Nicht wissen, was man schreiben soll

Ich wollte das hier schon länger aufschreiben. Zwischendurch dachte ich immer wieder mal, jetzt wäre es soweit, jetzt könnte ich, jetzt würde ich mich trauen, aber dann hab ich doch wieder einen Rückzieher gemacht. Aus Angst. Angst, etwas zu schreiben, dass man nicht aufschreiben sollte. Etwas öffentlich zu machen, dass nicht öffentlich sein sollte. Gefühle zu verletzen, wo verletzen so ziemlich das allerletzte ist, was ich bezwecken wollte. Sich in den Mittelpunkt von einer Sache zu stellen, die man gar nicht selber erlebt habe, die zu dem Leben einer anderen Person gehört.

Heute saß ich dann völlig überraschend mit einem Heulkrampf am Küchentisch und jetzt sitze ich hier und denke, dass es vielleicht doch besser ist, wenn ich das aufschreibe. Und ich hoffe, ich liege da richtig.

Ich habe eine Freundin. Eine Freundin, die ich seit Jahren nicht gesehen habe, die ich aber am Anfang unserer Freundschaft in einer kurzen Phase sehr oft sah, mit der ich – für mich völlig unüblich – sehr lange telefonieren konnte, mit der ich mich sofort verstand, aus diversen Gründen. Dann zog sie erst in eine Stadt, die sehr weit weg war, dann in eine andere, die genauso weit weg war und dann in eine dritte, die noch viel weiter weg war. In Kontakt blieben wir über Skype und E-Mail, später auch über Facebook und Twitter. Aber wirklich gesprochen haben wir uns seitdem eigentlich nicht.

Ich glaube, dass dieser Freundin etwas Schlimmes passiert ist. Oder, um es deutlicher zu sagen: Ich glaube, dass diese Freundin vergewaltigt wurde. Aber ich weiß es nicht. Ich habe diese Ahnung, weil sich auf einmal etwas verändert, ein Schnitt in dem von mir nachvollziehbaren Onlineleben, Bilder und Worte gegen Vergewaltigung, es ging um wiederkehrende Albträume, um zerrissene Bilder und um Orte, die man nicht mehr besuchen konnte. Ein Einschnitt, bei dem man mit ein bisschen Hingucken recht klar ein Vorher und Nachher erkennen konnte.

Und ich saß da vor meinem Bildschirm, war sprachlos und wusste nicht, was ich machen sollte. Ich weiß immer noch nicht, was ich machen soll. Ich weiß noch nicht mal, ob meine böse Ahnung stimmt, weil ich nicht fragen kann, mich nicht traue zu fragen, nicht weiß, ob man sowas fragen darf und wenn ja, wie man so etwas fragt. Ich fühle mich hilflos und sprachlos und gleichzeitig schäbig, weil ich denke, dass diese Hilflosigkeit so ungefähr ein Dreck gegen das ist, was meiner Freundin wahrscheinlich passiert ist und dass ich überhaupt kein Recht habe, mich deswegen schlecht zu fühlen, weil mir ja nichts passiert ist.

Ich habe in meinem Kopf schon oft einen Brief an diese Freundin formuliert. Einmal habe ich spontan dabei angefangen zu weinen. Und heute saß ich wieder da und fing an, loszuheulen, weil auf einmal in diesem ganzen Wirrwarr von #aufschrei-Tweets genau diese Freundin auftauchte. Da saß ich da und starrte den Bildschirm an und fühlte mich wieder genauso sprach- und hilflos und überhaupt nicht nach Aufschreien. Weil die tausend Geschichten für mich plötzlich ein vertrautes Gesicht bekamen.

Ich weiß immer noch nicht, wie ich damit umgehen soll. Es mag feige sein, aber ich kann keine Mail schreiben, in der ich „Sag mal, bist du eigentlich vergewaltigt worden?“ frage. Ich weiß nicht, wie das geht und ich weiß erst recht nicht, was ich machen soll, wenn die Antwort „Ja“ ist.

Deswegen schreibe ich das jetzt das hier, und hoffe, dass sie es liest.

Ich weiß, dass ich spät dran bin. Ich weiß, dass ich lange nichts gesagt habe, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich weiß nicht, was passiert ist, ich weiß nicht, wann es passiert ist. Ich weiß nicht, ob du darüber reden willst oder ob es dir lieber ist, wenn nie wieder ein Wort darüber verloren wird.

Was ich sagen will ist, dass ich es gemerkt habe und dass ich es nicht ignorieren wollte, dass ich sprachlos bin, und dich nicht fragen konnte, nichts sagen konnte, aus Angst, etwas Falsches zu sagen oder zu fragen. Aus Angst, selber nicht handlungsfähig zu sein, nutzlos und schwach.

Was ich noch sagen will ist, dass ich immer da bin, ganz klischeemäßig, auch mitten in der Nacht, wann auch immer. Auch wenn ich mich selbst so hilflos fühle, dass ich nicht glauben kann, dass ich irgendwas hilfreiches sagen oder tun könnte, wenn ich trotzdem irgendwas tun kann, dann werde ich das tun. Ich kann immer noch nicht fassen, dass einem Menschen, der so toll und stark und selbstbewusst und klug ist sowas passieren kann.

Ich habe keine Worte dafür, wie furchtbar leid es mir tut, wie gerne ich helfen würde.

Ich freue mich über jedes Mal, wenn ich höre, dass es dir gut geht, über jedes Bild, auf dem du glücklich aussiehst.

 Und ich vermisse dich.

 

(PS: Ob es richtig ist, das so öffentlich im Blog zu schreiben, kann ich nicht beantworten. Ich habe lange mit mir gehadert, mich aber aus diversen Gründen dafür entschieden. Ich bitte darum, das zu akzeptieren, selbst wenn man es nicht unbedingt nachvollziehen kann.)

4 Antworten auf „Nicht wissen, was man schreiben soll“

  1. Es klingt vielleicht seltsam, wenn ich schreibe, dass ich nun vor meinem Bildschirm sitze und froh und gelähmt gleichzeitig bin.
    Froh, weil du neulich schon ganz sachte angedeutet hast, was der Inhalt dieses Beitrags wird. Froh, weil ich das verstanden hatte. Und deshalb gelähmt. Gelähmt weil ich genau deshalb fürchte, dass deine Befürchtung stimmt. Gelähmt, weil wieder eine Frau ganz Schreckliches erlebt hat.

    Und froh, weil du es gemerkt hast. Weil jemand da ist, der sie hört. Der für sie da sein möchte. Es gibt natürlich kein Pflaster, nichts, was das Unbeschreibliche leichter macht. Aber weil du da bist muss es nichts Unaussprechliches sein. Das ist so wahnsinnig viel, das kann so viel mehr bedeuten als man sich vorstellen kann.

    Danke, dass du etwas gegen Sprachlosigkeit setzt.

  2. Ob es richtig ist, das so öffentlich im Blog zu schreiben, kann ich nicht beantworten. Ich habe lange mit mir gehadert, mich aber aus diversen Gründen dafür entschieden. Ich bitte darum, das zu akzeptieren, selbst wenn man es nicht unbedingt nachvollziehen kann.

    Doch, das kann ich gut nach… ähm … nicht -vollziehen, eher -empfinden. Ich hoffe, dass der Brief etwas bewirkt. (was? tja, hmm, da bin ich auch ratlos)

  3. Hallo Anne.
    Ich finde deinen Beitrag sehr ehrlich, mitfühlend und mmh, ich denke am besten passt tröstlich.
    Ich kann nachvollziehen, dass du dich lange gar nicht getraut hast und nun diesen Weg gewählt hast.
    Du bist deinen Weg mit deinen Schritten gegangen und ob nun eine Antwort kommt oder auch nicht, du hast ein Zeichen gesetzt.
    Ich hatte eine Freundin, das drumherum und sich entfernen ähnlich, von der ich lange Zeit dachte, sie hätte eine massive Ess-Störung. Leider habe ich nie den Mut gefunden um sie darauf anzusprechen.
    Ganz anderes Thema, aber irgendwie finde ich mich in deinen Schilderungen.
    Danke für deinen Blogbeitrag.
    LG lajulitschka

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