Über Gedichte

Bei Herrn Buddenbohm geht es heute um Gedichte und die Faszination, die so ein Gedicht, frei vorgetragen von den Eltern, bei Kindern auslösen kann.

Ich kenne mich da sehr gut aus, denn meine Mutter liebt Gedichte und kann sich sowas auch irre gut merken. Nach eigenen Angaben gehörte „Gedichte-auswendig-lernen“ zu ihren Lieblingsübungen während der Schulzeit und während andere sich abmühten, hat sie dann eben mal so lockerflockig Schillers „Die Bürgschaft“ gelernt und kommt da auch heute noch ziemlich weit. (Ich komme deswegen auch immer bis zur ersten Strophe, ohne das Gedicht einmal selbst gelesen zu haben.)

Am liebsten hab ich aber „Das alizarinblaue Zwergenkind“ gehört, das konnte sie auch besonders gut, mit diesem fulminanten Einstieg, dem enthusiastischen „Ui, fein!“, und dann zum Schluss der großen traurigen Enttäuschung. Kann ich nur empfehlen, lernt sich auch schön und hat so hübsche, geheimnisvolle Wörter. Auch ich krieg das so einigermaßen aus dem Kopf hin, bin aber besser bei Heinz Erhardts „Die Made“, das endet ja auch ganz furchtbar und traurig.

Gedichte sind eigentlich toll, man sollte mehr davon lesen und auch ein paar davon lernen, dann kann man bei langweiligen Partys auch unangenehmes Schweigen überbrücken oder so. Es findet sich bestimmt ein sinnvoller Anlass zu einer schwungvollen Rezitation. Am einfachsten ist das natürlich tatsächlich, wenn man Kinder hat, die bekanntlich von solchen Wundern nie genug kriegen können. Und ich sage das aus eigener Erfahrung, also Erfahrung als Kind, nicht als Eltern.

Dabei kenne ich gar nicht so viele Dichter und die, die ich kenne, passen gar nicht so recht zusammen. Max Goldt für das Absurdschönbekloppte, Robert Gernhardt für die überraschende Pointen und schönen Wortspielen, A.A. Milne für die Nostalgie und W.H. Auden fürs Romantischtragische. Je länger ich drüber nachdenke, desto mehr glaube ich, ich brauch dringend noch ein bisschen mehr Lyrikzeug im Bücherschrank. Erich Kästner, hat der nicht auch? Und Morgenstern und natürlich Heinz Erhardt? Und… ach, da gibt’s bestimmt noch viele tolle Menschen, deren Gereimtes man entdecken kann.

Meine Mutter kannte auch noch ein Gedicht. Eigentlich ist es gar kein Gedicht, sondern so eine Art Schüttelreim als Geschichte. Der Humor dabei ist sehr simpel, für Kinder aber äußerst faszinierend. Ich habe versucht, herauszufinden, woher diese kleine Geschichte überhaupt kommt und ob es jemanden gibt, dem man die folgenden Sätze originär zuordnen kann, die Suche verlief aber fruchtlos. Es scheint auch mehrerer Versionen zu geben, ich zitiere jetzt einfach die Version, die ich bestimmt hundert Mal gehört habe und wünsche viel Vergnügen beim Auswendiglernen.

(Anleitung: Den ersten Teil mit normalem, leicht beschwingten Tonfall vortragen, den zweiten Teil dann mit zusammengezogenen Stirnfalten und bösem, gruseligem Tonfall. So wird das was.)

Hinter einer Pappelgruppe saß der Zeichlehrer einer Kinderschule
und malte die Schattenrisse seiner seeligen Frau,
die Filetschürzchen in den Koffer packte.
Da kam der Schulmeister, sein Freund,

und begrüßte ihn mit einem warmen Händedruck.

Hinter einer Rappelpuppe saß der Leichenzehrer einer Schinderkuhle
und malte die Rattenschisse seiner freligen Sau,
die Geleepfürzchen in den Poffer kackte.
Da kam der Muhlscheißer, sein Freund,
und begrüßte ihn mit einem warmen Hundedreck.

10 Antworten auf „Über Gedichte“

  1. Toll das letzte Gedicht !
    Ich konnte meinen (kleinen) Kindern nur die Zähne putzen, wenn ich dabei „Der kleine rosa Zeppelin“ von James Krüss vorgetragen habe.
    Und von Heinz Erhardt gibt’s ganz viele kleine feine, die man schnell auswendig kann.

    Das Finkennest
    Ich fand einmal ein Finkennest
    und in denselbem lag der Rest
    von einem Krimonalroman.
    Nun sieh mal an :
    Der Fink konnt lesen !
    Kein Wunder, es ist ein Buchfink gewesen.

  2. Hinter einer Krabbelpuppe saß einer alter Mulscheister und zeichnete die Rattenschisse seines gielgeviebten Lesterschweins, das gerade an einem Schiletfürzchen strickte und es in eine Piste kackte.
    Ein sehr nettes Stück, dass ich von meiner Oma (90) gelernt habe, als ich sieben war – über das meine Tochter (7) sich scheckig lacht… Ich damals übrigens auch…
    Danke für die kleine Erinnerung

  3. Ich kenne es noch anders:
    Hinter der Krappelpuppe einer Schinderkuhle, saß der Leichenzehrer und malte die Rattenschisse seiner liebgefielten Lehene. Die an einem Teenisch’chen saß und Filetfürzchen in eine Piste knackte.

    Von unserer 99 jährigen Tante aus Ostpreußen.
    Viel Spaß.

  4. Die Version meiner Mutter lautet:
    Ein Mulscheister und ein Leichenzehrer saßen im Grinderhunde einer Pappengruppe, wo sie schiele Fürzchen in eine Piste kackten.

  5. Die Version meiner Mutter (* 1918)
    Hinter einer Pappelgruppe
    sass ein Zeichenlehrer
    und zeichnete die Schattenrisse
    seiner vielgeliebten Frau,
    die auf einem Rosenhügel
    an einem Filetschürzchen nähte.
    Da kam ein anderer Zeichenlehrer
    und sie gaben einander einen warmen Händedruck.

    Hinter einer Grappelpuppe
    sass ein Leichenzehrer
    und zeichnete die Rattenschisse
    seiner liebgevielten Frau,
    die auf einem Hosenrügel
    an einem Schiletfürzchen nähte.
    Da kam ein anderer Leichenzehrer,
    und sie gaben einander einen warmen Hundedreck.

  6. Ich habe eine Version aus der Kindheit im Gedächtnis, die ich in irgendeinem Buch gelesen habe. (Oder wie nach 40 Jahren meine Erinnerung daran ist.)

    In dem Grinterhunde einer Grappelpuppe saß ein merschwütiger Leichenzehrer und malte die Rattenschisse seiner freligen Sau, die auf einem Hosenrügel saß und an einem Schiletfürzchen arbeitete.

  7. Die Version meiner Tante:
    Ein Mulscheister und ein Leichenzehrer saßen vor ihrer Schinderkuhle und betrachteten den Rattenschiss ihrer lielgeviebten Lehene, die auf einem Hosenrügel saß und Schiletfürzchen stickte, die sie in eine Piste kackte.

  8. Im Grinderhunde einer Grappelpuppe saßen ein Muhlscheisser und ein Leichenzehrer. Sie malten den Rattenschiss eines niedlichen Handläuschens.

  9. Die Version meiner Großtante lautet:

    Im Grinterhunde einer Grappelpuppe saß ein Leichenzehrer,
    Der malte mit Eidreck und Scheißriene die Rattenschisse einer Made.

    Im Hintergrunde einer Pappelgruppe saß ein Zeichenlehrer,
    Der malte mit Dreieck und Reißschiene die Schattenrisse einer Dame.

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