Lieblingstweets im September (Teil 2)

STRIP-SPITZ-PASS-AUF! SALZBUTZEN! MARMELADENGLÄSER IN DER HANDTASCHE! SCHIRMCHENDRINKS! ENTGEGENKOMMENDE FUSSGÄNGER! KASTANIEN! KÜRBISSE! UND KUCHEN! IMMER WIEDER KUCHEN!

The Bahnhof That Wasn’t There

Der Bahnhof in Opladen wird ja umgebaut. Seit Jahren eigentlich schon, aber seit einigen Monaten merkt man es auch so richtig. Es ist zum Beispiel eine neue Fußgängerüberführung da, mit Treppen und Aufzügen sogar. Bisher gibt es nur einen Tunnel mit Treppen. Den muss man auch nach wie vor benutzen, aber die Überführung steht auch schon sehr eindrucksvoll rum, man darf nur noch nicht drauf.

Ich weiß das, weil ich ja regelmäßig auf Elternbesuch in Opladen bin und da dann üblicherweise am Bahnhof in Opladen ankomme.

Heute fiel mir schon im Zug kurz vorm Halt ein lustiger Tweet ein, den ich später zu schreiben beabsichtigte. Er hätte ungefähr so ausgesehen:

Mittlerweile muss man jedes Mal, wenn man am Bahnhof in Opladen ankommt, Angst haben, dass der Bahnhof weg ist.

Ich hatte dann aber keine Zeit mehr, zu schreiben, ich musste aussteigen, die Treppe runter, durch den Tunnel, Treppe wieder hoch. Oben angekommen stellte sich heraus: Der Bahnhof war weg. Statt dessen ein sehr großes Loch mit Bauzaun drumherum.

Da wäre natürlich dann auch der Tweet völlig witzlos gewesen. Gut, dass ich keine Zeit zum Tippen hatte.

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Doof finden ist einfach

Früher gab es Freundebücher, die man in der Klasse und im Freundeskreis rumgehen ließ und in die jede und jeder ein Passbild kleben und Fragen beantworten konnte. Sollte. Musste. Je nachdem, wie man’s sieht. Geburtstag, Haarfarbe, Augenfarbe, Lieblingsfach, Lieblingstier, Hobbys, alles, was man so mit zwölf Jahren brauchte, um sich irgendwie als individuelles Wesen zu identifizieren. Obwohl dann ja doch immer dasselbe drin stand. Ironie war uns damals noch sehr fremd und unsere Hobbys waren „Lesen, Musik, Schwimmen“ oder – noch nichtssagender – „Alles, was Spaß macht!“

Die beiden schönsten Fragen waren aber: „Was ich mag…“ und „Was ich nicht mag…“, alternativ auch manchmal als „Was ich doof finde…“ Hier wurde es dann besonders uninteressant. Doof fand man: Lügner, Angeber und Krieg und vielleicht in einem moralisch nicht ganz so integren Moment auch Hausaufgaben oder Gemüse. Grundsätzlich war der Was-ich-nicht-mag-Teil jedoch nicht hinterfragbar, sondern im höchsten Maße offensichtlich: Lügner, Angeber und Krieg sind eben Dinge, die nur ganz wenige Menschen und die Rüstungsindustrie gut finden und die meisten sind dann wenigstens klug genug, zu wissen, dass man das nicht öffentlich äußert.

Heute findet man immer noch Dinge doof: Lügner, Angeber und Krieg zum Beispiel. Das ist ja auch nicht falsch. Lügen, Angeben und Kriegführen ist prinzipiell abzulehnen. Zu den anderen offensichtlichen Dingen, die man doof finden kann oder sogar muss, um sich als gesellschaftlich integrer Mensch zu fühlen gehören (eine Auswahl): Shoppingcenter, Fast-Food-Ketten, Mainstream-Pop, Fertiggerichte, überteuerter Kaffee aus amerikanischen Kaffeefranchises mit Nixen im Logo, IKEA, Privatfernsehen und Dudelfunk im Radio.

Stattdessen geht man erst in den super individuellen Pop-Up-Concept-Store mit den Kleidchen eines skandinavischen Labels, von dem nur Eingeweihte wissen und der netten Inhaberin, mit der man kurz noch über Gott und die Welt plaudert. Danach geht man in  das hübsche Café nebenan mit selbst gemachten Kuchen und Quiches. Das Inventar aus Flohmarktmöbeln zusammengebastelt, alles so hübsch. Im Hintergrund läuft ein alternativer Folk-Mix von Spotify, der Kaffee wird jetzt wieder ganz altmodisch überm Filter gebrüht (voll schön, wie bei Oma damals) und wenn man dann zu Hause ist, überlegt man kurz, ob man jetzt die Dokumentation auf arte gucken soll, entscheidet sich dann aber dafür, doch lieber ein gutes Buch zu lesen.

Um das klarzustellen. Ich gehe gerne in hübsche kleine Läden und habe in eben einem solchen auch schon ein sehr teures Kleidchen eines skandinavischen Labels gekauft. Ich finde kleine Cafés ganz wunderbar und bin immer noch ein bisschen traurig, dass das kleine Café mit dem selbstgebackenen Kuchen bei uns um die Ecke wieder schließen musste. Ich habe Jahre meines Lebens damit verbracht, Musik allgemein eher unbekannter Künstler zu suchen und zu hören, ich gucke Opernaufführungen auf 3sat und lese mehr als 50 Bücher im Jahr, die meisten davon sind sogar gut.

Nur eins versuche ich, weitgehend zu vermeiden: Dinge grundsätzlich doof zu finden. Auch Shoppingcenter haben ihren Berechtigungsgrund. Für Quartalsshopper wie mich sind Shoppingcenter ein wunderbares Konzept, wenn man wirklich mal dringend ein paar Dinge braucht, weder Zeit noch Lust hat und halt nur schnell mal durch ein paar Geschäfte huschen muss. Danke, liebes Shoppingcenter, dass bei dir alles unter einem Dach ist und dann eben auch… genau… unter einem Dach. Man muss noch nicht mal mehr raus in die Kälte. Toll!

Auch die Wichtigkeit des quasi lebensrettenden McDonalds darf man nicht unterschätzen. Mein Mann und ich verbinden längere Autofahrten gerne mit einem Besuch eines Raststätten-Fast-Food-Restaurants, das hat schon Tradition. Überhaupt habe ich vermutlich unangemessen viel Zeit meines Teenagerlebens auf Plastikschalenstühlen in diesen kulinarisch fragwürdigen Etablissements verbracht und diesen Schnellrestaurants eine kleine Ecke in meinem Nostalgieherzen freigeräumt.

Die Hälfte unseres Mobiliars stammt von IKEA, ich habe mit Faszination mehrere Male hintereinander das Video von Taylor Swifts „Shake It Off“ gesehen und begeistert mitgewippt, unser Radio ist standardmäßig auf Radio Essen eingestellt und einer meiner häufigsten Sätze in Facebookdiskussionen über C-Promis ist „Ich guck halt jeden Scheiß!“

Shoppingcenter öffentlich doof finden ist mir zu einfach. Doof finden kann jeder. Es ist allgemein bekannt, dass die Erfindung des Shoppingcenters nicht die Sternstunde der menschlichen Geschichte darstellt, ebenso würde auch keine Fast-Food-Kette von sich behaupten, nachhaltige und kulinarisch ausgefeilte Kost anzubieten. Die Shopping-Center-Doof-Finder der heutigen Zeit sind die Angeber-Doof-Finder aus den Freundebüchern. Da steckt mir einfach zu wenig Fantasie hinter. Die liebsten Exemplare sind mir die, bei denen ein Besuch in gesellschaftlich geächteten Lokalitäten auch direkt physische Schmerzen herbeiruft. Im Shoppingcenter bekommt man Kopfschmerzen wegen der schlechten Luft und der miesen Akustik, von einem Burger von McDonald’s gibt’s direkt Bauchschmerzen, weil der sensible Magen, der seit Jahren nur noch hausgemachte Kuchen mit Obst aus Region bekommt, so was nicht mehr gewöhnt ist. Ja. Genau.

Frau Herzbruch hat in einem ganz anderen Zusammenhang mal was Schönes gesagt, da ging es ums Fernsehen bei Kindern, aber ich glaube, man kann das in leicht abgewandelter Form auf fast alles im Leben anwenden: „was schadet ist das fehlen der dinge, die das fernsehen ersetzt“. (Man darf an dieser Stelle das Wort „Fernsehen“ durch irgendwas anderes vermeintlich Doofes oder Doofmachendes ersetzen.)

Man kann prima in Shoppingcentern einkaufen, überteuerte zuckerhaltige Kaffeegetränke mit seltsamen Namen kaufen, im Auto Dudelfunk mit Nullmusik (Nullmusik ist mein Name für Musik, die so belanglos ist, dass man sie noch nicht mal wirklich wahrnimmt. Die Rotation bei WDR 2 besteht geschätzt zu 85 Prozent aus Nullmusik.) hören und abends eine belanglose Show mit mittellustigen Promis auf einem beliebigen Privatsender gucken und trotzdem am nächsten (oder sogar am gleichen!) Tag geile hausgemachte Marmelade aufs Brötchen vom Biobäcker schmieren, während man einen spannenden Podcast zu einem wichtigen aktuellen Thema hört, abends noch ein tolles Buch liest und sich für den nächsten Tag die Dokumentation über eine italienische Familie, die in einem Bergdorf in der fünften Generation Nudeln komplett in mühevoller Handarbeit herstellt notiert. In einem Moleskine. Mit E hintendran.

Ich habe noch nie verstanden, warum das eine das andere ausschließen muss. Das erschließt sich mir nicht. Mein Bloguntertitel steht ja auch nicht umsonst da oben. Und deswegen finde ich Dooffinden von weitgehend irrelevanten Aspekten des Alltags auch eher doof. Es führt zu nix, außer, dass man einmal mehr demonstriert hat, dass man weiß, was man aktuell doof zu finden hat. Wer Shoppingcenter doof findet, braucht ja keines zu betreten. Im Gegensatz zu Leuten übrigens, die Krieg doof finden, die müssen dann nämlich manchmal aus ihrem eigenen Land fliehen. Das Dooffinden von Shoppingcentern macht einen nicht zu einem besseren Menschen, auch nicht zu einem klügeren, ethisch korrekteren oder gar schöneren. Es macht einen noch nicht mal zu einem interessanteren oder individuelleren Menschen, weil es ja nun wirklich genug Menschen gibt, die Shoppingcenter doof finden. Man ist einfach ein Mensch, der Shoppingcenter doof findet. Ob man sich aber über das Dooffinden von Banalitäten identifizieren möchte, muss dann wahrscheinlich jeder selbst wissen.

Dooffinden ist auch immer ein aus- und abgrenzender Akt. Klar, man erntet auch immer schöne Kommentare wie „Genau!“ und „Stimmt. Total doof, hab ich auch schon immer gesagt!“, aber wer Ding A doof findet und das mitteilt, tritt damit auch den Leuten unangenehm auf die Füße, die Ding A vielleicht gar nicht so schlimm oder gar ganz okay finden und nun verschämt auf den Boden schauen und sich ob ihrer zweifelhaften Situation nichts mehr zu sagen trauen. Im Gegensatz dazu ist Tollfinden ja eher inklusiv gedacht. Das Tollfinden von Ding B bewirkt im besten Fall, dass jemand, der Ding B noch nicht kannte, sich jetzt auch dafür interessiert.

Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen. Nazis darf man zum Beispiel immer doof finden, und sollte das auch gerne überall äußern, das befürworte ich sehr. Genauso ist das Tollfinden von Kinderarbeit nicht ohne Protest hinzunehmen. Aber in den meisten anderen Bereichen bin ich doch sehr dafür, weniger doof zu finden und viel mehr toll zu finden. Denn, um es mit Frau Herzbruch zu sagen: „Was schadet sind nicht die doofen Dinge, sondern das Tolle, das von den doofen Dingen ersetzt wird.“

Gelesen: Der kleinste Kuss der Welt von Mathias Malzieu

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„Der kleinste je verzeichnete Kuss. Ein grelles Licht, und dann nichts.

Sie war fort.

So plötzlich, wie sie aufgetaucht war, war sie auch wieder verschwunden. Als wäre ihr Mund ein magischer Schalter – wenn man ihn umlegt, löst sie sich in Luft auf. Zurück blieb nur die asthmatische Melodie ihrer Lungen in d-Moll.“

Der Protagonist des Buches, ein deprimierter Erfinder, küsst eine Frau, die daraufhin unsichtbar wird und verschwindet. Betört von dem kleinsten je verzeichneten Kuss macht sich der Mann auf die Suche nach der unsichtbaren Frau, trifft auf die Apothekerin Louisa, der er sein Leid klagt und die ihn an den Privatdetektiv Gaspard Neige vermittelt, der ihm seinen abgerichteten Papagei Elvis leiht, der ihm bei der Suche helfen soll.

So einfach, so gut. Malzieus Märchen zeichnen sich eben auch weniger durch eine komplexe Handlung aus, sondern durch die wirklich wunderbare Sprache, die einem immer wieder ein verträumtes „Hach!“ entfahren lässt. Das war schon bei Die Mechanik des Herzens und Metamorphose am Rande des Himmels so, zumindest gefühlt ist es bei Der kleinste Kuss der Welt noch eine Spur besser, schöner, perfekter. Kleine Sätze wie Schokoladenküsse, und zwar nicht die, die man bei uns kaufen kann, sondern die von dem Protagonisten fabrizierten Schokoladenküsse, die nicht nur so heißen, sondern auch genauso schmecken: Wie ein Kuss eben.

Während mich Die Mechanik des Himmels noch etwas unterwältigt zurückgelassen hatte, läuft Malzieu bei Der kleinste Kuss der Welt zu seiner Hochform auf. Hier passt alles, nichts wirkt fehl am Platz, man wird von der Geschichte mitgenommen, vor allem aber von den wunderbaren Ideen und den schönen Sätzen, in die diese Ideen gepackt wurden. Deswegen eignen sich möglicherweise auch ein paar Zitate am besten dazu, herauszufinden, ob Der kleinste Kuss der Welt ein Buch ist, das einem gefallen könnte.

„Als erstes pflanzte ich einen Mundharmonikabaum auf die Dielen. Mittlerweile erntete ich ungefähr ein Instrument pro Woche. Später kamen Ukulelen dazu, eine alte Gitarre aus Mississippi und schließlich eine ganze Skateboardfamilie. Ich begann sogar, Kampfeichhörnchen zu züchten, die sich im Dachboden einnisteten. Sie wärmten mir das Herz und machten mir Mut.“

„Ich hatte vor, mich als Vertreter für magische Krawatten auszugeben. Ich verstand etwas vom Fach, weil ich ein paar Jahre zuvor am Strand von Palavas-les-Flots lebendige Hotdogs verkauft hatte: warme Welpen zwischen zwei riesigen Brotscheiben.“

„Sie weckten das Werwolfeichhörnchen, das in meinem roten Blutkörperchen schlummerte. Normalerweise erwacht es nur, wenn mein Melancholiewert 80 % überschreitet und ich es großzügig mit Whisky-Cola begieße, aber jetzt lief es zu Hochtouren auf und schoss in meinem Körper Feuerwerksraketen ab.“

Wer bei diesen Sätzen eher „Hach!“ als „Hä?“ sagt, dem sei diese ungewöhnliche, aber nie alberne Liebesgeschichte wärmstens an sein Kampfeichhörnchenherz gelegt.

Der kleinste Kuss der Welt von Mathias Malzieu, deutsch von Sonja Finck, erschienen 2015 bei carl’s books, 144 Seiten, 12,99 Euro (Broschiert). Erhältlich bei Amazon [Werbelink], bei der Halder-Buchhandlung in Winnenden und in jedem anderen Buchladen.

Wirklich sehr unpassende Ohrwürmer

Beim Surfen hatte ich dieses Jahr immer einen sehr unpassenden Ohrwurm, und das kam so:

An einigen Tagen bot es sich an, dass der Surflehrer, er hieß Thomas beziehungsweise Tom, einen gelegentlich mal anschubste. Angeschubst werden hat zwei Vorteile. Erstens sucht der Surflehrer die Welle aus und hat da ja ein bisschen mehr Erfahrung und zweitens muss man nicht wie wild paddeln, nur um dann sowieso festzustellen, dass die Welle eh nicht geeignet war.

„Anne1, tu veux un taxi?“ rief Tom also gelegentlich, manchmal auch auf Englisch. „Anne, you want a taxi?“

Menschen, die in den Achtziger Jahren einigermaßen bei Bewusstsein waren, werden das Problem sofort erkennen. Sobald ein Franzose das Wort „Taxi“ ausspricht, grätscht einem Vanessa Paradis ins Hirn und man summt „Joe le taxi“ vor sich her. Für alle, die sich gerade fragen, wovon ich fasele, hier kann man sich das ganze anhören.

Das ist aber noch nicht der unpassende Ohrwurm. Im französischen Atlantik einen Achtzigerjahrehit im Kopf haben, wäre ja noch irgendwie okay gewesen. Leider hatte ich eine ungünstige Assoziationskette, die ich auch nicht losgeworden bin und bin von der Melodie von „Joe le taxi“ immer wieder innerhalb von weniger als einer Minute zu „Hohe Berge“ von Frl. Menke gekommen. Auch hier wieder ein Beispiel für Spätergeborene:

Da hing ich also auf einem Surfbrett im Atlantik und summte Liedzeilen, in denen hohe Berge und Luis Trenker vorkamen und kam mir jedes Mal etwas seltsam vor. Aber da macht man eben nix.

1 In Wirklichkeit heiße ich ja im Ausland immer Anna, weil die Menschen weder im Französischen noch im Englischen das E am Ende aussprechen. Ich könnte also entweder die landestypische Aussprache nehmen oder ich stelle mich als „Anne“ (deutsch ausgesprochen) vor und heiße dann für die Zeit der Bekanntschaft „Anna“.

Gelesen im August 2015

Patrick Ness: Die Nacht des Kranichs

Blieb etwas hinter den Erwartungen zurück, konnte aber in den richtigen Momenten auch verzücken. Ich schrieb bereits hier darüber.

Die Nacht des Kranichs von Patrick Ness, deutsche Übersetzung von Sibylle Schmidt, erschienen 2014 im Hanser Verlag, 320 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

Zoë Beck: Schwarzblende

Eigentlich für meinen Mann gekauft, damit er auch mal was von Frau Beck liest, danach habe ich es auch gelesen, erstens, weil ich wollte und zweitens, weil mein Mann sich mit mir darüber unterhalten wollte. Kameramann Niall wird durch einen Zufall mitten in einen Terroranschlag reingezogen. Zwei Männer ermorden mitten am Tag und mitten in London einen Mann im Namen des islamischen Staaten. Erst wird Niall verdächtigt, mit beteiligt zu sein, dann bekommt er den Auftrag, eine Dokumentation über den Fall zu drehen. Und dann kommt natürlich alles ganz anders und tatsächlich auch ganz anders, als man es als Leser erwartet.

Zoë Beck schreibt wie gewohnt sehr straight und schnörkellos, Schwarzblende liest sich quasi von alleine. Über die überraschende Auflösung muss man dann auch erst mal nachdenken oder – wie in unserem Fall – diskutieren. Es wird spannend, düster und auch deutlich politisch und wer mal wieder genau so einen Thriller lesen will, kann hier sehr schön zugreifen.

Schwarzblende von Zoë Beck, erschienen 2015 im Heyne Verlag, 416 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

Patricia Cammarata: Sehr gerne, Mama, du Arschbombe

Noch mehr Bücher von Menschen, die ich kenne. Hurra! Patricia Cammarata aka Das Nuf schreibt jetzt nicht nur auf ihrem Blog, sondern auch in höchstoffiziellen Büchern über das Leben mit Kindern. Das ist nicht nur amüsant sondern auch in hohem Maße lehrreich, erst recht für kinderlose Menschen wie mich. Eine ausführliche Rezension folgt, ansonsten kann man aber schon beim Familienbetrieb und bei Frau Nessy nachlesen, wie sie das Buch fanden.

Sehr gerne, Mama, du Arschbombe von Patricia Cammarata, erschienen 2015 bei Bastei Lübbe, 240 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

Nina Fröhlich: 100 Dinge, die man im Liegen machen kann

Liegen. Ganz mein Thema. Ich berichtete hier darüber.

100 Dinge, die man im Liegen machen kann von Nina Fröhlich, 2015 erschienen im Goldmann Verlag, 186 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

„Wir nennen es Wirklichkeit“: Denkanstöße zur Netzkultur

Letztes Jahr irgendwann gekauft, schon allein, weil Texte von Kathrin Passig, Moritz Metz und Holger Klein dabei waren, alles Leute, die ich kenne (schon wieder). Es handelt sich um eine Reihe von Essays zu unterschiedlichen Aspekten der Netzkultur über Post Privacy, Datenschutz und die digitale Bohème bis hin zu Podcasts und Mobbing. Wie zu erwarten fand ich einige Texte mehr und andere weniger interessant, etwas gelernt habe ich aber jedes Mal. In Teilen vielleicht etwas akademisch, aber hey, es ist der Reclam-Verlag, das war zu erwarten. Ansonsten habe ich viele bunte Post-Its ins Buch geklebt, es hat sich also auch immer wieder etwas merkens- und wieder nachschlagenswertes gefunden.

„Wir nennen es Wirklichkeit“: Denkanstöße zur Netzkultur, herausgegeben von Peter Kemper, Alf Mentzer und Julika Tillmanns, 2014 erschienen im Reclam Verlag, 258 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

Joanna Rakoff: Lieber Mr. Salinger

Joanna Rakoff arbeitete in den Neunziger Jahren direkt nach dem Studium in New York City für genau die Agentur, die auch J.D. Salinger vertritt (bzw. vertrat) und hat jetzt ein Buch darüber geschrieben. Es geht um die Agenturarbeit, ihre Kollegen und ihre Chefin, und natürlich auch ihr Leben vor und nach der Arbeit mit ihrem Freund, der sich als missverstandener Schriftsteller geriert und die kleine Wohnung, die im Winter über den Herd geheizt werden muss, weil es keine Heizung gibt. Das ganze mäandert erstmal so etwas rum, man ist unsicher, ob man das jetzt wirklich alles so interessant ist, gewinnt aber an Fahrt und wird vor allem ab der Stelle spannend, als es um die gescheiterte Veröffentlichung von Salingers Kurzgeschichte „Hapworth 16, 1924“ geht. Ich habe ja als Teenager alles von Salinger gelesen, was man so bekommen konnte (was überschaubar ist) und weiß noch, wie aufgeregt war, als es hieß, es sollte ein neues Buch erscheinen, was dann eben doch nicht passiert ist. Kann man schön machen, vor allem, wenn man wie ich ein gewisses Faible für Salinger und/oder New York City hat.

Lieber Mr. Salinger von Joanna Rakoff, deutsche Übersetzung von Sabine Schwenk, 2015 erschienen im Albrecht Knaus Verlag, 304 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

Andreas Brendt: Boarderlines

Beim Surfurlaub ein Buch übers Surfen gelesen. Kann man gut machen. Berichtet habe ich hier darüber.

Boarderlines von Andreas Brendt, erschienen 2015 im CONBOOK Verlag, 416 Seiten [Amazon-Werbelink]

Lieblingstweets im September (Teil 1)

WEISSWEIN AUS ROTWEINGLÄSERN! 50 SHADES OF KARTOFFELSALAT! QUINOA! VERSCHWUNDENE FLÖTEN! UND DAS FERIENENDEZEN!

Der Tag als Gedicht zusammengefasst

Zwei kleine Surfer, die schwammen im Meer.
Da sprach die eine, „Ich kann nicht mehr!“
„Ich will zurück in meinen kleinen grünen Teich.
Denn von dem ganzen Paddeln sind meine Arme ganz weich.“

(Ende, aus, Applaus!)

Linguistische Gewürzverwirrung

Da ich unangemessen viele Kochzeitschriften besitze und zwar nicht nur deutsche, sondern auch französische und englisch und ja, tatsächlich auch niederländische, habe ich erstaunliche Kenntnisse, was die französischen, englischen (und niederländischen) Wörter für gastronomische Begriffe, allen voran eben Zutaten sind.

Neulich saßen wir in einem Restaurant in Bayonne und der Fisch des Tages wurde als „espadon“ angekündigt, woraufhin mein Mann sein wandelndes Lexikon fragte, was das denn sein könnte.

„Ich möchte Schwertfisch sagen“, antwortete ich. „Aber ich habe wirklich keine Ahnung, wo dieses Wissen herkommt.“

(Es ist übrigens wirklich Schwertfisch und ich weiß immer noch nicht, warum ich das weiß.)

Jedenfalls saßen wir in Bayonne und ich hatte als Beilage zu den Jakobsmuscheln mit eingelegten Zitronen ein Püree (puree) aus Kartoffeln (pommes de terre) und Kürbis (potimarron), auf dem Schnittlauch obendrauf lag.

Bayonne 02/09/2015

Ciboulette, sprang es in mein Hirn, und ich weiß nicht, warum ich an das französische Wort für Schnittlauch denken musste, aber da war es eben. Ciboulette, ein sehr schönes Wort eigentlich.

Daraufhin teilte ich meinem Mann nicht nur mit, dass Schnittlauch ciboulette heißen würde und ich auch nicht wüsste, warum ich gerade jetzt daran denken müsste, außer eben, weil da ciboulette auf meinem Püree wäre und dass ich außerdem lange von dem Wort aneth  verwirrt gewesen wäre, weil ich natürlich immer gedacht hätte, das würde Anis bedeuten, in Wahrheit ist der französische aneth aber der deutsche Dill und das wäre so dermaßen überhaupt nicht naheliegend, dass ich auch jetzt immer wieder irritiert wäre.

Noch viel irritierender fand ich aber, dass mir das englische Wort für Dill nicht einfallen wollte. Schnittlauch, klar, ist chives, aber was ist nur Dill? Ich habe diesen Gedankenfaden irgendwann verloren, aber heute morgen ist er wieder in mein Hirn geploppt und seitdem weiß ich es auch wieder.

Dill, meine Damen und Herren, heißt auf Englisch natürlich dill. Da hätte man auch gleich drauf kommen können.

Gelesen: Boarderlines von Andreas Brendt

Andreas Brendt: BoarderlinesIch verbinde Buchrezensionen ja gerne mit persönlichen Geschichten, und das ist bei Boarderlines tatsächlich eher ein Kinderspiel, wie man vielleicht auch schon an dem begleitenden Coverbild erkennen kann, das ich zur Abwechslung mal nicht von der Verlagsseite runtergeladen, sondern selbst gemacht habe. Mit passendem Hintergrund. Wir befinden uns nämlich mal wieder in Südfrankreich und stehen – mal wieder – anderthalb Stunden täglich auf einem Brett, das uns gefälligst übers Wasser zu tragen hat. Eigentlich ist es natürlich eher so, dass wir anderthalb Stunden geduldig ins Wasser waten, dann geduldig im Wasser rumstehen und auf eine geeignete Welle warten und dann versuchen, auf einem Brett zu stehen, das uns ein paar Meter nach vorne trägt, worauf wir wieder ins Wasser waten und so weiter und so fort.

Und genau das macht Andreas Brendt auch, und zwar nicht nur besonders gerne, sondern auch wesentlich länger und besser und öfter als wir. Brendt wurde schon Mitte der Neunziger Jahre mit dem Surfvirus angesteckt, auf einer Reise in den Semesterferien nach Bali. Davor war er braver Student der VWL in Köln mit wenig Surfambitionen, das war alles Zufall, aber wie das so oft ist, bestimmt der Zufall manchmal das Leben und so wurde das Surfen zur Passion, zum Lebensziel und -zweck.

Zwischen den Semestern an der Uni ging es in alle Ecken und Enden der Welt, nach Südafrika, nach Indonesien, nach Australien und Peru, nach Sri Lanka und immer wieder nach Frankreich, nur etwas weiter südlich von wo wir gerade sind und wo das Foto oben entstand, nach Moliets-et-Maâ, gerade gestern kamen wir an der Autobahnausfahrt vorbei, als wir einen Tagesausflug nach Bayonne machten. In Moliets-et-Maâ ist Andreas Brendt erst Pratikant und nachher Surfcampleiter, so finanziert er sich die Trips rund um die Welt, von Surfspot zu Surfspot, Welle zu Welle. Jeder Cent wird beiseite gelegt, um nachher monatelang in kleinen Hütten und billigsten Hotelzimmern zu leben, sich mit Händen und Füßen und gelegentlich auch auf Englisch und Spanisch mit den Einheimischen zu verständigen und immer wieder raus aufs Meer zu paddeln.

Andreas Brendt stürzt sich von einem Abenteuer ins nächste, klettert durch Höhlen eine Steilküste in Indonesien herunter, begegnet Haien und südafrikanischen Drogendealern, verhandelt mit indonesischen Polizisten die Geldstrafe fürs Rollerfahren-ohne-Führerschein, um sich dann doch noch schnell und unkompliziert einen (indonesischen) Führerschein anfertigen zu lassen. Er trifft auf andere leidenschaftliche Surfer, surft, siegt und scheitert und landet zwischenzeitlich sogar mal im Regenwald von Ecuador.

Fast zehn Jahre seines Surferlebens hat Andreas Brendt aufgeschrieben, immer sehr nah dran und packend, wobei sich gelegentlich die Frage stellt, ob sich das Buch für Leute, die wenig mit Surfen zu tun haben, ebenso packend liest wie für Leute wie mich, die zwar nur zwei Wochen im Jahr leidlich gut auf dem Brett stehen, das aber immerhin regelmäßig und mit viel Spaß. Doch neben dem Surfen geht es eben auch um die Menschen, denen Andreas Brendt auf seinen Reisen begegnet und letztlich auch um die Fragen, die man sich stellen muss, wenn man immer wieder zwischen Vernunft (richtiger Job, eigene Wohnung, fester Wohnsitz) und Leidenschaft (Surfen, fremde Länder und Abenteuer) entscheiden muss.

Ein kleiner Wermutstropfen: Frauen kommen als Surferinnen quasi nicht vor. Das mag der harschen Realität geschuldet sein, da kann Andreas Brendt vermutlich gar nichts für, aber auf Dauer ist es ein bisschen schade, wenn sich immer nur die Männer auf den Boards zusammenrotten, während die Mädels an Land bleiben und gelegentlich mal geknutscht werden.

Das Buch endet 2005 an einer Stelle, an der Brendt sich vermeintlich für einen Weg entschieden hat. Allerdings lässt die Autorenbiografie vermuten, dass es danach doch noch ganz anders weiterging. Boarderlines ist ein schönes Buch mit viel Abenteuer und Fernweh, dass sich sicher nicht ausschließlich aber vielleicht doch am allerschönsten am Strand von Biscarrosse liest, wenn man wenige Stunden später selbst wieder von der nächsten Welle an Land getragen wird. Oder eben hinfällt. Und wieder aufsteht. Und zurück ins Wasser watet. Und es noch mal versucht. So ist das beim Surfen.

Boarderlines von Andreas Brendt, erschienen 2015 im CONBOOK Verlag, 416 Seiten, 9,95 Euro. Erhältlich bei Amazon [Werbelink], bei Bücher-Lack in Fellbach und in jedem anderen Buchhandel.

Autorenporträt auf der Verlagsseite

Das Buch auf der Verlagsseite

Wer das Komplettfernwehpaket braucht, der bekommt auf der Webseite des CONBOOK-Verlags auch ein Boarderlines-Paket, komplett mit Buch, Notizblock, Zimtbonbons, Erdnussriegeln und australischem Ginger Beer und einer Reiseroute zum Selbersticken.