Kleine Anleitung für Konzertbesucher

Liebe Konzertbesucher und solche, die es werden wollen!

Auf Konzerte gehen ist eigentlich ganz einfach. Meistens muss man sich nur eine Karte besorgen (das geht mittlerweile beispielsweise im Internet, man muss dann fast gar nichts mehr tun), und zur richtigen Zeit am richtigen Ort auftauchen. Das andere machen alles andere Leute für einen. Es gibt Leute, die einen reinlassen, Leute, die einem den Mantel aufhängen, Leute, die die Instrumente aufgebaut und verkabelt haben, Leute, die das Lichtgedöns machen, Leute, die das Tongedöns machen. Es gibt Leute, die vorher ein bisschen Musik machen (in Fachkreisen nennt man das „Vorgruppe“ oder „Support“) und dann die Leute, wegen denen man gekommen ist. Meistens haben sie noch andere Leute mitgebracht, die die Instrumente spielen, die da noch so auf der Bühne rumstehen.

Es ist also wirklich ganz einfach. Man muss quasi nichts können für so einen Konzertbesuch, man muss nur hingehen, rumstehen oder rumsitzen und atmen. Wenn man will, kann man auch klatschen, jubeln und mitsingen, es ist davon auszugehen, dass das im Zweifelsfall aber auch die anderen Konzertbesucher in ausreichendem Maße für einen übernehmen. Optional kann man Bier trinken und Laugenbrezeln essen, muss man aber nicht. Insgesamt sind das alles Fähigkeiten, die man als normal intelligenter Mensch durchaus im Repertoire haben sollte.

Was auch noch hilft: Generell nett zu den anderen Menschen um einen herum sein, und die normalen Regeln der Rücksichtnahme befolgen. Dann ist eigentlich alles super.

Aber.

Wenn das alles so einfach wäre, dann müsste ich diesen Artikel nicht schreiben. Ich war aber gestern Abend auf einem Konzert. Da werde ich später noch drüber berichten, ich habe Nick Cave in der Philips Halle (die jetzt den völlig bescheuerten Namen Mitsubishi Electric HALLE trägt) in Düsseldorf gesehen, es war sehr schön, wobei schön bei Nick Cave nicht ganz das passende Wort ist. Aber lassen wir es dabei, es war sehr schön, und Details folgen ja sowieso später, das hab ich ja schon gesagt.

Jedenfalls war ich da auf diesem Konzert, und musste feststellen, dass die einfachen Regeln für Konzertbesuche offensichtlich doch nicht allen Anwesenden bekannt waren. Das ist schade, aber man kann ja Abhilfe schaffen. Es folgen also ein paar einfache und verständliche Hinweise, wie man sich auf einem Konzert verhalten sollte und vor allem: Wie besser nicht.

 

1. Ein Konzert ist kein Kaffeekränzchen

Für manche Menschen stellt sich auf so einem Konzert vollkommen überraschend heraus, dass man sich auf Konzerten gar nicht ungestört unterhalten kann, weil oben auf der Bühne diese Leute stehen, die Musik machen. Weil diese Menschen über eine ungeheure Flexibilität verfügen, unterhalten sie sich dann trotzdem.

Hier nun ein hilfreicher Hinweis: Wenn Sie sich mit alten Freunden zum Quatschen treffen wollen, ist ein Konzert möglicherweise nicht der beste Ort, um dies zu tun. Auch nicht, wenn Sie den musizierenden Künstler beide total geil finden. Das hat zwei Gründe: Erstens stört die Musik Sie bei der Aufarbeitung der Erlebnisse der letzten paar Monate, die Sie sich nicht gesehen haben. Zweitens stören Sie ungefähr alle Menschen, die um Sie herumstehen und eigentlich gekommen sind, um dem Künstler zuzuhören. Ich weiß: Abgefahren! Die anderen Menschen sind gar nicht zum Quatschen da! Wer hätte das gedacht?

Sollten Sie einmal angesprochen und gebeten werden, die Quatscherei einzustellen, so empfiehlt es sich, diesem Ratschlag Folge zu leisten. Vielleicht war Ihnen ja wirklich nicht bewusst, dass Sie so laut geredet haben. Wie man nicht reagieren sollte: Beleidigt sein. Behaupten, dass das ja wohl nicht so schlimm wäre. Dem Intervenierenden unterstellen, er wäre ein humorloser Spießer.

Sollten Sie zum zweiten Mal angesprochen und gebeten werden, die Quatscherei doch jetzt wirklich mal einzustellen, und zwar von einer völlig anderen Person aus einer völlig anderen Richtung, so ist es wirklich dringend erforderlich, kurz in sich zu gehen und sowohl die eigene Wirkung auf seine Mitmenschen als auch die Motivationsgründe für diesen Konzertbesuch zu hinterfragen. Es ist nun also an der Zeit, Konsequenzen zu ziehen und Entscheidungen zu treffen.

Entscheiden Sie sich für das Konzert, so bleiben Sie einfach, wo Sie sind, beschränken die Quatscherei aber sowohl, was Lautstärke als auch Häufigkeit angeht auf ein für Ihre Umwelt erträgliches Maß. Das bedeutet, möglichst wenig möglichst leise zu sagen. Am besten in den Momenten, wenn gerade alle applaudieren.

Entscheiden Sie sich für den Informationsaustausch, so entfernen Sie sich rasch aus der Menge, ziehen sich an den Rand des Konzertsaales zurück und halten sich von Ihren Mitmenschen fern. Alternativ verlassen Sie den Konzertsaal, gehen nach Hause, öffnen eine Flasche Wein oder alternativ zwei Bier und legen einfach eine Platte des Künstlers auf, der gerade noch auf der Bühne stand. Vorteile für Sie: Sie haben die Musik, können sich aber ungestört unterhalten. Außerdem ist das Bier günstiger. Vorteile für alle anderen: Sie können der Musik jetzt ungestört zuhören und müssen sich nicht über die quatschenden Volltrottel ärgern.

Noch ein kleiner Hinweis aus aktuellem Anlass: Es ist sehr, sehr peinlich, wenn man sich als vermeintlicher Nick-Cave-Kenner aufspielt und dann nach „Stagger Lee“ einen anderen Konzertbesucher fragt, ob das jetzt von der neuen Platte wäre.

 

2a. Dein Handyphoto wird nicht besser, wenn du es zehn Mal machst.

Ich habe kein Problem damit, wenn Leute auf Konzerten fotografieren oder filmen. Ich mache das selber. Schon allein, weil ich normalerweise über das Konzert schreibe und da gerne Bilder habe, um den langen Artikel optisch etwas aufzulockern.

Aber.

Handykameras sind für Konzertfotografie eher so mittel geeignet. Man kann das machen, ich mache das auch, aber man braucht jetzt nicht zu hoffen, dass da nachher superscharfe tolle Bilder bei rauskommen. Werden sie nicht. Auch nicht, wenn man es zehn Mal versucht. Auch nicht, wenn man minutenlang die Kamera hochhält und verzweifelt rein- und rauszoomt, den Fokus verschiebt und mit jeder denkbaren Einstellung versucht, mehr aus der Kamera rauszubekommen als je drin sein könnte. Finden Sie sich damit ab. Wenn Sie nicht bereit sind, sich damit abzufinden, kaufen Sie sich halt eine teure DSLR mit nem geilen Objektiv, kommen drei Stunden früher und sehen zu, dass Sie ganz, ganz vorne einen Platz bekommen. Dann wird das vielleicht auch was mit dem Bild.

Solange Sie keine teure DSLR mit nem geilen Objektiv haben und direkt vorne stehen, holen Sie halt Ihr Smartphone raus, halten Sie es kurz hoch, machen das Bild und rechnen damit, dass es vielleicht unscharf ist. Die Kamera, die Sie sonst nämlich minutenlang in die Höhe strecken, ist genau im Blickfeld Ihres Hintermannes oder Ihrer Hinterfrau. Die können dann genau das, was Sie gerade so toll finden, dass Sie es unbedingt für die Nachwelt festhalten wollen, nicht sehen. Gar nicht. Und wenn Sie zehn Mal hintereinander versuchen, ein geiles Bild zu machen, dann können die hinter Ihnen zehn Mal so lange nichts sehen.

 

2b. Blitz ist Mist!

Fotografieren mit Blitz ist Mist. Generell. Fast immer. Bei Handykameras sowieso. Nicht mit Blitz fotografieren. Erstens werden die Fotos noch schlechter, als sie es ohne Blitz ohnehin schon wären und zweitens nervt es alle um einen rum.

Noch dümmer ist übrigens, es fünf Mal hintereinander nicht zu schaffen, ein bekifftes Konzert-Selfie zu machen. Mit Blitz. Das hat so viele Ebenen der Dummheit, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll, aber ich versuch’s mal:

1. Ein Selfie? Auf einem Konzert? Ich meine: ECHT JETZT? Meint ihr das ernst?

2. Ein Selfie mit Blitz? Wisst ihr eigentlich, wie bescheuert das aussieht? Die Ausleuchtung ist beschissen und im Zweifelsfall seht ihr dann auch den ganzen Siff, der sich mittlerweile auf dem Boden gesammelt hat.

3. EIN SELFIE MIT BLITZ? FÜNF MAL HINTEREINANDER? WÄHREND AUF DER BÜHNE MUSIK GESPIELT WIRD?

3b. Wie verpeilt muss man eigentlich sein, es nicht hinzukriegen, ein vernünftiges Bild von sich zu machen?

4. Beim nächsten Mal mach ich euch Hasenohren. Jedes Mal. Bis einer weint.

 

3. Diese weichen warmen Dinger um einen rum, das sind andere Menschen.

Das um einen herum auf so einem Konzert, das sind keine weichen warmen Blobs zum Anlehnen und Sachen abstellen, das sind andere Leute. Die haben Geld dafür bezahlt, um das da oben auf der Bühne sehen und hören zu können. Anrempeln ist uncool. Mehrfaches Anrempeln ist uncooler. Sich vordrängeln und genau vor einen Menschen zu stellen, der nachweislich und offensichtlich kleiner ist als man selbst, ist auch uncool.

Meine Toleranzgrenze ist da erstaunlich hoch. Ich bin so mehr oder weniger normal groß, es ist also nicht unwahrscheinlich, dass jemand größer ist als ich und ich glaube auch, dass es im Gedränge durchaus passieren kann, dass man nicht mitbekommt, dass man gerade jemandem im Weg steht, der bis eben noch gut auf die Bühne sehen konnte. Man kann sich aber bemühen. Ich bin sicher, dass das geht. Auch auf Konzerten.

 

4. Ein Extrahinweis für nervöse Raucher.

Es gibt mittlerweile in Deutschland sowas wie Gesetze zum Nichtraucherschutz. Die gelten zum Beispiel auch in der Mitsubishi Electric HALLE, das kann man sogar hier nachlesen. Ich bin mir immer nicht so sicher, ob ihr, als nervöse Raucher, zu dumm oder zu rücksichtslos seid, sich an diese Regeln zu halten, eins von beiden muss es ja sein. Sensible Nichtrauchernasen wie meine riechen übrigens auf mehrere Meter Entfernung, dass da ein nervöser Raucher offensichtlich mental nicht in der Lage ist, zwei Stunden auf seine Zigarette zu verzichten. Ich muss das gar nicht sehen, ich rieche das. Und zwar auch, wenn ihr nicht direkt neben mir steht. Letzte Woche schrieb ich noch begeistert auf, wie schön das ist, dass man mittlerweile nach Konzertbesuchen nicht mehr sämtliche Klamotten in die Wäsche schmeißen muss.

Es ist mir übrigens vollkommen wumpe, ob euer nostalgiegeprägtes Alt-68er-Rockkonzertfeeling durch das intolerante Rauchverbot beeinträchtigt wird. Dann geht halt auf Open-Air-Konzerte und Festivals, wenn ihr auf eure Zigarette nicht verzichten könnt. Oder haltet halt mal zweieinhalb Stündchen ohne Zigarette aus. Ich bin sehr zuversichtlich, dass ihr das könnt. Ich glaube an euch. Und an das Gute im Menschen und sowas halt.

 

Unter Beachtung dieser simplen Regeln ist es quasi lächerlich einfach, ein Konzertbesucher zu werden, der seinen Mitkonzertbesuchern weder durch offensichtliche Dummheit noch durch vermeidbare Rücksichtslosigkeit negativ auffällt.

Schönere Konzertbesuche für alle! Gemeinsam schaffen wir das!

Amanda Palmer im Gloria in Köln

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Wie ich dazu kam, Konzertkarten für Amanda Palmer zu kaufen, das kann man in aller Ausführlichkeit hier nachlesen. Nach dem 15-Minuten-Konzert vor einem Jahr in Köln wusste ich, dass ich das mal in länger sehen wollen würde und letzten Freitag war es soweit. Amanda Palmer im Gloria in Köln. Der Gatte vergnügt sich allerdings derzeit in Rio de Janeiro, deswegen konnte ich das zweite Ticket abgeben, was sich relativ einfach gestaltete, schon allein, weil das Konzert ausverkauft war und ich auch drei Tickets locker losgeworden wäre.

(Für alle, die das nächste Mal keine Karten bekommen: Wenn ihr in der Nähe wohnt, im Zweifelsfall mal vorm Konzert vorbeischauen, eventuell hat man Glück und jemand versucht noch kurz vorher, Karten loszuwerden. Wie die preislich gehandelt werden, kann ich aber nicht sagen.)

So oder so ist die Schlange lang, als ich mit Sandra und Alexandra deutlich vor Konzertbeginn am Gloria auftauchen. Wir stellen uns in den Regen und warten, bis wir reingelassen werden und dann geht es immerhin recht fix.

Als wir in den Konzertsaal kommen, spielen dort Perhaps Contraption, eine Punkmarschband aus Großbritannien mit lauter Blasbläsern, ein paar Holzbläsern, Xylophon, Trommeln und Gesang aus dem Megaphon, alle gekleidet in purpur und gelb, alles ganz großartig und vor allem gar nicht auf der Bühne, sondern mitten im Zuschauerraum. Ich bin quasi jetzt schon begeistert.

Band

Nachdem Perhaps Contraction fertig sind, kommt die eigentliche Vorgruppe. Oder die zweite Vorgruppe. Jedenfalls noch eine Vorgruppe. Es sind Die Roten Punkte, ein australisches Duo à la White Stripes, Astrid Rot am Schlagzeug und Otto Rot an der Gitarre, nur halt mit Comedy dazwischen. Klingt seltsam, funktioniert aber erstaunlicherweise. Eigentlich heißen sie natürlich anders, aber das ist ja irrelevant. Das Publikum, inlusive mir, findet’s super. Generell und dann erst recht, als für „Ich bin nicht ein Roboter. I am a Lion!“ Amanda Palmer mit auf die Bühne kommt, um die Zweier-Kuhglocke zu spielen.

Die Roten Punkte

Jetzt geht es aber immer noch nicht los, jetzt kommt erst mal Jherek Bischoff, der in Amandas Band Bassist ist. Hier spielt er aber erst Gitarre und dann Ukulele und das teilweise so abgefahren, dass ich mit offenem Mund dastehe und auf die Bühne starre. Dann holt er Perhaps Contraption wieder auf die Bühne und spielt mit ihnen ein ganz entzückendes Lied namens „Eyes“ und macht, dass ich jetzt schon total glücklich und zufrieden bin, obwohl das Konzert noch überhaupt gar nicht angefangen hat. Das ist alles so schön und wundervoll, es ist ein einziger großer Hach-Moment mit Ausrufezeichen.

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Jetzt aber. Ein kurzes Intermezzo von Perhaps Contraption im Zuschauerraum und dann kommt Amanda Palmer und ihr Grand Theft Orchestra und es kann endlich richtig losgehen. Und losgehen tut’s, direkt mit „Do It With a Rock Star“. Das kenne ich sogar, obwohl ich im Amanda-Palmer-Gesamtwerk gar nicht so firm bin. Schon beim nächsten Lied passiert das, womit bei einem Konzert von Amanda Palmer immer rechnen muss. Sie springt ins Publikum und macht einfach weiter, die Leute machen ein bisschen Platz, und auf einmal wirbelt Amanda Palmer an einem vorbei.

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Das macht sie beim Cover von „Smells Like Teen Spirit“ einfach gleich noch mal, bei „Missed Me“, einem Song aus Dresden-Dolls-Zeiten geht das aber nicht, da muss sie Klavier spielen, und passend zum Weill/Brecht-Stil steht da auch nicht KURZWEIL auf dem Stage Piano, sondern KURTWEILL. Ein Konzert von Amanda Palmer ist wild und laut, es ist intim und sehr körperlich, und das sind genau die Dinge, vor denen ich ein bisschen Angst hatte, weil ich nicht wusste, wie ich damit umgehen würde, wenn ich wirklich mittendrin bin. Es ist aber alles ganz toll und mitreißend und überhaupt nicht beängstigend. Erwähnte ich, dass es toll ist?

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Nach einem lauten Einstieg wird es aber jetzt ruhig. Amanda spielt Lou Reeds „Walk on the Wild Side“ und es ist sehr herzergreifend, vor allem, wenn man weiß, dass sie Lou Reed kannte. Das Publikum darf beim Refrain mitsingen und der Song endet auf einem mehrstimmigen A-Cappella-Gesang. Keine Ahnung, wie wir das hinbekommen haben, keine Ahnung, ob das tatsächlich irgendwie harmonisch ist, für mich klingt es so, das ist wunderbar, sowas möchte ich jetzt den ganzen Abend haben, bitte. (Es gibt hier ein YouTube-Video, da ist aber leider die Soundqualität nicht besonders gut.)

Erstmal geht es wieder laut weiter, und weil Amanda einige Zeit in Deutschland verbracht hat und ziemlich gut Deutsch spricht, ist es üblich, dass sie auf deutschen Konzerten irgendwas auf deutsch covert. Man kann sich das prima auf YouTube angucken, „Seeräuber Jenny“ hat sie schon gespielt und „Eisbär“ von Grauzone. Wir kriegen passend zur Bühnendekoration „99 Luftballons“ und dürfen aus voller Inbrunst mitsingen.

Bei „Bottomfeeder“ schmeißt sich Amanda dann von der Bühne ins Publikum und lässt sich von uns singend durch den Raum tragen, etwas, das ich auch noch nie gemacht habe, weil ich sonst ja eher zu Konzerten gehe, wo die Künstler brav auf ihrer Bühne bleiben. Manchmal gibt es sogar Sitzplätze fürs Publikum. Aber das hier ist ja was anderes, hier muss ich auf einmal die Hände hoch nehmen und Amanda Palmer weiter durchgeben und hinter ihr spannt sich ein riesiges Tülllaken über das Publikum, während an der Decke Lichter funkeln, wie großartig ist das denn bitte? Mal abgesehen davon, dass „Bottomfeeder“ ein ganz toller Song ist.

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Für ihren Solopart nimmt Amanda Palmer Requests entgegen und spielt erst „Runs in the Family“, weil das gewünscht wurde und dann „The Bed Song“, obwohl das nicht gewünscht wurde, because fuck you. Und nachdem sie den Song mit Tränen in den Augen beendet hatte, dürfen wir wählen, ob wir jetzt wieder glücklicher sein wollen oder ob sie uns „deeper into depression“ führen soll, und da warnt sie uns schon mal: „I’m gonna fuck you up.“ Das Publikum wählt mehrheitlich die Depression und Amanda spielt nur mit ihrer Ukulele einen Song, den sie geschrieben hat, um sich irgendwie aus ihrer eigenen Depression rauszuwühlen, um uns direkt nach mit „Map of Tasmania“ doch noch schnell wieder zurückzuholen, damit wir nicht alle weinend nach Hause müssen.

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Dann kommt die Band wieder, es geht wieder etwas lauter weiter und zum Schluss sind wieder alle auf der Bühne, Amanda und ihre Band, Perhaps Contraption und Die Roten Punkte und spielen, singen und tanzen zu „Leeds United“. Möglicherweise wiederhole ich mich, aber es ist wirklich alles ganz wunderbar.

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Zwei Zugaben gibt es, und ganz zuletzt spielt Amanda ihre Ukulele Anthem und dann dauert es gefühlt zwei Stunden, bis ich endlich meinen Mantel abholen kann und durch den Regen durch Köln zur U-Bahn trotten kann, noch ganz high und hyperaktiv von den letzten drei Stunden. Ich kann das wirklich nur jedem empfehlen und das meine ich ernst. Die Tickets fürs nächste Konzert sind quasi schon gekauft, zumindest in Gedanken. Amanda Fucking Palmer, wie sie sich selber nennt, ist eben eine fucking force of nature. Aber eine sehr sympathische und mitreißende, die man sich unbedingt mal live angucken sollte, und die nach dem Konzert noch sehr lange im Cafébereich des Gloria sitzt und Autogramme gibt.

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(Übrigens habe ich wieder feststellen dürfen, dass es diese Menschen aus dem Internet wirklich gibt. Als ich mich einmal umgucke, steht da Jens Scholz direkt hinter mir, irgendwann fragt mich jemand neben mir, ob ich nicht Anne Schüßler sei, und das ist Marcel alias Marzelpan. Er erzählt mir kurz vor dem Konzert, dass er Amanda Palmer eigentlich nur von ihrem TED-Talk kennt und sich das jetzt auch mal angucken wollte.)

Kultur? Kann ich!

Gestern Amanda Palmer, großartig, beeindruckend, jederzeit wieder. Ich würde mehr darüber schreiben, wenn ich nicht gleich los zum Aaltotheater müsste, um mir ein Ballett anzugucken.

Das mit dem Kontrastprogramm hab ich immerhin drauf.

Amanda

Kulturverplanung

Umschlag

Wir sind also in Dresden und verbringen gerade einen ziemlich tollen Abend im Ontario Steakhouse und als ich von der Toilette zurückkomme, bringe ich den Spielplan der Semperoper mit. Ich meine, wir sind immerhin in Dresden. Wir hätten zwar überhaupt keine Zeit mehr, in die Semperoper zu gehen, aber man muss ja zumindest mal gucken, was man hätte sehen und hören können, wenn man noch Zeit gehabt hätte, um hinzugehen.

Der Gemahl blättert sich durch den Spielplan und ist insgesamt eher mäßig begeistert. Hm, sagt er, ja ja, alles sehr klassisch. Hm, sage ich, vielleicht ist das hier so, weil natürlich Semperoper. Soll heißen, wenn man ins Aalto-Theater geht oder in die Oper in Krefeld, dann geht man da eben hin wegen dem, was kommt, aber in die Semperoper geht man dann vielleicht auch einfach nur, um mal in die Semperoper zu gehen. Ist vielleicht aber auch falsch, was weiß ich.

Rosenkavalier läuft zum Beispiel, sagt er, und da fällt es mir siedendheiß ein. Ich hatte es mir sogar im Kalender notiert, nein, ernsthaft, ich hatte mir in den Kalender eingetragen, dass heute der Vorverkauf für die Aufführungen des Rosenkavaliers in der Oper in Antwerpen beginnt, fand das noch so unpraktisch, am Tag nach der Hochzeit, da vergisst man das doch bestimmt. Deswegen der Kalendereintrag, der aber nichts gebracht hat, weil auf dem Handy nichts aufgepoppt ist, um mich dran zu erinnern. Und jetzt fällt, puh, gerade noch gerettet, das Stichwort „Rosenkavalier“ und ich denke doch noch dran.

Jetzt ist das alles nur so unglaublich wichtig und spannend, weil der „Rosenkavalier“ in Antwerpen eben von Christoph Waltz inszeniert wird. Ja, der Christoph Waltz. Django-Unchained-Inglorious-Basterds-Die-Roy-Black-Story Christoph Waltz. Der allergrößte Fan von Christoph Waltz sitzt neben mir und hat gerade ein ziemlich großes Steak verspeist. Wir haben also die Kombination Richard Strauss/Christoph Waltz/Antwerpen, und ich finde, es gibt schlechtere Kombinationen.

„Soll ich mal gucken?“ frage ich und hangele mich ächzend am Handy durch die nicht für Mobilgeräte optimierte Webseite der Oper in Antwerpen. „Hm“, sage ich. Die Karten fangen an bei 140 Euro. Pro Karte. Das ist, bei aller geteilten Liebe zu Herrn Waltz, doch ein bisschen viel. „Hier oben mittig geht für 40 Euro“, sage ich. „Dann sehen wir zwar ungefähr nichts, aber immerhin.“

„Mach mal“, sagt der allergrößte Fan von Christoph Waltz und ich schaffe es tatsächlich irgendwie, Karten für die Premiere zu reservieren. Premiere, denke ich, muss sein, weil, wenn schon, dann richtig. Dann will ich auch nach dem Vorhang einen kleinen schwarzen, sich verbeugenden Blob auf der Bühne sehen, der eventuell Christoph Waltz sein könnte.

Heute ist Post aus Belgien da. Zwei Premierenkarten. Für den Rosenkavalier. Jetzt brauch ich nur noch Hotel und Gastronomietipps für Antwerpen. Kultur haben wir schon.

Und wo gibt’s eigentlich gute Operngläser?

Karte

Daily Music: Was heute vor zehn Jahren so im Domradio lief

Letztens suchte ich etwas im Keller. Und wo ich schon mal im Keller war, suchte ich auch gleich noch die CD mit der Aufnahme von mir im Radio raus.

Das war nämlich so: Ich war mal im Radio und zwar in einem sehr, sehr langen Feature über Singer-Songwriterinnen, wo ich richtig viel erzählen und Sachen live spielen durfte. Allerdings war das auch nicht im WDR oder so, sondern im domradio, das man damals, in Zeiten, als Livestreaming im Internet noch nicht verbreitet war, nur über Satellit oder ähnlichen Unsinn hören konnte, also im Prinzip gar nicht. Dafür kannte ich den Moderator, weil ich nämlich ein paar Mal im Domforum aufgetreten war und weil die Leute das auch irgendwie gut fanden, was ich da so machte, durfte ich ins Radio. Das war sehr aufregend und ich habe vermutlich wieder sehr viel wirres Zeug erzählt, aber ich habe auch Gitarre gespielt und gesungen und das war dann ein bisschen weniger wirr.

Dass das am 7. August 2003, also wirklich vor genau zehn Jahren war, wusste ich übrigens nicht, das stand aber auf der CD drauf, deswegen glaub ich das einfach mal. Ist also totaler Zufall, aber natürlich ein Supergrund, einen meiner liebsten Songs aus der Aufnahme rauszuschneiden, amateurmäßig mit Audacity etwas zu pimpen und dann hier auf den Blog zu packen. Die Gitarre ist leider zu leise, dafür hört man aber auch nicht so gut, wo ich mich verspiele. Man muss das positiv sehen.

Und nun, without further ado: Was vor zehn Jahren so im Domradio lief. Ich nämlich zum Beispiel:

[audio:https://anneschuessler.com/wp-content/uploads/2013/08/Wondering-Song.mp3] oder hier zum Download

(Und wenn jetzt über die schlechte Tonqualität gemeckert wird: Ich hab das hier mit Mühe versucht, habe aber völlig zu Recht nie eine Karriere als Audioingenieur angestrebt. Ansonsten komm ich einfach demnächst mit einer Aufnahme vom iPhone, Klavier und Gesang mit fiesem Rauschen, schlimmer geht’s nämlich immer.)

Absurde Radiosender oder warum ich manchmal WDR 4 höre und das ernst meine

Wer mir auf Twitter folgt, der wird es vielleicht schon mitbekommen: Zwischen 22 Uhr und Mitternacht kann es durchaus vorkommen, dass ich WDR 4 höre. WDR 4, den absurdesten Sender des Westdeutschen Rundfunks. Der Schlagersender. Konservativ. Irgendwo in der Zeit steckengeblieben. So jedenfalls sind die Vorurteile. Und eventuell stimmen sie sogar.

Ich kann das aber gar nicht beurteilen, ich höre ja immer nur zwischen 22 Uhr und Mitternacht und da kommt „Am Rande der Nacht – Musik zum Träumen“, die vielleicht beste Musiksendung der gesamten deutschen Radiolandschaft, genauso absurd wie der Sender, aber dafür umso wunderschöner. Da wechselt Schlager mit Chanson, folgt Jazzstandard auf irgendeine Orchesterversion irgendeines Klassikers, kommt Folk nach Tango und hastenichgesehn. Auch wenn man hin und wieder mal das ein oder andere Kitschzeug aushalten muss, hier habe ich die großartigsten Stücke gehört, die sonst nie irgendwo laufen würden.

Zum Beispiel habe ich hier vor einiger Zeit diesen seltsamen minimalisten Sprechgesangschanson entdeckt und am nächsten Tag sofort auf den iPod geladen. Ging gar nicht anders.



Francoise Hardy – Modern Times

Heute folgte „Sabine Sabine Sabine“ von Trio auf Astrud Gilberto mit irgendwas. Ist ja eigentlich egal, was Astrud Gilberto singt, es ist immer gut.

Und dann kam das hier: „Papis Wiegenlied“ von Heinz Erhardt. Sicher, irgendwann schon mal gehört, vor Jahrenden (eher: Jahrendendenden), aber vor allem direkt wieder verliebt. In das Lied und natürlich den Dichter und Interpreten.

Gäbe es die Musik zum Träumen auf WDR 4 nicht, ich hätte das ein oder andere musikalische Kleinod verpasst, schon allein, weil es oft so weit weg von dem ist, was ich sonst so höre, dass ich gar nicht wüsste, wie ich drüber stolpern sollte. Man kann das wirklich gut hören. Und wenn dann doch was von Tony Marshall läuft, oder das Showorchester ein bisschen zu kitschig reinhaut, geschenkt. Woanders kommt auch schlechte Musik, aber die ist dann noch nicht mal amüsant.

Wie wegen uns mal alle Hotelgäste kein Frühstück bekamen

Es war vor anderthalb Jahren, in einem Dorf irgendwo südlich von Kassel mitten im Knüllgebirge. Natürlich gab es einen Grund, weswegen wir hier waren, man ist ja eher selten im Herbst in einem Hotel in einem Dorf südlich von Kassel mitten im Knüllgebirge. Aber die Schwiegereltern feierten Goldene Hochzeit und dafür hatte man sich dieses kleine Dorf ausgesucht. Nur die nächsten Verwandten, dafür aber mehrere Tage lang mit Rahmenprogramm. Das Rahmenprogramm bestand aus einer Planwagenfahrt, die erstaunlich schön war und einem Besuch der örtlichen Kegelbahn.

Die Schwiegermutter hatte sich ein Klavier gewünscht, also nicht als Geschenk, sondern für die Feierlichkeiten. Klar, hatten die Hotelbesitzer gesagt, stellen wir Ihnen hin. Das Klavier, so stellte sich raus, war das Klavier vom Hotelbesitzersohn. Die Hotelbesitzer wohnten direkt angrenzend und irgendwann ging eine Tür auf und der Hotelbesitzersohn rollte das Klavier aus der Hotelbesitzerwohnung ins Hotel.

Da stand es nun und wurde regelmäßig bemüht, meistens vom Mann, manchmal von mir, selten von anderen. Für den Abend der offiziellen Feierlichkeiten hatte sich Schwiegermutter musikalische Begleitung gewünscht und wir hatten sogar noch schnell ein lustiges Lied geschrieben, das dann mit Klavier, Ukulele und Gesang vorgetragen wurde. Der Abend wurde später und später, so langsam gingen alle ins Bett, nur der Mann und ich waren noch da. Der Mann und ich, der Hotelbesitzersohn, der Hotelkoch und ein Freund des Hotelbesitzersohns, die alle vorne an der Theke standen. Der Hotelbesitzersohn war für zwei Wochen fürs Hotel zuständig, erzählte er. Die Eltern, wie passend, hätten silberne Hochzeit und seien von den Kindern in den Urlaub geschickt worden. Eigentlich würde er studieren, aber was und wo habe ich vergessen.

Ob er denn auch Klavier spielen würde, fragte der Mann. Ja ja, schon, aber eher so Sonatinen und sowas, nichts Aufregendes, sagte der Hotelbesitzersohn. Sonatinen!, sagten wir. Ja, wenn wir das gewusst hätten, da hätten wir ihn ans Klavier gesetzt, denn die Schwiegermutter liebt Sonatinen über alles. Wir schickten den Hotelbesitzersohn Noten holen, dann ging es ans Klavier, immer abwechselnd, manchmal mit Ukulele, manchmal mit Gesang, manchmal nur Klavier.

„Kommt, wir mixen Drinks“, hieß es irgendwann, und dann saßen wir nicht nur abwechselnd am Klavier, sondern liefen auch abwechselnd zu zweit an die Hotelbar, um Drinks zu mixen. Wobei das im weitesten Sinne des Wortes zu verstehen ist. Den Drink, den der Mann zusammen mit dem Hotelbesitzersohn nach ausführlicher Begutachtung des Sortiments „mixte“, hieß Single Malt, war aber auch gut.

So ging das weiter. Der Mann, der Hotelbesitzersohn und ich spielten Klavier oder Ukulele, der Koch und der Hotelbesitzersohnfreund lauschten und äußerten Publikumswünsche. Es wurde ein Uhr, zwei Uhr, drei Uhr. Der Koch gähnte und verabschiedete sich. Es wurde vier Uhr. „Verdammt, das wird hart morgen“, sagte der Hotelbesitzersohn. Wir brummelten mitleidsvoll Zustimmung. Um halb fünf wurde entschieden, dass man jetzt vielleicht doch mal ins Bett gehen könnte. Gute Nacht, bis morgen, war sehr schön.

Wann der Wecker am nächsten Morgen klingelte, weiß ich nicht mehr. Ich nörgelte brummelnd vor mich hin, der Mann saß halbwegs aufrecht im Bett. „Kommste mit?“ fragte er mich. Ich stellte mir kurz vor, am Frühstückstisch zu sitzen, wusste aber, dass ich keinen Bissen runter bekommen würde und entschied mich spontan dagegen. „Neeee“, brummelte ich, zog die Decke noch mal energisch über beide Ohren, ließ den Mann alleine zum Frühstücken gehen und schlummerte selig wieder ein.

„Es gibt kein Frühstück“, hörte ich als nächstes, als der Mann wieder ins Bett kroch.

„Hm?“

„Gibt kein Frühstück“, wiederholte er.

„Was?“

„Wir haben da unten jetzt gewartet, aber es kam keiner. Und es war auch nichts aufgedeckt.“

Ich stellte mir das mal vor, die Schwiegereltern, die Kinder, die Enkelkinder, alle erwartungsfroh um halb zehn im Frühstücksraum versammelt, in Erwartung von Brot und Brötchen, Schinken, Käse, Marmelade und Ei und da ist nichts. Noch nicht mal Kaffee. Ausgerechnet die Schwiegereltern, die wir am Abend vorher noch in zähen Verhandlungen dazu überreden konnten, das Frühstück von neun Uhr auf halb zehn zu verschieben. Die Schwiegereltern, die bei jedem Besuch jeden Abend nachfragen, wann wir denn am nächsten Tag frühstücken wollten, worauf wir jedes Mal „Na, dann, wenn wir wach sind“ antworten. Bei der Frühstücksplanung offenbaren sich die wahren Generationskonflikte. Und jetzt gab es gar kein Frühstück und keiner wusste, warum.

Also, keiner außer uns.

„Ernsthaft jetzt?“ fragte ich.

„Ja, ernsthaft.“

Und dann schliefen wir noch ein bisschen.

Der Hotelbesitzersohn hatte verschlafen. Und weil er verschlafen hatte, konnte die Frühstücksaufdeckdame nicht ins Hotel. Und weil die Frühstücksaufdeckdame nicht ins Hotel konnte, gab es kein Frühstück fürs ganze Hotel.

Alles nur, weil da ein Klavier stand, und der Hotelbesitzersohn Sonatinen vorspielen musste und das dann wieder so furchtbar in eine Musik- und Trinkorgie ausartete. So ist das eben manchmal.

ESC 2013 – Same Procedure as Every Year

Whisky

Es war schon ein bisschen anstrengend. Lesen, schreiben, hören, gucken, lesen, antworten, dem Mann die lustigsten Tweets vorlesen. Aber es war auch seit langem der schönste Eurovision Song Contest. Nicht zwingend wegen der Musik, sondern, weil wirklich meine gesamte Timeline dabei war. Früher hab ich mich immer gefragt, wo die ganzen anderen Leute sind, die dieses seltsame Spektakel Jahr für Jahr (in meinem Fall spätestens seit 1995) am Fernseher verfolgen. Jetzt weiß ich’s.

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Und dann der Horror. Pünktlich zur Punktevergabe, dem Höhepunkt der ganzen Veranstaltung, DURFTE ICH NICHT MEHR TWITTERN! Zu viel getwittert, sagte Twitter. Versuch’s doch in ein paar Stunden noch mal, sagte Twitter. JA WISSEN DIE DENN NICHT, DASS ESC IST? Noch nicht mal freikaufen konnte man sich. Nur verwirrt auf den Rechner gucken, innerlich toben und ein paar verzweifelte Statusmeldungen zu Facebook senden. Um Mitternacht ging es dann wieder, da war dann auch sowohl der Sekt als auch der Rotwein alle und ich musste zu Whisky greifen. (Frau Gröner ging’s übrigens genauso.)

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Wir waren übrigens für Ungarn. Wer sich also fragt, von wem die 12 Punkte aus Deutschland nach Ungarn kommen, da war yours truly nicht ganz unbeteiligt. Der deutsche Beitrag war leider so abgekupfert, dass ich mich zwischendurch ein bisschen geschämt habe. Ist das keinem aufgefallen oder haben die geglaubt, dass das sonst keinem auffällt? Es bleibt ein kleines Rätsel. Ebenso wie der Sieg der Dänen. Aber mein Gott, was soll’s? Beim Eurovision Song Contest gewinnt eh so gut wie nie irgendwas, was ich gut finde. Aber Spaß hatten wir trotzdem.

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Immerhin: Ich hab – zumindest in meiner Timeline – als erste „HODOR!“ gebrüllt. In diesem Sinne: Sláinte! Und bis zum nächsten Jahr.

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Und noch was:

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Schon wieder Oper: Wagners Parsifal im Aalto-Theater in Essen

Ich war schon wieder in der Oper. Diesmal war Sandra schuld, die ja unbedingt erzählen musste, dass sie sich am Sonntag mit ihrer Mutter „Parsifal“ angucken würde, was den Mann sofort in erhöhte Alarmbereitschaft versetzte und ich dann Anfang der Woche zwei Karten reservieren durfte.

Aalto

Parsifal also, fünfeinhalb Stunden, quasi ein ganzer Sonntag, jedenfalls, wenn man so verlässlich in den Sonntag reingammelt, wie wir das üblicherweise tun. Parsifal hatte ich schon letztes Jahr in der Liveübertragung von arte aus Bayreuth gesehen, was allerdings nicht im Geringsten bedeutete, dass ich mich noch an die Geschichte, geschweige denn irgendwelche Einzelheiten erinnern konnte. Insgesamt ist Parsifal sowohl vom Text als auch von der Musik her aus meiner Sicht eine der zugänglicheren Wagneropern, allerdings ist sie so vollgestopft mit christlichen Motiven und Symbolen, dass einem das auch nur bedingt weiterhilft.

Diesmal sitzen wir im Parkett, neunte Reihe, der Saal ist einigermaßen ausgebucht. Bei der Premiere soll es angeblich viele Saalflüchtige und anschließende Buhrufe gegeben haben, das hat den Mann allerdings überhaupt nicht abgeschreckt und ich mach ja bekanntlich fast alles mit.

Parkett

Dann geht es los. Orchestervorspiel, dann Vorhang auf, wir sehen einen großen Glaskasten, in dem sich ein modernes Krankenhauszimmer befindet. Im Bett auf der Intensivstation liegt König Amfortas mit seiner Wunde, die sich einfach nicht schließen will. Davor ein paar typische Wartezimmersesselchen, auf einem davon Gurnemanz, der in Karteikarten blättert. Amfortas wacht auf, schleppt sich aus dem Bett zur Glaswand, zieht sich daran hoch, fällt wieder runter, rotes Kunstblut schmiert an der Wand und Klinikpersonal eilt herbei, um Amfortas wieder ins Bett zu schleppen und alles wieder in Ordnung zu bringen.

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Kurzfassung des Telefonats kurz vor der Kartenreservierung.

Amfortas ist nämlich von Klingsor mit seinem eigenen heiligen Speer verletzt worden und jetzt mag sich die Wunde nicht schließen, dran sterben kann er aber auch nicht, und nur der gleiche Speer kann die Wunde wieder schließen. Zweites Problem: Den Speer kann einer Prophezeiung nach nur von einem „durch Mitleid wissenden reinen Tor“ zurückgeholt werden und den muss man eben erst mal finden. Irgendwas ist echt immer.

Also hilft auch der Balsam nichts, den die rothaarige Gralshelferin Kundry, die irritierenderweise doppelt besetzt ist, aus Arabien anschleppt. Dann tritt aber Parsifal auf, der keine Ahnung von gar nichts hat, noch nicht mal seinen Namen kennt, aber dummerweise (oder glücklicherweise, je nach Blickwinkel) irgendwo in Gralsburgnähe einen Schwan geschossen hat. Gurnemanz ahnt was und nimmt ihn mit auf die Burg, wo Amfortas den Gral enthüllen soll (fragt jetzt bitte nicht näher nach, das sind die Teile der Geschichte, die ich auch noch nicht so ganz verstanden habe). Der Gral ist in diesem Fall ein unter einer Militärjacke versteckter kleiner Junge, der in Schlangenlinien über die Bühne läuft, und von Kundry eine Leuchtekugel in die Hand gedrückt bekommt.

Dabei erinnert das Militärjackenwesen sehr auffällig an die Jawas aus Star Wars und angesichts dessen, was am Schluss passiert, behaupte ich sogar, dass das gar kein Zufall ist.

Gralsenthüllung vorbei, Leuchtekugel aus, Militärjackenwesen ab, Pause.

Alle klatschen, außer dem Mann und mir, der mir zuraunt: „Alles Frevler, nach dem ersten Akt wird nicht geklatscht.“ Die Gralsenthüllung ist nämlich eine Abendmahlszene und bei sowas klatscht man nicht. Tun aber doch alle. Außer uns.

Sandra ist verwirrt, ihre Mutter berichtet von einer Parsifalaufführung von vor dreißig Jahren, wo der Speer im zweiten Akt etwas unglücklich in den Orchestergraben geworfen wurde. Wir trinken Sekt und Wein, essen Brezeln und belegte Toastbrote. Die Unkenrufe haben sich meiner Ansicht nach bisher nicht bestätigt. Klar ist das alles furchtbar modern und angefahren, dafür sind die Sänger sehr gut und wenn man sich mal dran gewöhnt hat, macht die Inszenierung auch Spaß.

Balkon

Sandra winkt vom Balkon.

Also auf zum zweiten Akt, Klingsors Zaubergarten. Der Glaskasten hängt jetzt an vier Seilen über der Bühne und macht mich endlos nervös. Ich kann da nicht hingucken und möchte, dass alle Sänger, alter Egos und Statisten aus dem Schatten des Kastens verschwinden für wenn doch eventuell ein Seil reißt. Auftritt Klingsor, ohne alter Ego wie Kundry, dafür mit einem Ninja.

Nein, ich scherze nicht.

Die Problematik beim Parsifal, erklärt der Mann mir später, liegt darin, wie Parsifal an den heiligen Speer kommt. Der erscheint nämlich irgendwann, weil Klingsor ihn auf ihn wirft und er muss ihn dann fangen oder aus der Luft nehmen oder was der Regie eben so einfällt. Zuwerfen, klar, geht, endet dann aber, wenn’s ganz schlecht läuft, auch mal im Orchestergraben. Wenn man genug Popkulturwissen hat, weiß man aber, dass Ninjas ja bekanntlich unsichtbar sind, insofern ist der Ninja auf der Bühne eigentlich gar nicht da, sondern nur der Speer, den er rumwirbelt. Muss man nicht gut finden, ist aber angesichts der eh schon vollkommen abgedrehten Restinszenierung eher konsequent als bekloppt.

Klingsor also, dann Kundry, die zwar eigentlich den Gralsrittern dient und Erlösung sucht, aber sich trotzdem immer wieder von Klingsor zu Verlockungszwecken einsetzen lässt. Diesmal soll es den armen Toren Parsifal treffen, der durch den Zaubergarten irrt und dem Klingsor die Unschuld rauben will, damit er bloß nicht der Speer findet und Amfortas erlösen kann. Kundry hat jetzt übrigens auf einmal schwarze Haare und trägt ein Rolling-Stones-Kleid, ist aber immer noch doppelt besetzt, damit die eine Kundry singen kann, während die andere Parsifal verführt. Oder eben gerade nicht verführt, denn der Gute bleibt trotz vieler, vieler Blumenmädchen standhaft, erinnert sich dank Kundry nicht nur, wer er ist, sondern versteht auf einmal auch, was der ganze Aufwand soll.

Deswegen will Klingsor ihn umbringen und wirft den Speer auf ihn. Der Speer trifft ihn aber nicht, sondern bleibt in der Luft stehen und Parsifal kann ihn sich ganz lockerflockig nehmen. In diesem Fall geht das natürlich anders und Klingsor wirft gar nichts, dafür hört der Ninja auf zu wirbeln und drückt Parsifal den Speer zuvorkommend in die Hand. Keine Gefahr für den Orchestergraben oder andere Unbeteiligte. Dafür wird Klingsors Zaubergarten endgültig zerstört, Parsifal zieht auf, Amfortas zu erlösen und der zweite Akt ist vorbei.

Sandra und ihre Mutter gehen dann jetzt. Sandra ist die Sprache zu verschwurbelt und zu viel Kunstblut auf der Bühne. Das Kunstblut liegt sicher an der Inszenierung, die verschwurbelte Sprache ist aber eher ein generelles Wagnerproblem. Da ist Parsifal fast schon harmlos. Sogar die Alliterationen halten sich im Verhältnis in Grenzen und es kommen auch gar nicht so viele Wörter vor, die ich noch nie gehört habe. Egal, Sandra ist ihre Lebenszeit zu kostbar für fünfeinhalbstündige Wagneropern. Ich mache mich auf die Suche nach dem Mann. Wir trinken erneut deutlich abgestandenen Sekt auf dem Balkon, bis uns zu kalt wird, er erklärt mir, dass das im zweiten Akt auch Kundry war, nur halt jetzt mit anderer Frisur und anderem Kostüm und überhaupt und dann geht’s zum dritten Akt.

Sekt

Dritter Akt, Jahre sind vergangen, es regnet Klamotten vom Himmel.

Auch diesmal scherze ich nicht.

Alles ist unordentlich auf der Bühne, überall liegen Klamotten rum, das Krankenzimmer ist verwüstet, Gurnemanz hat sich eine Deckenburg aus Krankenhaussesseln und Matratzen gebaut und Menschen in Kapuzenjacken stehen still auf der Bühne rum. Dann tritt erst eine geläuterte Kundry auf, diesmal mit kurzen blonden Haaren und einem trümmerfraureminiszenten Trenchcoat und fängt an, aufzuräumen, was ich als nervöser Monk nur sehr gutheißen kann.

Parsifal tritt auf, wird von Gurnemanz erkannt und von diesem erfreut zum neuen Gralskönig gesalbt. Als erste Amtshandlung tauft Parsifal die arme Kundry, die nun endlich erlöst ist. In diesem Fall bedeutet das, dass das nicht-singende alter Ego an zwei Schnüren zur Bühnendecke hinaufgezogen wird. Auch seltsam, aber auch wieder passend. Gurnemanz nimmt Parsfial mit zu Amfortas, der sich schon seit längerem weigert, den Gral zu enthüllen, weil er endlich sterben will. Bislang ist aber nur Amfortas Vater Titurel gestorben, weil ihm die lebenserhaltende Wirkung des Grals fehlte. (Titurel hab ich im ersten Akt gar nicht erwähnt, obwohl er da so einen hübschen Fidel-Castro-Overall trug.)

Jetzt jedenfalls schließt Parsifal die Wunde mit dem Speer, alles sind zufrieden und der Gral wird erneut enthüllt. Das geht diesmal so, dass das Militärjackenwesen wieder auf die Bühne wandert, dann aber die Militärjacke abgenommen bekommt, und darunter befindet sich ein kleiner Anakin Skywalker im weißen Kampfbademantel. Das kann doch kein Zufall sein. Der Anakin-Gral bekommt die Leuchtekugel und dann kommen ganz viele Bürger der Stadt Essen (steht so im Programmheft) auf die Bühne und dürfen die Leuchtekugel anfassen. Massenszene! Hurra! Ende! Applaus!

Gurnemanz war überragend, Kundry ebenfalls sehr gut, und richtige Ausfälle nach unten gab es nicht. Ich bin ganz aufgeregt, weil ich merke, wie sich mein Gehör an Opern gewöhnt und ich tatsächlich immer besser einschätzen kann, ob etwas gut oder schlecht ist, oder eben ob jemand gut oder schlecht singt. Außerdem habe ich so langsam verstanden, wie Opern (und auch Wagneropern) musikalisch funktionieren und kann mich viel besser reinhören. Quasi ein acquired taste fürs Hören.

Natürlich ist so eine moderne Inszenierung nicht unproblematisch. Genauso ist es aber langweilig, immer die gleichen Kostümaufführungen zu sehen. In diesem Fall fand ich das aber alles längst nicht so schlimm, wie es in diversen Berichten geschildert wurde und letztlich merke ich, dass ich moderne Aufführungen fast besser verstehe als klassische, weil die Symbolik meistens besser herausgearbeitet wird und man besser darauf hingewiesen wird, wenn irgendwas wichtig ist. Mal abgesehen davon, dass Parsifal zwar musikalisch etwas einfacher zugänglich ist als die beiden Teile des Rings, die ich bisher gesehen habe, dafür die Geschichte aber umso mehr von christlicher Symbolik trieft und einiges an Hintergrundwissen voraussetzt, das ich auch nicht immer habe.

Tolle Oper, tolle Sänger und eine gewagte, aber gar nicht misslungene Inszenierung. Bester Opernbesuch soweit. Und der nächste ist schon so halb geplant.

Parsifal auf der Webseite des Aalto-Theaters

Salome von Richard Strauss in der Oper am Rhein in Düsseldorf

Salome

Mal wieder Oper. Diesmal nach Düsseldorf zu Salome von Richard Strauss nach der Vorlage von Oscar Wilde, einer der Lieblingsopern des Mannes, überhaupt Strauss und Wagner geht bei ihm ja immer, außer vielleicht die „Meistersinger von Nürnberg“, die mag er nicht so, aber ansonsten sind Strauss und Wagner ganz groß. Und Korngold, aber das wird ja nirgendwo gespielt. (Falls jemand mal mitbekommen sollte, dass irgendwo Korngolds „Tote Stadt“ gegeben wird, bitte dringend Bescheid sagen, das würde hier 50 Prozent des Haushalts unvorstellbar glücklich machen.)

Diesmal aber Salome, das ist schön, quasi modern und ganz kurz, nur ein Akt, unter zwei Stunden, nach den letzten zwei Wagneropern also Erholungsprogramm. Den ganzen Tag läuft der Mann in der Wohnung rum und singt mir schon mal was vor, im Arbeitszimmer läuft die Oper im Dauerloop, auf der Fahrt nach Düsseldorf berichtet der Mann mit glänzenden Augen, dass es auf Spotify aber mindestens fünf verschiedene Aufnahmen gäbe, die könnte man alle hören.

Stau vor der Oper

In Düsseldorf stehen wir dafür erst mal im Stau, die Oper ist zwar direkt neben uns, das bringt uns aber nichts, während wir uns Ampel für Ampel im Zeitlupentempo gen Altstadt schieben, dann getrieben von grober Naivität ins Kaufhof-Parkhaus fahren, um oben festzustellen, dass das Parkhaus um 20:30 zumacht. Wer ahnt sowas? Wollen die kein Geld verdienen mit den ganzen verzweifelten Autofahrern, die einen Parkplatz suchen? Also für drei Minuten drei Euro bezahlt und das nächste Parkhaus an der Kö angesteuert. Kostet auch drei Euro die Stunde, hat aber immerhin bis nach Mitternacht auf.

Sekt

Wir hasten zur Oper, irgendwie haben wir den Samstagabendverkehr und die Parkplatzsuche fahrlässig unterschätzt. Aber wir sind pünktlich, haben sogar noch Zeit, um ein Glas Sekt, eine Laugenbrezel und eine Portion Bruschetta zu verputzen, bevor wir fast den Weg zum dritten Rang nicht finden, aber dann klappt es doch noch, dritter Rang Mitte, erste Reihe immerhin, also mit gutem Blick auf Orchestergraben und Bühne, von oben eben, aber dafür deutlich günstiger als im Parkett, außerdem guck ich ja gerne, was das Orchester so macht. Tatsächlich ist das Parkett ganz gut besetzt, links und rechts an den Rängen sieht es eher etwas spärlicher aus.

Ränge

Salome also, die Geschichte kenn ich ja so grob, jetzt die Oper, fertig gestellt 1905, uraufgeführt 1907, das sind ja Zahlen, die man sich sogar noch irgendwie so ganz grob vorstellen kann. Die Vorlage stammt von Oscar Wilde, das ist alles im Vergleich zu Wagner und Verdi, meinen einzigen Referenzpunkten, was Oper angeht, schon abgefahren modern und war auch damals auch ein ganz schöner Skandal, es geht hoch her bei Salome, und in London war die Oper erstmal drei Jahre aus den Häusern verbannt und wurde erst 1910 zum ersten Mal gespielt. Heute ist das natürlich alles kein Ding mehr.

Ausblick

Der Vorhang geht hoch und wir sehen… hä?… WTF?… ein Schlafzimmer dekoriert mit Stoffen in diversen Rosa-, Grün- und Blautönen dekoriert, irre Muster, als wenn man aus Versehen in eine amerikanische Fernsehserie der frühen Neunziger gefallen wäre. Als Opernlaie nehme ich sowas ja erst mal einfach nur wahr und warte ab, was kommt. Dank fehlender Vergleichsmöglichkeiten kann ich da ein bisschen unbedarfter drangehen.

„Wenn sich die Damen und Herren in der ersten Reihe mal zurücklehnen könnten, dann würden wir hier auch was sehen!“, schallt es von hinten. Blödmann. Wenn ich mich nämlich zurücklehne, sehe ich nichts mehr, weil da so ein doofes Geländer ist, was dann ganz ungünstig genau im Blickfeld ist. Soll er sich doch beim nächsten Mal Karten in der ersten Reihe kaufen, anstatt rumzunölen. Mit so einem Zwischending klappt’s aber, nicht ganz zurückgelehnt, aber fast, dann seh ich zwar den Orchestergraben nicht mehr, aber das ist ja nicht so schlimm.

Die Story wäre schnell erzählt, aber ich will hier ja nicht zu viel verraten, schon gar nicht die Pointe, die vermutlich aber eh schon jeder kennt, der sich ein bisschen mit Hochkulturzeug auskennt. Im Wesentlichen geht es um Prinzessin Salome, ein verzogenes, trotziges und tendenziell psychopathisches Gör, die nicht damit klar kommt, nicht zu kriegen, was sie will. Immerhin ist sie ja auch Prinzessin. Als der Prophet Jochanaan vorbeischaut und ein bisschen vom Herrn predigt, interessiert sie sich weniger für die Predigten als für den Propheten selber und will ihn unbedingt küssen, was er aber wiederum nicht will und so nimmt das ganze Unheil seinen Lauf, oder wie mehrfach auf der Bühe gesungen wird: „Es wird etwas Schreckliches geschehen.“

Die Geschichte ist dabei recht einsteigerfreundlich, nicht wie bei Wagner, wo ich schon manche Wörter nicht verstehe, hier wird Klartext geredet. Wie mittlerweile üblich wird der Text oben eingeblendet, für so Anfänger wie mich, und auch wenn man die Sänger ganz gut verstehen, ist das sehr praktisch, denn Herodes und Jochanaan gehen gerne mal unter, wenn die Musik zu laut wird, und die Juden singen sowieso die ganze Zeit durcheinander. Das soll zwar so, man versteht aber trotzdem nichts.

Rang

Es ist also eine moderne Interpretation, die Stimme des Propheten kommt aus dem Heizkörper, der Prophet selber nachher aus einer Luke im Boden, die man erst freilegen muss, in dem man das ganze Zimmer umräumt und den Teppich umschlägt. So kleine Monks wie ich leiden dann auch mal ein paar Minuten lang, wenn der Teppich nicht wieder richtig zurückgeschlagen wird und man gerne mal kurz auf die Bühne, und das richten, damit das nicht so unordentlich… aber das kommt bestimmt nicht gut. Die Schüsseln voller Obst sind (mit den Worten des Mannes) „ein Äpfelchen“ und aus dem Schleiertanz wird ein Pantomimendrama in sieben Akten. (Eine Interpretation dieses berühmten Teils der Geschichte, die ich allerdings ganz topcheckermäßig sofort verstanden habe, manchmal bin ich doch ganz schlau.)

Am Schluss gibt’s noch mal viel Blut, so als ob da jemand ein bisschen zu viel Tarantino geguckt hätte. Ob da normalerweise auch so viele Leute sterben, frage ich auf dem Weg zum Auto den Mann. Nein, sagt er, das war wohl künstlerische Freiheit. Wie bei Wagner finde ich die Musik nicht auf Anhieb zugänglich, obwohl der Mann behauptet, das wäre eigentlich alles ganz einfach und es gäbe auch nur ein paar Motive, man müsste das halt ein paar Mal hören, dann würde man das auch erkennen.

Abgesehen davon, dass ich ja von Oper nach wie vor keine Ahnung habe, sagt mir meine Amateureinschätzung, dass unter den Darstellern Salome wirklich positiv heraussticht, da wird beim Singen auch mal überzeugend gekeift und gezetert, Herodes dagegen kommt einfach gegen das Orchester nicht an und ansonsten, na ja. Was weiß ich schon?

Lampe

Der Mann ist allerdings ähnlicher Meinung, und der hat das schön öfter gesehen und ist im höchsten Maße unzufrieden mit der Inszenierung. Wenn schon modern, meint er, dann auch richtig, nicht so ein Zwischending, dann muss auch ordentlich was los sein auf der Bühne, aber am besten sind bei Salome doch die klassischen Inszenierungen, wo die ganze Dekadenz dieser seltsamen Königsfamilie richtig rauskommt, wo kein Äpfelchen über die Guckkastenbühne fliegt, sondern tatsächlich übervolle Schüsseln mit Obst gereicht werden und die Weinkelche voll sind und überhaupt.

Macht nix, denke ich, erstens finde ich solche Aktionen nie schlecht und jetzt habe ich immerhin auch mal Salome gesehen, und zweitens ist das wohl so mit der Kunst, man muss auch mal was nicht so gut machen, um herauszufinden, was funktioniert und was nicht. Außerdem ist es ja sowieso immer irgendwie Geschmackssache. Und so ein Jochanaan aus der Heizung, das kriegt man ja auch nicht alle Tage geboten.

(Zurück geht’s übrigens schnell, zurück zum Parkhaus, unglaubliche Mengen an Geld an den Parkautomaten verfüttert und dann nach Hause, kein Stau mehr, aber wir wollen ja auch raus aus der Stadt und außerdem ist ja jetzt auch schon halb zehn.)

Oper