Gelesen: Sommernovelle von Christiane Neudecker und Wenn’s brennt von Stephan Reich

Sommernovelle und Wenn's brennt

Zwei Bücher, die gleicher und ungleicher nicht sein könnten: Die Sommernovelle von Christiane Neudecker und Wenn’s brennt von Stephan Reich. In beiden Büchern geht es um Teenager, Ferien, die Frage, was kommt und die Frage, was eigentlich ist. Deswegen ergibt es auch Sinn, beide zusammen zu rezensieren, denn so sehr sich viele Themen ähneln, so sehr unterscheiden sich die Bücher in so vielen anderen Dingen, und das macht gerade das spannende aus.

In Sommernovelle fährt Panda, deren wirklichen Namen wir nie erfahren mit ihren besten Freundin Lotte auf eine Insel in der Nordsee, um als Freiwillige in einer Vogelstation zu arbeiten. Es ist Pfingsten 1989, Panda und Lotte sind 15 Jahre alt, sie sind zum ersten Mal alleine von zu Hause weg, voll mit Ideen und Plänen, die Welt zu verbessern, die ohnehin am Abgrund steht. Saurer Regen, Tschernobyl und all das, Pandas Doc Martens, die sie sich vom angesparten Taschengeld geleistet hat und zu Hause hat der Vater Krebs. Auf der Vogelstation arbeiten Hiller und Sebald, zwei alte Männer, das mürrische Fräulein Schmidt und die Studenten Melanie und Julian. Der Professor, der die Station leitet, ist abwesend. Während Panda sich von Hiller beibringen lässt, wie man den Himmel liest, was in diesem Fall bedeutet, die Anzahl der Vögel eines Vogelschwarms zu schätzen, verliebt sich Lotte in Julian. Vögel beobachten, Vögel zeichnen, Vögel zählen, Eier zählen, Touristenführungen machen, das alles während eines heißen Pfingstfrühlings Ende der Achtziger Jahre.

Zu Hause hatten wir im Herbst mit der Umwelt-AG ein kleines Wäldchen säubern müssen. Mit Handschuhen und Greifzangen hatten wie moosüberzogene Safttüten eingesammelt, Kondome und poröse Plastikfetzen aus dem Gestrüpp gezogen, verrostete Dosen aus dem angrenzenden Weiher gefischt. Schon im Frühling lag dort wieder genauso viel Müll herum wie vorher. Aber davon durften wir uns nicht beirren lassen, das war mir klar. Aufgeben galt nicht. Aufgeben war feige.

Als wir auf den Deich traten, blendete mich einen Moment lang das Watt. Der Himmel spiegelte sich in dem feuchten Film, den das zurückweichende Meer auf dem schlammigen Boden hinterließ und die Priele reflektierten das Licht und zogen glimmende Goldadern.

Christiane Neudecker wird auch zugeschrieben, dass sie eine Meisterin der Atmosphäre sei und nichts könnte richtiger sein. Ich war nur einmal an der Nordsee (und dann noch nicht mal auf einer Insel) und bin immerhin grob sechs Jahre jünger als Panda und Lotte, aber selten kam mir eine Geschichte so vertraut vor. Die Ängste und Sorgen, die Vorstellungen von der Welt, manche richtig, manche naiv falsch, das alles war sechs Jahre später gar nicht so viel anders. Auch ohne große Weltretterphantasien, aber immerhin mit einem Vater, der auf einer biologischen Station gearbeitet hat und mit einem Kinderzimmer voller Tierposter, die mein Vater mir mitbrachte oder die ich sorgfältig aus dem Tierfreund rauslöste, war es mir ein Leichtes, mich in Panda einzufühlen und die detaillierten, aber auch für Landschaftsbeschreibungsmuffel wie mich immer stimmigen und nie langweiligen Beschreibungen lassen den Leser einen heißen Spätfrühling auf einer Nordseeinsel so mit erleben als wäre man selber dabei. Sommernovelle ist eines der wenigen Bücher, bei denen man sich beim Zuklappen schon recht sicher sein kann, dass man es auf jeden Fall noch mal lesen wird.

Wenn’s brennt von Stephan Reich spielt hingegen in der Gegenwart, irgendwo auf dem Dorf in den Sommerferien. Der sechzehnjährige Erik, der die Geschichte erzählt, wird nach den Ferien die Lehre bei der Post anfangen, während sein bester Freund Finn, seine Freundin Nina und Kumpel Nelson, der eigentlich Sascha heißt, in der Kreisstadt in die Oberstufe gehen werden, Abitur machen, studieren, was auch immer. Erik ist es eigentlich auch egal, wie ihm so vieles egal ist.

Man trifft sich auf dem Schotter, um zu saufen und zu kiffen, einfach so, weil man das eben macht und weil es auf dem Dorf auch nichts besseres zu tun gibt. Zu Hause will niemand so richtig sein, Erik verachtet seine Eltern für ihre Spießbürgerlichkeit, nur mit seinem behinderten Bruder Tim kann er reden, schon allein, weil der ihm nicht antworten kann, ihm keinen Stress machen, keine Forderungen stellen. Finns Mutter schläft seinen Kunstlehrer, sein Vater ist in Hamburg mit seiner neuen Paris-Hilton-Schnitte und Nelson lebt mit seinem Bruder bei der Oma, bei der sie die Eltern irgendwann abgeliefert haben, um danach zu verschwinden.

So passiert eigentlich die ganze Zeit nichts und doch sehr viel, all der Scheiß, den man anscheinend macht, wenn man keine Perspektive hat, einen alles ankotzt, man nur weg will, aber nicht weiß wohin, wenn die Eltern sich nicht interessieren und nach den Ferien sowieso alles anders ist. Und so steuern die Freunde in Wenn’s brennt genauso mäandernd wie zielstrebig auf die erwartbare Katastrophe zu.

Nelson kommt mir entgegen, er hat eine Flasche Wodka in der einen und einen Plastikbecher in der anderen, und natürlich muss ich mit ihm trinken. Ich gehe pissen, ich höre auf zu pissen, ich vergesse, dass ich Finn suchen wollte, und suche Nina, aber dann fällt es mir wieder ein und ich suche Finn, was ich aber wieder vergesse, also hole ich mir ein Bier. Als ich mit dem nassen Beck’s aus dem Bad komme, steht Karin vor mir, die etwas sagt, das ich nicht verstehen, und mir in den Schritt greift. Sie lacht ganz laut und schrill, aber ich kann sie nicht verstehen, die Musik ist zu laut.

Wenn’s brennt ist gleichermaßen spannend wie liebevoll geschrieben und bewegt sich irgendwo zwischen harten Ausdrücke, Schlägereien und Saufgelagen und nostalgischen Erinnerungen, Freundschaftsbeweisen und der immer wiederkehrenden Erkenntnis, dass es so vermutlich auch nicht ewig weitergehen kann. So fremd mir dieser Aspekt des Jugendlichenseins ist, aus Eriks Sicht wirkt es gar nicht so fremd, alles ergibt irgendwie Sinn, was soll man auch tun, mit 16 auf dem Dorf, wenn einen die Eltern nicht verstehen und die Lehre bei der Post der einzige Zukunftsplan ist, weil nie ein anderer zur Verfügung stand.

Ein bisschen störend sind die Popkulturreferenzen, bei denen man sich irgendwann fragt, ob Jugendliche, die mit 16 außer Rumhängen, Trinken und Kiffen wirklich nicht viel anderes im Sinn haben, wirklich all diese Filme und Bücher gesehen und gelesen haben. Bis zu einem gewissen Grad mache ich da noch mit, und die Szene, in der Erik fast gerührt über die Platte mit Dust in the Wind spricht, die sein Vater irgendwo haben muss, ist dann eben genau das: Rührend und auch gar nicht so unglaubwürdig. Spätestens bei der Referenz auf Die Welt ohne uns von Alan Weisman fand ich es aber doch etwas zu viel. An solchen Stellen stellt sich doch der Verdacht ein, dem Autor würde seine eigene popkulturelle Erfahrung und die des Erzählers (der immerhin knapp fünfzehn Jahre jünger ist als er) etwas zu sehr durcheinanderwürfeln.

Während sich die Teenagerleben in Neudeckers Sommernovelle sehr versöhnlich mit der Welt zeigen, wo die Sorgen zwar auch groß sind, aber auch nach allem Verrat durch die Erwachsenenwelt die Hoffnung darauf, es besser zu machen, nicht stirbt, so treten die Jugendlichen in Wenn’s brennt auf der Stelle, wollen oder können nicht und selbst wenn, wüssten sie nicht wie und die es wollen und können und wissen, die gehen eben. Und so erzählen Sommernovelle und Wenn’s brennt irgendwie die gleiche Geschichte und könnten doch unterschiedlicher nicht sein.

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