Bei Oma

Wir sitzen bei Oma und essen Rinderrouladen aus der Dose. Die Caritas hat den Seniorenheimbewohnern lustige Carepakete zu Weihnachten gepackt, worauf meine Mutter kurz wieder in einen Rant verfällt, wie bescheuert das sei, es ist ja nicht so, als ob die Leute im Seniorenheim notleidend wäre und dann wären fast nur Sachen drin, die man zubereiten muss, Puddingpulver und Kartoffelpüreepulver und eben Dosenessen. Oma verschenkt alles und behält nur die Fertiggerichte, die man nur noch in die Mikrowelle packen soll.

Aber dafür essen wir jetzt Rinderrouladen aus der Dose mit Erbsen und Möhren aus der Dose und es ist kein gastronomisches Highlight aber ausreichend okay.

Wie’s denn beim Adventskonzert war, will Mama wissen. „Blöd“, sagt Oma. „Die haben nur so ganz klassische Weihnachtslieder gespielt.“ Letztens war’s schön, sagt sie, da haben noch Jugendliche Klavier gespielt und es wurden Gedichte vorgelesen und das war schön.

Gedichte können wir selber aufsagen, zum Beispiel „Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen„. Wir können es aber nur in dem kölschen Singsang, in dem mein Onkel es 1964 bei der Produktion der ultimativen Weihnachtskassette als Zehnjähriger aufsagte. Die ultimative Weihnachtskassette haben meine Großeltern aufgenommen, ein Potpourri aus Gedichten, Liedern (mit und ohne Gesang) und einem Krippenspiel, bei dem auch die Nachbarskinder mitwirkten. Mama war da drei, fast vier und durfte als ersten Beitrag „Advent, Advent“ aufsagen. Wir überlegen uns Vermarktungsstrategien für die Weihnachtskassette, die mein Onkel vor Jahren auf CD brannte und an alle Geschwister verteilte. Da muss doch was gehen. „Kölner Großfamilie Weihnachten 1964 – unplugged und ungekürzt“.

Dann überlegen wir, wie das wohl wird, wenn die Nachkriegsgenerationen ins Seniorenheim kommen. Die, die wirklich gar nicht mehr zum Adventskonzert wollen, noch nicht mal, wenn ihnen sehr langweilig ist. Oder nachher, die Generation wie mein Vater. Der nicht zum Adventskonzert ginge und auch nicht zum Gottesdienst, dafür aber auf seinem Zimmer laut Neil Young hören will. Da müssen sich die Organisationsleute sämtlicher Seniorenheime ganz schön umstellen in ihrer Programmgestaltung. Ganz, ganz später, aber das fällt mir erst jetzt ein, wird das Hauptkriterium bei der Seniorenheimwahl sein, ob es da WLAN gibt. In ein Seniorenheim ohne WLAN geh ich nicht.

Wir essen Kekse und Omas Weihnachtszeug. Dominosteine mag ich nicht, dem Gelee stehe ich neutral gegenüber, aber ich habe eine Schwäche für dieses komische Fondantzeug. Jedesmal, wenn es sowas gibt, muss ich das essen und bin zwischen Abscheu und Genuss hin- und hergerissen. Viel zu süß und so pampig und irgendwie schmeckt es nach Rum, warum ess ich das eigentlich, hmmmm, lecker, ich nehm noch eins.

Wenigstens kann Oma meine Vanillekipferl essen, die sind mürbe genug, zerbröseln ja schon so ein bisschen, wenn man sie zu streng anguckt. „Und?“ fragen wir. „Lecker“, sagt Oma.

Na, dann ist ja gut.

5 Antworten auf „Bei Oma“

  1. Im Zivildienst war unser hypothetischer Altenheimaufenthalt in ferner Zukunft und wie dieser gestaltet werden sollte, ein Gegenstadt von gerne gemachter Spekulation. Bis meine Chefin dann das Diskussionen verstummende Argument brachte:
    Zukünftige Altenheimmitarbeiter werden von unserem Jetzt so weit entfernt sein, dass sie es nur noch durch die verzerrte Brille vergangener Populärkultur betrachten und nicht mehr nach individuellem Geschmack. Soll heissen:
    »Frau Schüßler, heute spielen wir mal was für ihre Generation. Wir haben Musik von Helene Fischer und André Rieu aufgetrieben! Na, freuen Sie sich?«

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