Über Arschlöcher und solche, die es mal gewesen sein wollen

Weiteres Update (10.06.2013): Nach einigen Stunden intensiven Ein- und Ausatmens und der ein und anderen Diskussion weiß ich jetzt, dass ich mich in den letzten Tagen passenderweise auch wie ein Arschloch verhalten habe. Also sei noch mal klargestellt: Weder Felix Schwenzel noch Robert Basic sind schlechte Menschen, sie sind vielmehr Arschlöcher wie du und ich. Vor allem wie ich. Ich bitte dies bei der Lektüre des Textes zu berücksichtigen und das Folgende vielmehr als eine nicht ganz unaufgeregte Textkritik auf ungerechtfertigter Eskalationsstufe zu lesen. An dieser Stelle häuften sich Missverständnisse und persönliche Empfindlichkeiten zu einem etwas zähen Brei, aus dem wir uns jetzt hoffentlich alle langsam befreit haben. Dass es soweit kommen musste, tut mir leid. Den Text lasse ich so stehen, quasi als historisches Dokument einer etwas unnötigen und nicht immer fairen Diskussion und bitte auch darum, es als eben solches zu lesen.

Kiki schrieb heute einen sehr berührenden Text darüber, wie es ist, jahrelang unter Arschlöchern gelitten zu haben. Arschlöcher wie Robert Basic zum Beispiel, der in einem vermutlich provokativ gemeinten Beitrag dazu aufruft, man solle doch bitte mal zugeben, dass man auch fiese Seiten hätte und nicht immer scheinheilig so tun, als wäre man ausschließlich perfekt und toll. Felix Schwenzel kam dieser Aufforderung auf gewohnt ironisch-provokative Art und Weise nach, sein Text liest sich dankbarerweise weniger schlimm, man weiß aber trotzdem nicht so richtig, was der Sinn des Ganzen sein soll.

Update: Nach neuesten Entwicklungen (s. Kommentare) glaube ich, die Ironie im Text von Felix Schwenzel deutlich besser erkennen zu können. Es ist aber wie so oft, Ironie im Internet ist so eine Sache, die manchmal nach hinten losgeht, vor allem, wenn es um Themen geht, bei denen vielen Menschen, also zum Beispiel auch ich, aus guten Gründen deutlich emotional reagieren.

Jetzt ich. Nein, ich bin kein Engel. Ich bin nicht perfekt und ich habe in meinem Leben durchaus auch schon mal Arschlochverhalten an den Tag gelegt. Wie vermutlich wirklich fast jeder. Aber im Gegensatz zu den Herren Basic und Schwenzel glaube ich nicht, dass eine Aufzählung meiner Arschlochtaten irgendeinen Nutzen haben könnte. Oder, um es anders zu sagen: Es bringt nichts, zu wissen, dass ich in dieser oder jener Situation ein Arschloch war, solange ich nicht kapiert habe, dass es falsch war, ein Arschloch zu sein.

Es gibt keine Entschuldigung für Arschlochverhalten, es sei denn, man spricht sie selber aus. Wenn ich zehn Mal ein Arschloch war, und andere Leute aber hundert Mal, dann macht mich das zwar global betrachtet zu einem kleineren Arschloch, was aber nichts daran ändert, dass die zehn Mal, wo ich mich nicht im Griff hatte, zehn Mal zu viel waren und ich im Zweifelsfall in jedem einzelnen Fall einen Menschen verletzt habe.

Eine Selbstverständlichkeit sind nicht die zehn Mal, wo ich ein Arschloch war, sondern die neunzig Mal, wo ich es nicht war.

Ich habe viele Jahre unter so Arschlöchern wie Herrn Basic und Herrn Schwenzel es angeben gewesen zu sein gelitten, Kindern und Jugendlichen, die sich zielstrebig ihr Opfer ausgesucht haben, vorzugsweise jemanden, der irgendwie anders war, sich nicht gut wehren konnte und auch ansonsten im Sozialgefüge einer Schulklasse eher hinten anstand. Anders als Kiki würde ich durchaus sagen „Es lag an mir“, denn es lag selbstverständlich an mir oder an dem, was die anderen in mir zu sehen glaubten. Der Satz muss anders lauten: „Es war nicht meine Schuld.“

Ich war so, wie ich war und das wurde in dem Moment zum Problem, in dem andere meinten, man hätte nicht so zu sein und wenn man schon darauf bestand, sich nicht anpassen zu wollen, dann gehöre das zumindest bestraft. Aus so einer Opferrolle kommt man übrigens nicht so einfach wieder raus. Sie wird einem aufgedrückt und sie bleibt da. Richtig schlimm war es nur phasenweise, die meiste Zeit waren es eher kleine Sachen, Bemerkungen am Rande. Im Sport immer als letzte gewählt werden. Klingt harmlos, ist aber auf Dauer und mit der Verlässlichkeit und Gnadenlosigkeit, mit der es passierte, auch Gift fürs kindliche Ego.

Interessanterweise weiß ich, dass es mindestens zwei meiner Mitschülerinnen genau so ging, dass auch da gezweifelt und verzweifelt wurde, dass Wut da war, die sich zu Hause entlud, wenn es niemand mitbekam. Solidarität ergab sich daraus nicht, denn man wusste wohl um so besser, was für ein Glück es war, wenn man selber nicht in der Schusslinie stand.

Ich würde zwar zurückblickend nicht sagen, dass ich gemobbt wurde, aber – und das ist das eigentlich Schreckliche – es hat ausgereicht, um mir bis heute nachzuhängen. Auch ich weiß noch genau, wer damals am schlimmsten war, ich kenne die Namen und ich denke regelmäßig daran.

Letztlich habe ich damals halb bewusst und halb instinktiv das einzig Richtige gemacht. Ich habe mich nicht angepasst. Augen und Ohren zu und durch. Und weil ich selbstbewusst genug war und Eltern hatte, die mir immer den Rücken gestärkt haben, habe ich keine Schaden genommen, im Gegenteil. Ich weiß, wo meine Stärken sind, ich weiß, dass ich mich auf mich selbst verlassen kann und dass das Wichtigste ist, das zu tun, was ich für richtig halt und nicht das, was andere mir vorschreiben wollen. Aber ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man zu keiner Gruppe in der Klasse dazugehört, und die anderen es einen merken lassen.

Herr Basic schreibt nun: „Klar habe ich Scheidungskinder in der Grundschule in die Mitte unseren “netten” Gruppe gestellt, gehänselt, bis das Gegenüber geflennt hat. Klar habe ich es sogar mal geschafft, dass eine Schülerin nie wieder in unser ach so tolles humanistisches Gymnasium zurückkehrte, weil ich ein Mobbingspacko war.“

Und das ist genau der Punkt, an dem mir die Hutschnur platzt, denn: Das ist überhaupt nicht „klar“. Ich weiß auch nicht, wie man auf die Idee kommen könnte, dass das „klar“ wäre, es ist das Gegenteil von „klar“. Es ist asozial und erschreckend und Arschlochverhalten vom Feinsten. Und es hat vor allem nichts mit „authentisch“ zu tun, sondern ist reine Koketterie.

Schlimmer aber noch ist, dass man an keiner Stelle eine Entschuldigung liest. Es bleibt einfach im Raum stehen, als Selbstverständlichkeit mit einem impliziten „Sowas haben wir doch alle schon mal gemacht gebt’s doch zu“. (Was beide Herren an dieser Stelle auch vergessen ist: Für jedes Arschlochtäterkind gibt es mindestens ein Opferkind. Das eine funktioniert nicht ohne das andere. Und meistens gibt es leider mehr Arschlochtäterkinder als Opferkinder, denn alleine zu mobben traut sich ja keiner.)

Die Antwort ist glücklicherweise: Nein. Ich habe sowas nicht gemacht. Was nicht heißen soll, dass ich nicht auch schon mal ein Arschloch war, aber ich war nie daran beteiligt, andere von der Schule zu mobben und tatsächlich waren auch die schlimmsten Leute in meiner Schule nicht so schlimm drauf, als dass ich glaube, dass diese Gefahr bei anderen bestanden hätte. Und die Momente, in denen ich Arschloch war, die tun mir furchtbar leid. Ich schäme mich dafür, ich wünschte, ich könnte sie rückgängig machen, ich stelle mir vor, wie ich mich dafür entschuldige und weiß, dass ich es nicht mehr könnte und schäme mich dann noch mal. Kein einziger dieser Arschlochmomente war übrigens klar oder selbstverständlich. Bei jedem einzelnen hätte ich mich anders entscheiden können. Bei jedem einzelnen habe ich jemanden schlecht behandelt.

Vor einigen Wochen erhielt ich eine Mail von jemandem, der sich bei mir entschuldigte für eine Sache, die knapp neun Monate vorher passiert war. Das kam für mich aus heiterem Himmel, ich hatte soweit wie möglich mit der Sache abgeschlossen, wir hatten keinen Kontakt mehr. Es gab für mich keinen nachvollziehbaren Anlass für diese Mail, ich hatte nicht damit gerechnet. Und gerade deshalb fand ich das so bemerkenswert. Denn es ist einfach, sich zu Hause still im Kopf einzugestehen, dass man vielleicht einen Fehler gemacht hat. Sich dagegen aufzuraffen und sich konkret bei jemandem zu entschuldigen, ist etwas ganz anderes.

Richtiger Mut ist nämlich nicht, Arschlochverhalten aufzuzählen, sondern die Konsequenzen aus der Erkenntnis zu ziehen anstatt um eine Absolution durch Solidarität zu betteln.

Denn ja, wir sind alle mal Arschlöcher. Arschlochsein ist menschlich. Aber das macht die einzelne Arschlochtat nicht besser, nicht selbstverständlich, nicht „klar“. Und wer das nicht verstanden hat, und wie Robert Basic mit seinem Arschlochverhalten hausieren geht, weil er glaubt, dass es ihn authentischer (implizit: besser) macht, der hat ungefähr nichts dazugelernt und steckt noch immer ganz fest in den Schuhen eines Schulhofmobbingspackos.*

*Dass Herr Basic auf die Kritik an seinem Artikel mit beleidigtem Märtyrertum reagiert, stützt diese Vermutung.

18 Antworten auf „Über Arschlöcher und solche, die es mal gewesen sein wollen“

  1. und würde dann in Deinem Sinne was feststellen, wenn ich den Artikel „verstanden“ hätte, worauf Du hinausmöchtest? Was ist also Deine Moral der Geschichte?

    1. Werter Herr Basic, das absolute Minimum, welches Ihnen gut zu Gesicht stünde, wäre ein „To whom it may concern: Es tut mir nachträglich leid.“.
      Eine Entschuldigung impliziert Einsicht. Eine Schilderung/Einlassung nicht (konsultieren Sie diesbzgl. gerne Rechtsgelehrte zum Thema „mildernde Umstände). Und auch in Ihre Kommentare hier oben kann der geneigte Leser Vieles hineindeuten, Einsicht und Reue gehören vermutlich nicht dazu.

      Dies von mir als Wort zum Sonntag
      WeeklySpectator

  2. Ach Anne, mir ging es ähnlich. Ich war in einer Schule voller Unternehmer-Kinder, die heute die FDP wählen. Ich war jemand, der auch mal laut seine Meinung gesagt hat. Phasenweise war das unerträglich. Heute bin ich froh, dass ich ausreichend Distanz dazu gefunden habe.

  3. das ist klar wie Hühnerbrühe, dass die meisten Vorstellungswelten so sind (mache dies, tue das, sage das, sonst bist du das und dies, wenn nicht…) und beinahe schon müßig es explizit zu schreiben. Was aber, wenn man den Fingerzeig selbst unten lässt, gehen dann die Finger der anderen hoch oder bleiben sie – was mich immer freut und höchst selten passiert – auch unten? Ich fordere Blogger dazu auf, sich mehr zu trauen, auch und weil es gerade die Fingerzeiger gibt und wir langsam in diesen Tabuisierungs-Wellen ersticken.

    1. Sich mehr zu trauen ist super. Zuzugeben, dass man kein perfektes kleines Glitzerwesen ist, dem nie etwas misslingt, ebenfalls. Oder mal so richtig über die Stränge schlagen etc. pp.

      Aber was hat das mit Mobbing zu tun?

      1. Die von mir zitierten Sätze aus dem Artikel, in denen es darum geht, dass Mitschüler zum Weinen gebracht wurden oder sogar dazu, die Schule zu verlassen, deuten schon stark auf Mobbing hin.

        Aber ich habe auch bewusst versucht, den Begriff nicht allzu oft zu verwenden, da es eher um Arschlochverhalten im Allgemeinen geht. Was es nicht zwangsweise besser macht.

  4. worauf stützt du deine vermutung dass ich glaube „hausieren“ mit meinen arschlochverhalten mache mich „authentischer“ und „besser“ und dass ich in über 30 jahren „ungefähr nichts“ dazu gelernt habe? stützt sich das auf etwas was ich gesagt habe, auf etwas was ich nicht gesagt habe oder auf etwas was du über mich im internet gelesen hast?

    1. Ich habe zwar deinen Artikel verlinkt und finde ihn auch an bestimmten Stellen nicht unproblematisch, vor allem aus den Gründen, die schon anderswo genannt wurden und sich kurz mit „Nespressokapseln“ zusammenfassen ließen.
      Die konkrete Kritik, die du hier auch erwähnst, bezieht sich aber (muss man vielleicht explizit sagen) *nicht* auf deinen Beitrag.

      1. das man den eindruck gewinnen könnte, dass bestimmte teile deiner deftigen kritik an mich gerichtet sein könnten, obwohl sie es gar nicht sind, findest du nicht problematisch?

        der witz ist ja, dass der hauptkritikpunkt an meinem text ja ist, dass man den eindruck gewinnen könnte … ach egal.

        1. Es ist wie immer in diesem Internet schwierig, wenn Ironie und Provokation in irgendeiner Form aufeinandertreffen. Und was die erste Frage angeht: Mea culpa und was man sonst so sagt. Das muss wohl expliziter genannt werden.

  5. „Ich würde zwar zurückblickend nicht sagen, dass ich gemobbt wurde, aber – und das ist das eigentlich Schreckliche – es hat ausgereicht, um mir bis heute nachzuhängen. Auch ich weiß noch genau, wer damals am schlimmsten war, ich kenne die Namen und ich denke regelmäßig daran.“ Ganz genau so geht es mir auch. (Und auch wie du beschreibst, dass du dich für dein Arschloch-Verhalten in gewissen Situationen nachträglich schämst.)

    Habe den ersten verlinkten Artikel jetzt mal nur überflogen, aber so wie ich das sehe wurde dort an konkret zwei Beispielen (Verhalten im Grundschulalter & Verhalten eines Vaters mit todkranker Tochter?!) aber sowas von Äpfel mit Birnen verglichen. Es ist das eine, ob man ein „Arschloch“ ist oder so abgestempelt wird, weil man eine moralisch schwere Entscheidung trifft, oder ob man sich aus einfacher Laune heraus dazu entscheidet einem oder mehreren Mitschülern die Schulzeit zur Hölle auf Erden zu machen…. Der Zusammenhang zwischen dem Video und dem Bloggen ist mir auch irgendwie entgangen, aber vielleicht ist es einfach schon zu spät.

    Jedenfalls, ich glaube manche Menschen unterliegen einfach dem fundamentalen Missverständnis, dass sie glauben sie hätten ein „Recht“ darauf ein Arschloch zu sein, wahlweise weil andere Leute ihnen gegenüber sich auch schon mal so verhalten haben, oder weil sie sich darauf ausreden dass sie wenigstens dazu stehen oder sich dessen bewusst sind… Nein, ich bin der Meinung keiner sollte ein Arschloch sein. Schon gar nicht absichtlich, und in vollem Bewusstsein der Tat und Auswirkungen wie ein Arschloch handeln und es danach nicht einmal zu bereuen. Sagt sehr viel über einen Menschen aus. Aber damit muss man ja dann leben, so als Arschloch, dass es eben manche Menschen, so wie mich, gibt, die dass dann nicht toll und ehrlich finden, wenn man das zugibt, sondern einfach präpotent und Arschloch-haft.

  6. Ich fand den Text sehr gut und kann vollkommen zustimmen. Es tut gut, so etwas mal ausformuliert zu lesen und es bleibt nur zu hoffen, dass du damit ein paar Menschen zum Nachdenken anregst. Und wenn es nur einer ist. Danke fürs Schreiben und Veröffentlichen!

  7. Herr Basic war mir in gewisser Weise sehr nützlich. Er hat ‚abweichendes Verhalten‘ gezeigt, und die Reaktion darauf ist ein zurechtrücken der Maßstäbe! Die Kommentare sprechen mir aus dem Herzen.
    Leider brauchen gerade Jugendliche für ihre Sozialisation beides.
    Aber stellen wir uns doch einfach das ‚Arschloch‘ als soziologische Kategorie vor: würde Herr B es nicht tun, würden alle bald vergessen wie wichtig ein freundlicher Umgang miteinander ist. Wäre er mal nett, müsste über kurz oder lang jemand anderes diese Rolle übernehmen. In einem Theaterstück wäre er der strubbelige schwarze gängster mit Spielgewehr…
    Deshalb vielen Dank an ihn, dass er scheinbar immer noch bereit und in der Lage zu sein scheint, in sozialen Systemen die Grenzen auf zu zeigen, ab denen wir uns zur Wehr setzen müssen. Ein etwaiger Rollenwechsel könnte durch eine Verhaltenstherapie eingeleitet werden…

  8. Liebe Anne,
    ich bin gerade erst auf dein Blog gestoßen, (Danke Frau Brüllen) und möchte einfach nur Danke sagen. Mir ging es während der Schulzeit wie dir und auch ich knabbere als mal noch daran.
    Aber nur die Harten kommen in den Garten und so tut es nur gut, zu erfahren, dass man damals nicht alleine war.
    Gruß

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