Gelesen: Da gewöhnze dich dran von Vanessa Giese

Cover

Ich verfolge ja die Geschichten von Frau Nessy schon länger mit allergrößter Begeisterung auf ihrem Blog. (An dieser Stelle sollte auch gleich mal gesagt werden: Wer den Blog von Frau Nessy noch nicht liest, der sollte exakt JETZT damit anfangen. Also noch nicht sofort jetzt vielleicht. Gleich. Nach diesem Artikel. Aber dann sofort.)

Umso überraschter war ich, als ich auf einmal erfuhr, dass sie ganz heimlich nebenbei und ohne ein Sterbenswörtchen zu verraten, ein Buch geschrieben hatte. Das kann sie nämlich auch besonders gut: Einem mit ihren Geschichten das Gefühl geben, man wäre mittendrin in ihrem Leben, und dann merkt man auf einmal, dass das nur ein winziger Bruchteil aus dem großen Nessy-Abenteuerleben zwischen Handball, Ghettonetto, Wombatsuppe und Bahnlauschangriffen ist, den man da mitkriegt. Dann ist man kurz beleidigt, aber dann geht’s auch schon wieder. Die Hauptsache ist ja, dass sie einen überhaupt teilhaben lässt und das eben mit einem wunderbaren Sinn fürs Detail, mit liebevollem Blick auf die Alltäglichkeiten und die Skurrilitäten und dass man nur froh sein darf und kein bisschen beleidigt.

Jetzt hat sie auf jeden Fall ein Buch geschrieben und das hatte ich letzte Woche im Briefkasten liegen und habe es in einem Atemzug inhaliert. Das ist natürlich gelogen, in Wahrheit hat es ein halbes Wochenende gedauert, aber es hat sich angefühlt wie ein Atemzug.

„Da gewöhnze dich dran“, sagt der Vermieter zu Nessy, als er ihr die Dachwohnung in Dortmund-Hörde zeigt. An die Wohnung mit Ausblick auf Dächer und das Loch, das mittlerweile ein See ist, an die Nachbarn mit dem kläffenden Hund und an Schmidtchen im Erdgeschoss, der Nessy nur „Etteken“ nennt und ein bisschen mit aufpasst, dass ihr nichts passiert, frisch eingetroffen aus dem Sauerland, neu im Ruhrgebiet, weg vom Land, rein in die Stadt.

Alles ist neu für Nessy, frisch getrennt von ihrem Freund mit Schützenkönigpotential (irgendwann zumindest), neue Wohnung, neue Stadt, neuer Job. Und nun? Das ist der Moment, wo die Liebe anfängt. Die Liebe zum Ruhrgebiet und vor allem zu den Leuten. Den Nachbarn, die Erbsensuppe vorbeibringen, den Arbeitskollegen, die sie zum Radeln auf der A40 und ins BVB-Stadion mitschleifen, den Handballhühnern, die Nessy vor der Vertragsunterzeichnung noch schnell warnen: „Wir sind ein bisschen asi.“

Überhaupt gilt immer wieder: „Da gewöhnze dich dran.“

Und Vanessa schreibt darüber so wundervoll, offen und ehrlich, herzerwärmend und liebevoll, witzig und detailverliebt*, dass man mit dem Lesen gar nicht aufhören möchte. Bis auf einmal das Buch zu Ende ist und man etwas verdattert aufguckt und „Und nun?“ fragt. Nun, das ist die Antwort, freut man sich auf die nächsten Blogeinträge auf ihrem Blog und schreibt eine Rezension, die andere Leute hoffentlich dazu animiert, zum Buchhändler des Vertrauens zu laufen und laut nach diesem Buch zu verlangen.

Auf der Webseite zum Buch findet man auch ein erfundenes Interview mit Nachbar Schmidtchen, das man unbedingt lesen sollte. Wer sich wie ich während der Lektüre doch das ein oder andere Mal fragt, ob dieses oder jenes wirklich so passiert ist und ob diese oder jene Person im wahren Leben wirklich existiert, der bekommt hier Antworten. So oder so ist aber auch egal, ob das jetzt genauso passiert ist oder nur genauso hätte passieren können, denn als Zugezogene kann ich nur bestätigen: So is dat hier.

Abba allet kein Ding, weil: Da gewöhnze dich dran.**

 

Zu kaufen hier bei Amazon oder zum Beispiel bei der Buchhandlung Schmitz in Essen-Werden

Webseite zum Buch (übrigens realisiert von Christian Fischer vom jawl)

*An dieser Stelle gingen mir ein bisschen die Adjektive aus.

**Im Gegensatz zu Frau Nessy bin ich etwas behindert, was die korrekte Wiedergabe von Ruhrgebiets- und anderen Dialekten angeht. Man möge mir dieses Defizit nachsehen. Ich habe mich bemüht.

Schon wieder Oper: Wagners Parsifal im Aalto-Theater in Essen

Ich war schon wieder in der Oper. Diesmal war Sandra schuld, die ja unbedingt erzählen musste, dass sie sich am Sonntag mit ihrer Mutter „Parsifal“ angucken würde, was den Mann sofort in erhöhte Alarmbereitschaft versetzte und ich dann Anfang der Woche zwei Karten reservieren durfte.

Aalto

Parsifal also, fünfeinhalb Stunden, quasi ein ganzer Sonntag, jedenfalls, wenn man so verlässlich in den Sonntag reingammelt, wie wir das üblicherweise tun. Parsifal hatte ich schon letztes Jahr in der Liveübertragung von arte aus Bayreuth gesehen, was allerdings nicht im Geringsten bedeutete, dass ich mich noch an die Geschichte, geschweige denn irgendwelche Einzelheiten erinnern konnte. Insgesamt ist Parsifal sowohl vom Text als auch von der Musik her aus meiner Sicht eine der zugänglicheren Wagneropern, allerdings ist sie so vollgestopft mit christlichen Motiven und Symbolen, dass einem das auch nur bedingt weiterhilft.

Diesmal sitzen wir im Parkett, neunte Reihe, der Saal ist einigermaßen ausgebucht. Bei der Premiere soll es angeblich viele Saalflüchtige und anschließende Buhrufe gegeben haben, das hat den Mann allerdings überhaupt nicht abgeschreckt und ich mach ja bekanntlich fast alles mit.

Parkett

Dann geht es los. Orchestervorspiel, dann Vorhang auf, wir sehen einen großen Glaskasten, in dem sich ein modernes Krankenhauszimmer befindet. Im Bett auf der Intensivstation liegt König Amfortas mit seiner Wunde, die sich einfach nicht schließen will. Davor ein paar typische Wartezimmersesselchen, auf einem davon Gurnemanz, der in Karteikarten blättert. Amfortas wacht auf, schleppt sich aus dem Bett zur Glaswand, zieht sich daran hoch, fällt wieder runter, rotes Kunstblut schmiert an der Wand und Klinikpersonal eilt herbei, um Amfortas wieder ins Bett zu schleppen und alles wieder in Ordnung zu bringen.

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Kurzfassung des Telefonats kurz vor der Kartenreservierung.

Amfortas ist nämlich von Klingsor mit seinem eigenen heiligen Speer verletzt worden und jetzt mag sich die Wunde nicht schließen, dran sterben kann er aber auch nicht, und nur der gleiche Speer kann die Wunde wieder schließen. Zweites Problem: Den Speer kann einer Prophezeiung nach nur von einem „durch Mitleid wissenden reinen Tor“ zurückgeholt werden und den muss man eben erst mal finden. Irgendwas ist echt immer.

Also hilft auch der Balsam nichts, den die rothaarige Gralshelferin Kundry, die irritierenderweise doppelt besetzt ist, aus Arabien anschleppt. Dann tritt aber Parsifal auf, der keine Ahnung von gar nichts hat, noch nicht mal seinen Namen kennt, aber dummerweise (oder glücklicherweise, je nach Blickwinkel) irgendwo in Gralsburgnähe einen Schwan geschossen hat. Gurnemanz ahnt was und nimmt ihn mit auf die Burg, wo Amfortas den Gral enthüllen soll (fragt jetzt bitte nicht näher nach, das sind die Teile der Geschichte, die ich auch noch nicht so ganz verstanden habe). Der Gral ist in diesem Fall ein unter einer Militärjacke versteckter kleiner Junge, der in Schlangenlinien über die Bühne läuft, und von Kundry eine Leuchtekugel in die Hand gedrückt bekommt.

Dabei erinnert das Militärjackenwesen sehr auffällig an die Jawas aus Star Wars und angesichts dessen, was am Schluss passiert, behaupte ich sogar, dass das gar kein Zufall ist.

Gralsenthüllung vorbei, Leuchtekugel aus, Militärjackenwesen ab, Pause.

Alle klatschen, außer dem Mann und mir, der mir zuraunt: „Alles Frevler, nach dem ersten Akt wird nicht geklatscht.“ Die Gralsenthüllung ist nämlich eine Abendmahlszene und bei sowas klatscht man nicht. Tun aber doch alle. Außer uns.

Sandra ist verwirrt, ihre Mutter berichtet von einer Parsifalaufführung von vor dreißig Jahren, wo der Speer im zweiten Akt etwas unglücklich in den Orchestergraben geworfen wurde. Wir trinken Sekt und Wein, essen Brezeln und belegte Toastbrote. Die Unkenrufe haben sich meiner Ansicht nach bisher nicht bestätigt. Klar ist das alles furchtbar modern und angefahren, dafür sind die Sänger sehr gut und wenn man sich mal dran gewöhnt hat, macht die Inszenierung auch Spaß.

Balkon

Sandra winkt vom Balkon.

Also auf zum zweiten Akt, Klingsors Zaubergarten. Der Glaskasten hängt jetzt an vier Seilen über der Bühne und macht mich endlos nervös. Ich kann da nicht hingucken und möchte, dass alle Sänger, alter Egos und Statisten aus dem Schatten des Kastens verschwinden für wenn doch eventuell ein Seil reißt. Auftritt Klingsor, ohne alter Ego wie Kundry, dafür mit einem Ninja.

Nein, ich scherze nicht.

Die Problematik beim Parsifal, erklärt der Mann mir später, liegt darin, wie Parsifal an den heiligen Speer kommt. Der erscheint nämlich irgendwann, weil Klingsor ihn auf ihn wirft und er muss ihn dann fangen oder aus der Luft nehmen oder was der Regie eben so einfällt. Zuwerfen, klar, geht, endet dann aber, wenn’s ganz schlecht läuft, auch mal im Orchestergraben. Wenn man genug Popkulturwissen hat, weiß man aber, dass Ninjas ja bekanntlich unsichtbar sind, insofern ist der Ninja auf der Bühne eigentlich gar nicht da, sondern nur der Speer, den er rumwirbelt. Muss man nicht gut finden, ist aber angesichts der eh schon vollkommen abgedrehten Restinszenierung eher konsequent als bekloppt.

Klingsor also, dann Kundry, die zwar eigentlich den Gralsrittern dient und Erlösung sucht, aber sich trotzdem immer wieder von Klingsor zu Verlockungszwecken einsetzen lässt. Diesmal soll es den armen Toren Parsifal treffen, der durch den Zaubergarten irrt und dem Klingsor die Unschuld rauben will, damit er bloß nicht der Speer findet und Amfortas erlösen kann. Kundry hat jetzt übrigens auf einmal schwarze Haare und trägt ein Rolling-Stones-Kleid, ist aber immer noch doppelt besetzt, damit die eine Kundry singen kann, während die andere Parsifal verführt. Oder eben gerade nicht verführt, denn der Gute bleibt trotz vieler, vieler Blumenmädchen standhaft, erinnert sich dank Kundry nicht nur, wer er ist, sondern versteht auf einmal auch, was der ganze Aufwand soll.

Deswegen will Klingsor ihn umbringen und wirft den Speer auf ihn. Der Speer trifft ihn aber nicht, sondern bleibt in der Luft stehen und Parsifal kann ihn sich ganz lockerflockig nehmen. In diesem Fall geht das natürlich anders und Klingsor wirft gar nichts, dafür hört der Ninja auf zu wirbeln und drückt Parsifal den Speer zuvorkommend in die Hand. Keine Gefahr für den Orchestergraben oder andere Unbeteiligte. Dafür wird Klingsors Zaubergarten endgültig zerstört, Parsifal zieht auf, Amfortas zu erlösen und der zweite Akt ist vorbei.

Sandra und ihre Mutter gehen dann jetzt. Sandra ist die Sprache zu verschwurbelt und zu viel Kunstblut auf der Bühne. Das Kunstblut liegt sicher an der Inszenierung, die verschwurbelte Sprache ist aber eher ein generelles Wagnerproblem. Da ist Parsifal fast schon harmlos. Sogar die Alliterationen halten sich im Verhältnis in Grenzen und es kommen auch gar nicht so viele Wörter vor, die ich noch nie gehört habe. Egal, Sandra ist ihre Lebenszeit zu kostbar für fünfeinhalbstündige Wagneropern. Ich mache mich auf die Suche nach dem Mann. Wir trinken erneut deutlich abgestandenen Sekt auf dem Balkon, bis uns zu kalt wird, er erklärt mir, dass das im zweiten Akt auch Kundry war, nur halt jetzt mit anderer Frisur und anderem Kostüm und überhaupt und dann geht’s zum dritten Akt.

Sekt

Dritter Akt, Jahre sind vergangen, es regnet Klamotten vom Himmel.

Auch diesmal scherze ich nicht.

Alles ist unordentlich auf der Bühne, überall liegen Klamotten rum, das Krankenzimmer ist verwüstet, Gurnemanz hat sich eine Deckenburg aus Krankenhaussesseln und Matratzen gebaut und Menschen in Kapuzenjacken stehen still auf der Bühne rum. Dann tritt erst eine geläuterte Kundry auf, diesmal mit kurzen blonden Haaren und einem trümmerfraureminiszenten Trenchcoat und fängt an, aufzuräumen, was ich als nervöser Monk nur sehr gutheißen kann.

Parsifal tritt auf, wird von Gurnemanz erkannt und von diesem erfreut zum neuen Gralskönig gesalbt. Als erste Amtshandlung tauft Parsifal die arme Kundry, die nun endlich erlöst ist. In diesem Fall bedeutet das, dass das nicht-singende alter Ego an zwei Schnüren zur Bühnendecke hinaufgezogen wird. Auch seltsam, aber auch wieder passend. Gurnemanz nimmt Parsfial mit zu Amfortas, der sich schon seit längerem weigert, den Gral zu enthüllen, weil er endlich sterben will. Bislang ist aber nur Amfortas Vater Titurel gestorben, weil ihm die lebenserhaltende Wirkung des Grals fehlte. (Titurel hab ich im ersten Akt gar nicht erwähnt, obwohl er da so einen hübschen Fidel-Castro-Overall trug.)

Jetzt jedenfalls schließt Parsifal die Wunde mit dem Speer, alles sind zufrieden und der Gral wird erneut enthüllt. Das geht diesmal so, dass das Militärjackenwesen wieder auf die Bühne wandert, dann aber die Militärjacke abgenommen bekommt, und darunter befindet sich ein kleiner Anakin Skywalker im weißen Kampfbademantel. Das kann doch kein Zufall sein. Der Anakin-Gral bekommt die Leuchtekugel und dann kommen ganz viele Bürger der Stadt Essen (steht so im Programmheft) auf die Bühne und dürfen die Leuchtekugel anfassen. Massenszene! Hurra! Ende! Applaus!

Gurnemanz war überragend, Kundry ebenfalls sehr gut, und richtige Ausfälle nach unten gab es nicht. Ich bin ganz aufgeregt, weil ich merke, wie sich mein Gehör an Opern gewöhnt und ich tatsächlich immer besser einschätzen kann, ob etwas gut oder schlecht ist, oder eben ob jemand gut oder schlecht singt. Außerdem habe ich so langsam verstanden, wie Opern (und auch Wagneropern) musikalisch funktionieren und kann mich viel besser reinhören. Quasi ein acquired taste fürs Hören.

Natürlich ist so eine moderne Inszenierung nicht unproblematisch. Genauso ist es aber langweilig, immer die gleichen Kostümaufführungen zu sehen. In diesem Fall fand ich das aber alles längst nicht so schlimm, wie es in diversen Berichten geschildert wurde und letztlich merke ich, dass ich moderne Aufführungen fast besser verstehe als klassische, weil die Symbolik meistens besser herausgearbeitet wird und man besser darauf hingewiesen wird, wenn irgendwas wichtig ist. Mal abgesehen davon, dass Parsifal zwar musikalisch etwas einfacher zugänglich ist als die beiden Teile des Rings, die ich bisher gesehen habe, dafür die Geschichte aber umso mehr von christlicher Symbolik trieft und einiges an Hintergrundwissen voraussetzt, das ich auch nicht immer habe.

Tolle Oper, tolle Sänger und eine gewagte, aber gar nicht misslungene Inszenierung. Bester Opernbesuch soweit. Und der nächste ist schon so halb geplant.

Parsifal auf der Webseite des Aalto-Theaters

Das Gemüsekistenexperiment: Erste Woche mit der flotten Karotte

Dienstag komme ich nach Hause und die Kiste ist da. Die Kiste überhaupt ins Haus zu bekommen war schon ein Abenteuer für sich, das damit endete, das wir an einem Samstag zu einem entlegenen Gewerbehof in Essen-Steele fuhren und dort einen Briefumschlag mit einem Schlüssel in einen rostigen Metallbriefkasten warfen. Ohne Absender versteht sich, wir sind ja nicht doof.

Dafür trägt uns jetzt ein armer Mensch einmal die Woche eine Kiste mit Gemüse, Obst, Milch, Brot, Eiern und anderweitigem Biozeugs bis in den vierten Stock. Schon allein dafür, dass uns jemand etwas in den vierten Stock trägt, lohnt es sich ja fast.

In der Kiste sind Brokkoli, sechs Möhren, vier Zucchini, ein Salat, ein Töpfchen Rucola, eine Kohlrabi, vier Äpfel, viele kleine rote Kullerpflaumen, eine Orange, ein Glas Himbeer-Waldmeister-Joghurt, ein Liter Milch, sechs Eier, eine Packung Schafsfrischkäse, eine Packung Vollkornreis und ein Weizenmohnbrot.

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Damit muss ich jetzt erstmal klarkommen. Ganz viel Gemüse. Obst kann ich ja. Milch, Eier, Käse und Brot sowieso. Reis hält ja länger, außerdem besitze ich einen Reiskocher. Aber was mach ich mit dem Gemüse?

Die Antwort ist relativ einfach, ich mache folgendes aus dem Gemüse:

  • Einmal Thai-Curry inspiriert von Ottolenghi mit Brokkoli, Möhren und Zucchini, dazu kommt noch Biohühnchen.
  • Einmal Salat mit dem Salat (haha!), Möhren und Zucchini.
  • Einmal Kohlrabi-Chinakohl-Salat auch inspiriert von Ottolenghi.
  • Einmal Gemüsesuppe mit Möhren und Zucchini nach irgendeinem Rezept aus der LECKER-Zeitschrift.
  • Einmal eine Shakshuka-Variante mit Brokkoli und drei Eiern, auch mehr oder weniger nach Ottolenghi.

Danach ist fast alles weg. Der Mann hat einmal noch ein bisschen Möhre und Kohlrabi zum Knabbern ins Büro genommen, die Pflaumen, Äpfel und Orangen haben wir so verputzt. Den Joghurt habe ich im Laufe einer Woche alleine aufgegessen, immer mit Haferflocken, schmeckte übrigens gar nicht nach Waldmeister, was ich gut fand, denn ich mag keinen Waldmeister (glaube ich jedenfalls).

Weggeschmissen wurde: Eine Kullerpflaume, weil sie doch schon zu matschig war, fast das halbe Brot (tragisch, ich weiß), weil es zu viel war, nicht so ganz unser Ding, etwas trocken und vor allem sehr schnell hart wurde, ziemlich viele Blätter vom Salat, den ich zu lange draußen rum liegen hatte, ein bisschen was von der Orange.

Übrig geblieben sind: Eine Möhre, ein halber Salat (immer noch), der Rucola (ist ja im Topf, hält also länger), ein Apfel, die Milch (wir hatten noch), drei Eier, der halbe Käse und der Reis. Außerdem der halbe Chinakohl, den ich dazukaufen musste, damit ich den Kohlrabi-Chinakohl-Salat machen konnte.

Apropos dazugekauft: Vollkommen bekloppt, dass ich ausgerechnet diese Woche, wo ich ja eh schon genug Gemüse im Haus hatte, noch welches dazukaufen musste, weil ich mir da Rezepte rausgesucht hatte, wo ich noch zusätzliches Gemüse brauchte. Nicht nur Chinakohl, sondern auch Paprika. Na ja, nicht so viel, aber immerhin.

Gelernt habe ich:

  • Ich kann immer noch nicht nach Ottolenghi kochen, aber ich kann mich ganz gut von seinen Rezepten inspirieren lasse.
  • Ich hab drei vegetarische Kochbücher! Warum? Weshalb? Bei einem (dem hier) hab ich übrigens erst gemerkt, dass es ein vegetarisches Kochbuch ist, als ich es zu Hause in Ruhe anguckte. Die Rezepte sahen eben einfach verdammt lecker aus.
  • Gemüsesuppe ist ganz schön einfach: Gemüse mit ein bisschen Zwiebel und Knoblauch in Öl andünsten, dann Brühe drauf, aufkochen, pürieren, Sahne rein, fertig. Toll.
  • Es dauert ganz schön lange, bis so ein Ei auf niedriger Hitze inmitten von Gemüse gestockt ist. Aber dann ist es schon ziemlich lecker.

Ich fand die erste Gemüsekiste sehr einsteigerfreundlich, obwohl das ja reiner Zufall war. Da war kein Gemüse dabei, das ich nicht prinzipiell kannte und schon mal irgendwie verarbeitet hätte, nichts, was ich absolut nicht mag oder zumindest ziemlich sicher bin, dass ich es nicht mag. Brokkoli, Möhren, Zucchini, zackzackzack. Kenn ich, kann ich.

In der nächsten Kiste sind dagegen schon eher so Dinge für Fortgeschrittene. Mangold. Kräuterseitlinge. Endiviensalat. Mal gucken. Ich hab ein bisschen Angst, find’s aber auch spannend. Mangold liegt mir nicht, genau wie Spinat, Grünkohl und ähnliches Grünzeug. Pilze, hm, auch nicht so meins. Ich mag Pilze, wenn es nicht so viele sind. Kein Witz. Und keine von den labrigen, also das, was in irgendwelchen asiatischen Gerichten so drin ist. Champignons sind okay, Pfifferlinge auch. Dann wird’s schon kritisch. Aber es sind nur 150 Gramm, das werd ich wohl irgendwie schaffen, und diverse Leute versicherten mir auf Twitter und Facebook, Kräuterseitlinge wären ganz großartig und bombadierten mich mit Rezeptvorschlägen. Endiviensalat, tja, ich mag ja nicht so gerne Sachen, die bitter sind.

Aber wie gesagt: Ich finde genau das auch so spannend. Neue Dinge probieren, die ich sonst nie kaufen würde, weil ich davon ausgehe, dass ich sie nicht mag. Aber jetzt muss ich und bestimmt wird das ganz überraschend und toll. Fast immer. Und wenn mal nicht, dann eben nicht, auch nicht schlimm.

Ganz dreist hab ich in die nächste Gemüsekiste auch eine Flasche Biowein gepackt. Wenn uns schon jemand was in den vierten Stock trägt, dachte ich ganz schlau, dann kann ich das auch ausnutzen.

Nächste Woche dann also Mangold und Kräuterseitlinge. Es bleibt spannend.

Die Gemüsekiste kommt von Flotte Karotte, die Essen, Bochum und die ganze Gegend drumherum beliefern und ein ziemlich großes Sortiment haben. Motiviert hat mich übrigens die Frische Brise, die ihre Kommentarfunktion neulich ganz großzügig für einen langen Rant meinerseits zur Verfügung stellte, in dem ich mich mit vielen Worten darüber ausließ, dass es überhaupt schwierig wäre mit zwei Personen und recht flexiblem Lebensstil einen vernünftigen Anbieter zu finden. Und als ich dann fertig war, hab ich geguckt, ob’s vielleicht nicht genauso einen vernünftigen und flexiblen Anbieter schon gibt, und bingo! So einfach kann das sein.

Die schönste Stadt der Liebe

Heute morgen in der Straßenbahn von Holsterhausen zum Hauptbahnhof zwei Teenager:

„Ey, wir haben jetzt ’ne Austauschschülerin aus Paris.“

„Bei euch zu Hause?“

„Ja ja, voll hübsch ist die. Kommt ja auch aus Paris. Paris, das ist ja… die schönste Stadt der Liebe.“

„Nee, Rom ist doch die schönste Stadt.“

„Ja, aber einen Heiratsantrag sollte man da nicht machen.“

„Kann man doch auch in Rom.“

„Ja nee, aber so da mit dem Eiffelturm und so, das ist schon schöner.“

 

Dann waren wir leider schon am Hauptbahnhof und alle stiegen aus. Schade. Immer wenn’s am schönsten ist.

Der Rest vom Ruhrgebiet (17): Duisburg-Meiderich

Hurra! Endlich wieder ein Stadtteilbericht! Pi von gedanken/macher wohnt nämlich in Duisburg-Meiderich, da wo der Landschaftspark Nord ist und natürlich noch mehr. Es gibt auch gar keine Ausrede, da nicht mal vorbeizuschauen, immerhin führen ganze fünf Autobahnausfahrten nach Meiderich. FÜNF! Sensationell!

(Im Rahmen der Lyrikwoche soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass man auf diesem Blog auch wunderbare Limericks findet, bei denen (Skandal!) immer jemand sterben muss. So toll.)

Camera Obscura im Wasserturm in Mülheim an der Ruhr

Film

Eine Camera Obscura hatten wir uns in Edinburgh ja schon angeguckt und für toll befunden. Eher zufällig entdeckte ich, dass es auch in Mülheim an der Ruhr so eine begehbare Kamera gibt und als es im letzten Jahr darum ging, die Schwiegereltern ein bisschen zu belustigen, planten wir schnell einen Ausflug in die Nachbarstadt mit mittelalterlichem Weihnachtsmarkt, schottischem Essen und eben einem Besuch der Camera Obscura im alten Wasserturm.

Die Camera Obscura befindet sich in der Kuppel des Broicher Wasserturms in Mülheim an der Ruhr, in den unteren Etagen des Turms befindet sich das Museum zur Vorgeschichte des Films. Die Exponate, so erfahren wir, stammen alle aus einer Privatsammlung und zeigen vom Schattenspiel über Guckkästen, Thaumatrope, Kaleidoskope und vielen anderen spannenden Apparaturen und optischen Täuschungen wie die Bilder laufen lernten oder mit ein paar Kniffen auch vor über hundert Jahren schon 3D-Effekte erzielt wurden.

Turm

Dabei gefällt mir vor allem die Überschaubarkeit der Sammlung. Klingt erst mal komisch, aber nach meiner ganz persönlichen Erfahrung bleiben Museen mit kleinen Sammlungen besser im Kopf als solche, bei denen man nach zwei Stunden gefühlt tausend Sachen gesehen hat und sich deswegen an keine mehr erinnern kann.

Im Museum zur Vorgeschichte des Films dagegen kann man sich in Ruhe umgucken, an Knöpfchen drücken, an Hebeln ziehen, an Rädern drehen und durch Gucklöcher gucken, und weiß beim letzten Exponat trotzdem noch, was man beim ersten Exponat gesehen hat.

Schattenspiel

Gucken

Exponat

(In dieser schönen Tradition steht auch das Whiskey-Museum in Edinburgh. Kann ich nur empfehlen, da weiß ich noch fast alles, was mir da erklärt und gezeigt wurde.)

Nachdem wir also fleißig geguckt, gedreht und gedrückt haben, geht’s ganz nach oben zur Camera Obscura und dann geht es auch schon los.

Eine Camera Obscura funktioniert so: Man ist in einem Runde Raum, in dessen Mitte ein großer runder weißer Tisch steht. in der Mitte des Raumes also zentral über dem Tisch ist ein Loch in der Kuppel und da fällt das Licht rein. Dann braucht man noch ein paar Spiegel, die man steuern und drehen kann und dann ist die Camera Obscura fertig. Also, so ungefähr jedenfalls, es ist vermutlich in der Praxis noch ein bisschen komplizierter.

Camera Obscura

Das, was man dann hat, ist eine begehbare Kamera. Das Licht geht aus, die Spiegel werden in Position gedreht und auf einmal ist das Mülheim an der Ruhr auf dem weißen Tisch. Weil Winter ist und wir mal wieder ein bisschen getrödelt haben, ist das Bild schon etwas dunkel, aber nachdem sich die Augen dran gewöhnt haben, erkennt man allmählich, was man von der Kuppel aus so von Mülheim sieht. Gebäudesilhouetten, Menschen, die auf Plätzen rumlaufen und dann, das ist am lustigsten: Autos und Ampeln.

Autos und Ampeln sind am lustigsten, weil sie in bunten Farben leuchten und man sie deswegen am besten sieht. Bei einer Kreuzung warten wir, bis die Ampel von rot auf grün umspringt und die wartenden Autos losfahren. Auch auf der anderen Seite der Ruhr, da wo das Stadtzentrum ist, können wir erkennen, wo die Autos langfahren, zeigen “Hier!” und “Da!” und warten einfach noch mal eine Ampelphase ab. Weil wir’s können!

Irgendwann sind wir wieder da angekommen, wo wir mit unserer Kamera-Beobachtungstour angefangen haben. Toll war das. Obwohl’s ein bisschen dunkel war. Oder eben weil es ein bisschen dunkel war und das mit den Autos und Ampeln so lustig war. Aber wir waren ja auch schon in Edinburgh in der Camera Obscura und haben da mit kleinen weißen Karten Touristen auf dem Schlossvorplatz hochgenommen und durchgeschüttelt.

Obsc

Ob wir noch eine Runde um die Kuppel laufen wollen, werden wir gefragt, als das Licht wieder an ist. Klar wollen wir und machen das dann auch. Draußen ist es erstaunlicherweise noch gar nicht so dunkel, wie uns die Camera Obscura weismachen wollte und wir gucken uns das, was wir eben drinnen auf dem weißen Tisch gesehen haben, dann jetzt noch mal in echt an. Obwohl, echt war das ja eben auch, live und in Farbe, wenn auch ein bisschen dunkler.

Aussicht

Dann geht’s mit dem Fahrstuhl nach unten, wo man noch im Museumsshop ein bisschen stöbern kann und ich kurz davor bin, ein Kaleidoskop zu kaufen, weil die doch so schön sind und hach… Weil es doch schon ein bisschen dunkel war, bekommen wir zwei Gutscheine zum Nochmalimhellenwiederkommen, wie nett ist das denn?

Wasserturm

Total nett ist das! Wie das ganze Museum übrigens und die Betreiber sowieso. Man merkt die Liebe und Begeisterung, die in dieses Projekt gesteckt wurde und fragt sich ein bisschen, warum das wieder so ein geheimes Kleinod ist, das man erst durch Zufall finden muss. Eigentlich nämlich müsste es heißen: “Du bist im Ruhrgebiet? Warst du schon in Mülheim in der Camera Obscura? Musst du unbedingt hin, total super da!”

Aber man kann ja damit anfangen, hier auf dem Blog zum Beispiel. Also: Wenn es einen ins Ruhrgebiet treibt, unbedingt nach Mülheim zur Camera Obscura mit dem Museum zur Vorgeschichte des Films in den alten Wasserturm. Am besten tagsüber, aber man kann auch mit Autos und Ampeln viel Spaß haben. Es lohnt sich auf jeden Fall.

Exponat

Camera Obscura mit Museum zur Vorgeschichte des Films
Am Schloß Broich 42
45479 Mülheim an der Ruhr
Telefon: 0208 / 3 02 26 05

http://www.camera-obscura-muelheim.de

Öffnungzeiten: Mi. – So.: 10:00 – 18:00

Der Rest vom Ruhrgebiet (16) – Die Touristen-Edition: Spaziergang durch Duisburg

Aktuell ist es ein bisschen still um der Rest vom Ruhrgebiet, obwohl wir immer noch nichts zu Bochum, Oberhausen oder Duisburg gehört haben. Da muss doch noch was gehen, da wohnen doch bestimmt auch tolle Leute. Das mit Duisburg ändern wir jetzt, da erreichte mich nämlich Anfang der Woche eine Mail von Daniel. Er wohnt zwar nicht in Duisburg, war aber vor kurzem als Tourist in dieser gelegentlich etwas unterschätzten Ruhrpottstadt unterwegs und hat darüber berichtet.

Mangels eigenem Blog darf ich diesen langen Spaziergang durch Duisburg hier veröffentlichen. Ich wünsche viel Lesespaß bei dieser etwas anderen Sicht auf das Ruhrgebiet. Danke an Daniel für die viele Mühe und seinen Sonderbeitrag zum Rest vom Ruhrgebiet.

Duisburg

Kurz vor Duisburg reißt der Himmel auf und lässt Sonnenstrahlen durch die Wolken fallen. Ich bin quer durch den Pott gefahren. Unna. Dortmund. Bochum. Essen. Mülheim.

Als ich also in Duisburg aus der Eisenbahn steige, empfangen mich milde 10° C und Sonnenstrahlen, die nur gelegentlich von großen grauen Regenwolken unterbrochen werden. Es ist mein erster Besuch in der Stadt und ich freue mich auf einen Spaziergang. Was will ich denn hier, ausgerechnet in Duisburg? Was will ich sehen und worüber will ich schreiben?

Jeder typische Raum wird durch typische gesellschaftliche Verhältnisse geschaffen. Alles Geschaffene ist ein Traumbild der Gesellschaft, meistens schafft nur ein kleiner Teil der höheren Gesellschaft etwas, wofür ein anderer Teil erst Traumbilder finden muss. Deswegen sollte die Frage im Hinterkopf bleiben, wieviele Menschen und wer überhaupt mit der Umnutzung einverstanden ist. Ich jedenfalls weiß es nicht.

Gehend durchschreite ich verschiedene Zeiten, wenn ich Gebäude ansehe. Sehe Architekturen, diese 80 Jahre alt und jene ganz neu. Geht es nicht auch darum, wenn man in den Ruhrpott fährt? Wie verändert sich die Stadt? Wie verändert sich der Ort an dem ich lebe? Ich verkürze das mal auf die Formel, dass man die Veränderungen in den Gebäuden und der Umgebung sieht. Einerseits bleiben Architekturen bestehen und es ändert sich nur die Bestimmung. Gestern hatte ein Gebäude die Funktion einer Mühle, heute eine andere, als Museum. Was bleibt ist die Hülle und eine Erinnerung und etwas neues. Andererseits behalten manche ihre Funktion. Und dann stehen sie aus dem Zusammenhang gerissen nebeneinander. Das Heutige soll auch morgen noch sein, Eisenbahnen fahren ein und aus. Die Idee ist, diesen Ausflug als Momentaufnahme festzuhalten, als einen sehr subjektiven Blick auf die Stadt am Ende eines Jahres.

Am Hauptbahnhof geht es los. Vergangenheit. Gestern. Heute. Er ist immer noch bestimmungsgemäß. Gebaut in einem funktionalen Design. Muss das Schöne sich dem Funktionieren unterordnen? Vielleicht geht ja beides. Funktion und Schönheit. Ich erlebe es am eigenen Leib. Steige aus meiner Eisenbahn und sehe die Schönheit dieses Gebäudes erst nach einigen Metern. Der Bahnhof hat einen großen kubischen Mittelbau und nach links und rechts ausgestreckte Flügel. Die Schönheit steckt im Stein. Die Fläche ist hier eher monochrom, dunkelroter Backstein, einzelne hellere, manche mit blauem Stich, andere glänzend. Die Bahnhofsuhr zeigt 13.55h. Der Block in der Mitte trägt auf den Ecken links und rechts Figuren aus hellem Sandstein und pyramidenförmig vermauerte Steine über dem Eingang deuten Pfeiler an. Ein toller Effekt als Kontrast zu den horizontalen Steinen.

An den Flügeln wird der Backstein durch dünne Sandsteinbänder von den Sprossenfenstern getrennt, unten links, unter dem Dach der Arkaden, stehen ein Junge und ein Mädchen, er legt seine Hand an ihre Wange. Sie fühlen sich beschützt und lachen sich an.

Ich wende mich vom Bahnhof ab und gehe einfach und freue mich über eine kleine Sonnenblume an einem Stromkasten.

Wenige Meter später biege ich rechts ab und gehe zur Königsallee. Der leere Weihnachtsmarkt, mit verschlossenen Buden, weiß nicht was er mit sich anfangen soll. Trübe Langeweile und künstliche blaue Weihnachtsbäume sind hier aufgereiht. Schön machen sie sich vor der weiß-blauen Fassade des Hauses eines Brillenherstellers. Auf dem Boden sind QR-Codes aufgeklebt. Ich möchte einen ausprobieren. Aber durch Dreck und Nässe sind sie funktionslos geworden. Das Interesse daran verloren gehe ich weiter und stoße auf kleine Rasenflächen. Man muss zu einem Sprung ansetzen. Also springe ich auf die erste von vielleicht fünf und blicke auf das Stadttheater von 1912. Hier stehe ich und lese laut aus dem Giebel: „MIT ALLEN SEINEN TIEFEN SEINEN HÖHEN ROLL ICH DAS LEBEN AB VOR DEINEM BLICK WENN DU DAS GROSSE SPIEL DER WELT GESEHEN SO KEHRST DU REICHER IN DICH SELBST ZURÜCK“

Schillers Idee mache ich mir zu Eigen und rolle das Leben der Stadt vor meinem Blick ab und kehre reicher in mich selbst zurück. Aber das lasse ich an dieser Stelle so stehen und das Theater rechts liegen. Die Augen geradeaus erscheint nach einigen Metern in der Moselstraße Ecke Fuldastraße ein Wohnungsbau, der wie ein ehemaliger Bunker aussieht. Das Bunkerhaus ist an der zur Fuldastraße gewandten Seite mit einer Kletterpflanze bewachsen, die jetzt im Winter freilich blätterfrei ist. Direkt davor steht ein Stromkasten, auf ihm ist eine gelbe Sonne gemalt und in der Sonne hockt ein grimmiger Igel. Ein verblichener Aufkleber darüber verkündet „I Love Duisburg“. Ich folge der Moselstraße in Richtung Innenhafen.

In der Angerstraße treffe ich auf einen Mann, der wie ich, mit einem Fotoapparat durch die Straßen läuft. Ich gucke ihn skeptisch an und gehe weiter. Im Grachtenviertel werde ich ihn wiedersehen und wir nicken uns zu.

Was erwartet mich nun, hier im umgewidmeten Bereich des Duisburger Hafens? Wohlwissend, dass es hier anders aussieht als noch vor 30 Jahren, versuche ich Kontroversen zu finden, kleine Bereiche, die auf die Veränderungen hinweisen. Inzwischen bin ich von der Hansegracht zur Speichergracht gekommen. Gemütliche Neubauten reihen sich neben den Grachten auf und präsentieren ihre Fassaden farblich an die Umgebung angepasst. Auf keinem der Balkone sind Menschen zu sehen. Gegenüber vor dem Legoland sitzt ein gelber Mann auf einer Bank und philosophiert über das Loch in seinem Socken, aus dem sein gelber Zeh guckt. Der schwarze Strumpf am linken Bein ist bis zum Knie hochgezogen. Die Fassade des Legoland- Gebäudes besteht aus fein geputztem Backstein. In den Steinen sieht man viele Riefen und Unebenheiten, die Fugen sind recht groß und bis an die Kante der Steine ausgefüllt. Die Steine nehmen sich durch das jetzige Licht matt und farblich zurückhaltend aus.

Gleich darauf gehe ich auf das Museum Küppersmühle zu und erkenne in dem Museum für Moderne Kunst einen alten Getreidespeicher, der ebenfalls aus Backsteinen erbaut ist. Früher also diente das Gebäude der Lebensmittelversorgung, heute dient es der Versorgung geistiger Nahrung. Über den fehlgeschlagenen Anbau will ich hier nix sagen. Mich interessiert der Ort schräg gegenüber der Küppersmühle.

Auf einer kleinen Rasenfläche stehen in halbrunder Anordnung elf Betonstelen mit je einem Loch im oberen Drittel, meine Faust würde knapp hindurchpassen. Links davon ein überdachter dreieckiger Platz. Etwas Unrat liegt herum, der Boden ist feucht. Es riecht. Das ignoriere ich und schaue mir interessiert einige Bilder an, die jemand hier, möglicherweise illegal, befestigt hat. Eines davon ist ca. 60 x 80cm groß, im Hochformat und mit vier Winkeln an der Wand befestigt. Es ist eine Leinwand und sie ist rot angemalt. Das Bild ist komplett überzogen mit locker sitzender durchsichtiger Folie, innen befindet sich ein Knäuel aus abgerolltem gelbem Klebeband. Es gibt auch eine Variation in blau, rechts neben einem blauen Pfeiler. Hier befinden sich noch zwei weitere Streifen des Klebebandes in der durchsichtigen Folie.

Was für ein schöner Kontrast zum sauber durchgeplanten Museum Küppersmühle; für mich hat es einen schönen Unterhaltungswert durch die Kombination von Farbe und Formen, ebenso wie die backsteinerne Küppersmühle, der man diesen Wert auch nicht absprechen kann, immerhin zeigt es an den Fassaden eine Kombination von gemischten bunten Steinen. Die Fensterrahmungen und Ecken sind aus einheitlichen roten Steinen, ebenso wie die Zahnfriese unter den Dächern. Sandstein bildet helle Streifen als Kontrastpunkte.

Die Zeit drängt und ich gehe weiter, über den schwimmenden Steg und dann nach links, hier gehen Familien spazieren, Kinder werfen Dinge in den Innenhafen und Hunde wuseln um die Beine der Menschen. In den Erdgeschossflächen der Neubauten sind gastronomische Betriebe, über ihnen befinden sich Büros. Aluminiumjalousien flattern im Wind, vor einem Lokal stehen Olivenbäume in großen Töpfen, einige wackere Oliven kämpfen gegen das Wetter. Am Ende dieser Kette von Neubauten, steht, bevor ich auf die Brücke Am Innenhafen komme, das Haus eines Reiseveranstalters, geplant von einem Hamburger Architektenbüro. Mit dem Rücken zur Brücke schaue ich mir das Haus kurz an und freue mich über einen kleinen Ausschnitt des Hauses. Ein Eckstück, die linke Seite im Schatten, die rechte Seite von der Sonne beschienen lässt einzelne Backsteine blinken und leuchten. Das Haus ist nicht sonderlich schön, erfüllt wohl auch nur seinen Zweck aber durch die kleinen Steinchen rufe ich Juhu. Passanten drehen sich um. Ich ahne ja noch nicht was kommt.

Erstmal aber komme ich zum Garten der Erinnerung, gehe dafür nur einmal über die Brücke, dann rechts und am Ufer weiter. Auf dem Betonufer unten am Wasser hocken drei Enten und haben ihre Köpfe ins Gefieder gesteckt, als ich sie fotografieren will werden sie wach, strecken mir ihre Entenzungen entgegen und hüpfen schnatternd ins Wasser.
An was wird im Garten der Erinnerung erinnert? Hier stehen Häuserreste aus weißgetünchten Mauern, ein Betonfundament mit einem Rest Wand an der Ecke und offener Tür. Ehemaliger Fahrstuhlschacht. Inmitten all dieser Erinnerung steht auf dem Rasen eine rostige Stahlskulptur, die mir ganz gut gefällt; dahinter das Gebäude der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen.

Woran dieses Ensemble erinnert wird mir dadurch aber immer noch nicht klar. Vielleicht an die gute alte Zeit, die es nie gegeben hat? Oder an Lili Marleen? Vor dem Betonpodest mit Wandrest und offener Tür sitzt ein alter Mann mit Akkordeon und spielt diesen alten Schlager, ich lege ihm etwas Geld in den Hut und wir lächeln uns an.
Der Promenade folgend lasse ich alte Stadtmauer und einen Spielplatz links liegen. Das Stadthistorische Museum hat geschlossen und auch in die Kirche gehe ich heute nicht. Vielmehr werde ich magisch angezogen. Was öffnet sich meinem Blick? Ein mächtiger Backsteinturm mit einer großen flächigen Fassade und einem Satteldach (man kann drauf sitzen wie auf einem Sattel). Das Dach ist nicht aus den bekannten welligen Ziegeln gedeckt, es ist mit Backsteinen gedeckt. Die Gebäude drumherum sind verhüllt, werden renoviert.

Jetzt erscheint hier dieser traumhafte Effekt. Die Abendsonne steht so, dass von dort wo ich stehe, eine Fassadenseite im Schatten liegt, also dunkel ist. Die von der Sonne angestrahlte lässt die Steine tanzen. Es regnet heute hin und wieder und das Wasser verleiht dem Backstein sein Aussehen. Manche Steine wirken stumpf, andere glänzen im Licht.
Es scheint als wäre der Turm in Bewegung, als wären seine Steine Worte, die je nach Stand der Sonne aus dem Mauerwerk treten um Geschichten von früher zu erzählen. Auf dieser Wand, die so gleichförmig aussieht von weitem, sind Muster vermauert und das schönste überhaupt ist, dass in einem nicht überschaubaren System einzelne Steine nach hinten versetzt sind.

Ich drehe mich um, links von mir ein jüngeres Haus mit Laubengängen. Vor die Laubengänge sind aus dünnem weißem Stahl die Umrisse alter Hausfassaden angebracht. Vielleicht eine Erinnerungsform an die mittelalterliche Stadt. Aber auch die Schwanentorbrücke hat es in sich. Hier ragen vier Pfeiler in die Luft und an den Sonnenseiten bietet sich der gleiche Effekt wie an dem Turm. Strassenbahnleitungen bilden ein lustiges Gewirr. Einen dieser Pfeiler umkränzt eine Glaskonstruktion von wo aus wohl einmal die Hebebrücke bedient wurde. Oben auf jedem der Pfeiler, die ein wenig wie Kerzen aussehen, sitzen kleine Glasfenster und darauf, auch aus Glas, ein Hütchen als Flamme.

Was aber mache ich nun, außer Fotos vom Schwanentor und Speicher? Entschließe mich für Ruhrort. Ist ja irgendwie mythisch. Die Ruhr fließt in den Rhein. Schimanski. Unter dieser Brücke ist Zabou mit ihm durch gefahren.

Ich laufe. Die Ruhrorter Straße entlang. Nicht schön hier. Backsteinfake zur Hausdämmung. Jaja, ich weiß, die Heizkosten. Im Halal-Imbiss werden heute keine Goldenen Hähnchen verkauft. Einzelne Altbauten erinnern an früher. Die Karl-Lehr-Brücke ist aus Stahl und genietet und rosa und blau.

Vor dem 1000-Fenster-Haus (Backstein) biege ich in die Krausstraße ein und schaue übers Geländer runter auf das Wasser, unten liegen einige Kajaks. Wie schön wäre es jetzt mit dem Kajak in den Rhein zu paddeln und dann weiter nach Holland. Aber diese hier sind Kunst und aus Beton. Zweisitzer. Einsitzer. Auf dem Kiel und auf dem Kopf liegend. Eines gelb, ein anderes rosa, die anderen dreckig.

Weitergehen. Dänische Container auf einem holländischen Binnenschiff. Dahinter liegt das Schiff „Ida Anna“.
Im gläsernen Fahrstuhlturm eines Hotels spiegelt sich der Abend. An der Ruhrorter Promenade beendet ein Blumenverkäufer sein Geschäft für heute. Es sind noch rote Gerbera übrig. Ich gucke und er schenkt sie mir. Wie schön. Danke.

Schwalbennester, viele Schwalbennester befinden sich hier unter den Balkonen. Duisburg gefällt mir, auch ohne viele Fragen.

Der Rhein hat Hochwasser, der Pegel Ruhrort zeigt 883. Hier beende ich meinen Spaziergang. Das Wasser steht auf der Straße. Ich sehe und genieße, gleich ist die Sonne weg.

Der Rest vom Ruhrgebiet (14): Gelsenkirchen-Resse

Eva schreibt über Gelsenkirchen-Resse, noch so ein Stadtteil, von dem ich noch nie was gehört habe. Aber ich kenn in Gelsenkirchen ja auch vor allem den Zoo. Jetzt aber auch Resse, juchu!

Gelsenkirchen-Resse

Wer aus Resse kommt, kommt aus Resse und auf gar keinen Fall aus Gelsenkirchen oder Buer. Wo liegt Gelsenkirchen-Mitte? Genau, ganz weit weg, deswegen: Resse ist Resse!
Resse ist ein ganz wunderbarer Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Genauer gesagt liegt das Haus meiner Eltern auf der anderen Seite der Stadtgrenze, wenn man von der Stadt aus guckt. Hinter dem Ortsausgangsschild ist nicht mehr viel Stadt. Und genau das ist das Schöne an meinem Resse.

Es gibt einen ganz netten Ortskern, der von Rewe bis Aldi alles bietet, was man braucht: Netto, Apotheke, Reinigung, Eisdiele, Schuhladen, Taschengeschäft, Blumenladen, Versicherungen, Handwerker,… In den letzten Jahren, die ich nicht mehr dort wohne, hat sich auch einiges getan, so dass ich nicht auf dem neuesten Stand bin.

Soweit nichts Besonderes. Aber Resse ist für mich ein wunderbarer Ort gewesen, um aufzuwachsen. Vor der Haustür beginnen die Felder, die im Sommer nach Erdbeeren riechen (schonmal versucht, auf dem Weg zur Bushaltestelle an so etwas vorbeizugehen, OHNE eine Erdbeere zu essen?!). Im Herbst wachsen (für mich als Kind) gigantische Maispflanzen und somit ein riesiges Maislabyrinth. Auf den Feldern haben die Jungs der Nachbarschaft eine Handgranate „zum Spielen“ gefunden und ebenso dort hat mal ein engagierter Hobbygärtner im Maisfeld eine Hanf-Plantage angelegt. Aber meistens ist dieser Teil von Resse sehr idyllisch. Im Herbst konnten wir auf den abgeernteten Feldern Drachen steigen oder nach Kartoffeln buddeln. Es gibt ohne Ende Kletterbäume und Hecken zum Durchklettern. Wir konnten früher einfach zum Spielen nach draußen gehen und waren beschäftigt.

Man kommt von Resse auch schnell wo hin. Früher gab es noch den Löwenpark in Westerholt als Ausflugsziel. Aber auch andere nette Sachen wie das Alte Dorf in Westerholt, der Schlosspark Herten, die Halden in Herten, der Rhein-Herne Kanal (schon Wanne), der RuhrZoo in Gelsenkirchen, das Backumer Tal in Herten, … waren für uns auch als Kinder locker mit dem Fahrrad zu erreichen.

Es gibt auch einen „neuen“ Teil in Resse, der wohl dafür verantwortlich ist, dass mir völlig fremde Leute bei Erwähnung des Wortes „Resse“ entgegenschleudern: „Kommste nach Resse, kriegste auf die Fresse.“ Dort sind viele große Wohnkomplexe, die jedoch in meinem Resse nie eine Rolle gespielt haben. Bei einem Vortrag 2004 habe ich gehört, dass Resse im Vergleich der Stadtteile Gelsenkirchens im Bereich „Arbeitslosigkeit“, „Kinderanzahl“ und „Kriminalität“ weit vorne liegt. Da mag man von halten, was man möchte, ich hab jedoch nie was von davon mitbekommen.

Als Teenager zieht es einen natürlich weg aus der Heimat, aber auch dafür ist Resse super. Man kommt schnell zur A2, der Bus bringt einen nach Buer oder Herten bzw. Recklinghausen. Mit dem Fahrrad fahren wäre auch eine Möglichkeit. Jedoch hat man keine Chance, nach Resse auf einem beleuchteten Weg zu kommen. Eine Lichtoase in der Dunkelheit quasi. Kein Wunder, wenn drumherum auch nichts mehr kommt. Unser Ortsausgangsschild zeigt nämlich nur das Ende von Gelsenkirchen an und die nächsten drei Kilometer kommt nicht viel…