume in großen Töpfen, einige wackere Oliven kämpfen gegen das Wetter. Am Ende dieser Kette von Neubauten, steht, bevor ich auf die Brücke Am Innenhafen komme, das Haus eines Reiseveranstalters, geplant von einem Hamburger Architektenbüro. Mit dem Rücken zur Brücke schaue ich mir das Haus kurz an und freue mich über einen kleinen Ausschnitt des Hauses. Ein Eckstück, die linke Seite im Schatten, die rechte Seite von der Sonne beschienen lässt einzelne Backsteine blinken und leuchten. Das Haus ist nicht sonderlich schön, erfüllt wohl auch nur seinen Zweck aber durch die kleinen Steinchen rufe ich Juhu. Passanten drehen sich um. Ich ahne ja noch nicht was kommt.

Erstmal aber komme ich zum Garten der Erinnerung, gehe dafür nur einmal über die Brücke, dann rechts und am Ufer weiter. Auf dem Betonufer unten am Wasser hocken drei Enten und haben ihre Köpfe ins Gefieder gesteckt, als ich sie fotografieren will werden sie wach, strecken mir ihre Entenzungen entgegen und hüpfen schnatternd ins Wasser.
An was wird im Garten der Erinnerung erinnert? Hier stehen Häuserreste aus weißgetünchten Mauern, ein Betonfundament mit einem Rest Wand an der Ecke und offener Tür. Ehemaliger Fahrstuhlschacht. Inmitten all dieser Erinnerung steht auf dem Rasen eine rostige Stahlskulptur, die mir ganz gut gefällt; dahinter das Gebäude der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen.

Woran dieses Ensemble erinnert wird mir dadurch aber immer noch nicht klar. Vielleicht an die gute alte Zeit, die es nie gegeben hat? Oder an Lili Marleen? Vor dem Betonpodest mit Wandrest und offener Tür sitzt ein alter Mann mit Akkordeon und spielt diesen alten Schlager, ich lege ihm etwas Geld in den Hut und wir lächeln uns an.
Der Promenade folgend lasse ich alte Stadtmauer und einen Spielplatz links liegen. Das Stadthistorische Museum hat geschlossen und auch in die Kirche gehe ich heute nicht. Vielmehr werde ich magisch angezogen. Was öffnet sich meinem Blick? Ein mächtiger Backsteinturm mit einer großen flächigen Fassade und einem Satteldach (man kann drauf sitzen wie auf einem Sattel). Das Dach ist nicht aus den bekannten welligen Ziegeln gedeckt, es ist mit Backsteinen gedeckt. Die Gebäude drumherum sind verhüllt, werden renoviert.

Jetzt erscheint hier dieser traumhafte Effekt. Die Abendsonne steht so, dass von dort wo ich stehe, eine Fassadenseite im Schatten liegt, also dunkel ist. Die von der Sonne angestrahlte lässt die Steine tanzen. Es regnet heute hin und wieder und das Wasser verleiht dem Backstein sein Aussehen. Manche Steine wirken stumpf, andere glänzen im Licht.
Es scheint als wäre der Turm in Bewegung, als wären seine Steine Worte, die je nach Stand der Sonne aus dem Mauerwerk treten um Geschichten von früher zu erzählen. Auf dieser Wand, die so gleichförmig aussieht von weitem, sind Muster vermauert und das schönste überhaupt ist, dass in einem nicht überschaubaren System einzelne Steine nach hinten versetzt sind.

Ich drehe mich um, links von mir ein jüngeres Haus mit Laubengängen. Vor die Laubengänge sind aus dünnem weißem Stahl die Umrisse alter Hausfassaden angebracht. Vielleicht eine Erinnerungsform an die mittelalterliche Stadt. Aber auch die Schwanentorbrücke hat es in sich. Hier ragen vier Pfeiler in die Luft und an den Sonnenseiten bietet sich der gleiche Effekt wie an dem Turm. Strassenbahnleitungen bilden ein lustiges Gewirr. Einen dieser Pfeiler umkränzt eine Glaskonstruktion von wo aus wohl einmal die Hebebrücke bedient wurde. Oben auf jedem der Pfeiler, die ein wenig wie Kerzen aussehen, sitzen kleine Glasfenster und darauf, auch aus Glas, ein Hütchen als Flamme.

Was aber mache ich nun, außer Fotos vom Schwanentor und Speicher? Entschließe mich für Ruhrort. Ist ja irgendwie mythisch. Die Ruhr fließt in den Rhein. Schimanski. Unter dieser Brücke ist Zabou mit ihm durch gefahren.

Ich laufe. Die Ruhrorter Straße entlang. Nicht schön hier. Backsteinfake zur Hausdämmung. Jaja, ich weiß, die Heizkosten. Im Halal-Imbiss werden heute keine Goldenen Hähnchen verkauft. Einzelne Altbauten erinnern an früher. Die Karl-Lehr-Brücke ist aus Stahl und genietet und rosa und blau.

Vor dem 1000-Fenster-Haus (Backstein) biege ich in die Krausstraße ein und schaue übers Geländer runter auf das Wasser, unten liegen einige Kajaks. Wie schön wäre es jetzt mit dem Kajak in den Rhein zu paddeln und dann weiter nach Holland. Aber diese hier sind Kunst und aus Beton. Zweisitzer. Einsitzer. Auf dem Kiel und auf dem Kopf liegend. Eines gelb, ein anderes rosa, die anderen dreckig.

Weitergehen. Dänische Container auf einem holländischen Binnenschiff. Dahinter liegt das Schiff „Ida Anna“.
Im gläsernen Fahrstuhlturm eines Hotels spiegelt sich der Abend. An der Ruhrorter Promenade beendet ein Blumenverkäufer sein Geschäft für heute. Es sind noch rote Gerbera übrig. Ich gucke und er schenkt sie mir. Wie schön. Danke.

Schwalbennester, viele Schwalbennester befinden sich hier unter den Balkonen. Duisburg gefällt mir, auch ohne viele Fragen.

Der Rhein hat Hochwasser, der Pegel Ruhrort zeigt 883. Hier beende ich meinen Spaziergang. Das Wasser steht auf der Straße. Ich sehe und genieße, gleich ist die Sonne weg.

Wir brauchen mehr erfundene Schaubilder! oder Der Weg zum Internet-Zen

Ich hab da mal mit viel Liebe etwas gebastelt und präsentiere hier nun mit stolzgeschwellter Brust: Die Schüßlersche Aufrege-/Verwirrungskurve.

[insert trommelwirbel here]

AufregeVerwirrungskurve

Eigentlich bin ich ja der Meinung, dass dieses Schaubild für sich selbst spricht, schon allein, weil ich hilfreiche Texthinweise eingebaut habe, aber es schadet ja nichts, das noch mal in Ruhe zu erklären.

Auf diesem Schaubild kann man beobachten, wie sich der Aufrege- und der Verwirrungslevel der an diesem Blog maßgeblich beteiligten Autorin durch die Lektüre von Blogartikeln und andersartigen Online-Publikationen im Laufe der Zeit verändert.

Betrachten wir zunächst die Aufregungskurve, so sieht man wie nach dem Erstkontakt der mit Aufregepotential behafteten Angelegenheit in relativ kurzer Zeit die Aufregung zunächst steigt. Aus einem konsternierten „DAFUQ?“ wird ein von Zweifeln bislang unangetastetes durchaus mit rheinischem Dialekt begleitetes inneres Ausrasten.

Bis zu diesem Punkt war die Lektüre meist eher einseitig, im weiteren Verlauf kommen dann mehr und mehr Gegen- oder relativierende Meinungen dazu, die das Aufregepotential stetig abmildern, bis es zum sogenannten Epiphaniemoment kommt, der mit dem Schnittpunkt der Aufrege- und der Verwirrugskurve korreliert. Der Epiphaniemoment tritt also ein, wenn der Stand der Aufregung dem Stand der Verwirrung entspricht. Die Verwirrung wirkt neutralisierend auf die Aufregung ein, und lässt diese im weiteren Verlauf schlagartig auf ein Minimum absinken.

Hat man sich einmal abgeregt, so kann die Aufregung maximal noch durch Trollkommentare kurzzeitig angehoben werden, betrifft dann aber nicht mehr die Angelegenheit selber, sondern lediglich die Trolle und ist auf der Kurve nicht dargestellt.

Die Verwirrungskurve beginnt konträr zur Aufregungsskala recht weit unten auf der Verwirrungsachse und bleibt zunächst auf einem konstanten Pegel. Dieser Zeitraum ist geprägt von dem Gefühl, die Sache im Griff und vollkommen durchblickt zu haben.

Während die Aufregekurve nach dem Aufregemaximum sinkt, steigt zeitgleich nun die Verwirrungskurve. Der Konsum von anderen bis konträren Ansichten zur Ausgangssituation lassen Zweifel an der Ursprungsmeinung sowie die generelle Verwirrung ansteigen.

Anders als bei der Aufregekurve steigt die Verwirrungskurve jedoch nach dem Epiphaniemoment nicht kurzfristig steil an, sondern erreicht zunächst nach gleichbleibendem Ansteigen ein Maximum (das üblicher- und dankbarerweise unter dem Aufregemaximum liegt) und sinkt dann meist auf ein erträgliches Maß wieder ab. Hier empfehlen sich ein bis zwei Nächte guter Schlaf, in dem sich die kreisenden Gedanken langsam setzen und ordnen können und so überflüssige Verwirrung nachhaltig abgebaut werden kann. Ein weiteres Absinken der Verwirrungskurve ist dann hauptsächlich damit zu erklären, dass unwesentliche Aspekte der Gesamtangelegenheit wieder vergessen oder erfolgreich verdrängt werden.

Sobald Aufrege- und Verwirrungskurve nun einen vernünftigen Wert erreicht haben, darf man einen Blogartikel schreiben. Auch bei schnellem Konsum vielartiger Lektüre empfiehlt sich eine Mindestwartezeit von 24 Stunden mit mindestens einer Nacht halbwegs erholsamem Schlaf dazwischen.

Dringend abzuraten wird davon, Blogartikel vor dem Erreichen des Epiphaniemomentes zu verfassen UND zu veröffentlichen, da hier das Risiko besteht, einen Text zu schreiben, der in größerem Rahmen Trollkommentare anzieht und dementsprechend der seelischen Verfassung nicht zuträglich ist. (Ganz, ganz selten geht’s leider nicht anders. Aber dann kommt man wenigstens auf rivva.)

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(PS. Ich glaube, ich habe seit dem Abitur keine Kurven mehr interpretiert (Huhu, Biologie-LK!) und noch nie selbst ausgedachte. Total lustig.)

Über Grauzonen, politische Korrektheit, Kinderbücher und Sprachlosigkeit

Im Moment ist das ja in meiner kleinen Filterbubble eines der Hauptthemen. In Kinderbüchern werden böse Wörter durch nicht ganz so böse ersetzt. Genauer gesagt: Bei Pippi Langstrumpf wird Pippis Vater vom “Negerkönig” zum Südseekönig” und in “Die kleine Hexe” wird ebenfalls das Wort Neger durch irgendwas anderes ersetzt, genauso wie das Wort durchwichsen, das in diesem Fall eben “verhauen” bedeutet.

Mein Initialreaktion dazu war: “Och nö.”

Das ist wahrscheinlich nicht verwunderlich, denn in jahrzentealten Werken rumzuändern, weil irgendwas nicht mehr zeitgemäß erscheint, klingt für mich erstmal nach Zensur und da reagiere ich zunächst instinktiv und finde das doof.

Dann habe ich viel im Internet gelesen, auf verschiedenen Blogs und anderen Seiten haben Leute geschrieben, die zu diesem Thema die unterschiedlichsten Ansichten haben, von “geht gar nicht” bis “wurde auch mal Zeit”.

Mein übliches Problem: Ich kann irgendwie alle Sichtweisen verstehen und nachvollziehen und weiß mittlerweile immer weniger, was ich selber davon halten soll.

Auf der einen Seite finde ich “zeitgemäße Korrekturen” nach wie vor problematisch bis falsch. Nicht mal so unbedingt aus Prinzip, sondern weil Bücher eben von einem bestimmten Autor in einer bestimmten Zeit geschrieben werden und ich der Meinung bin, dass man diesen Büchern ihre Entstehungszeit ruhig anmerken darf.

Auf der anderen Seite geht es hier um Kinderbücher und gerade die betroffenen Bücher zeichnen sich meiner Meinung nach durch eine Zeitlosigkeit aus, die dann auch dazu führt, dass sie heute genauso (vor)gelesen werden wie vor fünfzig Jahren. Ob das in der Konsequenz auch bedeutet, dass man bei solch zeitlosen Kinderbuchklassikern gelegentlich auch mal gucken darf, ob das, was da drinsteht oder das, wie es drin steht, sich noch mit den aktuellen Gegebenheiten verträgt, ist dann die nächste Frage.

Außerdem ist es in diesen speziellen Fällen nun auch so, dass weder das Wort “Neger” noch das Wort “durchwichsen” eine größere Bedeutung hätten. Man kann sie ersetzen, ohne dass sich die Geschichte wesentlich verändert. Ob in der kleinen Hexe ein Kind als Neger oder als Fliegenpilz verkleidet sind, ist vollkommen irrelevant und ob der Vater von Pippi Langstrumpf “Negerkönig” oder “Südseekönig” ist ebenso. Südseekönig ist, das muss man sogar sagen, sogar richtiger, wenn auch, wie man hier und hier nachlesen kann, nicht zwingend unproblematischer.

Dann denke ich wieder, dass man das den Kindern ja auch erklären könnte, was es damit auf sich hat, dass man früher Neger sagt, aber heute nicht mehr und dass durchwichsen eben verhauen heißt. Will man den Vorleseeltern ein bisschen Hilfe an die Hand geben, kann man ja auch eine Fußnote setzen, wo man Wörter, die eine Bedeutungsveschiebung erhalten haben oder einfach nicht mehr so verwendet werden, erklärt. Erstens sind Kinder ja nicht dumm und zweitens ist es auch nicht unbedingt verkehrt, wenn man schon früh lernt, dass Sprache sich ändert, sowohl was die Wörter selber als auch was deren Bedeutung angeht.

Und dann lese ich Blogartikel, in denen es darum geht, dass man als Eltern vielleicht auch mal einfach vorlesen möchte und nicht noch einen linguistischen Bildungsauftrag dabei erfüllen möchte, weil man eben seinen Kindern schon genug erklären muss, jeden Tag, dauernd und das dann nicht noch abends an der Bettkante haben muss. Da kann ich natürlich mangels Kinder nicht mitreden.

Und dann gibt es Stimmen, die sagen, dass vielleicht das Ersetzen von rassistischen Wörtern wichtiger ist als das unbedingte Erhaltenwollen des Originalzustands, weil Rassismus verletzend ist und weil man vielleicht gar nicht erst damit anfangen sollte, Kindern rassistische Wörter beizubringen, erst recht nicht in einem Kontext, der sie glauben lassen könnte, das Wort wäre eigentlich ganz harmlos.

Wie gesagt, es ist schwierig. Mittlerweile bin ich zu der Ansicht gekommen, dass es vermutlich okay ist, wenn in den genannten Büchern die paar Stellen geändert werden.

Wovor ich ein bisschen Angst habe, ist die Grauzone, die danach kommt. Bleibt es bei diesen beiden Beispielen oder kommt da dann direkt mehr? Wer bestimmt, was darf und was nicht? Und wer bestimmt, wann die Verwendung eines rassistischen oder anders problematischen Wortes für das Buch wichtig ist und wann nicht?

In diesem Zusammenhang fällt mir auch immer die Geschichte von J.D. Salingers “Der Fänger im Roggen” ein. Das wurde dann erst von einer Schweizerin übersetzt und dabei wurde auch noch mal gestrichen und geändert. Und dann kam Heinrich Böll und hat dann noch mal übersetzt, aber nicht das amerikanische Original, sondern die britische Version. Da wurde nämlich schon direkt mal im Englischen sehr stark lektoriert, weil es dem britischen Verleger zu krass war. Und diese zweite Übersetzung einer bereits sehr angepassten Version ist dann das, was wir hier bis 2003 kaufen konnten, dann gab’s nämlich eine neue Übersetzung. Da kann man mal sehen.

Hat das was mit dem Ursprungsthema zu tun? Ich denke schon, ein bisschen zumindest, denn es zeigt, wie wenig transparent diese Vorgänge sind, wie wenig man eigentlich weiß, was der Autor da wirklich stehen haben wollte und an welcher Stelle der Lektor oder der Übersetzer möglicherweise etwas geändert haben oder sogar ändern mussten. (Wer mehr über die Tücken des Übersetzens wissen möchte, der liest bitte bei Isabel weiter.)

Aber letztlich wollte ich auf etwas ganz anderes zu sprechen kommen, nämlich mein ganz persönliches Problem mit der erzwungenen politischen Korrektheit. Sie macht mich sprachlos, und das finde ich ganz furchtbar.

Denn ich weiß mittlerweile nicht mehr, was ich noch sagen darf, ohne gleich in die Rassismusfalle zu tappen. “Neger” geht nicht, ist klar. Irgendwann sollte man mal “Schwarzer” sagen, aber das ist meines Wissens auch schon wieder passé, weil eben auch rassistisch. “Farbiger”, geht das? Ist doch genauso bekloppt wie “Schwarzer”. “Afro-Amerikaner” ist hier total beknackt, denn wir sind hier nicht in Amerika. “Afrikaner” geht natürlich auch nicht, erstens weiß ich nicht, ob der oder die Gemeinte überhaupt aus Afrika kommt und selbst wenn, das impliziert doch auch, dass ich irgendwie denke, wenn man eine dunkle Haut hat, könne man nicht Deutscher sein. Bekloppt.

Das Gefühl, das ich habe ist, dass es eben irgendwann gar nicht um die Worte geht, sondern wir uns vielmehr in so einer Endlosschleife der politischen Korrektheit befinden, in der wir bei den ersten Anzeichen negativ konnotierter Wörter hektisch an der Notbremse ziehen und uns was neues einfallen lassen. Jeder, der dann noch das alte Wort benutzt, wird zumindest komisch angeguckt, denn man weiß doch, dass man das nicht mehr sagt, ist das etwa ein Rassist?

Natürlich bin ich nicht rassistisch. Ich bemühe mich, meine Worte so zu wählen, dass ich niemanden damit irgendwie unabsichtlich beleidige, aber ich möchte auch keine 1984–Neusprech-Sprache sprechen, in der alles, was auch nur in den Verdacht einer negativen Konnotierung fällt, ersetzt wird.

Ich habe in den knapp dreißig Jahren, in denen ich sprechen und verstehen kann, den Weg von “Neger” über “Schwarzer” über “Farbiger” mitgemacht und habe keine Ahnung, was die aktuell angesagte Bezeichnung ist. Geht das jetzt so weiter? Weil, wenn ja, dann haben wir ein anderes Problem, denn dann ist es wohl eher so, dass wir trotz aller Bemühungen, dagegen zu wirken, immer noch mit explizitem und implizitem Rassismus zu kämpfen haben, der früher oder später jedes Wort, das wir uns ausdenken, negativ einfärbt, bis wir es nicht mehr verwenden wollen oder dürfen.

Ich weiß, dass das kleine Probleme sind, dass ich als Nichtbetroffene nur ein beschränktes Mitspracherecht habe, weil es eben nicht meine Gefühle sind, die verletzt werden (dazu empfehle ich den Text von Christian vom Jawl sowie diesen Artikel bei Schreibgold). Ich habe auch so spontan niemanden zur Hand, den ich fragen könnte.

Das, was ich relativ sicher sagen kann, ist, dass die stete Suche nach weniger anstößigen Wörtern niemandem hilft, wenn ihre Halbwertzeit begrenzt ist. Dass diese Unsicherheit, ob eines falsch gewählten Wortes als rassistisch abgestempelt zu werden, eher dazu führt, dass ich dann lieber gar nichts sage. Das ist mein persönliches Problem, das ich auch nicht überbewerten möchte. Sollte es das Problem von mehr Menschen sein, dann müssen wir uns aber auch nicht wundern, wenn wir aus der Endlosspirale der Wortneuerfindungen nicht raus kommen, denn eine dauerhaft wertfreie Konnotierung eines Wortes ist kaum möglich, wenn die Mehrheit der Leute sich nicht traut, es auszusprechen.

3/2013 – Webgedöns

Letzte Woche war ziemlich viel Kinderbücherauffrischungsdiskussion. Ich habe viele Artikel darüber gelesen, habe die Sache aus unterschiedlichen Blickwinkeln gesehen und bin dementsprechender unentschiedener als zuvor, was ich davon halten soll. Ich verlinke jetzt auch mal einfach gar keinen Artikel, dann müsste ich nämlich ganz viele verlinken, sondern sage mal, dass ich da vermutlich nächste Woche mal was zu schreiben werde und dann auch wahrscheinlich mit einer schönen Liste Links.

Die Behörden in Rheinland-Pfalz sind auch bei Facebook. Allerdings mit explizitem “Rückkanalverbot”, sie dürfen also weder Fragen beantworten noch anderweitig Auskunft geben. Ja nee, is klar. Da hat wieder jemand das Internet richtig verstanden.

Der Focus hatte eine ganz tolle Titelstory mit vielen tollen, bekannten und erfolgreichen Frauen, die gegen die Frauenquote sind. Wenn man sich diese Frauen dann mal genau anguckt, wie die Publikative das mal getan hat, dann merkt man schnell, wie unsinnig das alles ist. Sportlerinnen, Schauspielerinnen, Erbinnen von Familienunternehmen. Dass die weniger Steine in den Weg gelegt bekommen als so allgemein üblich, das wundert mich jetzt mal so gar nicht.

Dafür war Herr Buddenbohm in Hamburg in der Lego-Ausstellung und fand’s ziemlich toll. Besonders toll fand ich aber die Beschreibung der fanatischen Väter beim Legobauen. (Das Nuf war übrigens auch da und fand’s eher nicht so toll.)

Was ich letzte Woche besonders toll fand: Den Launch des neuen kleinerdrei-Blogs. Mit ganz tollen Autorinnen und Autoren.

Sebastian Küpers schreibt darüber, wie man sein Englisch mit Fernsehen (also Serien und Filmen) verbessern kann. Ich kann dazu sagen, ja, das stimmt. In der Schule lernt man Englisch eben so, wie es soll, und im Fernsehen lernt man es so, wie’s ist. Klar haben die auch ein Drehbuch, aber es ist eben doch was anderes.

Und die Patschbella schreibt reizend wie immer über sprachliche Unterschiede bei Fettgebackenem. Dazu möchte ich klarstellen, dass Berliner im Rheinland überhaupt niemals nie mit Rosinen sind. Berliner sind mit Marmelade oder manchmal Eierlikörunfug. Mit Rosinen sind maximal Krapfen, das ist dann aber was anderes als Berliner, die sind nicht so hübsch rund und kleiner. Außerdem gibt es Berliner das ganze Jahr, aber Krapfen tatsächlich eher so zur Karnevalszeit (Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel). So. Dann hätten wir das ja jetzt auch geklärt. Am leckersten sind sowieso Quarkbällchen.

Herr Niggemeier regt sich währenddessen darüber auf, dass sich andere Leute über den neuen Rundfunkbeitrag aufregen. Ich persönlich finde ja eine Abgabe pro Haushalt besser als eine Abgabe pro Gerät oder wie auch immer das vorher funktionierte. Hat ja eh keiner kapiert.

How to Not Suck at Meetings. Ist ja insgesamt im Büroalltag kein uninteressantes Thema.

Hihihihihi. Diese Ansage in einem Plattenladen bei Passive Aggressive Notes.

Procrastination – The Musical. Sehr schön. (Via Little Jamie.)

Und hier hätten wir eine Katze, die Schnee total knorke findet.

Diese Lampen. WHOA! Aber jetzt brauchen wir keine mehr und so günstig sind die auch nicht. Aber… WHOA!

Seit ich vor ein paar Jahren mal zwei Tage in Hong Kong war, bin ich total fasziniert von der Stadt und möchte unbedingt noch mal hin. Solange ich das nicht schaffe, kann ich mich ja mit dem Instagram-Konto von Jethro Mullen trösten.

Sticken kann ich ja sogar. Also, sowas wie diese geometrischen Muster würd ich hinkriegen, und hübsch sieht das auch aus.

Was man alles so ins Waffeleisen stecken kann, steht beim Waffleizer.

Gorgeous Vintage British Road Safety Ads. Die hätte ich gerne als Print, um sie mir in die Wohnung zu hängen. Und wenn ich ganz lieb “Bitte” sage? Ansonsten nehm ich halt so einen hübschen lehrreichen Druck von Arminho bei etsy.

Kulinarisch bin ich gerade ganz auf Eintöpfe und Aufläufe eingestellt. Das Wetter ist da nicht ganz unschuldig dran. Diese Mexikanischen Tomaten-Bohnen-Suppe mit Mais sieht auch wie etwas aus, was ich mögen könnte. Und wenn das nicht reicht, kann man sich ja auch angucken, wie David Lebovitz Schokolade macht.

Ich bin selbst schuld – Über Saturn, Opel und die WR

Als ich im letzten Jahr zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wieder im Saturn am Hansaring war, war ich erschüttert. Nicht umsonst behauptete dieser Saturn stets, die größte Musikauswahl Europas zu bieten. Ob das jetzt wirklich stimmte oder nicht, sei dahingestellt, aber die Auswahl war wirklich, wirklich riesig. Ich kenne diesen Laden schon seit Anfang der Neunziger, seit wir den ersten CD-Spieler hatten und man sich teilweise noch selbst die CDs aus langen Regalen raussuchen musste, wenn sie nicht in der Auslage standen. Da gab’s dann nämlich zu jedem Künstler Zettelchen mit allen potentiell vorrätigen Alben und da dann einen Buchstabenzahlenkombination, mit der man dann zu den Regalen tigern konnte. (Für so Sortiersüchtige wie mich übrigens eine einzige große Freude.)

Später gab es die Regale nicht mehr, dafür stand halt alles direkt zugänglich, bei der Info gab es einen Ordner von der Dicke des New Yorker Telefonbuchs, in dem man suchen konnte, ob die gesuchte CD denn prinzipiell im Sortiment wäre, wenn man sie gerade nicht finden konnte.

Auf drei Etagen das Ganze, nur CDs, Hörbücher und DVDs, aber vor allem eben CDs. Pop, Rock, Charts und Soul unten, oben Filmmusik, Folk, Weltmusik, unten Jazz und Blues. Und natürlich der ganze Rest auch, aber danach hab ich nicht so oft gesucht. Drei Etagen! Voll mit CDs.

Das war damals, dann zogen wir irgendwann aus Leverkusen weg nach Düsseldorf, von da aus dann nach Essen und obwohl ich in Düsseldorf einen der best sortierten CD-Läden überhaupt entdeckte (und das auch an einem Ort, wo man sowas am wenigstens vermuten würde, nämlich in den Schadow-Arkaden), mein Musikkonsum hatte sich eh verlagert. Nämlich zu iTunes. Es bringt auch nichts, jetzt zu sagen „ins Internet“. Das ist albern. Ich kaufe meine Musik bei iTunes. Nicht bei Amazon und auch nicht bei irgendeinem tollen alternativen Indielabelangebot, nein. Ich finde das praktisch und deswegen mache ich das.

Und dann stand ich letztes Jahr im Saturn und war erschüttert. Von den drei Etagen ist ungefähr eine dreiviertel Etage übrig geblieben. Es gibt zwar noch ein unten, aber da gibt es Konsolenspiele und Bücher. Es war traurig. Und ich war auch traurig.

Aber ich wusste auch sofort: Ich bin das selbst schuld. Ich habe seit Monaten, eigentlich Jahren keine CD mehr gekauft, und ich bin nicht die Einzige. Man kann ja nicht auf der einen Seite aus Bequemlichkeit sein Konsumverhalten zu 95% ins Internet verlagern und dann erwarten, dass die Läden da draus trotz Gewinneinbrüchen trotzdem weiter schön ihr Riesensortiment aufrecht erhalten.

Das ist alles nichts Neues. Ich wusste das. Ich hatte schon sehr oft darüber gelesen. Nur hatte ich es selten so krass vor Augen geführt bekommen. Der Laden meiner Kindheit und Jugend, in dem ich Stunden verbringen konnte, wo es alles gab, was man sich als Musikliebhaber wünschen konnte.

Kaputt. Und vermutlich auch kaum mehr zu retten.

Ich bin selbst schuld. Das weiß ich, und ich weiß auch, dass mein bequemes Digitalkonsumverhalten dazu beigetragen hat und ich mich nicht darüber beschweren kann, nicht Zeter und Mordio schreien und die gute alte Zeit zurückverlangen. Denn ich war’s ja selber.

Wenn ich dann höre, wie gegen die Schließung der Opelwerke in Bochum oder der Auflösung der Redaktion der Westfälischen Rundschau protestiert wird, wie gefordert wird, dass die Politik irgendwas dagegen tun soll oder die Geschäftsleitung, dann denke ich manchmal: „Ja, aber was denn?“

Klingt zynisch, ich weiß. Ich weiß auch nicht, was dahinter steckt, wie die Zahlen tatsächlich aussehen und ob man wirklich alles denkbar Mögliche versucht hat, um das verhindern oder ob man schon seit langem auf einen Grund wartet, hier Geld sparen zu können.

Aber letztlich ist es doch so: Solange ich keinen Opel fahre, kann ich mich schlecht darüber beschweren, dass die Opelwerke geschlossen werden. Genauso wenig kann ich über das Zeitungssterben klagen, wenn ich nie eine Zeitung kaufe. Ich kann es traurig finden, beklagenswert und sehr, sehr tragisch für die Mitarbeiter, aber ich habe es ja selbst mit verursacht.

Die Westfälische Rundschau kann ich nicht mehr retten, ich alleine sowieso nicht, und ich wohne ja noch nicht mal in Westfalen, mein Interesse an dieser speziellen Zeitschrift ist also eher als gering einzuschätzen. Aber vielleicht sind solche Ereignisse auch ein kleiner Weckruf, der uns sagt: Das was wir da machen, das hat Konsequenzen. Ob wir diese Konsequenzen schlimm finden oder ob es uns egal ist, das muss jeder für sich selbst entscheiden.

Wahrscheinlich ist es für jeden etwas anderes. Für mich war es der Besuch bei Saturn, bei dem mich der sprichwörtliche Schlag traf, wo Kindheitsnostalgie und Wirtschaftsrealität unschön aufeinanderprallten. Was ich mit dieser Erfahrung mache, das weiß ich ehrlich gesagt, noch nicht so genau, aber sie hat mich ein bisschen von der rosaroten Internetwolke runtergeholt und ich weiß jetzt:

Nichts ist umsonst und ich bin es selbst schuld.