Exotische Bräuche im Rheinland: Karneval

Kommen wir nun zu dem möglicherweise am häufigsten von Unwissenden verschrieenen Brauches im schönen Rheinland: Karneval.

Ja, es ist irgendwie schlimm. Aber auch: Ja, es ist irgendwie toll.

Eines gleich vorweg: Ich kenne Karneval nur aus der U18–Perspektive. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in einer Karnevalskneipe gewesen zu sein, ich habe an Karneval nie exzessiv Alkohol getrunken und dann fremde Leute geknutscht, ich war kein einziges Mal an Weiberfastnacht mit Milliarden anderer Leute in der Kölner Altstadt. Ich war noch nicht mal auf dem Rosenmontagszug.

Aber als Kind, jahaha! Da wurde Karneval gefeiert. Karneval bedeutete nämlich genau zwei Sachen: Erstens durfte man sich verkleiden und zweitens gab es Süßigkeiten in Massen und für umme! Man musste sich sich nur ein bisschen die Lunge aus dem Hals brüllen und stundenlang im Kalten stehen, aber was macht man nicht alles so als Kind für Gratissüßkram.

Karneval in Köln ist eigentlich einfach erklärt. Man verkleidet sich und dann geht man auf einen Karnevalszug, steht am Straßenrand, ruft “Kamelle” und “Strüssje”, sammelt den Kram auf (oder fängt ihn gekonnt aus der Luft, wenn man nicht ich ist) und dann ist der Spaß je nach Zuglänge nach ein bis vier Stunden vorbei.

Was die Züge angeht, hat man da große Auswahl, jedes “Veedel”, also jeder Stadtteil, hat seinen eigenen, das ist Kölner Karnevalsstolz, da machste nix. Sogar in unserer kleinen Bruder-Klaus-Siedlung hatten wir unseren eigenen Zug. Der war aber wirklich sehr, sehr klein, aber auch faszinierend, wenn in der Garage des Nachbarn am Karnevalswagen gebastelt wurde und die Vorstellung, man könnte selber auf so einem Wagen stehen damit durchaus vorstellbarer wurde.

Auf der anderen Seite hatte ich schnell geblickt: Auf einem Wagen stehen ist zwar obercool, aber dann muss man die Süßigkeiten ja den anderen zuwerfen und hat selber gar nichts davon. Ist ja doof. Dann lieber Fußvolk sein und am Ende des Tages tütenweise Süßigkeiten auf dem Boden ausschütten, sortieren und begutachten.

Weil meine Eltern wohl vernünftig genug waren, die Menschenmassen beim Rosenmontagszug zu meiden, kenne ich dieses Phänomen auch nur aus dem Fernseher. A-ha-ber: Wir hatten dafür den Veedelszoch in Köln-Ehrenfeld. Und der war auch lang. Sehr lang. Sehr, sehr lang. Und dementsprechend ergiebig. Stundenlang konnte man da an der Venloer Straße stehen, “Kamelle!”, “Strüssje!” und “Kölle Alaaf!” brüllen und tütenweise Kram fangen und aufheben und dann am Abend mit glänzenden Augen vor Bergen Süßkram sitzen, von denen man mindestens die Hälfte unter normalen Umständen nie selbst gekauft hätte, aber im Karneval gelten andere Regeln.

Mal abgesehen davon, dass es da ja auch durchaus Objekte der Begierde gab, die in der Erfolgsstatistik mit deutlich mehr Punkten verbucht werden konnten als der übliche Bonbonkram. Schokoladentafeln zum Bespiel, oder, fast schon Königsdisziplin, Pralinenschachteln. Aber eben auch die “Strüssje”, also kleine Blumensträußchen, die zwar eher so ein bisschen Erwachsenenkram waren, dadurch aber eben noch attraktiver wurden, weil schwerer zu ergattern.

Was es auch standardmäßig gab: Schwämme. Das kann mir vielleicht auch noch mal irgendwer erklären, was das mit den Schwämmen sollte. Schwämme gab es nämlich immer, große quaderförmige Schwämme. Man weiß es nicht.

Außerdem Karnevalskapellen. Karnevalskapellen liefen zwischen den großen Wagen und hatten den nicht unwichtigen Nachteil, dass Menschen, die Querflöte oder Trommel spielen üblicherweise nicht gleichzeitig Kamelle werfen können. Gefühlt kommt so ein Karnevalszug übrigens immer genau dann zu einem temporären Stillstand, wenn gerade eine Karnevalskapelle vor einem steht. Wahrscheinlich stimmt das nicht, aber ich behaupte trotzdem, dass das so war. Ist ja auch egal.

Kostüme übrigens waren sehr oft selbstgemacht. An das Engelkostüm erinnere ich mich gar nicht mehr, aber die Meerjungfrau hat meine Mama in liebevoller Detailarbeit angefertigt, genauso wie den Schmetterling. Als Schmetterling ging ich übrigens mit meiner Cousine im Partnerlook, was man auf dem Beweisbild schlecht sehen kann, weil sie offensichtlich zum Tragen einer Jacke genötigt wurde. Total doof, da kann man ja gar nicht demonstrieren, dass man Flügel hat.

Das Clownkostüm scheint mir irgendwo käuflich erworben, im Nachhinein fand ich das auch eher doof. Ich bin kein Clownkostümtyp, aber man probiert ja alles mal aus. Als Prinzessin hatte ich total hübsche Löckchen, für die meine Mama die Haare am Vorabend zu ganz vielen kleinen Zöpfchen flocht. Sieht man auf dem Beweisbild leider auch nicht.

Wovon ich gerade keine Beweisbilder habe: Ich als Zauberin mit einer umfunktionierten Schultüte als Hut, ich mit meiner Cousine für den alternativen Geisterzug kostümiert mit einer sehr, sehr gruseligen Marionette um den Hals und ich als “N”.

Das mit dem “N” war aber schon zu Teenagerzeiten, da wurde man ein bisschen subtiler bei der Kostümgestaltung. Das “N” war eine Hommage an das berühmte Preisrätsel bei Schmidteinander und bestand aus zwei großen aus Pappe ausgeschnittenen “N”s, die ich mir an zwei Schnüren verbunden über die Schultern hängte. Total einfach. Natascha erklärte sich bereit, als “D” zu gehen, und so liefen wir an Weiberfastnacht als “Ende” (Kapiert? N-D. En-De. Ende! Ach, egal.) durch die Schule. Hat, wenn ich mich richtig erinnere, exakt einer verstanden. Aber gut, war eben auch total subtil.

Wie immer könnte man noch stundenlang weitererzählen, über die zu Karnevalszeiten erstaunlich beweglichen Omas, die einem beim Kamellefangen immer dazwischensprangen, über die fiesen Cowboypistolen, vor denen ich immer ein bisschen Angst hatte, über die Karnevalslieder, von denen ich dann doch erstaunlich viele problemlos mitsingen kann, über die Karnevalssitzungen in der Schule, über den Geisterzug, bei dem man nachts durch Köln zieht und bei dem es keine Süßigkeiten, aber dafür Sambatrommelgruppen gibt, und und und…

Karneval ist gar nicht so schlimm, jedenfalls nicht, so wie ich den kenne. Aber ich kenne ja auch keinen Kneipenkarneval mit Betrinken und Fremdeleuteknutschen. Ich kenn nur den mit Verkleiden und Süßigkeiten. Und der war immer sehr toll und aufregend.

Letztlich ist es so wie mit allen Traditionen, man kann das gar nicht erklären. Wer die “aufgesetzte” Lustigkeit anprangert, dem ist vielleicht nicht klar, dass sich die Karnevalsjecken ja tatsächlich irre auf diese paar Tage freuen und zwar schon seit Monaten. Die sind nicht aufgesetzt lustig, die finden das wirklich gut.

Man muss das nicht verstehen. Man muss es auch nicht gut finden. Aber es gehört eben irgendwie dazu. Und auch, wenn ich selber nicht da stehen möchte, weil mir das zu viele Menschen sind und es kalt ist und überhaupt, aber wenn ich jetzt so auf dem Sofa sitze, mir ein bisschen die Bronchien aus dem Körper huste und gleichzeitig WDR gucke, mit den Karnevalsfeiern aus Köln und Düsseldorf und Bonn, dann geht mein Kölsches Herzchen auf und ich freu mich mit. Weil’s eben doch dazugehört, zum Rheinland und eben auch ein bisschen zu mir. Da kann man nix machen.

Und bevor wir jetzt zur ultimativen Fotoshow kommen, noch mal zum Mitschreiben: Es heißt “Karneval” (was auch darf: „Fastelovend“) und es heißt “Alaaf!”. Alles andere ist Unfug.

Bei Extramittel gibt’s auch ein schönes Plädoyer für mehr Karnevalstoleranz.

Engel

1984 als Engel.

Meerjungfrau

1985 als Meerjungfrau (KEIN TÜMPEL!).

Prinzessin

1986 als Prinzessin. Die Krone ist von Woolworth.

Schmetterling

Vermutlich 1987 im Partnerlook als Schmetterling. MIT FLÜGELN!

Clown

Irgendwann als unscharfer und tendenziell unglücklicher Clown. Das war nix.

6 Antworten auf „Exotische Bräuche im Rheinland: Karneval“

  1. Endlich mal jemand, der Karneval nicht grundsätzlich verteufelt.

    Zwar bin ich im Schwabenländle aufgewachsen, wo ja bekanntlich die alemannische Fastnacht herrscht, aber von der Herkunft her gehört mein Herz dem rheinischen Karneval. Obwohl ich alles nur aus dem Fernsehen kenne, noch nie war ich beim Straßenkarneval oder in genannten Kneipen oder ähnlichem.
    Dementsprechend schade finde ich es auch, dass ich nun in einer Stadt gelandet bin, wo es eigentlich gar keinen Karneval gibt. Klar, die Kindergarten- und Schulkinder verkleiden sich noch ein bisschen, aber jeder andere würde dumm angeschaut.

    Das Verkleiden gehört auch mit zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen.
    Und das Clownskostüm da oben erinnert mich frappierend an jenes, das meine Oma mir mal schneiderte.
    Ansonsten ging ich mal als Hexe, des Teufels Großmutter, Indianer, Putzteufel (großartiges Kostüm, tatsächlich aus alten Putzlappen) und bestimmt noch zwei, drei anderen Dingen.

    Und ich werde immer noch selig bei „Trat ich heute vor die Türe“ und „Polonaise Blankenese“. *räusper*

    Ach ja und dank Kölner Karneval kann ich heute ganz prima kölsch. verstehen.

  2. Das ist der mit Abstand traurigste Clown den ich seit langem gesehen haben … der kommt fast an meine Prinzessin von 1990 heran (ich wollte nicht als Prinzessin gehen, aber es war kein anderes Kostüm zur Hand ;-) ).

  3. Eine der Omas muss meine gewesen sein. Aber denk dir uns arme Südkinder, mitten in der evangelischen Diaspora, im Fasching! Wie sollte das überlebt werden können ohne Kölner Kamelle Carepaket. Und die Inhalte wollten, auch mit 85 Jahren, ergatttert sein.

  4. Alles sehr richtig und es setzt sich fort: gestern habe ich Mademoiselle die Haare in kleine Zöpfchen geflochten, für die Lockenmähne beim heutigen Veedelszoch, und dort waren natürlich auch die grapschenden Ommas anwesend.
    Nur in einem muss ich Sie korrigieren: es heißt natürlich „Helau!“ ;-)

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