Im Moment ist das ja in meiner kleinen Filterbubble eines der Hauptthemen. In Kinderbüchern werden böse Wörter durch nicht ganz so böse ersetzt. Genauer gesagt: Bei Pippi Langstrumpf wird Pippis Vater vom “Negerkönig” zum Südseekönig” und in “Die kleine Hexe” wird ebenfalls das Wort Neger durch irgendwas anderes ersetzt, genauso wie das Wort durchwichsen, das in diesem Fall eben “verhauen” bedeutet.
Mein Initialreaktion dazu war: “Och nö.”
Das ist wahrscheinlich nicht verwunderlich, denn in jahrzentealten Werken rumzuändern, weil irgendwas nicht mehr zeitgemäß erscheint, klingt für mich erstmal nach Zensur und da reagiere ich zunächst instinktiv und finde das doof.
Dann habe ich viel im Internet gelesen, auf verschiedenen Blogs und anderen Seiten haben Leute geschrieben, die zu diesem Thema die unterschiedlichsten Ansichten haben, von “geht gar nicht” bis “wurde auch mal Zeit”.
Mein übliches Problem: Ich kann irgendwie alle Sichtweisen verstehen und nachvollziehen und weiß mittlerweile immer weniger, was ich selber davon halten soll.
Auf der einen Seite finde ich “zeitgemäße Korrekturen” nach wie vor problematisch bis falsch. Nicht mal so unbedingt aus Prinzip, sondern weil Bücher eben von einem bestimmten Autor in einer bestimmten Zeit geschrieben werden und ich der Meinung bin, dass man diesen Büchern ihre Entstehungszeit ruhig anmerken darf.
Auf der anderen Seite geht es hier um Kinderbücher und gerade die betroffenen Bücher zeichnen sich meiner Meinung nach durch eine Zeitlosigkeit aus, die dann auch dazu führt, dass sie heute genauso (vor)gelesen werden wie vor fünfzig Jahren. Ob das in der Konsequenz auch bedeutet, dass man bei solch zeitlosen Kinderbuchklassikern gelegentlich auch mal gucken darf, ob das, was da drinsteht oder das, wie es drin steht, sich noch mit den aktuellen Gegebenheiten verträgt, ist dann die nächste Frage.
Außerdem ist es in diesen speziellen Fällen nun auch so, dass weder das Wort “Neger” noch das Wort “durchwichsen” eine größere Bedeutung hätten. Man kann sie ersetzen, ohne dass sich die Geschichte wesentlich verändert. Ob in der kleinen Hexe ein Kind als Neger oder als Fliegenpilz verkleidet sind, ist vollkommen irrelevant und ob der Vater von Pippi Langstrumpf “Negerkönig” oder “Südseekönig” ist ebenso. Südseekönig ist, das muss man sogar sagen, sogar richtiger, wenn auch, wie man hier und hier nachlesen kann, nicht zwingend unproblematischer.
Dann denke ich wieder, dass man das den Kindern ja auch erklären könnte, was es damit auf sich hat, dass man früher Neger sagt, aber heute nicht mehr und dass durchwichsen eben verhauen heißt. Will man den Vorleseeltern ein bisschen Hilfe an die Hand geben, kann man ja auch eine Fußnote setzen, wo man Wörter, die eine Bedeutungsveschiebung erhalten haben oder einfach nicht mehr so verwendet werden, erklärt. Erstens sind Kinder ja nicht dumm und zweitens ist es auch nicht unbedingt verkehrt, wenn man schon früh lernt, dass Sprache sich ändert, sowohl was die Wörter selber als auch was deren Bedeutung angeht.
Und dann lese ich Blogartikel, in denen es darum geht, dass man als Eltern vielleicht auch mal einfach vorlesen möchte und nicht noch einen linguistischen Bildungsauftrag dabei erfüllen möchte, weil man eben seinen Kindern schon genug erklären muss, jeden Tag, dauernd und das dann nicht noch abends an der Bettkante haben muss. Da kann ich natürlich mangels Kinder nicht mitreden.
Und dann gibt es Stimmen, die sagen, dass vielleicht das Ersetzen von rassistischen Wörtern wichtiger ist als das unbedingte Erhaltenwollen des Originalzustands, weil Rassismus verletzend ist und weil man vielleicht gar nicht erst damit anfangen sollte, Kindern rassistische Wörter beizubringen, erst recht nicht in einem Kontext, der sie glauben lassen könnte, das Wort wäre eigentlich ganz harmlos.
Wie gesagt, es ist schwierig. Mittlerweile bin ich zu der Ansicht gekommen, dass es vermutlich okay ist, wenn in den genannten Büchern die paar Stellen geändert werden.
Wovor ich ein bisschen Angst habe, ist die Grauzone, die danach kommt. Bleibt es bei diesen beiden Beispielen oder kommt da dann direkt mehr? Wer bestimmt, was darf und was nicht? Und wer bestimmt, wann die Verwendung eines rassistischen oder anders problematischen Wortes für das Buch wichtig ist und wann nicht?
In diesem Zusammenhang fällt mir auch immer die Geschichte von J.D. Salingers “Der Fänger im Roggen” ein. Das wurde dann erst von einer Schweizerin übersetzt und dabei wurde auch noch mal gestrichen und geändert. Und dann kam Heinrich Böll und hat dann noch mal übersetzt, aber nicht das amerikanische Original, sondern die britische Version. Da wurde nämlich schon direkt mal im Englischen sehr stark lektoriert, weil es dem britischen Verleger zu krass war. Und diese zweite Übersetzung einer bereits sehr angepassten Version ist dann das, was wir hier bis 2003 kaufen konnten, dann gab’s nämlich eine neue Übersetzung. Da kann man mal sehen.
Hat das was mit dem Ursprungsthema zu tun? Ich denke schon, ein bisschen zumindest, denn es zeigt, wie wenig transparent diese Vorgänge sind, wie wenig man eigentlich weiß, was der Autor da wirklich stehen haben wollte und an welcher Stelle der Lektor oder der Übersetzer möglicherweise etwas geändert haben oder sogar ändern mussten. (Wer mehr über die Tücken des Übersetzens wissen möchte, der liest bitte bei Isabel weiter.)
Aber letztlich wollte ich auf etwas ganz anderes zu sprechen kommen, nämlich mein ganz persönliches Problem mit der erzwungenen politischen Korrektheit. Sie macht mich sprachlos, und das finde ich ganz furchtbar.
Denn ich weiß mittlerweile nicht mehr, was ich noch sagen darf, ohne gleich in die Rassismusfalle zu tappen. “Neger” geht nicht, ist klar. Irgendwann sollte man mal “Schwarzer” sagen, aber das ist meines Wissens auch schon wieder passé, weil eben auch rassistisch. “Farbiger”, geht das? Ist doch genauso bekloppt wie “Schwarzer”. “Afro-Amerikaner” ist hier total beknackt, denn wir sind hier nicht in Amerika. “Afrikaner” geht natürlich auch nicht, erstens weiß ich nicht, ob der oder die Gemeinte überhaupt aus Afrika kommt und selbst wenn, das impliziert doch auch, dass ich irgendwie denke, wenn man eine dunkle Haut hat, könne man nicht Deutscher sein. Bekloppt.
Das Gefühl, das ich habe ist, dass es eben irgendwann gar nicht um die Worte geht, sondern wir uns vielmehr in so einer Endlosschleife der politischen Korrektheit befinden, in der wir bei den ersten Anzeichen negativ konnotierter Wörter hektisch an der Notbremse ziehen und uns was neues einfallen lassen. Jeder, der dann noch das alte Wort benutzt, wird zumindest komisch angeguckt, denn man weiß doch, dass man das nicht mehr sagt, ist das etwa ein Rassist?
Natürlich bin ich nicht rassistisch. Ich bemühe mich, meine Worte so zu wählen, dass ich niemanden damit irgendwie unabsichtlich beleidige, aber ich möchte auch keine 1984–Neusprech-Sprache sprechen, in der alles, was auch nur in den Verdacht einer negativen Konnotierung fällt, ersetzt wird.
Ich habe in den knapp dreißig Jahren, in denen ich sprechen und verstehen kann, den Weg von “Neger” über “Schwarzer” über “Farbiger” mitgemacht und habe keine Ahnung, was die aktuell angesagte Bezeichnung ist. Geht das jetzt so weiter? Weil, wenn ja, dann haben wir ein anderes Problem, denn dann ist es wohl eher so, dass wir trotz aller Bemühungen, dagegen zu wirken, immer noch mit explizitem und implizitem Rassismus zu kämpfen haben, der früher oder später jedes Wort, das wir uns ausdenken, negativ einfärbt, bis wir es nicht mehr verwenden wollen oder dürfen.
Ich weiß, dass das kleine Probleme sind, dass ich als Nichtbetroffene nur ein beschränktes Mitspracherecht habe, weil es eben nicht meine Gefühle sind, die verletzt werden (dazu empfehle ich den Text von Christian vom Jawl sowie diesen Artikel bei Schreibgold). Ich habe auch so spontan niemanden zur Hand, den ich fragen könnte.
Das, was ich relativ sicher sagen kann, ist, dass die stete Suche nach weniger anstößigen Wörtern niemandem hilft, wenn ihre Halbwertzeit begrenzt ist. Dass diese Unsicherheit, ob eines falsch gewählten Wortes als rassistisch abgestempelt zu werden, eher dazu führt, dass ich dann lieber gar nichts sage. Das ist mein persönliches Problem, das ich auch nicht überbewerten möchte. Sollte es das Problem von mehr Menschen sein, dann müssen wir uns aber auch nicht wundern, wenn wir aus der Endlosspirale der Wortneuerfindungen nicht raus kommen, denn eine dauerhaft wertfreie Konnotierung eines Wortes ist kaum möglich, wenn die Mehrheit der Leute sich nicht traut, es auszusprechen.