Sackgassenkommunikation mit Tellonym

Ich habe es einen ganzen Tag ausgehalten und dann habe ich mir doch ein Konto by Tellonym zugelegt, einfach, um zu gucken, wie das ist und ob das zu irgendwas taugt. Eigentlich schule ich ja um zum Late Adopter und habe vor, Dienste von jetzt an immer erst dann zu nutzen, wenn alle anderen schon da sind. Möglicherweise hat es sich bei Tellonym ja so angefühlt, als wären schon alle da, vermutlich war ich einfach nur scharf darauf, von anderen Menschen nette Sachen geschrieben zu bekommen.

Das hat tatsächlich auch ganz gut funktioniert und es kamen kleine Grüße rein, die mir vor Freude die Wangen röteten, auch Dinge, mit denen ich gar nicht rechnete, Komplimente für Äußerlichkeiten, die man ja schnell als oberflächlich abtun kann, die sich aber – let’s face it – doch sehr schmeichelnd lesen und das Ego zusätzlich etwas streicheln.

Ich habe aber auch gemerkt, dass ich anderen Menschen sehr gerne nette Sachen schreibe. Ich habe die Tellonym-Konten meiner Internetmenschen abgegrast und Leuten gesagt, wie toll sie sind und was ich an ihnen mag.

Die berechtigte Frage ist natürlich, warum man das anonym tun muss. Kann man nicht einfach auf Twitter rumlobhudeln, ganz unanonym, damit der andere das auch weiß? Traut man sich nur, Komplimente zu machen, wenn man es im Geheimen machen kann?

Die Antwort ist ein eindeutiges Jein. Ich habe kein Problem damit, auch unanonym Komplimente zu machen und ich glaube, zumindest hoffe ich das, dass ich das auch regelmäßig tue.

Trotzdem empfinde ich Tellonym als eigenartig und unerwartet befreiend, denn es ist eine Kommunikationssackgasse. Ich kann niemandem dafür danken, wenn er mir etwas nettes geschrieben hat und genauso muss ich nicht auf eine Reaktion warten, wenn ich jemandem gerade ein Kompliment gemacht habe. Eine Reaktion ist systemisch nicht vorgesehen. (Das stimmt nicht ganz, man kann auch ganz unanonym schreiben, BUT WHERE’S THE FUN IN THAT?)

In einer Welt, in der alles auf Austausch und Kommunikation ausgelegt wird, ist es eine schöne Abwechslung, wenn man mal einfach gar nicht reagieren kann, wenn Dinge einfach so stehengelassen werden (müssen), wie sie sind. Wenn man sich nicht bedanken kann, kein Gegenkompliment gemacht werden kann, einfach, weil man nicht weiß, wer’s war. Und vor allem, wenn man sicher sein kann, dass der andere auch gar nicht erwartet, dass man reagiert. Gerade Menschen wie mir, die mit Komplimenten nicht immer gut umgehen können („Das hast du total gut gemacht.“ „Ich weiß.“) wird eine Riesenlast von den Schultern genommen, wenn hinter der Komplimentmacherei kein sozialer Druck, jetzt irgendwie adäquat zu reagieren, mehr steht.

Ich habe 2009 einen Artikel über Twitter geschrieben, der schon alleine deshalb lustig zu lesen ist, weil darin so Dinge stehen wie „Could I live without it? Sure.“ Darüber kann ich heute natürlich nur noch herzlich lachen. (Die heutige Variante wäre wohl: „Could I live without it? WHY WOULD YOU SAY SOMETHING SCARY LIKE THAT?!?“)

Damals mochte ich an Twitter unter anderem, dass man bei Konservationen nicht die ganzen Höflichkeitsrituale durchmachen musste, die bei Skype so üblich waren (das steht im vorletzten Abschnitt). Heute mag ich an Tellonym (nach zwei Tagen in Gebrauch zugegebenermaßen), dass ich nicht die ganzen Höflichkeitsrituale durchmachen muss, die bei Twitter oder eben jedem anderen dialogisch angelegten Dienst üblich sind. Ich sehe da Parallelen, die natürlich auch damit zusammenhängen, dass ich Twitter mittlerweile vollkommen anders nutze als im Mai 2009 und dass sich die Welt in den letzten sieben Jahren generell etwas geändert hat (und ich auch).

Bislang gab es eine Beleidigung auf Tellonym. Das ist zunächst etwas erschreckend, zumal ich den Link zu meinem Konto nur auf Twitter bekannt gab und deswegen zunächst davon ausging, dass diesen also vermutlich nur Leute sahen, die mir aus welchen Gründen auch immer, dort folgen. Warum folgt einem dort jemand, der einen offensichtlich nicht mag?

Als wir Tellonym im Allgemeinen und die darüber verschickten Beleidigungen im Speziellen im Techniktagebuchredaktionschat durchdiskutierten, wurde auch die Vermutung geäußert, dass es sich um Beleidiungstrolle handelt, die eher Twitter auf Tellonym-Links filtern und dann (eventuell geschlechtsspezifisch) Beleidigungen im größeren Umfang streuen. Diese Erklärung schien mir noch wahrscheinlicher, als dass mich ein Follower so doof findet, dass er das Bedürfnis verspürt, mir das anonym mitzuteilen und ich kann ziemlich gut damit leben, zumal die anderen Nachrichten diesen einen Satz mehr als wettmachen. Warum es solche Leute gibt und was deren Motivation ist, ist wohl eine ganz andere (spannende, aber auch nicht neue) Diskussion.

Ich werde also Tellonym erst mal weiter nutzen, einfach um zu sehen, (ob noch) was passiert. Und wer mir immer schon was sagen wollten oder drängende Fragen hat, die er oder sie sich sonst nicht zu stellen trauen würde, man kann das hier tun: www.tellonym.de/u/anneschuessler

4 Antworten auf „Sackgassenkommunikation mit Tellonym“

  1. Ganz un-anonym möchte ich dir sagen, dass mir dein Artikel gefällt ;-)
    Die Idee klingt interessant, Komplimente einzusammeln und ich verstehe jetzt den Zusammenhang der liebevollen Flausch-Tweets der letzten Tage.

    Du bringst den Punkt der Beleidigungstrolle auf – Zum einen bietet es ihnen eine Plattform, um Beleidigungen auszuteilen, aber wenn es keine Möglichkeit der Reaktion gibt, ist dies wahrscheinlich ein wenig interessantes Territorium.
    Beim Thema Cybermobbing mache ich mir da eher Sorgen. Menschen anonym verletzen, die man auch aus der Schule, dem Job kennt, ohne Risiko.

    Viel Spaß beim experimentieren!
    Liebe Grüße
    Stephanie

  2. Ich habe jetzt auch 2 Tage ausgehalten und mich doch angemeldet. Aus Neugierde und ein wenig Narzissmus ist natürlich auch dabei. Klar bin ich skeptisch, kenne ich mich herzmenschberufsbedingt eher im Gefüge der hate community aus und halte tellonym für extrem prädestiniert dafür. Aber ich glaube immer an das Gute im Menschen und weiß auch, dass viele einem nicht face-to-face sagen können, dass sie einen gern haben. Auch dafür ist tellonym ideal…..wie sich ja beweisen lässt :-)
    Ich hab kein Problem, anderen Komplimente zu machen obwohl ich mit selbigen an mich gerichteten manchmal sehr ruppig umgehe, weil ich es oft erst später als Kompliment entdecke. Dafür ist tellonym auch perfekt: Ich kann es mir durchlesen und in Ruhe genießen.

    Ach ja, ich mag es, wie du singst und höre/gucke mir mit Herzmensch jedes deiner Videos an.

    Liebe Grüße, Franzi

  3. Ich glaub in Tellonym wäre ich noch alleine, niemand der mir was nettes sagen könnte, der mehr als mein Profilbild kennt… Nunja.
    Was ich eigentlich sagen wollte: ich habe jetzt ernsthaft ziemlich lange überlegt was Konservationen sind und was sich daran falsch anfühlt :) Das ist keine Kritik am Verschreiber (der Schreiberin), sondern ich fand das echt gerade interessant.
    Liebe Grüße aus Österreich

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