#609060 oder was normale Menschen so anziehen

Wer mir auf Instagram oder Twitter folgt oder auf Facebook mit mir befreundet ist, dem sind vielleicht die ominösen und visuell eher so mäßig ansprechenden Bilder aufgefallen, die ein kopfloses Ich in meist trister Umgebung zeigen und mit “Normale Menschen in Oberbekleidung” und dem Tag #609060 betitelt sind.

Möglicherweise hat sich der ein oder andere auch gefragt, was der Unfug soll. Das erkläre ich jetzt.

Angefangen hat damit die Madame Journelle, die erst diesen Artikel schreibt, darüber, wie doof das ist, dass uns überall und jederzeit suggeriert wird, wir müssten in Modelgrößen passen, dass es keine vernünftige Klamotten gibt für Leute, die vielleicht nicht den wie auch immer ersonnenen Idealvorstellungen entsprechen und dass es im Übrigen auch vollkommener Bullshit ist, das es diese unrealistischen Idealvorstellungen gibt und auch noch erwartet wird, dass wir diesen Idealen tatsächlichen hinterher rennen.

Ein bisschen verschrieb sie sich dabei und so wurde aus 90–60–90 eben 60–90–60 und unter dem Hashtag schubsen jetzt immer mehr Menschen täglich Bilder von sich mit ihren Alltagskörpern in ihrer Alltagskleidung ins Netz. (Auch darüber schrieb Madame Journelle dann ein paar Tage später hier.)

Ich hab erstmal einfach mitgemacht, weil ich ja bekanntlich gerne bei irgendwelchen lustigen Sachen mitmache, einfach so.

Dann sind mir aber drei Sachen aufgefallen und die finde ich alle gut:

1. Ich mach das zwar erst knappe zwei Wochen, aber ich habe mich schon am Sonntagabend dabei ertappt, wie ich den Kleiderschrank durchguckte und einen Rock rausfischte, den ich nun wirklich seit Ewigkeiten nicht mehr anhatte, einfach weil ich dachte: “Ach guck mal, der sieht ja eigentlich hübsch aus. Mal sehen, wie der so ankommt.” Soll heißen, ich gucke anders in meinen Kleiderschrank, etwas bewusster, auch etwas eitler vielleicht, aber in einem Rahmen, den ich für mich eher positiv finde.
Schließlich hat man ja auch nichts von Klamotten, die nur noch im Schrank rumliegen. Wenn ich mir also ob der erhöhten Beobachtung überlege, mal wieder was anzuziehen, was ich schon lange nicht mehr anhatte, oder Sachen anders kombiniere, dann ist das ein schöner Effekt.

2. Ich gucke mir gerne an, was andere Leute so tragen und vor allem, ich sage dann auch gerne, wenn mir was gefällt. Hier kann man auch schön den Bogen zu dem Blogpost vom Lieblingsnuf spannen, die ja letztens erst darüber schrieb, dass man mehr loben sollte. Das habe ich gelegentlich auch schon vorher gemacht, aber jetzt ist es viel einfacher.

3. Ich freue mich, wenn sich jemand positiv über das äußerst, was ich an dem Tag anhabe. Ein bisschen Eitelkeit, na klar, auf der anderen Seite will man sich ja in den Sachen, die man trägt, wohlfühlen und zumindest bei mir ist auch so, dass ein bisschen fremdes Lob durchaus auch das Wohlfühlen unterstützen kann. Es ist eben schön, wenn nicht nur ich das gut finde, was ich anhabe, sondern andere Leute auch. “Wieder was richtig gemacht”, denke ich dann und freu mich.

Ich weiß nicht wie oft und wie lange ich bei #609060 mitmachen werde, aber ich würde mich freuen, wenn ich demnächst den ein oder anderen in seiner Alltagskleidung bei Instagram oder Twitter sehen würde und uns auch auf diesem Weg ein bisschen klarer wird, dass unsere Alltagskörper in unseren Alltagskleidern vollkommen in Ordnung sind. Mehr als dass, meistens sehen wir darin ziemlich gut aus. Es wird nur zu selten gesagt.

Also bitte, auf, auf! Es herrscht auch ein gewisser Männermangel, lediglich der gute Jawl macht mit – zumindest weiß ich von keinem anderen männlichen #609060–Fotografen (das muss aber nichts heißen). Ihr müsst euren Kopf auf den Bildern auch nicht abschneiden, aber ich seh auf so selbstgeschossenen Bildern immer höchstkonzentriert und dementsprechend bescheuert aus, deswegen mach ich das jetzt so. Und die triste Umgebung bitte ich zu entschuldigen, der beste, bzw. größte Spiegel ist nun mal leider der im Büro vor den Toiletten und da ist es leider ansonsten nicht so hübsch.

Zum Abschluss noch eine kleine Zusammenfassung der letzten #609060–Bilder. So seh ich also aus:

Instagram

Oben: graues Sommerkleidchen (bei Coffee & Kleid auf der Rü gekauft), Rotkehlchenkleid (in Edinburgh gekauft), Blümchenkleid (von Blutsgeschwister)

Mitte: Egal-Shirt (von JR Sewing) und Jeans, noch mal graues Sommerkleidchen diesmal mit Jeans, neue Blutsgeschwister-Strickjacke mit Faulenzerhose

Unten: Shirt mit Aussage (von Glarkware) und Jeans, lange nicht getragener Rock mit Bluse, das grandiose Eulenkleid

29 Antworten auf „#609060 oder was normale Menschen so anziehen“

  1. Herr dentaku und Herr sebas sind auch dabei. Wollte ich ergänzen.

    Und dann hab ich immer noch die vage Idee, aus dem Ding einen tumbl zu befüllen …

    Und ich liebe, was da passiert. Wollte ich auch noch sagen.

  2. Liebe Anne,
    als ich #609060 in deinen instagram-Bildern auftauchen sah befürchtete ich einen zynischen Kommentar zum Phänomen der Modeblogger. Stellt sich mal wieder raus: Erst nachlesen, dann denken. Oder so ähnlich.
    Worauf ich hinaus will:
    ICH FIND DAS RICHTIG GUT! Ehrlich. Und ich werd ich Zukunft bestimmt auch mal mitmachen. Da steckt Sinn und Verstand drin, irgendwie.
    Also danke fürs Teilen. Und besonders für das Schlafanzugbild.

    1. Ich kenn mich mit Modebloggern so wenig aus, ich wüsste noch nicht mal, wie man dazu einen zynischen Kommentar bastelt.

      Also nein, es ist eine vollkommen nette Sachen von ebenso netten Menschen und es macht Spaß, da mitzumachen.

  3. Jeden Morgen freue ich mich aufs Neue, wie viele Menschen mitmachen, ihre Kleidung und die Kleidung anderer kommentieren und ziemlich klasse, eigen und schick aussehen.

    Und dieser Blick in den Kleiderschrank, ich habe überhaupt keine Ahnung mehr was ich anziehen soll aber es macht viel Spaß.

    Ein Tumblr ist eine gute Idee, aber nachdem ich meine ersten Versuche dort mal vor 6 Monaten gestartet habe, bin ich bei diesem Zitate- und Repost-System nie wirklich durchgestiegen.

    1. Ich glaub, das JR Sewing-Shirt hat fast jeder. Du bist jetzt zumindest die Vierte, von der ich weiß, dass sie das hat (mich mitgezählt) und dafür, dass ich sonst kaum Leute kenne, die die gleichen Klamotten haben wie ich, finde ich das ganz schön viel.

      Man muss ja auch nicht jeden Tag mitmachen. Hab ich auch nicht. Einfach dann, wenn man dran denkt und gerade ein brauchbarer Spiegel in der Nähe ist.

  4. Pingback: #609060 | DENKDING
  5. Was ich ja besonders interessant finde: Ich sehe bei instagram erstmals Frauen, die Röcke tragen. Ist in meinem Freundinnen- und natürlich Freundeskreis nämlich seltenst der Fall. Regt mich gelegentlich dazu an, die ganzen Kleidchen, die ich habe, auch mal zu tragen, auch wenn ich wirklich eher der Hosentyp bin bzw. mich darin ein klein wenig wohler fühle.

  6. Ich find’s auch super! Wollte ich nur kurz anmerken. Bin ja weder bei Instagram noch bei Twitter – und gehe aufgrund des Zuhause-Arbeitens ja kaum vor die Tür (ich Arme, ich), sonst würde ich vielleicht auch mitmachen. :-)

  7. Pingback: #609060
  8. Hallo
    Wie entstehen denn solche Internethypes? Wer fängt damit an? Wie wird so etwas populär? Ich habe von dieser 60960-Aktion bislang nichts gehört. Gibt es da einen geheimen Informationsaustausch?

    1. Sowas wächst eher organisch und zufällig. In dem Fall ist es sogar recht einfach nachzuvollziehen. Bei Journelle fing es an, sie hat das ja sehr klar angekündigt und dann haben eben ein paar Leute mitgemacht und dann ein paar mehr. Geheim ist der Informationsaustausch nicht, meistens hängt es eben von den Blogs ab, die man so liest, und da gibt es ja auch gerne Querverbindungen.

      Ich glaube, man kann es nur bedingt steuern oder einen Hype provozieren, aber es ist spannend, wenn es mal passiert, und man ein bisschen mit drin hängt.

      1. Hallo
        Vielen Dank für die Antwort. Ich habe in letzter Zeit kaum mehr Blogs gelesen. Mir wurde das zuviel. Meine Interessen hatten sich auch verschoben. Es gibt so ein riesiges Angebot, da muss man mal abschalten. Wenn man alles mitmachen will wird man ja noch verrückt.

        1. Ich mach ja viel mit, aber auch nicht alles und nur, wenn es mir Spaß macht und möglichst nicht viel Zeit in Anspruch nimmt (bei erhöhtem Spaßfaktor kann auch der benötigte Zeitfaktor steigen).

          Bei #609060 mitzumachen dauert meistens nicht länger, als sich ne Tasse Kaffee zu holen, insofern passt das. Nur das Rumdiskutieren jetzt ist ein bisschen anstrengeder.

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