Wie ich meinen Frieden mit der Hitze schloss

Früher, also ganz früher, da konnte ich Hitze nicht leiden. Hitze machte mich zu einem stöhnenden, muffigen, jammernden und unfreundlichen Menschen mit dem Nervenkostüm einer hyperaktiven Spitzmaus nach fünf Espressi. Im Urlaub am Strand maulte ich rum, wenn es zu heiß war, verzog mich in den Schatten, oder versteckte mich unter Handtüchern und schlief dann ein, nur um mit noch schlechterer Laune aufzuwachen.

Hitze und ich, da war ich sicher, wir würden nie Freunde werden.

Dann kam der Sommer 1999 und mit dem Sommer 1999 kam New York City und mit dem Sommer 1999 und New York City kam eine Hitzewelle. Nun muss man dazu wissen, dass es in New York City im Sommer sowieso schon heiß ist. Wenn ich also von einer Hitzewelle rede, dann meine ich so richtig, richtig, richtig heiß. 40 Grad Celsius im Schatten heiß. Und in New York City ist lustigerweise oft gar kein Schatten, den muss man suchen oder alternativ von einem klimatisierten Kaufhaus ins nächste klimatisierte Kaufhaus laufen.

Es war so irre, irre heiß. Überall. Immer. Die Straßenschluchten helfen überhaupt nicht die Bohne, sie sind lediglich dafür da, dass die Sonne richtig prall reinscheinen kann und sich dann zwischen den Häusern alles noch mal mehr aufheizt.

Da saß ich also nun, mit 18 Jahren, gerade fertig mit dem Abitur, als Au-Pair in Hoboken, nur 15 Minuten mit Bus, Bahn oder Fähre von Manhattan entfernt. Da saß ich in einer New Yorker U-Bahn, um mich rum lauter schwitzende, erschöpfte Menschen, ich selber ein schwitzender, erschöpfter Mensch und auf einmal merkte ich: Alles ist toll. New York: Toll. U-Bahn: Toll. Die New Yorker: Toll. Sommer: Toll. Hitze: Irgendwie auch toll. Dass ich hier sein darf: Supertoll!

Ich glaube, es war dieser Moment, als ich in der U-Bahn saß und mir der Schweiß ungelogen in Bächen vom Körper floss, und ich merkte, dass ich eigentlich gerade alles total super fand. In diesem Moment schloss ich Frieden mit der Hitze. Ich machte es so wie die New Yorker. Einen Gang runterschalten, cool bleiben, irgendwo in den Schatten sitzen und nichts tun. Aber auch: Nicht jammern, nicht nölen, weitermachen, den Schweiß Schweiß sein lassen und die Hitze Hitze.

Am 4. Juli, am Unabhängigkeitstag war ich auf einem Umsonstkonzert von Dr. John im Battery Park. Immer noch Bullenhitze, man schwitzte, nur weil man existierte. Und was machen die New Yorker? Legen sich im Battery Park auf die Picknickdecken und gucken sich das Konzert von Weitem an. Irgendjemand schleppt einen Wasserschlauch an und wer will, kann sich nassspritzen lassen. Vor der Bühne drängelt niemand, im Gegenteil, man schubst mich sanft nach vorne: „Here, just come over here, you’ll see better from here.“

Ich habe mich in die New Yorker verliebt, diese etwas verrückten, oft tendenziell neurotischen, aber vor allem irrsinnig freundlichen Menschen, die mit mir in der U-Bahn schwitzten und mich beim Konzert bedächtig in die erste Reihe schubsten.

Seitdem macht mir Hitze nichts mehr aus. Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe. Ausruhen, alles ein bisschen langsamer machen. Liegen. Trinken. Schlafen. Sitzen. Gucken. Und selbst, wenn es in mir drin immer noch ein bisschen rumnölt, „zu heiß, zu warm, zu schwül“, dann denke ich an New York und an die U-Bahn und wie ich da saß und alles nur noch wahnsinnig toll fand und dann ist es wieder gut.

Daily Otter: Seeotter im Monterey Bay Aquarium

Die Frage, warum Seeotter so toll sind, sollte mit diesem Video hinreichend beantwortet sein.

Falls doch noch Klärungsbedarf besteht: Seeotter verbringen einen Großteil ihres Lebens auf dem Rücken schwimmend im Wasser. Manche halten sich zum Schlafen die Pfoten vor die Augen. Dieser hier ist einfach nur tierisch entspannt.

Daily Robben: San Simeon, Oktober 2009

Als wir vor drei Jahren in Kalifornien waren, haben wir es lediglich von San Francisco bis San Simeon gebracht. Das ist vor Los Angeles, vor Santa Barbara, sogar vor San Luis Obispo. In San Simeon gibt es nichts außer Motels, dafür hatte unser Zimmer Meerblick und einen offenen Kamin und mehr wollten wir eigentlich gar nicht.

Einer der weniger kurzen Ausflüge ging ein bisschen nach Norden, an einen Strand, wo laut Reiseführer See-Elefanten und Robben gerne faul rumliegen. Der Reiseführer hatte nicht gelogen. Da lagen See-Elefanten und Robben. Sehr viele davon. Als Absperrung diente lediglich eine Kordel, man hätte einfach so runter zu dem Strand laufen können. Aber wenn man so sieht, wie viel Masse diese Tiere haben und wie’s da teilweise doch so rein machomäßig zur Sache geht, dann lässt man das doch lieber.

Und guckt nur. Guckt und guckt und guckt. Und macht einen Film davon. Das ist klug, dann kann man nämlich auch noch gucken, wenn man schon längst nicht mehr in Kalifornien ist.

Karpfen! (oder Where the Ducks Walk on the Fish)

Hatte ich eine Karpfengeschichte angekündigt? Hatte ich. Dann gibt es jetzt eine Karpfengeschichte.

Die Geschichte mit den Karpfen ist vor fast sieben Jahren passiert, während des großen Amerika-Urlaubs. Zwei Wochen im Mittleren Westen, gestartet in Chicago, dann quer durch Michigan, vorbei an Ann Arbor, Detroit, einmal durch Kanada und auf der anderen Seite die Niagara-Fälle bestaunen. Und dann, dann ging es nach Pennsylvania. Auf eine Farm.

Genauer gesagt auf die Farm von Charlene und Speed, den Großeltern von Caitlin, bei der wir uns in Chicago einquartiert hatten. Caitlin steckte uns die Adresse und Telefonnummer zu und sagte, wir könnten bestimmt auch bei ihren Großeltern vorbeifahren, also, wenn wir wollten, die hätten eine Farm in Pennsylvania. Hallo?!? Eine Farm in Pennsylvania, selbstverständlich fahren wir da vorbei! Wann hat man denn schon mal die Chance, so amerikanisches Landleben hautnah zu erleben? Gar nicht so oft nämlich, und deswegen stehen wir irgendwo in Pennsylvania an einer Tankstelle und ich rufe bei Charlene und Speed an und sage, hallo, wir sind die Freunde von Caitlin, und wenn’s ginge, dann würden wir heute vorbeikommen und übernachten. Ja klar, sagt Charlene, kommt nur und erklärt uns noch mal den Weg und dann machen wir uns auf.

Wenn man in Pennsylvania eine Farm hat, dann heißt die Straße, die zur Farm führt im Zweifelsfall wie die Familie, der die Farm gehört. Wir haben zwar die richtige Ausfahrt gekriegt, zwischendurch verfahren wir uns aber noch mal, müssen nach dem Weg fragen und dann haben wir’s. Es ist Abend, wir werden einquartiert, es gibt Abendessen, ganz simpel und super lecker. Wir sind hier auf dem Land, hier ist alles einfach, aber toll.

Im Nebenhaus wohnt der Sohn mit Familie, am schnellsten ist man da, wenn man sich in den Golfcaddy setzt und über die Wiese zum nächsten Haus brettert. Speed erzählt von seinem Combiner, er möchte unbedingt, dass der Mann mit ihm auf dem Combiner fährt, Montag dann, Sonntag geht nicht, da ist Sonntag, da geht man zur Kirche und fährt nicht mit dem Combiner. Speed ist über achtzig, aber wenn man eine Farm besitzt in Pennsylvania, dann macht man das auch noch, wenn man über achtzig ist. Es gibt weiße Lattenzäune und alle sind furchtbar nett.

Picket Fence

Am nächsten Tag ist Sonntag. Ob wir mit in die Kirchen wollten, werden wir gefragt. Klar wollen wir, wir machen hier alles mit, wir machen Erlebnisurlaub. Die Messe ist ein bisschen gruselig, aber der Mann erklärt mir nachher, dass dieses Kapitel in der Bibel immer ein bisschen gruselig ist, da macht man nichts. Zwischendurch werden Zettel rumgegeben. Hier, sagt Charlene, kann ich meinen Namen und meine Adresse eintragen und da dann meine Kirche zu Hause, wo ich immer hingehe. Ähm… mache ich, ähm-ähm und dann erzähle ich etwas von dass wir gerade umgezogen sind und noch keine Kirche gefunden haben. Das ist noch nicht mal so ganz gelogen, wir suchen allerdings auch nicht nach einer Kirche, aber das sage ich nicht. Fragt nicht. Ihr habt noch nicht neben Charlene in der Kirche gesessen und Zettelchen zum Ausfüllen bekommen, ihr wisst nicht, wie das ist.

(Keine Sorge, die Karpfen kommen gleich.)

Nach der Messe werden wir den anderen vorgestellt. “These are friends of Caitlin’s and they came to visit us”, sagt Charlene. “They’re from Germany.” “Oh, Germany”, sagt eine Frau. “You were our enemies!” Wir nicken und lächeln und können’s nicht leugnen, enemy oder nicht, es sind alle ganz furchtbar nett zu uns.

Zum Mittagessen geht es zu Wendy’s, und dann, dann werden wir wieder ins Auto gesetzt und Charlene und Speed beratschlagen, was sie den deutschen Touristen denn Aufregendes bieten könnten. Es geht los.

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Wir fahren eine gefühlte Ewigkeit durch Pennsylvania. Hier ist ja nichts, man fährt überall hin eine gefühlte Ewigkeit. “Guck mal”, sagt der Mann. “Lustig, da kann man Brot kaufen, um die Fische zu füttern.” Haha, lustig. Dann halten wir irgendwo auf einer Brücke mitten durch einen Riverlake. Ein Riverlake ist ein Fluß, der aussieht wie ein See, aber eben eigentlich ein Fluß ist. Wir halten auf dem Parkplatz und laufen am Geländer entlang dahin, wo die ganzen Menschen sind.

“Oh, guck mal, Karpfen”, sagt einer von uns. Oh ja. Da sind Karpfen im Wasser, ganz schön viele. Sie gucken aus dem Wasser mit großen Schnuten. Große, nicht allzu attraktive Fische mit großen Schnuten.

Ein paar Meter weiter wirft jemand Brot ins Wasser. Das Wasser brodelt.

“Oh, guck mal, mehr Karpfen”, sagen wir.

Ganz schön viele Karpfen. Man muss nur ein bisschen Brot ins Wasser werfen und bekommt eine Karpfenfontäne. Große Fische mit großen Schnuten hüpfen aus dem Wasser und überschlagen sich für ein bisschen Brot. Faszinierend und irgendwie auch etwas eklig.

Aber es geht weiter. Je weiter man geht, desto mehr Karpfen und dann sind wir angekommen an dem kleinen Basin, wo alle Leute stehen und da sind nur noch Karpfen. Nur. Noch. Karpfen. Man sieht überhaupt kein Wasser mehr. Die Karpfen liegen nebeneinander, übereinander und alle halten ihre großen Schnuten in die Luft, auf dass etwas Brot hineinfallen möge.

“This is the place where the ducks walk on the fish”, sagt Charlene oder vielleicht auch Speed und wir brauchen nicht nachzufragen. Das ist schon keine Metapher für irgendwas. Hier können die Enten wirklich auf den Fischen gehen, vollkommen problemlos. Es ist alles so fasziniert und gleichzeitig so eklig. Das sind tausend Fische in einem kleinen Basin und die sind freiwillig da, also wenn man bei Fischhirnen von Freiwilligkeit reden kann. Auf jeden Fall ist das Basin nicht geschlossen, das Wasser geht unter der Brücke durch weiter in den großen Riverlake rein, die Fische sind nicht eingesperrt. Aber hier kriegen sie Futter und das scheint verlockender zu sein als ein bisschen Bewegungsfreiheit.

Das ist wirklich… man kann gar nicht weggucken. Aber man will auch nicht hingucken. Es sind Fische, nur Fische und alle gucken einen an und wollen was von einem. Dieses Bild, von tausenden kleinen Fischschnuten, die einem entgegengereckt werden, das werden der Mann und ich nie wieder los und immer, wenn wir irgendwo Karpfen sehen, gucken wir uns an und wissen, wir denken beide an Pennsylvania und an die Karpfenschnuten.

Abends machen wir Barbecue, mit Baked Beans und Maiskolben und Fleisch und nachher rösten wir S’Mores über dem Feuer, weil ich mir das gewünscht habe. Es ist mein Geburtstag, das haben wir aber nicht verraten, nachher hätten die uns noch spontan eine Party geschmissen und der Tag war so schon toll. Verrückt, etwas schräg, aber toll. Wie das eben so ist, wen man auf einer Farm in Pennsylvania Urlaub macht.

(Vorsicht: Es folgen Bilder von ziemlich vielen Fischen. Ihr seid gewarnt.)

Harmlos

Harmloser ruhiger Riverlake.

Karpfen

Erste Karpfensichtung, alles noch okay.

Enten

Enten, hier schwimmend.

Mehr Karpfen

Karpfenfontäne. (Wird schlimmer übrigens, das ist noch gar nichts.)

Basin

Das Gruselbasin.

Karpfen

Karpfen neben-, unter- und übereinander.

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Ich mit leicht angewidertem Gesichtsausdruck ob der Karpfenmenge.

Schnuten

Karpfenschnuten. Dieses Bild werd ich nicht mehr los. Nie mehr.

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Ich, Charlene und Speed beim Karpfengucken. Im Hintergrund ein idyllischer, scheinbar total harmloser Riverlake.

Damals(TM): Craft’s Fair in Chicago

Ich hab den Besuch auf dem Design Gipfel gestern mal zum Anlass gekommen, um mal ein paar Bilder aus dem Archiv zu graben. Damals(TM) im Herbst 2005 waren wir in Chicago und haben mit Caitlin und Charles eine Craft’s Fair besucht. Leider habe ich nicht wirklich viele Bilder davon gemacht. Es war ziemlich regnerisch an dem Tag, der Markt fand auf einer Wiese stand, dementsprechend stapften wir ein bisschen durch den Matsch, aber es war trotzdem eine ziemlich tolle Sache. Gekauft habe ich damals ein Stickset von wool & hoop, das ich dann zu Hause auch brav vollendet und sogar gerahmt habe.

Gerne hätte ich auch noch die Lampen aus Papierschirmchen gekauft, aber die nach Deutschland zu transportieren wäre vielleicht doch etwas schwierig geworden.

Zwischen dem Besuch der Craft’s Fair in Chicago und dem Design Gipfel in Dortmund liegen also ungefähr sechseinhalb Jahre und ziemlich viele Kilometer. Erstaunlicherweise hat sich aber gar nicht so viel verändert. Eulen sind anscheinend doch ein bisschen zeitlos. Und Papierschirmchen-Lampen wohl auch.

Zeug

Prints

Caitlin

Stände

Lampen