Der Rest vom Ruhrgebiet (16) – Die Touristen-Edition: Spaziergang durch Duisburg

Aktuell ist es ein bisschen still um der Rest vom Ruhrgebiet, obwohl wir immer noch nichts zu Bochum, Oberhausen oder Duisburg gehört haben. Da muss doch noch was gehen, da wohnen doch bestimmt auch tolle Leute. Das mit Duisburg ändern wir jetzt, da erreichte mich nämlich Anfang der Woche eine Mail von Daniel. Er wohnt zwar nicht in Duisburg, war aber vor kurzem als Tourist in dieser gelegentlich etwas unterschätzten Ruhrpottstadt unterwegs und hat darüber berichtet.

Mangels eigenem Blog darf ich diesen langen Spaziergang durch Duisburg hier veröffentlichen. Ich wünsche viel Lesespaß bei dieser etwas anderen Sicht auf das Ruhrgebiet. Danke an Daniel für die viele Mühe und seinen Sonderbeitrag zum Rest vom Ruhrgebiet.

Duisburg

Kurz vor Duisburg reißt der Himmel auf und lässt Sonnenstrahlen durch die Wolken fallen. Ich bin quer durch den Pott gefahren. Unna. Dortmund. Bochum. Essen. Mülheim.

Als ich also in Duisburg aus der Eisenbahn steige, empfangen mich milde 10° C und Sonnenstrahlen, die nur gelegentlich von großen grauen Regenwolken unterbrochen werden. Es ist mein erster Besuch in der Stadt und ich freue mich auf einen Spaziergang. Was will ich denn hier, ausgerechnet in Duisburg? Was will ich sehen und worüber will ich schreiben?

Jeder typische Raum wird durch typische gesellschaftliche Verhältnisse geschaffen. Alles Geschaffene ist ein Traumbild der Gesellschaft, meistens schafft nur ein kleiner Teil der höheren Gesellschaft etwas, wofür ein anderer Teil erst Traumbilder finden muss. Deswegen sollte die Frage im Hinterkopf bleiben, wieviele Menschen und wer überhaupt mit der Umnutzung einverstanden ist. Ich jedenfalls weiß es nicht.

Gehend durchschreite ich verschiedene Zeiten, wenn ich Gebäude ansehe. Sehe Architekturen, diese 80 Jahre alt und jene ganz neu. Geht es nicht auch darum, wenn man in den Ruhrpott fährt? Wie verändert sich die Stadt? Wie verändert sich der Ort an dem ich lebe? Ich verkürze das mal auf die Formel, dass man die Veränderungen in den Gebäuden und der Umgebung sieht. Einerseits bleiben Architekturen bestehen und es ändert sich nur die Bestimmung. Gestern hatte ein Gebäude die Funktion einer Mühle, heute eine andere, als Museum. Was bleibt ist die Hülle und eine Erinnerung und etwas neues. Andererseits behalten manche ihre Funktion. Und dann stehen sie aus dem Zusammenhang gerissen nebeneinander. Das Heutige soll auch morgen noch sein, Eisenbahnen fahren ein und aus. Die Idee ist, diesen Ausflug als Momentaufnahme festzuhalten, als einen sehr subjektiven Blick auf die Stadt am Ende eines Jahres.

Am Hauptbahnhof geht es los. Vergangenheit. Gestern. Heute. Er ist immer noch bestimmungsgemäß. Gebaut in einem funktionalen Design. Muss das Schöne sich dem Funktionieren unterordnen? Vielleicht geht ja beides. Funktion und Schönheit. Ich erlebe es am eigenen Leib. Steige aus meiner Eisenbahn und sehe die Schönheit dieses Gebäudes erst nach einigen Metern. Der Bahnhof hat einen großen kubischen Mittelbau und nach links und rechts ausgestreckte Flügel. Die Schönheit steckt im Stein. Die Fläche ist hier eher monochrom, dunkelroter Backstein, einzelne hellere, manche mit blauem Stich, andere glänzend. Die Bahnhofsuhr zeigt 13.55h. Der Block in der Mitte trägt auf den Ecken links und rechts Figuren aus hellem Sandstein und pyramidenförmig vermauerte Steine über dem Eingang deuten Pfeiler an. Ein toller Effekt als Kontrast zu den horizontalen Steinen.

An den Flügeln wird der Backstein durch dünne Sandsteinbänder von den Sprossenfenstern getrennt, unten links, unter dem Dach der Arkaden, stehen ein Junge und ein Mädchen, er legt seine Hand an ihre Wange. Sie fühlen sich beschützt und lachen sich an.

Ich wende mich vom Bahnhof ab und gehe einfach und freue mich über eine kleine Sonnenblume an einem Stromkasten.

Wenige Meter später biege ich rechts ab und gehe zur Königsallee. Der leere Weihnachtsmarkt, mit verschlossenen Buden, weiß nicht was er mit sich anfangen soll. Trübe Langeweile und künstliche blaue Weihnachtsbäume sind hier aufgereiht. Schön machen sie sich vor der weiß-blauen Fassade des Hauses eines Brillenherstellers. Auf dem Boden sind QR-Codes aufgeklebt. Ich möchte einen ausprobieren. Aber durch Dreck und Nässe sind sie funktionslos geworden. Das Interesse daran verloren gehe ich weiter und stoße auf kleine Rasenflächen. Man muss zu einem Sprung ansetzen. Also springe ich auf die erste von vielleicht fünf und blicke auf das Stadttheater von 1912. Hier stehe ich und lese laut aus dem Giebel: „MIT ALLEN SEINEN TIEFEN SEINEN HÖHEN ROLL ICH DAS LEBEN AB VOR DEINEM BLICK WENN DU DAS GROSSE SPIEL DER WELT GESEHEN SO KEHRST DU REICHER IN DICH SELBST ZURÜCK“

Schillers Idee mache ich mir zu Eigen und rolle das Leben der Stadt vor meinem Blick ab und kehre reicher in mich selbst zurück. Aber das lasse ich an dieser Stelle so stehen und das Theater rechts liegen. Die Augen geradeaus erscheint nach einigen Metern in der Moselstraße Ecke Fuldastraße ein Wohnungsbau, der wie ein ehemaliger Bunker aussieht. Das Bunkerhaus ist an der zur Fuldastraße gewandten Seite mit einer Kletterpflanze bewachsen, die jetzt im Winter freilich blätterfrei ist. Direkt davor steht ein Stromkasten, auf ihm ist eine gelbe Sonne gemalt und in der Sonne hockt ein grimmiger Igel. Ein verblichener Aufkleber darüber verkündet „I Love Duisburg“. Ich folge der Moselstraße in Richtung Innenhafen.

In der Angerstraße treffe ich auf einen Mann, der wie ich, mit einem Fotoapparat durch die Straßen läuft. Ich gucke ihn skeptisch an und gehe weiter. Im Grachtenviertel werde ich ihn wiedersehen und wir nicken uns zu.

Was erwartet mich nun, hier im umgewidmeten Bereich des Duisburger Hafens? Wohlwissend, dass es hier anders aussieht als noch vor 30 Jahren, versuche ich Kontroversen zu finden, kleine Bereiche, die auf die Veränderungen hinweisen. Inzwischen bin ich von der Hansegracht zur Speichergracht gekommen. Gemütliche Neubauten reihen sich neben den Grachten auf und präsentieren ihre Fassaden farblich an die Umgebung angepasst. Auf keinem der Balkone sind Menschen zu sehen. Gegenüber vor dem Legoland sitzt ein gelber Mann auf einer Bank und philosophiert über das Loch in seinem Socken, aus dem sein gelber Zeh guckt. Der schwarze Strumpf am linken Bein ist bis zum Knie hochgezogen. Die Fassade des Legoland- Gebäudes besteht aus fein geputztem Backstein. In den Steinen sieht man viele Riefen und Unebenheiten, die Fugen sind recht groß und bis an die Kante der Steine ausgefüllt. Die Steine nehmen sich durch das jetzige Licht matt und farblich zurückhaltend aus.

Gleich darauf gehe ich auf das Museum Küppersmühle zu und erkenne in dem Museum für Moderne Kunst einen alten Getreidespeicher, der ebenfalls aus Backsteinen erbaut ist. Früher also diente das Gebäude der Lebensmittelversorgung, heute dient es der Versorgung geistiger Nahrung. Über den fehlgeschlagenen Anbau will ich hier nix sagen. Mich interessiert der Ort schräg gegenüber der Küppersmühle.

Auf einer kleinen Rasenfläche stehen in halbrunder Anordnung elf Betonstelen mit je einem Loch im oberen Drittel, meine Faust würde knapp hindurchpassen. Links davon ein überdachter dreieckiger Platz. Etwas Unrat liegt herum, der Boden ist feucht. Es riecht. Das ignoriere ich und schaue mir interessiert einige Bilder an, die jemand hier, möglicherweise illegal, befestigt hat. Eines davon ist ca. 60 x 80cm groß, im Hochformat und mit vier Winkeln an der Wand befestigt. Es ist eine Leinwand und sie ist rot angemalt. Das Bild ist komplett überzogen mit locker sitzender durchsichtiger Folie, innen befindet sich ein Knäuel aus abgerolltem gelbem Klebeband. Es gibt auch eine Variation in blau, rechts neben einem blauen Pfeiler. Hier befinden sich noch zwei weitere Streifen des Klebebandes in der durchsichtigen Folie.

Was für ein schöner Kontrast zum sauber durchgeplanten Museum Küppersmühle; für mich hat es einen schönen Unterhaltungswert durch die Kombination von Farbe und Formen, ebenso wie die backsteinerne Küppersmühle, der man diesen Wert auch nicht absprechen kann, immerhin zeigt es an den Fassaden eine Kombination von gemischten bunten Steinen. Die Fensterrahmungen und Ecken sind aus einheitlichen roten Steinen, ebenso wie die Zahnfriese unter den Dächern. Sandstein bildet helle Streifen als Kontrastpunkte.

Die Zeit drängt und ich gehe weiter, über den schwimmenden Steg und dann nach links, hier gehen Familien spazieren, Kinder werfen Dinge in den Innenhafen und Hunde wuseln um die Beine der Menschen. In den Erdgeschossflächen der Neubauten sind gastronomische Betriebe, über ihnen befinden sich Büros. Aluminiumjalousien flattern im Wind, vor einem Lokal stehen Olivenbäume in großen Töpfen, einige wackere Oliven kämpfen gegen das Wetter. Am Ende dieser Kette von Neubauten, steht, bevor ich auf die Brücke Am Innenhafen komme, das Haus eines Reiseveranstalters, geplant von einem Hamburger Architektenbüro. Mit dem Rücken zur Brücke schaue ich mir das Haus kurz an und freue mich über einen kleinen Ausschnitt des Hauses. Ein Eckstück, die linke Seite im Schatten, die rechte Seite von der Sonne beschienen lässt einzelne Backsteine blinken und leuchten. Das Haus ist nicht sonderlich schön, erfüllt wohl auch nur seinen Zweck aber durch die kleinen Steinchen rufe ich Juhu. Passanten drehen sich um. Ich ahne ja noch nicht was kommt.

Erstmal aber komme ich zum Garten der Erinnerung, gehe dafür nur einmal über die Brücke, dann rechts und am Ufer weiter. Auf dem Betonufer unten am Wasser hocken drei Enten und haben ihre Köpfe ins Gefieder gesteckt, als ich sie fotografieren will werden sie wach, strecken mir ihre Entenzungen entgegen und hüpfen schnatternd ins Wasser.
An was wird im Garten der Erinnerung erinnert? Hier stehen Häuserreste aus weißgetünchten Mauern, ein Betonfundament mit einem Rest Wand an der Ecke und offener Tür. Ehemaliger Fahrstuhlschacht. Inmitten all dieser Erinnerung steht auf dem Rasen eine rostige Stahlskulptur, die mir ganz gut gefällt; dahinter das Gebäude der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen.

Woran dieses Ensemble erinnert wird mir dadurch aber immer noch nicht klar. Vielleicht an die gute alte Zeit, die es nie gegeben hat? Oder an Lili Marleen? Vor dem Betonpodest mit Wandrest und offener Tür sitzt ein alter Mann mit Akkordeon und spielt diesen alten Schlager, ich lege ihm etwas Geld in den Hut und wir lächeln uns an.
Der Promenade folgend lasse ich alte Stadtmauer und einen Spielplatz links liegen. Das Stadthistorische Museum hat geschlossen und auch in die Kirche gehe ich heute nicht. Vielmehr werde ich magisch angezogen. Was öffnet sich meinem Blick? Ein mächtiger Backsteinturm mit einer großen flächigen Fassade und einem Satteldach (man kann drauf sitzen wie auf einem Sattel). Das Dach ist nicht aus den bekannten welligen Ziegeln gedeckt, es ist mit Backsteinen gedeckt. Die Gebäude drumherum sind verhüllt, werden renoviert.

Jetzt erscheint hier dieser traumhafte Effekt. Die Abendsonne steht so, dass von dort wo ich stehe, eine Fassadenseite im Schatten liegt, also dunkel ist. Die von der Sonne angestrahlte lässt die Steine tanzen. Es regnet heute hin und wieder und das Wasser verleiht dem Backstein sein Aussehen. Manche Steine wirken stumpf, andere glänzen im Licht.
Es scheint als wäre der Turm in Bewegung, als wären seine Steine Worte, die je nach Stand der Sonne aus dem Mauerwerk treten um Geschichten von früher zu erzählen. Auf dieser Wand, die so gleichförmig aussieht von weitem, sind Muster vermauert und das schönste überhaupt ist, dass in einem nicht überschaubaren System einzelne Steine nach hinten versetzt sind.

Ich drehe mich um, links von mir ein jüngeres Haus mit Laubengängen. Vor die Laubengänge sind aus dünnem weißem Stahl die Umrisse alter Hausfassaden angebracht. Vielleicht eine Erinnerungsform an die mittelalterliche Stadt. Aber auch die Schwanentorbrücke hat es in sich. Hier ragen vier Pfeiler in die Luft und an den Sonnenseiten bietet sich der gleiche Effekt wie an dem Turm. Strassenbahnleitungen bilden ein lustiges Gewirr. Einen dieser Pfeiler umkränzt eine Glaskonstruktion von wo aus wohl einmal die Hebebrücke bedient wurde. Oben auf jedem der Pfeiler, die ein wenig wie Kerzen aussehen, sitzen kleine Glasfenster und darauf, auch aus Glas, ein Hütchen als Flamme.

Was aber mache ich nun, außer Fotos vom Schwanentor und Speicher? Entschließe mich für Ruhrort. Ist ja irgendwie mythisch. Die Ruhr fließt in den Rhein. Schimanski. Unter dieser Brücke ist Zabou mit ihm durch gefahren.

Ich laufe. Die Ruhrorter Straße entlang. Nicht schön hier. Backsteinfake zur Hausdämmung. Jaja, ich weiß, die Heizkosten. Im Halal-Imbiss werden heute keine Goldenen Hähnchen verkauft. Einzelne Altbauten erinnern an früher. Die Karl-Lehr-Brücke ist aus Stahl und genietet und rosa und blau.

Vor dem 1000-Fenster-Haus (Backstein) biege ich in die Krausstraße ein und schaue übers Geländer runter auf das Wasser, unten liegen einige Kajaks. Wie schön wäre es jetzt mit dem Kajak in den Rhein zu paddeln und dann weiter nach Holland. Aber diese hier sind Kunst und aus Beton. Zweisitzer. Einsitzer. Auf dem Kiel und auf dem Kopf liegend. Eines gelb, ein anderes rosa, die anderen dreckig.

Weitergehen. Dänische Container auf einem holländischen Binnenschiff. Dahinter liegt das Schiff „Ida Anna“.
Im gläsernen Fahrstuhlturm eines Hotels spiegelt sich der Abend. An der Ruhrorter Promenade beendet ein Blumenverkäufer sein Geschäft für heute. Es sind noch rote Gerbera übrig. Ich gucke und er schenkt sie mir. Wie schön. Danke.

Schwalbennester, viele Schwalbennester befinden sich hier unter den Balkonen. Duisburg gefällt mir, auch ohne viele Fragen.

Der Rhein hat Hochwasser, der Pegel Ruhrort zeigt 883. Hier beende ich meinen Spaziergang. Das Wasser steht auf der Straße. Ich sehe und genieße, gleich ist die Sonne weg.

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