Exotische Bräuche im Rheinland: Karneval

Kommen wir nun zu dem möglicherweise am häufigsten von Unwissenden verschrieenen Brauches im schönen Rheinland: Karneval.

Ja, es ist irgendwie schlimm. Aber auch: Ja, es ist irgendwie toll.

Eines gleich vorweg: Ich kenne Karneval nur aus der U18–Perspektive. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in einer Karnevalskneipe gewesen zu sein, ich habe an Karneval nie exzessiv Alkohol getrunken und dann fremde Leute geknutscht, ich war kein einziges Mal an Weiberfastnacht mit Milliarden anderer Leute in der Kölner Altstadt. Ich war noch nicht mal auf dem Rosenmontagszug.

Aber als Kind, jahaha! Da wurde Karneval gefeiert. Karneval bedeutete nämlich genau zwei Sachen: Erstens durfte man sich verkleiden und zweitens gab es Süßigkeiten in Massen und für umme! Man musste sich sich nur ein bisschen die Lunge aus dem Hals brüllen und stundenlang im Kalten stehen, aber was macht man nicht alles so als Kind für Gratissüßkram.

Karneval in Köln ist eigentlich einfach erklärt. Man verkleidet sich und dann geht man auf einen Karnevalszug, steht am Straßenrand, ruft “Kamelle” und “Strüssje”, sammelt den Kram auf (oder fängt ihn gekonnt aus der Luft, wenn man nicht ich ist) und dann ist der Spaß je nach Zuglänge nach ein bis vier Stunden vorbei.

Was die Züge angeht, hat man da große Auswahl, jedes “Veedel”, also jeder Stadtteil, hat seinen eigenen, das ist Kölner Karnevalsstolz, da machste nix. Sogar in unserer kleinen Bruder-Klaus-Siedlung hatten wir unseren eigenen Zug. Der war aber wirklich sehr, sehr klein, aber auch faszinierend, wenn in der Garage des Nachbarn am Karnevalswagen gebastelt wurde und die Vorstellung, man könnte selber auf so einem Wagen stehen damit durchaus vorstellbarer wurde.

Auf der anderen Seite hatte ich schnell geblickt: Auf einem Wagen stehen ist zwar obercool, aber dann muss man die Süßigkeiten ja den anderen zuwerfen und hat selber gar nichts davon. Ist ja doof. Dann lieber Fußvolk sein und am Ende des Tages tütenweise Süßigkeiten auf dem Boden ausschütten, sortieren und begutachten.

Weil meine Eltern wohl vernünftig genug waren, die Menschenmassen beim Rosenmontagszug zu meiden, kenne ich dieses Phänomen auch nur aus dem Fernseher. A-ha-ber: Wir hatten dafür den Veedelszoch in Köln-Ehrenfeld. Und der war auch lang. Sehr lang. Sehr, sehr lang. Und dementsprechend ergiebig. Stundenlang konnte man da an der Venloer Straße stehen, “Kamelle!”, “Strüssje!” und “Kölle Alaaf!” brüllen und tütenweise Kram fangen und aufheben und dann am Abend mit glänzenden Augen vor Bergen Süßkram sitzen, von denen man mindestens die Hälfte unter normalen Umständen nie selbst gekauft hätte, aber im Karneval gelten andere Regeln.

Mal abgesehen davon, dass es da ja auch durchaus Objekte der Begierde gab, die in der Erfolgsstatistik mit deutlich mehr Punkten verbucht werden konnten als der übliche Bonbonkram. Schokoladentafeln zum Bespiel, oder, fast schon Königsdisziplin, Pralinenschachteln. Aber eben auch die “Strüssje”, also kleine Blumensträußchen, die zwar eher so ein bisschen Erwachsenenkram waren, dadurch aber eben noch attraktiver wurden, weil schwerer zu ergattern.

Was es auch standardmäßig gab: Schwämme. Das kann mir vielleicht auch noch mal irgendwer erklären, was das mit den Schwämmen sollte. Schwämme gab es nämlich immer, große quaderförmige Schwämme. Man weiß es nicht.

Außerdem Karnevalskapellen. Karnevalskapellen liefen zwischen den großen Wagen und hatten den nicht unwichtigen Nachteil, dass Menschen, die Querflöte oder Trommel spielen üblicherweise nicht gleichzeitig Kamelle werfen können. Gefühlt kommt so ein Karnevalszug übrigens immer genau dann zu einem temporären Stillstand, wenn gerade eine Karnevalskapelle vor einem steht. Wahrscheinlich stimmt das nicht, aber ich behaupte trotzdem, dass das so war. Ist ja auch egal.

Kostüme übrigens waren sehr oft selbstgemacht. An das Engelkostüm erinnere ich mich gar nicht mehr, aber die Meerjungfrau hat meine Mama in liebevoller Detailarbeit angefertigt, genauso wie den Schmetterling. Als Schmetterling ging ich übrigens mit meiner Cousine im Partnerlook, was man auf dem Beweisbild schlecht sehen kann, weil sie offensichtlich zum Tragen einer Jacke genötigt wurde. Total doof, da kann man ja gar nicht demonstrieren, dass man Flügel hat.

Das Clownkostüm scheint mir irgendwo käuflich erworben, im Nachhinein fand ich das auch eher doof. Ich bin kein Clownkostümtyp, aber man probiert ja alles mal aus. Als Prinzessin hatte ich total hübsche Löckchen, für die meine Mama die Haare am Vorabend zu ganz vielen kleinen Zöpfchen flocht. Sieht man auf dem Beweisbild leider auch nicht.

Wovon ich gerade keine Beweisbilder habe: Ich als Zauberin mit einer umfunktionierten Schultüte als Hut, ich mit meiner Cousine für den alternativen Geisterzug kostümiert mit einer sehr, sehr gruseligen Marionette um den Hals und ich als “N”.

Das mit dem “N” war aber schon zu Teenagerzeiten, da wurde man ein bisschen subtiler bei der Kostümgestaltung. Das “N” war eine Hommage an das berühmte Preisrätsel bei Schmidteinander und bestand aus zwei großen aus Pappe ausgeschnittenen “N”s, die ich mir an zwei Schnüren verbunden über die Schultern hängte. Total einfach. Natascha erklärte sich bereit, als “D” zu gehen, und so liefen wir an Weiberfastnacht als “Ende” (Kapiert? N-D. En-De. Ende! Ach, egal.) durch die Schule. Hat, wenn ich mich richtig erinnere, exakt einer verstanden. Aber gut, war eben auch total subtil.

Wie immer könnte man noch stundenlang weitererzählen, über die zu Karnevalszeiten erstaunlich beweglichen Omas, die einem beim Kamellefangen immer dazwischensprangen, über die fiesen Cowboypistolen, vor denen ich immer ein bisschen Angst hatte, über die Karnevalslieder, von denen ich dann doch erstaunlich viele problemlos mitsingen kann, über die Karnevalssitzungen in der Schule, über den Geisterzug, bei dem man nachts durch Köln zieht und bei dem es keine Süßigkeiten, aber dafür Sambatrommelgruppen gibt, und und und…

Karneval ist gar nicht so schlimm, jedenfalls nicht, so wie ich den kenne. Aber ich kenne ja auch keinen Kneipenkarneval mit Betrinken und Fremdeleuteknutschen. Ich kenn nur den mit Verkleiden und Süßigkeiten. Und der war immer sehr toll und aufregend.

Letztlich ist es so wie mit allen Traditionen, man kann das gar nicht erklären. Wer die “aufgesetzte” Lustigkeit anprangert, dem ist vielleicht nicht klar, dass sich die Karnevalsjecken ja tatsächlich irre auf diese paar Tage freuen und zwar schon seit Monaten. Die sind nicht aufgesetzt lustig, die finden das wirklich gut.

Man muss das nicht verstehen. Man muss es auch nicht gut finden. Aber es gehört eben irgendwie dazu. Und auch, wenn ich selber nicht da stehen möchte, weil mir das zu viele Menschen sind und es kalt ist und überhaupt, aber wenn ich jetzt so auf dem Sofa sitze, mir ein bisschen die Bronchien aus dem Körper huste und gleichzeitig WDR gucke, mit den Karnevalsfeiern aus Köln und Düsseldorf und Bonn, dann geht mein Kölsches Herzchen auf und ich freu mich mit. Weil’s eben doch dazugehört, zum Rheinland und eben auch ein bisschen zu mir. Da kann man nix machen.

Und bevor wir jetzt zur ultimativen Fotoshow kommen, noch mal zum Mitschreiben: Es heißt “Karneval” (was auch darf: „Fastelovend“) und es heißt “Alaaf!”. Alles andere ist Unfug.

Bei Extramittel gibt’s auch ein schönes Plädoyer für mehr Karnevalstoleranz.

Engel

1984 als Engel.

Meerjungfrau

1985 als Meerjungfrau (KEIN TÜMPEL!).

Prinzessin

1986 als Prinzessin. Die Krone ist von Woolworth.

Schmetterling

Vermutlich 1987 im Partnerlook als Schmetterling. MIT FLÜGELN!

Clown

Irgendwann als unscharfer und tendenziell unglücklicher Clown. Das war nix.

24 Stunden später

Zu #aufschrei wurde eigentlich schon fast alles gesagt, manches so gut und ausführlich, dass ich tatsächlich kaum mehr etwas hinzuzufügen habe.

Am besten drückt der Blogbeitrag von Natalie Springhart das aus, was ich noch hätte schreiben wollen.

Weswegen jetzt doch? Weil, ja weil, das hier mein Blog ist und ich zumindest die Chance nutzen wollte, noch ein paar Worte aus ganz persönlicher Sicht hinzuzufügen.

Vorgestern äußerte ich mich auf Facebook zu dem Artikel von Mina, bei dem kritisiert wurde, dass die Aussage “Jede Frau kann solche Geschichten erzählen” doch etwas pauschalisierend wäre und es durchaus Frauen gäbe, die solche Geschichten nicht erlebt hätten. Ich sagte so etwas wie: “Ja, das hätte ich spontan auch gesagt, aber wenn ich ein bisschen nachdenke, dann fallen mir eben doch solche Geschichten ein”.

Das, was ich tatsächlich zu #aufschrei beizutragen hatte, war für mein Gefühl eher klein im Vergleich zu dem, was andere Frauen dort schilderten. Aber es waren meine Erlebnisse und es waren Beispiel für Alltagssexismus, bei denen ich mich unwohl fühlte, bei denen meine Grenzen überschritten wurden und die ich als nicht okay empfinde.

Ich glaube im Übrigen, dass es auch einen anderen Grund gibt, warum ich verhältnismäßig wenig solcher Geschichten kenne und der ist ganz einfach: Ich bin seit ich 19 bin mit dem Mann zusammen und fand auch vorher Diskos eher doof (laute Musik, die ich nicht mochte, tanzen mach ich zu Hause, zu stickig, zu viele Menschen). Natürlich findet Sexismus überall statt, aber ich habe das Gefühl, dass ich Orte, an denen sie gehäuft stattfinden, einfach sowieso oft weiträumig umfahre. Nicht aus Angst, sondern aus Desinteressse.

Dann gibt es noch eine Frage, die zu Recht gestellt wird, nämlich die, ob man überhaupt noch flirten darf, und wie schwierig das (als Mann) ist, wenn man immer Angst haben muss, dass man sofort als Sexist abgestempelt wird.

Vielleicht bin ich naiv, wenn ich sage: So schwierig ist das doch nun wirklich nicht. Hierzu empfehle ich den Artikel “Schrödinger’s Rapist” und behaupte, dass es wirklich nicht so schwer ist, Signale in einer potentiellen Flirtsituation zu deuten.

Nun kann ich überhaupt nicht flirten, weil ich das nie machen musste. Ich behaupte einfach mal Folgendes: Reagiert eine Person auf einen respektvollen, höflichen und erkennbaren Flirtversuch mit “Nein” oder anderweitig einsilbig, sagt sie “Ich habe kein Interesse” oder “Danke, sehr nett, aber ich möchte keinen Drink spendiert bekommen”, dann meint sie das wohl auch so. An dieser Stelle sind weitere Flirtversuche abzubrechen und Beschimpfungen zu vermeiden.

Reagiert sie jedoch mit Interesse, beantwortet Fragen, stellt selber welche, und bricht das Gespräch nicht ab, dann darf man selbstverständlich weiter reden.

Auch vor einem Gespräch gibt es doch einfache Signale, die man durchaus im Stande ist zu deuten. Wiederholter Augenkontakt bedeute vermutlich, dass Interesse an einem Kennenlernen besteht. Kein Augenkontakt bzw. Abwenden bei Augenkontakt bedeutet vermutlich, dass kein Interesse besteht. Sollte man hier nicht sicher sein, kann man immer noch wie oben beschrieben nachfragen und auf die Antwort entsprechend reagieren.

Ja. Es gibt Grauzonen. Ja. Es gibt Menschen, die solche “Ich tu mal so, als interessiere ich mich nicht”-Spielchen spielen. Ja. Es gibt auch Situationen, in denen ein initiales Interesse signalisiert wurde, sich jedoch im weiteren Verlauf der (ich nenne es mal neutral) Interaktion herausstellt, dass es zu nichts weiterem kommen wird.

Aber ganz ehrlich. Wenn man ein bisschen das Gehirn einschaltet, ein bisschen Empathie mitbringt, zuhört, hinguckt und eben ein “Nein”, wie auch immer es formuliert wird, akzeptiert und respektiert, der wird keine Probleme haben.

Insofern geht dieser Aufruf auch an all die Männer (und Frauen), die sich beschweren, man könnte gar nicht mehr wirklich flirten: Wenn wir all den Idioten, die eine plumpe Anmache nicht von respektvollem Flirten unterscheiden können, die ein “Nein” nicht als “Nein” verstehen und die Desinteresse damit begegnen, dass sie erst recht weitermachen, wenn wir denen also zeigen, dass sowas nicht okay ist, dann werden wir vermutlich alle langfristig wieder deutlich entspannter und das Flirtterrain wird kein Minenfeld mehr sein.

Ich saß letztens in der U-Bahn-Station und wartete auf die U-Bahn. Neben mir ein Mann, der mir auf einmal eine Schachtel mit Schokoriegeln hinhielt. Fast schon ohne nachzudenken, schüttelte ich den Kopf und lehnte ab. Instinktiv. Weil ich keine Lust hatte, mich auf ein Gespräch einzulassen, von dem ich befürchten muss, dass ich nicht da rauskomme, ohne unhöflich zu sein und mit einem schlechten Gefühl nach Hause zu fahren.

Vielleicht wollte der Mann gar nicht reden. Vielleicht hatte er einfach nur zu viele Schokoriegel und wollte nett sein. Ich hab auch gar nicht lange abgewägt, sondern zu meiner Default-Reaktion gegriffen. Lächeln, Kopf schütteln, woanders hingucken. Und dabei habe ich noch nicht mal wirklich viele schlimme Erlebnisse gehabt.

Ich finde das schade. Ich möchte gerne nett zu Leuten sein, die mir einen Schokoriegel anbieten. Ich möchte eigentlich auch gerne diesen Schokoriegel. Aber die möglichen Kosten sind mir zu hoch.

In einer Welt, in der man nicht zickig ist, weil man dann doch die Telefonnummer nicht rausrücken will, wo akzeptiert wird, wenn ich eindeutig signalisiere, dass ich an einer Fortführung des Gespräches nicht interessiert bin, wo ich mich so anziehen kann, wie ich will, ohne dass das als irgendwie geartete Aufforderung verstanden wird, kurz: In einer Welt, in der Sexismus nicht normal ist, da wären wir vermutlich alle zufriedener.

Außer vielleicht die Sexisten. Aber das sind sowieso Idioten.

Auf dem Weg zur Arbeit – Die „Schnee und Eis“-Edition

Momentan brauche ich für den Weg zur Arbeit etwas länger. Das liegt daran, dass ich alle paar Meter stehen bleibe und eingefrorene Blätter anfassen, Beeren mit kleinen Eiszapfen bestaunen und alles mögliche fotografieren muss. Wer mir auf Instagram folgt, wird die Bilder schon kennen, aber natürlich hab ich noch mehr gemacht und es ist ja auch nicht jeder auf Instagram.

Deswegen gibt’s hier die große “Schnee und Eis”-Sonderedition des täglichen Wegs zur Arbeit. Und man könnte fast meinen, ich würde durch einen üppig begrünten Luxusstadtteil laufen. Tu ich aber gar nicht. Hier ist es nur bedingt schöner als sonst für diese Stadt üblich, aber es gibt ein bisschen mehr Wohnhäuser mit Vorgärten und so Nahaufnamen von kleinen roten schneebedeckten Beerchen gehen halt immer gut.

Ast

Zaun

Efeu

Blume

Rote Beere

Blätter

Zeug

Blaue Beeren

Tannenzweig

Rosa Beere

Knospe

Beerenknospen

Mehr Blätter mit Eiszapfen

Efeu

Über Grauzonen, politische Korrektheit, Kinderbücher und Sprachlosigkeit

Im Moment ist das ja in meiner kleinen Filterbubble eines der Hauptthemen. In Kinderbüchern werden böse Wörter durch nicht ganz so böse ersetzt. Genauer gesagt: Bei Pippi Langstrumpf wird Pippis Vater vom “Negerkönig” zum Südseekönig” und in “Die kleine Hexe” wird ebenfalls das Wort Neger durch irgendwas anderes ersetzt, genauso wie das Wort durchwichsen, das in diesem Fall eben “verhauen” bedeutet.

Mein Initialreaktion dazu war: “Och nö.”

Das ist wahrscheinlich nicht verwunderlich, denn in jahrzentealten Werken rumzuändern, weil irgendwas nicht mehr zeitgemäß erscheint, klingt für mich erstmal nach Zensur und da reagiere ich zunächst instinktiv und finde das doof.

Dann habe ich viel im Internet gelesen, auf verschiedenen Blogs und anderen Seiten haben Leute geschrieben, die zu diesem Thema die unterschiedlichsten Ansichten haben, von “geht gar nicht” bis “wurde auch mal Zeit”.

Mein übliches Problem: Ich kann irgendwie alle Sichtweisen verstehen und nachvollziehen und weiß mittlerweile immer weniger, was ich selber davon halten soll.

Auf der einen Seite finde ich “zeitgemäße Korrekturen” nach wie vor problematisch bis falsch. Nicht mal so unbedingt aus Prinzip, sondern weil Bücher eben von einem bestimmten Autor in einer bestimmten Zeit geschrieben werden und ich der Meinung bin, dass man diesen Büchern ihre Entstehungszeit ruhig anmerken darf.

Auf der anderen Seite geht es hier um Kinderbücher und gerade die betroffenen Bücher zeichnen sich meiner Meinung nach durch eine Zeitlosigkeit aus, die dann auch dazu führt, dass sie heute genauso (vor)gelesen werden wie vor fünfzig Jahren. Ob das in der Konsequenz auch bedeutet, dass man bei solch zeitlosen Kinderbuchklassikern gelegentlich auch mal gucken darf, ob das, was da drinsteht oder das, wie es drin steht, sich noch mit den aktuellen Gegebenheiten verträgt, ist dann die nächste Frage.

Außerdem ist es in diesen speziellen Fällen nun auch so, dass weder das Wort “Neger” noch das Wort “durchwichsen” eine größere Bedeutung hätten. Man kann sie ersetzen, ohne dass sich die Geschichte wesentlich verändert. Ob in der kleinen Hexe ein Kind als Neger oder als Fliegenpilz verkleidet sind, ist vollkommen irrelevant und ob der Vater von Pippi Langstrumpf “Negerkönig” oder “Südseekönig” ist ebenso. Südseekönig ist, das muss man sogar sagen, sogar richtiger, wenn auch, wie man hier und hier nachlesen kann, nicht zwingend unproblematischer.

Dann denke ich wieder, dass man das den Kindern ja auch erklären könnte, was es damit auf sich hat, dass man früher Neger sagt, aber heute nicht mehr und dass durchwichsen eben verhauen heißt. Will man den Vorleseeltern ein bisschen Hilfe an die Hand geben, kann man ja auch eine Fußnote setzen, wo man Wörter, die eine Bedeutungsveschiebung erhalten haben oder einfach nicht mehr so verwendet werden, erklärt. Erstens sind Kinder ja nicht dumm und zweitens ist es auch nicht unbedingt verkehrt, wenn man schon früh lernt, dass Sprache sich ändert, sowohl was die Wörter selber als auch was deren Bedeutung angeht.

Und dann lese ich Blogartikel, in denen es darum geht, dass man als Eltern vielleicht auch mal einfach vorlesen möchte und nicht noch einen linguistischen Bildungsauftrag dabei erfüllen möchte, weil man eben seinen Kindern schon genug erklären muss, jeden Tag, dauernd und das dann nicht noch abends an der Bettkante haben muss. Da kann ich natürlich mangels Kinder nicht mitreden.

Und dann gibt es Stimmen, die sagen, dass vielleicht das Ersetzen von rassistischen Wörtern wichtiger ist als das unbedingte Erhaltenwollen des Originalzustands, weil Rassismus verletzend ist und weil man vielleicht gar nicht erst damit anfangen sollte, Kindern rassistische Wörter beizubringen, erst recht nicht in einem Kontext, der sie glauben lassen könnte, das Wort wäre eigentlich ganz harmlos.

Wie gesagt, es ist schwierig. Mittlerweile bin ich zu der Ansicht gekommen, dass es vermutlich okay ist, wenn in den genannten Büchern die paar Stellen geändert werden.

Wovor ich ein bisschen Angst habe, ist die Grauzone, die danach kommt. Bleibt es bei diesen beiden Beispielen oder kommt da dann direkt mehr? Wer bestimmt, was darf und was nicht? Und wer bestimmt, wann die Verwendung eines rassistischen oder anders problematischen Wortes für das Buch wichtig ist und wann nicht?

In diesem Zusammenhang fällt mir auch immer die Geschichte von J.D. Salingers “Der Fänger im Roggen” ein. Das wurde dann erst von einer Schweizerin übersetzt und dabei wurde auch noch mal gestrichen und geändert. Und dann kam Heinrich Böll und hat dann noch mal übersetzt, aber nicht das amerikanische Original, sondern die britische Version. Da wurde nämlich schon direkt mal im Englischen sehr stark lektoriert, weil es dem britischen Verleger zu krass war. Und diese zweite Übersetzung einer bereits sehr angepassten Version ist dann das, was wir hier bis 2003 kaufen konnten, dann gab’s nämlich eine neue Übersetzung. Da kann man mal sehen.

Hat das was mit dem Ursprungsthema zu tun? Ich denke schon, ein bisschen zumindest, denn es zeigt, wie wenig transparent diese Vorgänge sind, wie wenig man eigentlich weiß, was der Autor da wirklich stehen haben wollte und an welcher Stelle der Lektor oder der Übersetzer möglicherweise etwas geändert haben oder sogar ändern mussten. (Wer mehr über die Tücken des Übersetzens wissen möchte, der liest bitte bei Isabel weiter.)

Aber letztlich wollte ich auf etwas ganz anderes zu sprechen kommen, nämlich mein ganz persönliches Problem mit der erzwungenen politischen Korrektheit. Sie macht mich sprachlos, und das finde ich ganz furchtbar.

Denn ich weiß mittlerweile nicht mehr, was ich noch sagen darf, ohne gleich in die Rassismusfalle zu tappen. “Neger” geht nicht, ist klar. Irgendwann sollte man mal “Schwarzer” sagen, aber das ist meines Wissens auch schon wieder passé, weil eben auch rassistisch. “Farbiger”, geht das? Ist doch genauso bekloppt wie “Schwarzer”. “Afro-Amerikaner” ist hier total beknackt, denn wir sind hier nicht in Amerika. “Afrikaner” geht natürlich auch nicht, erstens weiß ich nicht, ob der oder die Gemeinte überhaupt aus Afrika kommt und selbst wenn, das impliziert doch auch, dass ich irgendwie denke, wenn man eine dunkle Haut hat, könne man nicht Deutscher sein. Bekloppt.

Das Gefühl, das ich habe ist, dass es eben irgendwann gar nicht um die Worte geht, sondern wir uns vielmehr in so einer Endlosschleife der politischen Korrektheit befinden, in der wir bei den ersten Anzeichen negativ konnotierter Wörter hektisch an der Notbremse ziehen und uns was neues einfallen lassen. Jeder, der dann noch das alte Wort benutzt, wird zumindest komisch angeguckt, denn man weiß doch, dass man das nicht mehr sagt, ist das etwa ein Rassist?

Natürlich bin ich nicht rassistisch. Ich bemühe mich, meine Worte so zu wählen, dass ich niemanden damit irgendwie unabsichtlich beleidige, aber ich möchte auch keine 1984–Neusprech-Sprache sprechen, in der alles, was auch nur in den Verdacht einer negativen Konnotierung fällt, ersetzt wird.

Ich habe in den knapp dreißig Jahren, in denen ich sprechen und verstehen kann, den Weg von “Neger” über “Schwarzer” über “Farbiger” mitgemacht und habe keine Ahnung, was die aktuell angesagte Bezeichnung ist. Geht das jetzt so weiter? Weil, wenn ja, dann haben wir ein anderes Problem, denn dann ist es wohl eher so, dass wir trotz aller Bemühungen, dagegen zu wirken, immer noch mit explizitem und implizitem Rassismus zu kämpfen haben, der früher oder später jedes Wort, das wir uns ausdenken, negativ einfärbt, bis wir es nicht mehr verwenden wollen oder dürfen.

Ich weiß, dass das kleine Probleme sind, dass ich als Nichtbetroffene nur ein beschränktes Mitspracherecht habe, weil es eben nicht meine Gefühle sind, die verletzt werden (dazu empfehle ich den Text von Christian vom Jawl sowie diesen Artikel bei Schreibgold). Ich habe auch so spontan niemanden zur Hand, den ich fragen könnte.

Das, was ich relativ sicher sagen kann, ist, dass die stete Suche nach weniger anstößigen Wörtern niemandem hilft, wenn ihre Halbwertzeit begrenzt ist. Dass diese Unsicherheit, ob eines falsch gewählten Wortes als rassistisch abgestempelt zu werden, eher dazu führt, dass ich dann lieber gar nichts sage. Das ist mein persönliches Problem, das ich auch nicht überbewerten möchte. Sollte es das Problem von mehr Menschen sein, dann müssen wir uns aber auch nicht wundern, wenn wir aus der Endlosspirale der Wortneuerfindungen nicht raus kommen, denn eine dauerhaft wertfreie Konnotierung eines Wortes ist kaum möglich, wenn die Mehrheit der Leute sich nicht traut, es auszusprechen.

Ich bin selbst schuld – Über Saturn, Opel und die WR

Als ich im letzten Jahr zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wieder im Saturn am Hansaring war, war ich erschüttert. Nicht umsonst behauptete dieser Saturn stets, die größte Musikauswahl Europas zu bieten. Ob das jetzt wirklich stimmte oder nicht, sei dahingestellt, aber die Auswahl war wirklich, wirklich riesig. Ich kenne diesen Laden schon seit Anfang der Neunziger, seit wir den ersten CD-Spieler hatten und man sich teilweise noch selbst die CDs aus langen Regalen raussuchen musste, wenn sie nicht in der Auslage standen. Da gab’s dann nämlich zu jedem Künstler Zettelchen mit allen potentiell vorrätigen Alben und da dann einen Buchstabenzahlenkombination, mit der man dann zu den Regalen tigern konnte. (Für so Sortiersüchtige wie mich übrigens eine einzige große Freude.)

Später gab es die Regale nicht mehr, dafür stand halt alles direkt zugänglich, bei der Info gab es einen Ordner von der Dicke des New Yorker Telefonbuchs, in dem man suchen konnte, ob die gesuchte CD denn prinzipiell im Sortiment wäre, wenn man sie gerade nicht finden konnte.

Auf drei Etagen das Ganze, nur CDs, Hörbücher und DVDs, aber vor allem eben CDs. Pop, Rock, Charts und Soul unten, oben Filmmusik, Folk, Weltmusik, unten Jazz und Blues. Und natürlich der ganze Rest auch, aber danach hab ich nicht so oft gesucht. Drei Etagen! Voll mit CDs.

Das war damals, dann zogen wir irgendwann aus Leverkusen weg nach Düsseldorf, von da aus dann nach Essen und obwohl ich in Düsseldorf einen der best sortierten CD-Läden überhaupt entdeckte (und das auch an einem Ort, wo man sowas am wenigstens vermuten würde, nämlich in den Schadow-Arkaden), mein Musikkonsum hatte sich eh verlagert. Nämlich zu iTunes. Es bringt auch nichts, jetzt zu sagen „ins Internet“. Das ist albern. Ich kaufe meine Musik bei iTunes. Nicht bei Amazon und auch nicht bei irgendeinem tollen alternativen Indielabelangebot, nein. Ich finde das praktisch und deswegen mache ich das.

Und dann stand ich letztes Jahr im Saturn und war erschüttert. Von den drei Etagen ist ungefähr eine dreiviertel Etage übrig geblieben. Es gibt zwar noch ein unten, aber da gibt es Konsolenspiele und Bücher. Es war traurig. Und ich war auch traurig.

Aber ich wusste auch sofort: Ich bin das selbst schuld. Ich habe seit Monaten, eigentlich Jahren keine CD mehr gekauft, und ich bin nicht die Einzige. Man kann ja nicht auf der einen Seite aus Bequemlichkeit sein Konsumverhalten zu 95% ins Internet verlagern und dann erwarten, dass die Läden da draus trotz Gewinneinbrüchen trotzdem weiter schön ihr Riesensortiment aufrecht erhalten.

Das ist alles nichts Neues. Ich wusste das. Ich hatte schon sehr oft darüber gelesen. Nur hatte ich es selten so krass vor Augen geführt bekommen. Der Laden meiner Kindheit und Jugend, in dem ich Stunden verbringen konnte, wo es alles gab, was man sich als Musikliebhaber wünschen konnte.

Kaputt. Und vermutlich auch kaum mehr zu retten.

Ich bin selbst schuld. Das weiß ich, und ich weiß auch, dass mein bequemes Digitalkonsumverhalten dazu beigetragen hat und ich mich nicht darüber beschweren kann, nicht Zeter und Mordio schreien und die gute alte Zeit zurückverlangen. Denn ich war’s ja selber.

Wenn ich dann höre, wie gegen die Schließung der Opelwerke in Bochum oder der Auflösung der Redaktion der Westfälischen Rundschau protestiert wird, wie gefordert wird, dass die Politik irgendwas dagegen tun soll oder die Geschäftsleitung, dann denke ich manchmal: „Ja, aber was denn?“

Klingt zynisch, ich weiß. Ich weiß auch nicht, was dahinter steckt, wie die Zahlen tatsächlich aussehen und ob man wirklich alles denkbar Mögliche versucht hat, um das verhindern oder ob man schon seit langem auf einen Grund wartet, hier Geld sparen zu können.

Aber letztlich ist es doch so: Solange ich keinen Opel fahre, kann ich mich schlecht darüber beschweren, dass die Opelwerke geschlossen werden. Genauso wenig kann ich über das Zeitungssterben klagen, wenn ich nie eine Zeitung kaufe. Ich kann es traurig finden, beklagenswert und sehr, sehr tragisch für die Mitarbeiter, aber ich habe es ja selbst mit verursacht.

Die Westfälische Rundschau kann ich nicht mehr retten, ich alleine sowieso nicht, und ich wohne ja noch nicht mal in Westfalen, mein Interesse an dieser speziellen Zeitschrift ist also eher als gering einzuschätzen. Aber vielleicht sind solche Ereignisse auch ein kleiner Weckruf, der uns sagt: Das was wir da machen, das hat Konsequenzen. Ob wir diese Konsequenzen schlimm finden oder ob es uns egal ist, das muss jeder für sich selbst entscheiden.

Wahrscheinlich ist es für jeden etwas anderes. Für mich war es der Besuch bei Saturn, bei dem mich der sprichwörtliche Schlag traf, wo Kindheitsnostalgie und Wirtschaftsrealität unschön aufeinanderprallten. Was ich mit dieser Erfahrung mache, das weiß ich ehrlich gesagt, noch nicht so genau, aber sie hat mich ein bisschen von der rosaroten Internetwolke runtergeholt und ich weiß jetzt:

Nichts ist umsonst und ich bin es selbst schuld.

Was ich bei dieser Organspendeverweigerung nicht verstehe

Ich hatte ja gestern ganz viele sehr spannende Themen erwähnt, über die ich so schreiben könnte. Lustigerweise schreibe ich jetzt über was ganz anderes.

Es ist nämlich so, dass ich gerade versuche, dieses Aufstehen morgens irgendwie in den Griff zu bekommen, das klappt nämlich im Moment so gar nicht. Ich stelle mir abends mit den besten Absichten den Wecker auf manchmal mehr und manchmal weniger absurde Uhrzeiten und dann brauche ich mindestens ein bis anderthalb Stunden, bis ich dann auch tatsächlich aufstehe.

Das hat nichts mit Müdigkeit zu tun, also auch, aber das ist nicht das Problem. Ich gehöre zu den Menschen, die – wenn sie sich erstmal in der Vertikalen befinden – relativ schnell wach werden. Mein Problem ist, dass ich nicht in die Vertikale komme. Ich will nicht aufstehen. Ich will nicht da raus. Ich drücke alle neun Minuten auf “Schlummern” und das kann ich sehr, sehr, sehr lange durchhalten, weil es unter meiner Bettdecke nämlich sehr gemütlich und kuschelig ist und da draußen nicht. Dass wir auf der Arbeit Gleitzeit haben, ich rein theoretisch also ohne Probleme auch weitere zwei Stunden im Bett bleiben könnte, ist dabei auch nicht hilfreich.

Aber das wollte ich ja gar nicht erzählen. Es ist jetzt jedenfalls so, dass ich versuche, mich mit Tricks selbst aus dem Bett zu kriegen. Trick 1: Fenster einen Spalt auflassen. Frische Luft, aber vor allem: Straßenlärm und Flugzeuggebrumme. Trick 2: Das Licht im Flur anmachen, damit es nicht so ganz dunkel ist. (Ich könnte natürlich auch einfach das richtige Licht anmachen, aber ich bin doch nicht bekloppt!) Trick 3: Fernseher anmachen.

Trick 3 klappt erstaunlich gut. Ich kann beim Fernsehen nicht nur total exzellent einschlafen, ich kann auch ganz gut damit aufwachen. Und dann gucke ich ganz spießig das Morgenmagazin im Ersten und komme seit Monaten nicht drüber hinweg, dass da unten “moma” eingeblendet wird, als ob das hier ein Museum in New York wäre. Und wenn dann das Morgenmagazin so vor sich her plätschert, dann guckt man auch mal hin, was da so erzählt wird.

Über Organspenden zum Beispiel und dass die zurückgehen, wegen dem Skandal letztens. Da hab ich damals auch immer nur die Überschriften gelesen und dachte, “Aha, ach so”, ich weiß also grob, worum’s geht, kenne aber keine Details. Korruption eben, es floß Geld (vermute ich mal) und dafür bekamen Menschen Organe, obwohl sie eigentlich noch gar nicht dran gewesen wären. So ungefähr.

Ich beziehe neunzig Prozent meines Medizin- und Krankenhausverwaltungswissens aus US-TV-Serien, kenne mich also prächtig aus und außerdem sehr viele englische (und damit auch lateinische) Fachbegriffe. Mein Verständnis davon, wie Organspenden funktionieren, ist also hauptsächlich auf “Grey’s Anatomy” und “House, M.D.” zurückzuführen. Bei “Scrubs” habe ich gelernt, dass man sich nie, nie, nie mit dem Hausmeister anlegt und dass ein ausgestopfter Hund ein akzeptables Haustier ist. Ich besitze also brandgefährliches Halbwissen, das nur als Warnung.

Zurück zum Thema: Organspenden. Ich habe einen Organspendeausweis, seit sechs Jahren oder so, jedenfalls ist die Adresse, die draufsteht, hoffnungslos veraltet. Ich weiß gar nicht mehr, woher ich den habe und was mich dazu bewegt hat, aber irgendwann hab ich irgendwo so ein Ding mitgenommen, es ausgefüllt und ins Portemonnaie gepackt. Seitdem steckt es da drin, ich habe alles angekreuzt, mir ist es vollkommen wumpe, was mit meinen Organen passiert, wenn es tatsächlich so weit kommen sollte, dass meine Organe als Spende in Frage kommen. Denn dann (so habe ich das jedenfalls verstanden, bitte um dringende Rückmeldung, falls ich da einem Irrtum aufgesessen bin), dann merke ich davon sowieso nichts mehr. Soll heißen, ich bin dann tot. Oder zumindest hirntot.

Es gibt sicherlich viele Gründe, warum man seine Organe nicht spenden möchte. Das ist eine sehr persönliche Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muss. Wobei, muss, da fängt es ja schon an. Im Moment muss ja keiner diese Entscheidung treffen, im Zweifelsfall macht man nämlich gar nichts, dann fragt einen auch keiner und dann ist gut. Insofern finde ich die Bestrebungen, die Menschen regelmäßig darüber aufzuklären und zumindest einmal konkret nachzufragen, gut. In meinem Fall ist es nämlich immer einfach Vergesslichkeit und Bequemlichkeit, die dazu führt, dass ich ganz einfache, sinnvolle Dinge nicht mache, und ich glaube, dass es vielen Leuten ähnlich geht.

Aber wie ich schon sagte: Es gibt viele Gründe, warum man das nicht möchte. Ethische, religiöse, persönliche. Fast immer kann ich sowas akzeptieren. Nachvollziehen und verstehen vielleicht nicht, aber das muss ich auch gar nicht. Andere Menschen haben andere Ansichten, sie glauben an etwas anderes, sie haben eine andere Geschichte, andere Überzeugungen, andere Prioritäten.

Zwei Sachen aber verstehe ich nicht. Erstens frage ich mich, was Leute, die sich aktiv dagegen entscheiden, Organspender zu sein, erwarten, sollten sie selber eine Organspende brauchen. Interessanterweise gab es dazu heute Morgen auf Twitter einen kleinen Schriftwechsel mit jemandem, der aus vielen verschiedenen Gründen selber keine Organspende erhalten möchte. Ich glaube diesem Menschen das übrigens. Allerdings glaube ich, dass das eine Ausnahme ist und die meisten Menschen gerne ein Spenderorgan hätten, wenn sie mal dringend eins brauchen. Und die, so traurig das auch ist, müssen halt irgendwo herkommen und solange wir mit der Forschung da nicht weiter sind, kommen sie nun mal von Menschen, die sich bereit erklärt haben, ihre Organe zu spenden, wenn sie sie mal nicht mehr brauchen.

Meine Sichtweise ist da sehr einfach. Ich kann nichts verlangen, was ich nicht auch selber bereit bin, zu tun. So ist das. Ich habe es da Gott sei Dank auch einfach, mir steht nichts im Weg. Keine Religion oder andersartige Überzeugung, die mir sagt, dass ich das nicht tun sollte.

Etwas anderes verstehe ich aber noch viel weniger, nämlich was die seltsame Organspendeverweigerung vor dem Hintergrund der Korruptionskandale soll. Ich meine, natürlich verstehe ich, was das soll, aber ich finde es so furchtbar albern. So eine irre Art zu protestieren, wem glaubt man, damit irgendwas zu beweisen? Den Ärzten? Den Leuten, die unberechtigt Organe empfangen haben? Denen ist das vermutlich ziemlich egal. Nicht egal ist es denen, die immer noch geduldig auf eine Organspende warten, die ihnen ein gesundes Leben ermöglicht. Oder überhaupt ein Leben. Das sind die Leidtragenden dieser Organspendeverweigerung.

Und mal abgesehen davon, es ist ja nicht so, als ob die Menschen, die auch bei dem Korruptionsskandal Organe unberechtigterweise bekommen haben, diese nicht gebraucht hätten. Natürlich macht es die Sache nicht zwingend besser und die Menschen nicht unbedingt sympathischer, aber so ein Spenderorgan lässt man sich ja nicht aus Spaß an der Freud in den eigenen Körper transplantieren.

Also bitte. Wenn ihr außer Prokrastination und Vergesslichkeit keine Probleme damit habt, dass eure Organe im Ernstfall jemandem anders wieder ein gesundes Leben ermögichen, dann besorgt euch halt diesen Wisch, unterschreibt ihn und steckt ihn ins Portemonnaie. Ich möchte niemanden bekehren, jeder muss das für sich selbst entscheiden, aber sich nur wegen ein paar doofer Menschen, die das System ausgenutzt haben, jetzt querzustellen, das verstehe ich wirklich nicht.

(Übrigens: Als Izzie das damals bei Grey’s Anatomy mit Denny gemacht hat, da fanden wir das alle furchtbar romantisch. Dabei war das eigentlich gar nichts anderes.)

Meinen Brokkoli aß ich nicht.

Auf Spiegel Online gab es diese Woche einen Artikel über Mäkelkinder, also solche, die dauernd am Essen rumnölen, dieses nicht essen und jenes auch nicht und das nur, wenn dies nicht drin ist. Man kennt das.

Ich war auch so ein Mäkelkind. Wobei ich noch nicht mal viel rumgemäkelt habe, ich habe nur lange Zeit relativ viel nicht gegessen. Relativ viel heißt in diesem Fall vor allem Gemüse und da vor allem gekochtes Gemüse. Paprika. Bah. Brokkoli. Pfui. Bohnen. Geht gar nicht. Blumenkohl. Igitt. Rosenkohl. Ächz. Spinat. Ürgs.

Selbst Möhren oder Erbsen waren mir eher suspekt. Ich erinnere aber auch nicht, dass die bei uns öfter auf den Tisch gekommen wäre.

Dafür gab es bei meinen Großeltern öfter Möhrengemüse. Das hab ich auch gegessen. Und Hühnersuppe, so richtig selbstgemacht aus einem richtigen Huhn, und ich hab immer das Hühnerherz bekommen und geliebt. Forelle gab es, die lag dann in der Küche so ganz komplett mit Kopf rum, hab ich auch gegessen, wobei ich damals wie heute Gräten eher so uncool finde. Kartoffeln natürlich, noch und nöcher. Im Sommer Marillenknödel und immer, wenn ich Lust drauf hatte, hat meine Oma mir ein Tomatenbrot gemacht mit dem Paderborner Brot vom Bäcker Zapp und in sechzehn kleine Stückchen geschnitten.

Ich habe Salat gegessen, viel Brot, ich bin ein Milchkind durch und durch, aber mit gekochtem Gemüse brauchte man mir nicht ankommen. Und ich bin trotzdem groß geworden und eigentlich auch nicht allzu schlecht. Glaub ich jedenfalls.

Ich habe auch keine Ahnung, ob die Tatsache, dass ich nie genötigt wurde, irgendwas zu essen, im Nachhinein dazu geführt habe, dass ich heute kaum Berührungsängste mit irgendwelchem Essen habe und sehr mutig an alles herangehe, was ich nicht kenne. Weder meine Eltern noch meine Großeltern haben mir je gesagt, ich müsste irgendwas wenigstens probieren. Mir wurde nie ein Gemüse-Nachtisch-Handel vorgeschlagen.

Das, was es nicht gab, waren Extrawürste, außer, wenn bereits bekannt war, dass ich irgendwas wirklich nicht mochte und es nicht allzu viel Arbeit war. Die mit Hackfleisch gefüllte Paprika gab es dann eben für mich ohne Paprika, Heiligabend gab es für alle Heringssalat und für mich Tomatensalat. An viel mehr kulinarische Sonderbehandlung erinnere ich mich gar nicht. Was nichts heißen muss, ich war ja noch jung und das ist alles schon länger her.

Es gab auch kein Den-Teller-Leer-Essen. Wenn man satt war, war man satt, wenn man etwas nicht mochte, dann blieb es eben liegen. Eine Ausnahme gab es. Oma mochte nicht, wenn man nur so einen Löffel voll auf dem Teller übrig ließ. Das wurde dann noch alles zusammengekratzt und gegessen. Galt aber nur für Anstandsreste, und für mich als Kind war diese Regel auch total verständlich.

Eine der traumatischsten Kindergartenerlebnisse war der eine Tag, an dem ich über Mittag bleiben sollte. Mittags gab es natürlich Mittagessen und zwar an diesem Tag mit grünen Bohnen. (Hatte ich das oben schon erwähnt? Bohnen. Geht gar nicht.) Frau Schäfer, die Kindergarten-Allround-Kraft, hatte allerdings den Gemüse-Nachtisch-Handel im Erziehungs-Repertoire. Für mich war das eine vollkommen neue und nicht im geringsten nachvollziehbare Erpressertour. Eis nur, wenn ich von den Bohnen aß?

DAFUQ?

Ich glaube, ich quälte zwei oder drei Böhnchen runter, eben um an den Nachtisch zu kommen, empfand das aber schon damals als eine sehr dreiste Nummer. Mir war nicht klar, wieso ich nicht einfach sagen konnte, dass ich keine Bohnen mochte, und gut war. Warum musste ich das essen? Auch, wenn ich bei anderen Familien zum Essen war, begegnete es mir gelegentlich wieder, diese implizite Unterstellung, man würde sich beim Essen nur anstellen und nur, wer sein Gemüse essen würde, wäre ein wirklich guter, vernünftiger Mensch. Dass ist jetzt einfach mal Gemüse nicht mochte, und auch nicht mehr mögen würde, wenn man mich kulinarisch-moralisch zum Probieren nötigen würde, wollte man mir nicht glauben, das war jedenfalls das Gefühl, was mir vermittelt wurde.

Selbstverständlich gab es dann immer die Kinder, die alles brav aßen. Die Streberkinder, rein gemüsetechnisch und da stand oder saß man nun, und nur, weil man den Spinat verweigerte, war mal auf einmal ein Mäkelkind. Dabei mochte ich doch nur keinen Spinat! Ich mäkelte noch nicht mal, ich stellte nur fest.

Natürlich gibt es genug Kinder, die sich nur von Pizza, Pommes, Nudeln und Schokolade ernähren würden, wenn man sie ließe. Ich weiß, dass ich nicht von mir auf andere schließen kann, ich habe selber keine eigenen Kinder und weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich ein Kind hätte, was regelmäßig den Teller beiseite schubsen und statt dessen die Süßigkeitenschublade leer räumen würde.

Ich kann nur das erzählen, was ich erinnere und das, was ich glaube, was daraus geworden ist. Und das ist folgendes: Ich habe so gut wie keine negative Erinnerung, die irgendwie mit Essen zusammenhängt. Ich wurde nie gezwungen, etwas zu essen. Mir wurde nie Schokolade verboten oder rationiert oder nur bei erfolgreichem Verdrückens einer festgelegten Portion Gemüse erlaubt. Ich musste nie irgendwo sitzen, bis ich aufgegessen hatte, oder was man noch so an erzieherischen Maßnahmen treffen kann. Ich musste noch nicht mal probieren.

Dafür probiere ich heute umso lieber. Ich liebe Essen. Sogar so sehr, dass ich regelmäßig einen Rosenkohl probiere, um rauszufinden, ob ich vielleicht mittlerweile Rosenkohl mag. Bislang war das Verdikt: Ich mag immer noch keinen Rosenkohl. Ich mag auch keinen Spinat und Pilze nur in Maßen. Ich kann Kohl nicht ab, außer als Salat oder Rotkohl. Ich bin extrem wählerisch, was Marmelade angeht, aus Gründen, die ich selber am wenigsten verstehe. Ich mag keine Rosinen in Zeugs, aber ich mag Rosinen pur. Meine Oma hatte früher immer ein Schüsselchen mit Rosinen im Vorratsschrank, aus dem ich regelmäßig genascht habe. Ich habe sehr positive Rosinenerinnerungen, aber ich verstehe nicht, was sie im Apfelkuchen zu suchen haben.

Insofern plädiere ich aus meiner eigenen, sehr subjektiven Erfahrung dafür, Mäkelkinder auch mal Mäkelkinder sein zu lassen. Nein, ich möchte hier niemandem vorschreiben, wie die eigenen Kinder zu erziehen sein. Dazu kenne ich die Kinder ja viel zu schlecht und ich muss das ja auch nicht tagtäglich machen.

Die Regeln, die nie explizit festgelegt wurden, aber dennoch irgendwie klar waren, habe ich verstanden: Keine Extrawürste, wenn man das Gemüse nicht mag, dann isst man eben das andere, im Zweifelsfall gibt es Salzkartoffeln mit Butter. Niemand muss essen, was er nicht mag oder wenn er satt ist, aber Anstandsreste aus purer Faulheit gildet nich.

Das meiste gibt sich später eh von alleine, und ich bin davon überzeugt, dass meine Neugier, was kulinarische Entdeckungen angeht, nicht zuletzt der Tatsache geschuldet ist, dass mich niemand gezwungen hat, irgendetwas zu essen. Mal abgesehen davon, dass ich meinen Eltern und Großeltern sehr dankbar bin, dass sie mir immer das Gefühl gegeben haben, ernst genommen zu werden. Sicher hätte ich vielleicht das ein oder andere gar nicht so schlimm gefunden, hätte man mich mit Erziehungstricks zum Probieren bekommen. Aber ich weiß nicht sicher, was mehr zählt. Der Beweis, dass grüne Bohnen gar nicht so schlimm sind (ich finde grüne Bohnen übrigens nach wie vor eher so mittelspannend) oder das Zugeständnis an das Kind, dass ein “Das mag ich nicht” als Erklärung vielleicht auch einfach reicht.

2012 – Die zehn schönsten Bücher

Ich hatte die Liste schon fertig, musste dann aber noch rumschieben, weil ich ausgerechnet in den letzten zwei Wochen noch ganz tolle Bücher gelesen habe. Außerdem ist es natürlich immer schwer, Bücher miteinander zu vergleichen, vor allem, wenn man immer so quer durch die Bank liest wie ich. Aber irgendwann hat man auch genau überlegt und rumgeschoben und dann ist die Liste fertig.

61 Bücher waren es in diesem Jahr. Dass darunter auch zwei Bilderbücher waren, ist unerheblich, denn es waren auch einige Wälzer dabei, das gleicht aus. Laut Goodreads habe ich 20662 Seiten gelesen, 800 weniger als im letzten Jahr, aber da musste ich ja auch die ganzen “Song of Ice and Fire”-Bücher lesen, so eine Aktion fiel dieses Jahr weg. Premiere dafür: Ich habe einige Bücher von Leuten gelesen, die ich wirklich kenne. Davon hätte ich gerne im nächsten Jahr mehr.

Dieses Jahr war auch kein 5–Sterne-Buch dabei. Die Nummer Eins ist knapp daran vorbeigeschrabbelt, allerdings war mir aber bei diesem Buch sehr schnell klar, dass es mein Lieblingsbuch 2012 werden würde. Dafür noch mal ein Danke an die Patschbella, die mich damit zum Geburtstag überrascht hat.

Zusätzlich zu den Amazon-Links, bei denen ich ein bisschen Geld abbekomme, habe ich noch auf zehn Buchhandlungen in Deutschland verlinkt, die ebenfalls einen Onlineshop anbieten. Davon bekomme ich nichts ab, aber die Buchhandlungen freuen sich bestimmt. Je nach Angebot habe ich auf die englische oder die deutsche Ausgabe verlinkt, das Sendak-Buch z.B. ist sehr schwer zu finden, erst recht auf Deutsch, und das, obwohl ich dieses Buch sogar zur Abwechslung wirklich auf Deutsch gelesen habe.

Aber genug mit Erklärungen, Vorreden und Danksagungen, hier sind sie nun. Meine zehn liebsten Bücher, die ich 2012 gelesen habe.

10. Nick Harkaway: Angelmaker

Es dauerte ein bisschen, bis ich in das Buch reinkam, aber das war schon bei Harkaways wunderbarem Erstling “The Gone-Away World” so. Mit dem zweiten Buch erzählt Nick Harkaway eine ganz andere Geschichten, mit apokalyptischen Automaten, Superbösewichten, britischen Spioninnen im Ruhestand und ganz viel Zeug dazwischen. Ich mag dieses Chaotische in Harkaways Büchern, dass er sich an keine Konventionen hält, sondern seine Geschichten, so abstrus sie manchmal sein mögen, einfach konsequent erzählt.

(bei Amazon oder bei der Buchhandlung stories! in Hamburg)

9. Stephen King: Der Anschlag

Wurde mir vom Mann angedreht. Der hatte nämlich nicht genug Bücher mit nach Frankreich genommen und dann viel zu schnell diesen übertausendseitigen Wälzer ausgelesen. Und dann wollte er mein Kindle und meinte, ich könnte dann ja den King lesen. Hab ich auch gemacht und zwar in drei Tagen. Weil man nicht aufhören kann, weil King eben einfach weiß, wie man schreibt und man trotz der Längen in der Mitte dabei bleibt. Und dann ist da ja noch die Geschichte: Eine Art Zeittunnel, der in die Fünfziger zurückführt, eröffnet die Möglichkeit, das Attentat auf Kennedy zu verhindern. Aber weil es eben nie einfach ist, wehrt sich die Zeit dagegen, geändert zu werden. Mal abgesehen davon, dass King sich sehr viel Zeit nimmt, die fünfziger Jahre zu beschreiben, und dafür das Ende ein bisschen abrupt kommt, gab’s nichts auszusetzen. Kann man gut lesen, im Urlaub auch gerne in drei Tagen (und Nächten).

(bei Amazon oder bei der Buchhandlung Reuffel in Koblenz)

8. Dave Eggers: A Hologram for the King (Ein Hologramm für den König)

Dave Eggers wieder. An dem hab ich ja eh einen Narren gefressen und “A Hologram for the King” ist vielleicht ein modernes Warten auf Godot, allerdings kann ich das nur vermuten, weil ich “Warten auf Godot” gar nicht gelesen habe. Ein IT-Geschäftsmann wartet mit seinen drei jungen Kollegen irgendwo in einer künstlichen Stadt in der Wüste darauf, dass der König mal kommt, um sich die tolle Hologrammtechnik anzugucken. Viel mehr passiert auch gar nicht. Aber das kann Eggers eben so gut, Bücher schreiben, in denen gleichzeitig ganz wenig und ganz viel passiert.

(bei Amazon oder beim Buchhaus Sternverlag in Düsseldorf)

7. Horst Evers: Für Eile fehlt mir die Zeit

Als Hörbuch in einem Rutsch gelesen/gehört. Getränke dabei nur über der Spüle zu mir genommen, aus Angst, beim Lachen alles wieder unkontrolliert auszuspucken. Hättet ihr mir ja mal früher sagen können, wie toll das ist. (Übrigens große Hörbuch-Empfehlung. Horst Evers liest selber und macht das ziemlich klasse.)

(bei Amazon oder bei der Buchhandlung Braunbarth in Bruchsal)

6. Maurice Sendak: Higgelti Piggelti Pop!: Oder Es muß im Leben mehr als alles geben

2012 starb Sendak, das war traurig. Man sollte viel mehr Sendak-Bücher lesen. “Higgelti Piggelti Pop!” zum Beispiel, schon wegen dem wunderbaren Untertitel. Und wegen den Bildern. Und der Geschichte von Jennie, die zwar eigentlich alles hat, sogar Augentropfen UND Ohrentropfen, aber trotzdem loszieht, weil es eben noch mehr im Leben geben muss. LEST MEHR SENDAK! (Gilt übrigens auch für mich.)

(bei Amazon oder in der Buchhandlung Proust in Essen)

5. Erin Morgenstern: The Night Circus (Der Nachtzirkus)

Eines der letzten Bücher des Jahres, aber so wunderschön poetisch. Es geht um einen Magierwettstreit, eigentlich geht es aber um den Nachtzirkus, und der wird so wunderbar detailliert, fantasievoll und liebevoll beschrieben, dass man sich auch wünscht, einmal den Nachtzirkus besuchen zu gucken. Den Eisgarten, das Wolkenzelt, die Zwillinge mit den Kätzchen, und und und… Dazwischen gibt es noch eine Liebesgeschichte, oder vielleicht auch zwei Liebesgeschichten oder drei oder so.

(bei Amazon oder bei der Citybuchhandlung Vogel in Schweinfurt)

4. Shirley Jackson: We Have Always Lived in the Castle

Ich habe nicht die geringste Ahnung, warum dieses Buch als Leseprobe auf dem Kindle landete, aber ich musste sofort weiterlesen. Mary Katherine lebt mit ihrer Schwester Constance und ihrem kränklichen Onkel Julian in einem großen Haus außerhalb des Dorfes. Constance hat das Haus seit Jahren nicht verlassen, die Dorfbewohnen meiden sie, seit der Rest der Familie bei einem Abendessen mit Arsen vergiftet wurden. Das ganze wird so dicht und gruselig erzählt, dass man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen will. Netterweise ist es gar nicht so lang, so dass man es auch gar nicht so oft aus der Hand legen muss.

(bei Amazon oder in der Buchhandlung Quotes in Hambuonrg)

3. Anthony Horowitz: The House of Silk: A Sherlock Holmes Novel (Das Geheimnis des weißen Bandes)

Ein Sherlock-Holmes-Roman, passend zum aktuellen (und berechtigten) Sherlock-Hype. Ebenfalls als Hörbuch gehört, irgendwann Anfang des Jahres, deswegen habe ich die Geschichte auch gar nicht mehr so präsent, aber, dass ich das alles sehr fesselnd und spannend fand. Außerdem kann ich ja dieses viktorianische Steampunk-Mystery-Zeug richtig gut, da bin ich wohl wirklich leicht mit zu kriegen.

(bei Amazon oder in der Buchhandlung am Turm in Ochsenfurt)

2. Patrick Ness: A Monster Calls (Sieben Minuten nach Mitternacht)

Geweint habe ich. Im Bus. Weil Jason Isaacs dieses Buch so unglaublich ergreifend vorliest und die Geschichte so unglaublich traurig ist. Jede Nacht um sieben Minuten nach Mitternach kommt das Monster zu Conor. Es erzählt ihm Geschichten, vor allem aber will es die Wahrheit wissen. Die Wahrheit, die hinter den Albträumen steckt und hinter dem, was mit seiner Mutter passiert. Auch hier eine Hörbuchempfehlung, wenn man denn englische Hörbücher hören mag, denn Jason Isaacs macht das wirklich so großartig. Wie gesagt. Ich habe geweint. Im Bus.

(bei Amazon oder in der Buchhandlung Stehn in Stuttgart/Bad Cannstadt)

1. Dodie Smith: I Capture the Castle (Mein Sommerschloss)

Doof immer, wenn man so ein Buch hat, in dem eigentlich gar nicht so viel passiert, das aber so toll geschrieben ist, dass man sich auf der ersten Seite sofort verliebt. Dodie Smith schrieb dieses Buch 1948, die Geschichte wird erzählt von Cassandra, die mit ihrer Familie in einem heruntergekommenen Schloss lebt. Die Mutter starb vor Jahren, der Vater ein Sonderling, der einmal ein Buch schrieb, damit einigermaßen gut Geld verdiente, aber danach nie wieder irgendwas geregelt bekam. Ihre ältere Schwester, die alles tun würde, um die Armut hinter sich zu lassen, und der junge Bruder. Das stille Leben wird ganz Stolz-und-Vorurteils-mäßig durcheinandergebracht, als im Anwesen nebenan die zwei jungen männlichen Erben aus Amerika einziehen. “I Capture the Castle” bewegt sich irgendwo zwischen Jane Austen, Downton Abbey, Schloss Gripsholm und etwas ganz anderem, ist ganz wunderbar und sollte von vielen, vielen Menschen gelesen werden.

(bei Amazon oder in der Buchhandlung am Nonnendamm in Berlin)

Vorsätze 2013

Wunderkerzen

Konkrete Vorsätze funktionieren bei mir nicht. Das ist zwar gegen die SMART-Regel, mir aber egal. Lieber gebe ich dem neuen Jahr so ein paar Grundthemen vor. Das hat im letzten Jahr geklappt, also bin ich optimistisch, dass das der richtige Ansatz ist und auch dieses Jahr funktionieren kann.

1. Weniger Ballast

Ich gehöre zu den Menschen, die schlecht loslassen kann. Dinge kann man vielleicht noch mal gebrauchen, Menschen haben es vielleicht gar nicht so gemeint, und man will ja niemanden vor den Kopf stoßen. Ich gehöre aber auch zu den Menschen, die sich viel zu viele Gedanken machen, über Menschen und Dinge und dann gerne mal abends nicht einschlafen können wegen dieser Gedanken.

Im letzten Jahr habe ich gelernt, dass man, oder vor allem ich, auch mal Schlussstriche ziehen muss, selbst wenn es schwer fällt. Was mir mehr Grübelei als Freude bereitet, aber durchaus verzichtbar ist, das kann weg. Vielleicht kommt es irgendwann wieder, zur richtigen Zeit. Und wenn nicht, ist auch nicht schlimm, dann war es auch nie wichtig.

2. Mehr zu Ende bringen

Immer auf die Gefahr hin, dass es arrogant klingt: Ich gehöre ebenso zu den Menschen, denen Dinge leicht fallen. Ich lerne unheimlich schnell (es sei denn, es geht um irgendwas mit Bewegung), was aber den doofen Nachteil hat, dass ich auch unheimlich schnell die Geduld verliere und lieber was anderes machen will. Im Dezember 2011 schrieb ich 50.000 Wörter, die irgendwie so eine Art Geschichte bildeten. 2012 wollte ich das komplett auseinandernehmen und neu und besser schreiben. Ich bin nicht darüber hinaus gekommen, die ersten Kapitel zu lesen und überraschend wenig doof zu finden.

Ich habe wieder ein bisschen in der Öffentlichkeit an Klavier und Mikrofon gesessen, aber längst nicht oft genug. Und wir haben angefangen, Songs aufzunehmen, aber keinen einzigen abgeschlossen, was vor allem meiner Bequemlichkeit und den zeitraubenden Tücken dieses Internets zuzuschreiben ist.

Im neuen Jahr möchte ich endlich mal nachher etwas in der sprichwörtlichen Hand haben. Was das ist und wie viel davon, ist dabei fast egal. Nur fertig soll es sein.

3. Mehr Woanders

Reisen ist toll. Ausflüge sind toll. Ich habe mir im letzten Jahr viele kleine und ein paar größere Städte angeguckt. Manchmal einfach abends, manchmal am Wochenende. Ich weiß gar nicht, ob ich mehr davon brauche, aber vielleicht das gleiche ein bisschen bewusster. Und mehr mit dem Mann. Die drei Tage Hamburg waren toll, aber es muss ja nicht immer gleich Hamburg, Berlin oder München sein. Vielleicht tun es auch einfach kleine Ausflüge, aber die dann tatsächlich gerne öfter.

4. Mehr Zuhause

Ich bin gerne zu Hause. Da ist das Bett und das Sofa, auf dem ich abends beim Fernseher gerne einschlafe. Aber auch hier schlägt die Bequemlichkeit gerne zu.  Wenn ich mir zum Geburtstag nicht ausdrücklich gewünscht hätte, dass wir endlich Lampen für Schlaf- und Wohnzimmer kaufen UND DIE DANN AUCH ANBRINGEN (bzw. anbringen lassen), dann hätten wir zwei Jahren nach Einzug vielleicht immer noch nackte Birnen an der Decke.

Ich hätte auch noch gerne Vorhänge fürs Wohnzimmer und Lampen in den Badezimmern und vielleicht auch mal endlich ein Schränkchen unter dem Waschbecken oder so. Die Vorhänge von dem einen Kleiderschrank müssen noch gekürzt werden (was ungefähr zehn Minuten Arbeit entspricht, nämlich abnehmen, zur Änderungsschneiderei umme Ecke und dann ein paar Tage später wieder abholen) und mit der Regalsituation im Wohnzimmer sowie mit der Kistensituation in Keller, Speicher und Turmzimmer bin ich auch nicht glücklich.

Das Bescheuerte ist ja, dass das meiste davon gar nicht so viel Arbeit ist oder vielleicht sogar Arbeit, aber welche, die Spaß macht und die einen nachher wirklich langfristig zufriedener macht. Man tut es nur nicht. Im neuen Jahr möchte ich, dass das Zuhause sich noch mehr wie Zuhause anfühlt.

Vorsätze 2012

Daily Music – The Weihnachtsedition: River von Joni Mitchell (gespielt und gesungen von mir)

Weil es letztens bei Twitter um das vielleicht schönste Weihnachtslied von allen ging, hab ich mich heute mal aufs Sofa gesetzt, mir die hoffnungslos verstimmte Ukulele geschnappt und ein kleines Video aufgenommen, von eben diesem vielleicht schönsten Weihnachtslied, nämlich „River“ von Joni Mitchell.

Wenn ich das auf dem Klavier spiele, baue ich immer noch ein paar Weihnachtslieder ein, dann dauert das aber mal gut und gerne doppelt so lange.

Die Ukulele bittet darum, ihre Neigung zum sofortigen Verstimmen zu entschuldigen, die Eule sagt „Hu?“ und zusammen wünschen wir euch ein wunderbares Weihnachten, mit allem, was dazu gehört. Kommt gut ins neue Jahr, ich freu mich schon drauf, was 2013 so alles passieren wird.