Über die Angst

Ich habe heute aus Gründen über Angst nachgedacht. Einer der Gründe war ein Kommentar auf einem Blog, der zusammengefasst und damit vielleicht auch etwas aus dem Kontext genommen, aussagte, dass Angst ein wertvolles gesellschaftliches Gut sei, das weniger geächtet werden sollte.

Obwohl ich im konkreten Kontext des Kommentars sogar eher auf der Seite des Verfassers stand, würde ich dieser Aussage sehr vehement widersprechen. Ich würde sogar im weiteren Verlauf einen Blogeintrag über die Angst schreiben, was ich also ja gerade jetzt tue.

Mit der Angst verhält es sich meiner Ansicht nach so: Angst per se ist weder gut noch schlecht. Man sollte sie weder preisen noch ächten. Wie so oft kann man sagen: Es kommt halt drauf.

Das Thema Angst kommt in zwei wesentlichen Variationen daher. Es gibt das Angsthaben und das Angstmachen. Es gibt die individuelle Angst, die man hat und die gesellschaftliche Angst, die Menschen verkauft werden soll.

Die erste Variante ist durchaus zu achten und zu beachten. Angst zu haben ist menschlich und normal, im besten Fall bewahrt sie uns, dumme Sachen zu tun. Angst vor tiefen Abgründen zu haben, ist zum Beispiel eine ganz gute Sache, denn so fällt man nicht runter und stirbt. Angst vor großen Tieren mit scharfen Krallen und ebenso scharfen Zähnen zu haben, ist auch nicht grundsätzlich verkehrt, und bringt uns dazu, uns zu verstecken oder schnell wegzulaufen, damit wir nicht gefressen haben. Auch andere Ängste helfen uns dabei, weniger dumme und gefährliche Dinge zu tun.

Angst erfüllt auch einen anderen Nutzen, sie gibt uns die Chance, mutig zu sein. Wer keine Angst hat, muss sich auch nicht selbst überwinden, kann die Angst nicht besiegen und mit dieser Erfahrung eventuell zu einem weiseren Menschen werden. Ein prominentes Beispiel ist Peter von den drei Fragezeichen, der ja bekanntlich ein Angsthase ist, sich dann aber Mal um Mal zusammenreißt und Dinge tut, vor denen er sich fürchtet. Nur, wo Angst ist, ist auch Mut, denn etwas zu tun, das einen emotional kalt lässt, erfordert keine besondere Leistung. Der junge Mann aus dem Märchen, der auszieht, um das Fürchten zu lernen, ist auf der Suche nach einem Gefühl, das ihm fehlt.

Angst zu haben, zu äußern, zuzugeben, zu überwinden oder auch ihr klein beizugeben, ist also keineswegs schlecht oder verwerflich. Wir haben alle Dinge, vor denen wir Angst haben, und solange diese Angst uns in unserem Bewegungs- und Handlungsraum nicht übermäßig einschränkt, ist das auch kein Problem.

Dann gibt es aber noch die zweite Variante und die ist gefährlich. Es ist das Angstmachen, besonders das systematische Angstmachen, das eine Gesellschaft im schlimmsten Fall handlungsunfähig macht. Mit Angst hält man Menschen klein, damit sie exakt das tun, was man von ihnen möchte oder eben einfach gar nichts. Angstmacherei hat immer etwas mit der Einschränkung von Freiheit zu tun, mit der Furcht vor den Konsequenzen. Im besten Fall ist sie abstrakt und nicht fassbar, denn dann kann ich mich noch weniger dagegen wehren.

Am Flughafen lassen wir unsere Koffer durchleuchten, schütten Flüssigkeiten weg, laufen durch Ganzkörperscanner und ziehen Gürtel und Schuhe aus, weil irgendjemand der Meinung ist, das würde uns vor Terroranschlägen bewahren. Und jedes Mal, wenn dann doch etwas passiert, wird nicht überlegt, ob die bisherigen Methoden vielleicht einfach unsinnig sind und man nie alles überprüfen und absichern kann, sondern wir bauen noch eine weitere Sicherheitsstufe ein. Mit jeder Sicherheitsstufe sollen wir uns sicherer fühlen. Gleichzeitig geben wir unsere Freiheit ab. Ein fairer Tausch, eventuell. Ich weiß es nicht, ich kann es noch nicht mal beurteilen.

Über systematische von oben gesteuerte Angstmacherei kann man seit einigen Jahren besonders gut in der Science-Fiction-Literatur nachlesen und Science-Fiction gehört ja bekanntlich zu meinen präferierten Genres. Das bekannteste Beispiel sind wohl „The Hunger Games“ (bzw. auf Deutsch „Die Tribute von Panem“, wo die Menschen mit Restriktionen und der ständigen Bedrohung von Hunger und Tod kleingehalten werden, während die Elite in Saus und Braus lebt. Auch die „Divergent“-Reihe von Veronica Roth spielt in einer abgeschotteten Welt, in der die Menschen unwissend gehalten werden und sich möglichst nur damit beschäftigen sollen, nicht aus der Rolle zu fallen, denn wer aus der Rolle fällt, wird ausgestoßen.

In „Matched“ von Ally Condie bestimmt einfach die Gesellschaft, was man zu tun, wen man zu lieben, und was man zu lesen und zu hören hat. Schreiben ist verpönt und wird nicht gelehrt. Wer einen Brief schreiben will, darf sich diesen aus vorgefertigten Textbausteinen zusammenklicken, und dann abends in einen der 100 Filme im Kino ansehen, der nach einer sorgfältigen Auswahl nicht vernichtet wurde. Das Thema ist auch hier das gleiche, wer sich nicht anpasst, fliegt raus, wird verstoßen oder in schlimmeren Dystopie eben einfach getötet. In anderen Zukunfstvisionen wie die in „Super Sad True Love Story“ von Gary Shteyngart funktioniert das ganze etwas subtiler, aber nicht weniger effektiv. In einer Welt, wo alles transparent ist, wo ich jederzeit den „Fuckable“-Score meiner Mitmenschen erfahren und über ihre finanzielle Situation Bescheid weiß, sind die Ängste eben anders gelagert, aber nicht weniger schlimm. Auch hier gilt: Was, wenn ich aus der Reihe tanze? Nicht sexy genug bin? Nicht reich genug?

Natürlich reden wir hier von Fiktion. Doch über die Jahre habe ich gemerkt, wie weit und wie nah wir doch gleichzeitig von diesen Zukünften entfernt sind. Immer wieder passieren Dinge, werden Gesetze beraten oder gesellschaftliche Diskussionen geführt, die mir viel zu nah an irgendwas ist, was ich schon einmal gelesen und beim Lesen für nicht erstrebenswert empfunden habe. Wo ich eine Gänsehaut bekomme oder zumindest im Kopf die Alarmglocken angehen, weil irgendwas in mir sagt, dass das ein falscher Weg ist, der bei allen guten Intentionen, mit denen er gepflastert sein mag, eher wie der Weg in die Hölle aussieht

Angst, auch die individuelle Angst, die ich ja für nichts falsches halte, hemmt. Sie lähmt. Sie macht uns handlungsunfähig und sprachlos. Angst macht uns zu Egoisten, denn wo ich um mein eigenes Leben oder zumindest meine eigene Lebensgestaltung fürchten muss, da habe ich keine Zeit, mich um andere zu kümmern.

Angst ist dazu da, nicht in die Schlucht zu fallen und nicht mit dem Tiger spielen zu wollen. Angst ist aber auch dazu, sie zu überwinden und vor allem, sie überwinden zu können. Angst ist nicht dazu da, Individualität und Freiheit zu beschneiden. Mit meinen eigenen Ängsten muss ich lernen, umzugehen, ich muss lernen, welche ich besiegen kann und mit welchen ich mich arrangieren muss. Aber das sind meine eigenen Ängste, die ich selbst gemacht habe und die ich nach meinen Möglichkeiten hegen, pflegen und ablegen kann. Dazu brauche ich niemanden, der mir zusätzliche Ängsten aufdrückt, damit ich nicht auf dumme Ideen komme und nachher auch noch verlange, selber denken zu dürfen. In diesem Zusammenhang ist Angst immer schlecht, denn sie führt zu nichts außer Unsinn. Und deswegen sollte Angstmacherei immer, wirklich immer geächtet werden.

(In Wahrheit ist natürlich wieder alles komplizierter, aber so ist sie nun mal, die Welt. Immer ist alles kompliziert.)

[Werbelinks]
Suzanne Collins: The Hunger Games
Veronica Roth: Divergent
Ally Condie: Matched
Gary Shteyngart: Super Sad True Love Story

2 Antworten auf „Über die Angst“

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