Alexandrowka oder ein einziges großes WTF

“Geh dir auf jeden Fall die Alexandrowka angucken”, sagte man mir, als ich erzählte, dass ich demnächst in Potsdam bin. Allerdings war ich wegen einer Konferenz in Potsdam und Konferenzen dauern leider auch von morgens bis abends, man darf dafür zwar in hübsche Städte fahren und in schönen Hotels übernachten, es ist aber trotzdem kein Urlaub und es wird erwartet, dass man sich die ganzen Vorträge auch anguckt.

Aber ich schweife ab. Die Alexandrowka sollte ich mir angucken, und weil ich ja gerne Aktivitätsvorschläge annehme, damit ich gar nicht erst in die Situation komme, mir selbst was auszudenken, habe ich das auch gemacht. Das ging auch ganz gut, weil die Alexandrowka praktischerweise genau auf der anderen Straßenseite vom Hotel war, man also nur zwei Ampeln überqueren musste und schon fast mittendrin stand.

Jetzt muss man erstmal wissen, was die Alexandrowka eigentlich ist oder besser noch, warum sie überhaupt ist. Das ist eine etwas komplizierte Geschichte mit Preußen und Russland, Soldaten und russischen Sängern und dem König von Preußen und es endet so, dass 1827 im Norden von Potsdam eine russische Kolonie bezogen wurde. Mit Häusern und riesigen Gärten und Kühen. Wer mehr wissen will, liest am besten bei der Wikipedia weiter.

Mit der Alexandrowka ist das so ein bisschen so wie mit Hattingen. Leute erzählen einem, dass man da UNBEDINGT hin muss, weil es SO TOLL ist und man denkt sich “Ja ja, schon gut, ich mach ja schon”, und dann steht man drin und hat von einem Moment auf den anderen nur noch ein einziges großes WTF im Kopf.

Die Häuser! Und die Gärten! Und die Häuser! Und die Zäune! Und die Bäume! Und der Brunnen! Wie kann sowas? Wie kann das, dass da mitten in der Stadt, direkt gegenüber von einem Kongresshotel, eine russische Kolonie ist, die einen, wenn man mittendrin steht, wirklich fast vergessen lässt, dass man immer noch in Potsdam und nicht wirklich in Russland ist. (Jetzt war ich natürlich noch nie in Russland, kann also nicht sagen, ob das jetzt wirklich wie Russland ist, aber für jemanden, der noch nie in Russland war, ist die Ähnlichkeit wirklich sehr beeindruckend.)

Ich laufe einmal mehr oder weniger komplett durch die Alexandrowka, mache so viele Bilder wie möglich, bevor das Licht weg ist, und dann bin ich wieder im Hotel und stelle fest, dass ich die Objektivkappe verloren habe. Also laufe ich noch mal den gleichen Weg, allerdings erfolglos. Objektivkappe bleibt verschwunden.

Das ist mir aber egal, denn ich habe ja die Alexandrowka gesehen und das entschädigt mal locker für zwei bis fünf verlorenen Objektivkappen. Und weil man gar nicht so gut beschreiben kann, wie das da so ist, weil ich das Gefühl habe, wenn ich das jemandem erzählen würde, mit dem Hinweis, man müsse das UNBEDINGT sehen, weil es SO TOLL ist, dann würde derjenige vermutlich auch nur wenig überzeugt “Ja ja, ich mach ja schon” denken und deswegen lasse ich einfach viele Bilder sprechen.

Leider wollte das Wetter und die Sonne nicht so, wie ich wollte, bei blauem Himmel und Sonnenlicht ist das bestimmt noch beeindruckender, aber es ging halt nicht besser.

Und wo wir gerade dabei sind: Wo kriegt man eigentlich Ersatzobjektivdeckel her? Ich bräuchte da einen.

Haus

Haus

Zaun

Brunnen

Zaun

Schild

Schild

Haus

Wiese

Haus

Haus

Pflanze

Beere

Beere

Schild

Schild

Zaun

Zaun

Fenster

Laterne

Hecke

Zaun

Wiese

Dings

Haus

Baum

Kamin

Hecke

Schild

Der Rest vom Ruhrgebiet (9): Das Dortmunder Kreuzviertel

Dass man auch ohne Blog prima beim Rest vom Ruhrgebiet (alternativ auch von Hamburg oder der Welt) mitmachen kann, beweist Johanna hier. Ihre Geschichte über das Dortmunder Kreuzviertel erreichte mich heute per Mail. Ich freu mich sehr und präsentiere hiermit den ersten Gastbeitrag.

Das Dortmunder Kreuzviertel…

…ist eigentlich gar kein ganzer Ortsteil, aber trotzdem gibt es schon seit einer ganzen Weile einen eigenen Wikipedia-Artikel darüber (ha, jetzt habe ich mich aber gut um die Fotos rumgemogelt!). Also muss es ja wohl was Schreibenswertes darüber geben. Oder etwa nicht?

Das Kreuzviertel liegt im Dortmunder Stadtbezirk Innenstadt-West, was die Lage eigentlich schon gut beschreibt: Nicht in der tatsächlichen „Innenstadt“, die befindet sich innerhalb des Wallrings, aber zu Fuß von dieser aus erreichbar.
Verkehrstechnisch ist das Kreuzviertel mit der S4, der U42, der U45 und noch so einigen Buslinien ganz gut ausgestattet. Nur mit dem Auto verzweifelt man hier, es gibt nämlich immer zu wenig Parkplätze. Das Gejammer der Erwachsenen darüber gehört zu meinen Kindheitserinnerungen.

Ja, hier bin ich aufgewachsen.
Wenn ich versuche, Menschen aus anderen Städten zu beschreiben, was dieses Dortmunder Viertel ausmacht, scheitere ich spätestens daran, eine Vergleichsmöglichkeit aus deren Stadt zu finden – so etwas wie das Kreuzviertel gibt es vielleicht tatsächlich nur einmal. (Da lasse ich mich aber gerne eines Besseren belehren.)

Dortmund hat zwar keine historische Altstadt mehr wie beispielsweise Hattingen, aber viele Häuser im Kreuzviertel sind zumindest gut hundert Jahre alt. Und dabei sind sie genau so, wie man sich klassische Altbauten auch vorstellt: hohe Decken, schwer heizbar, Stuck, wohin das Auge blickt. Dazu oft alte Bäume in den Straßen. Ich kann mich erinnern, dass ab und zu (Design?) Studierende aus der nahe gelegenen FH mit ihren Blöcken überall in unserer Straße saßen und Details der Fassaden abzeichneten.

Studierende – ein guter Punkt. Direkt an der Möllerbrücke findet man die ZVS (oder auch hilflose junge Menschen, die einen nach dem Weg dorthin fragen – hey, die finde ja sogar ich!). Überall gibt es gemütliche Kneipen, vor denen an warmen Abenden eine Atmosphäre herrscht wie… na, eben wie in einem netten Kneipenviertel. Nur bezahlbaren Wohnraum, den gibt es hier eigentlich nicht. Na ja.

Trotzdem ist die Altersstruktur hier sehr abwechslungsreich. Direkt neben einer fünfgruppigen Kita steht ein großes Haus Seniorenwohnungen. Junge Leute bevölkern den an das Kreuzviertel grenzenden Westpark und grillen, sobald es wärmer wird. Über das Leben im fortgeschrittenen Alter oder auch als studierender Mensch im Kreuzviertel kann ich zwar nicht viel sagen, aber als Kind hat man es dort einfach rundherum gut:
„Play Dates“ gab es in meiner Kindheit – immerhin schon in den 90-er Jahren – nach wie vor nicht, wir klingelten einfach bei unseren Freunden, kauften vielleicht im nahen Schreibwarenladen (Kemper!! Ein Miniladen mit Seele!) noch ein paar Süßigkeiten und ab ging’s auf den Spielplatz. Oder wir blieben einfach „vor der Tür“, spielten Tierfangen oder unsere Rollenspiele oder wir probierten den aktuellen Trend aus (Einrad fahren, Stelzen laufen…). Ohne irgendwem im Weg zu sein und ohne uns damit in Gefahr zu bringen.
Na, und was nicht nur Kindern gefällt: An der Lindemannstraße gibt es das Eiscafé Majer, die älteste Eisdiele der ganzen Stadt.

In diesem Viertel wohnen jede Menge Lehrerinnen und Lehrer. Meine Mutter, zum Beispiel. Und die Mutter einer meiner damaligen Freundinnen. Teilweise kannte ich meine Nachbarn schon aus der Schule, bevor sie auch noch zu meinen Nachbarn wurden und dann etwa mit meiner Mutter zusammen Sport machten – etwas skurril für alle Beteiligten. Auf jeden Fall war ich recht bald ganz gelassen, wenn ich in meiner Freizeit etwa über meine Kunstlehrerin stolperte, eine Situation, die den handelsüblichen Jugendlichen doch wohl eher verwirren würde.

Wodurch das Kreuzviertel nach außen hin (noch) bekannt ist, ist die Grünen-Dichte im politischen Sinn. Vielleicht liegt es am akademischen Milieu, aber vielleicht auch daran, dass man sich hier ein autofreies Leben tatsächlich vorstellen kann: Die bescheidene Parkplatzsituation habe ich erwähnt, aber dafür hat man immer mehrere Supermärkte in unmittelbarer Nähe, man ist nicht weit vom Stadtzentrum entfernt und kommt auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nahezu überall hin. Meine Eltern haben nach wie vor kein Auto, meine Schwester und ich haben nie den Führerschein gemacht.
Die Dortmunder Grünen treffen sich in der „Fetten Henne“ an der Kleinen Beurrhausstraße, habe ich gehört. Und in der Redtenbacherstraße ist ein Greenpeace-Büro. Ja, und lange, lange vor dem Bio-Boom existierte schon das Kornhaus, damals noch am Neuen Graben, inzwischen vergrößert an der Lindemannstraße ansässig und mit dem üblichen „bioladen“-Baldachin versehen.

„Ein Dorf in der Stadt“ – so präsentiert sich dieses Viertel gern nach außen. Und wenn man zu Kemper geht, um sich die Fernsehzeitung oder einen Collegeblock zu kaufen und erst mal abwartet, bis Frau Kemper mit einer langjährigen Kundin ihr Schwätzchen beendet hat (hinterm Tresen hängt ein Schild mit dem schönen Hinweis: „Bitte nicht hetzen, wir sind auf der Arbeit und nicht auf der Flucht“)… ja, dann glaubt man das auch. Sehr gerne.

Inzwischen wohne ich nicht mehr im Kreuzviertel. Aber wenn ich meine Eltern besuchen fahre und dabei in meine alte Straße einbiege, dann sehe ich nicht nur die einfach fotogenen Fassaden hinter den alten Bäumen und den wie aus einer verkehrten Zeit dazwischen geparkten Autos, sondern nach wie vor die Mäuerchen, auf denen man balancieren und die niedrigen Absätze, über die man auf Inline-Skates wunderbar springen kann – wie man den Ort eben sieht, an dem man aufgewachsen ist. Und ich bin schon stolz darauf, dass gerade dieser Ort mir so vertraut ist.

Spießig? Nöö. Eher ein Beispiel für „Dortmund / der Pott hat auch schöne Ecken“!

Der Rest der Welt: Die Bruder-Klaus-Siedlung in Köln

UPDATE: Da der Artikel über die Bruder-Klaus-Siedlung zu den meistkommentierten meines Blogs gehört und sich hier anscheinend zahlreiche ehemalige und Noch-Bewohner der Siedlung wiedertreffen, habe ich nicht mal wieder recherchiert:

Am 29.9.2019 findet laut meinen Recherchen das diesjährige Pfarrfest der Pfarrgemeinde St. Bruder Klaus statt. Wenn alles klappt, werden ich und einige Verwandte aus dem Kohnen-Clan auch kommen und regen an, dass auch der ein oder andere, der sich hier im Blog über den Artikel und die Erinnerungen gefreut hat, vielleicht zu einem inoffiziellen Ehemaligentreffen einfindet.

Genaueres kann man dem Pfarrkalender entnehmen. Die Messe mit anschließender Prozession findet um 10 Uhr statt.

 

Während Hamburg über Hamburg schreibt und das Ruhrgebiet übers Ruhrgebiet, sammelt Isa alles über den Rest der Welt. Und weil ich immerhin auch mal in Köln gelebt habe, schreibe ich jetzt mal darüber, wie das da so war. Damals. Vor zwanzig Jahren.

Die ersten dreizehn Jahre meines Lebens habe ich in dem gleichen Haus gelebt, in dem meine Mutter die ersten dreiundreißig Jahre ihres Lebens gelebt hat. Die Straße, in der wir lebten, war eine T-förmige Sackgasse und das Haus, in dem wir lebten, befand sich am rechten Ende des Querbalkens dieses T’s.

Und diese Straße, in der wir lebten, die gar nicht Straße hieß, sondern Klause, die befand sich in der Bruder-Klaus-Siedlung, und diese Siedlung befand sich, eingerahmt von der A3 auf der einen und der Bahntrasse zwischen Düsseldorf und Köln auf der anderen Seite am nördlichen Zipfel von Köln, kurz vor Leverkusen. Gerüchten zufolge liegt die Bruder-Klaus-Siedlung auch sehr günstig genau in der Einflugschneise zum Kölner Flughafen, aber davon habe ich nichts bemerkt. Wenn einen nur ein schmaler Schleichweg und eine halbherzige Schallschutzmauer von der A3 trennen, dann fallen Flugzeuge rein lärmtechnisch gar nicht mehr so ins Gewicht.

Es hat ja auch Vorteile, wenn man direkt an der Autobahn wohnt. Man ist zum Beispiel unheimlich schnell auf der Autobahn. Außerdem erschließen sich neue Freizeitbeschäftigungen, denn man kann auf der kleinen Brücke über der Autobahn stehen und den Autofahrern zuwinken und dabei zählen, wie viele a) zurückwinken, b) zurückblinken oder gar c) zurückhupen. Das können andere Kinder nicht so einfach.

Damals(TM), also zwischen 1980 und 1993 konnte man in der Bruder-Klaus-Siedlung eigentlich sehr prima wohnen. Es gab einen Kindergarten und eine Grundschule und zwei Bushaltestellen, die einen nach Köln-Mülheim brachten. In der Mitte der Siedlung stand die Kirche, daneben war das Wäldchen, das seit jeher “Wella” genannt wurde, sowie das kleine Einkaufszentrum, bestehend aus Supermarkt, Metzger, Bäcker, Getränkemarkt, Zeitschriftenladen und Frisör. Sogar eine Gemeindebücherei gab es und ein Jugendheim, das seltsam nach Knete roch.

Die Bruder-Klaus-Siedlung wurde in den frühen fünfziger Jahren komplett neu erbaut, meine Großeltern gehörten zu der ersten Generation der Siedlungsbewohner, man kannte sich also. Man kannte mich dementsprechend auch, entweder, weil man mich kannte, oder weil man meine Mutter kannte oder weil man meine Großeltern kannte. In der Bruder-Klaus-Siedlung zu leben war ein bisschen wie auf dem Dorf, nur ohne Natur und Tiere, sondern halt mit Autobahn und direkt an der Grenze zwischen einer Großstadt und den letzten Ausläufern des Leverkusener Bayerwerks.

So ganz objektiv gesehen, ist die Bruder-Klaus-Siedlung ein guter Kandidat für die Feststellung: “Also, schön ist das nicht.” Nein, ist es nicht. Hier reihen sich die in den fünfziger und sechziger Jahren eiligst hochgezogenen Ein- und Mehrfamilienhäuser aneinander, gelegentlich quetscht sich ein Neu- oder Umbau aus den Achtzigern dazwischen. Nein, schön ist das nicht. Auch die Kirche ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie man Architektur vielleicht eher nicht machen sollte. Trotzdem hat man das irgendwann aus irgendeinem Grund so gemacht, und es ist ja trotzdem Zuhause, man kannte es ja nie anders.

Dafür fuhren die Autos nur Schrittempo, ging ja in den kleinen Straßen nicht schneller, und wir Kinder durften eigentlich alles, auf der Straße mit Kreide malen, überall mit den Fahrrädern rumfahren, im Wella Schlitten fahren, auf der Autobahnbrücke den Autofahrern zuwinken, einkaufen gehen oder zu irgendeiner Freundin spielen gehen. Vielleicht sind wir deswegen auch ganz gut geraten, weil wir uns eben in unserer Kindheit gepflegt austoben durften.

Zuger Klause

Zuger Klause mit Blick auf die Berner Straße

Irgendwann hieß es mal, im Wella würde sich ein gefährlicher Mann rumtreiben, möglicherweise fielen auch die Wörter “pervers” oder “Exhibitionist”, aber ich war noch zu jung, um diese Wörter einordnen zu können. Das wenige, was ich davon verstand, sorgte vor allem für Irritation. Na ja schön, man hatte schon ein bisschen Angst, weil so beängstigend und sorgenvoll davon berichtet wurde, aber dann dachte ich auch wieder: Aha, da ist jemand der nackt oder ein bisschen nackt durchs Wella läuft, aber das ist doch in erster Linie mal sein Problem. Ich habe den Mann aus den Gerüchten auch nie gesehen, das Wella hat also in meiner Erinnerung seine Unschuld behalten dürfen.

Statt dessen sammelten wir im Mai im Wella Wiesenschaumkraut und boten dieses dann in eher stümperhaft zusammengedröselten Sträußchen vorm Supermarkt für 50 Pfennig feil. Mitleidige Menschen, die in uns die Enkel ihrer langjährigen Bekannten erkannten, kauften diese Sträußchen dann auch gelegentlich.

Wenn im Winter Schnee lag, konnte man im Wella Schlitten fahren und ansonsten blieb immer noch der Spielplatz, mit den Wippen und Schaukeln und dem großen M, einem Klettergerüst, das eben wie ein großes M aussah. Im Sommer war hier das Sommerfest, mit Hüpfburg und Gewinnspielen und anderen lustigen Sachen, zu Sankt Martin war hier das Martinsfeuer.

Es gibt da auch einen Friedhof, den “Neuen Mülheimer Friedhof” nämlich, und auf diesem Friedhof ist ein großes Grab, in dem schon meine Uroma, zwei meiner Onkel und meine Großeltern liegen und jetzt ist vermutlich kein Platz mehr. Ein paar Schritte weiter liegt mein anderer Opa, wir sind da eher pragmatisch. Das ist auch der Grund, warum ich immer noch gelegentlich in der Siedlung bin und dann werde ich immer sehr traurig, denn so schön, wie es damals war, so einfach und so idyllisch, so ist es leider nicht mehr.

Das liegt nicht nur daran, dass von den drei Generationen, die mich mit der Siedlung verbunden hat, nur noch die mittlere hier wohnt, also die Generation der Eltern meiner Freunde. Die Eltern der Eltern meiner Freunde sind mittlerweile fast alle schon tot und die Freunde wohnen wohl woanders, davon gehe ich jedenfalls aus.

Den Supermarkt gibt es nicht mehr, den Metzger auch nicht, der Zeitschriftenladen ist schon lange Zeit weg. Übrig geblieben sind nur der Bäcker und ein Getränkeladen, das ist aber auch nicht mehr der gleiche Getränkeladen wie damals. Schlimmer noch, die ganzen Geschäfte sind nicht nur weg, sie stehen auch einfach nur noch leer und rotten so langsam vor sich hin.

Wahrscheinlich sitzen hier auch keine Kinder mehr vor den leeren Geschäften und versuchen, Wiesenschaumkraut an den Mann zu bringen, denn das Wella ist ebenfalls größtenteils zugewuchert und die meisten Spielgeräte abmontiert.

Weil die A3 jetzt ausgebaut wurde, wurde die kleine Brücke erst abgerissen und dann eine neue gebaut, aber offensichtlich nicht breit genug, oder vielmehr, genauso breit wie vorher, aber mit breiterem Bürgersteig und jetzt ist die Straße nicht mehr breit genug für zwei Autos nebeneinander, und die Brücke aber zu lang, als dass man an einem Ende schon sehen könnte, ob am anderen Ende schon jemand kommt. Also darf man jetzt nicht mit dem Auto über die Brücke.

Die Häuser stehen noch und es wohnen Menschen darin, und sie – also die Häuser, nicht die Menschen – sehen größtenteils noch so aus, wie damals, die Einfamilienhäuser und die dreistöckigen Mehrfamilienhäuser am Luzerner Weg und am Baseler Weg. Den Kindergarten gibt es auch noch, genauso wie die Grundschule, es ist also noch nicht alles verloren.

Das Haus, in dem wir gewohnt haben, steht auch noch, mein Opa hat es damals an den Sohn eines Bekannten verkauft. Der Sohn des Bekannten hat dann alles umbauen wollen und ein bisschen damit angefangen und dann aber irgendwie die Lust verloren und als wir das letzte Mal da waren, wohnte immer noch keiner drin und drinnen war Bauruine. Der Sohn des Bekannten hat dann nämlich einfach das Haus nebenan auch noch gekauft, und da wohnt er jetzt drin, oder vielleicht auch nicht, die letzten Gerüchte diesbezüglich sind ja auch schon was länger her.

Zuger Klause

Das Haus ganz am rechten Ende des Querbalkens des T’s. Sah vor zwanzig Jahren genauso aus, nur mit anderem Auto davor.

Früher wohnten wir da zu fünft, unten meine Großeltern, oben meine Eltern und ich. Das Haus war aber nie als Zweiparteienhaus gedacht, obwohl es sogar größer war als die Standardklausenhäuser. Das ging, weil es ja ein Eckhaus war und war bitter nötig, weil meine Großeltern neun Kinder hatten. Aber die ganzen dreizehn Jahre, die wir so gewohnt haben, gab es nur eine Haustür und nur eine Klingel und wer zu uns wollte, der musste an der gleichen Haustür auf die gleiche Klingel drücken wie jemand, der zu meinen Großeltern wollte.

Aber man ist ja erfinderisch, und deswegen gab es einen erprobten und bewährten Klingelcode. Einmal klingeln für unten, zweimal klingeln für oben. Stand auch draußen dran, vor zwanzig Jahren.