Limoges, 1986

Wir sind irgendwo an der Loire bei Limoges auf einem Bauernhof. Die Ferienwohnung ist im ersten Stock, man muss außen am Haus eine Steintreppe hoch und dann durch eine schwere Tür. Einmal klemme ich mir den Finger in der Tür und muss sehr weinen. Ich bin fünf und wir sind mit dem Auto nach Frankreich gefahren.

Auf dem Hof gibt es Tiere und einen Stall mit einem großen Haufen Zeug, vielleicht ist es Hühnerfutter, es ist auch egal, die Hauptsache ist, dass man reinspringen kann.

Wir singen „My Bonnie Is Over the Ocean“, aber ich bin erst fünf und verstehe kein Englisch, vielleicht denke ich, es geht um ein Pony, aber „bring back“ verstehe ich, das heißt zurückbringen.

Wir schwimmen in Seen, aber die ganze Natur in den Seen ist mir ein bisschen suspekt. Einmal kommt Lisa völlig aufgelöst aus dem Wasser und sagt, sie hätte eine Wasserschlange gesehen. Das war bestimmt nur eine Pflanze, sagt M. ABER DIE HAT MICH ANGEGUCKT, sagt Lisa.

Lisa und ich schlafen in einem Zimmer und wir streiten uns, weil Lisa will, dass die Tür einen Spalt offen bleibt und das Licht im Flur an ist, aber das Licht dann genau mir ins Gesicht scheint. Wir weinen und zetern. Ich weiß nicht mehr, wie das Problem gelöst wird.

Lannilis, 1985

Wir fahren zum ersten Mal in Urlaub nach Frankreich. Mama und Papa haben zusammen mit M. und G. ein Haus in der Bretagne gemietet. M. und G. haben eine Tochter, Lisa, die so alt ist wie ich und sind schon da. Mama, Papa und ich fahren mit dem Nachtzug nach Frankreich, weil Papa noch arbeiten musste. Der Plan ist, dass wir alle schlafen, aber ich bin vier, alles ist aufregend und an Schlaf ist nicht zu denken.

„Papa, schläfst du schon?“ frage ich, immer und immer wieder, also kann auch sonst keiner schlafen.

Am Bahnhof holt uns M. mit seiner schwarz-weinroten Ente ab. Im Auto schlafe ich sofort ein.

Von dem ganzen Urlaub erinnere ich mich nur an die schwarz-weinrote Ente und eventuell an das Haus, aber das vielleicht auch nur, weil es Bilder davon gibt, vom Haus, nicht von der Ente, an die erinnere ich mich wirklich. Aber das war 1985 und da war ich erst vier.

Lieblingstweets im Juli (Teil 1)

PAPRIKACHIPS! DÖNER ALS PAUSENBROT! DOSHAS! PITTAS! LADEKABEL UND PUSTEFIX! DINOSAURIERRANKINGS! SECHS FREMDSPRACHEN VS. DSCHINGIS KHAN!

Gelesen im Juni 2017

Du bellst vorm falschen Baum von Judith Holofernes

Etwas durchwachsen, einige Gedichte sind toll, andere etwas zu gewollt. Judith Holofernes Stärke sind kreative Wortspiele, damit übertreibt sie es aber manchmal, so dass es unnötig anstrengend wird und man „Ja ja ja, ich hab das Konzept jetzt verstanden!“ rufen möchte. Tatsächlich funktionieren ihre Texte eventuell mit Musik besser, aber hier jammern wir jetzt schon auf sehr hohem Niveau.

Ohne Abstriche toll sind die Bilder von Vanessa Karré, allein dafür lohnt sich das Buch eigentlich schon.

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The Next Together von Lauren James

Eine sehr nette YA-Zeitreisenromanze mit Science-Fiction-Anteilen. Die Geschichte von Katherine und Matthew wird auf insgesamt vier Zeiteebenen erzählt.

1745 wird Carlisle von schottischen Rebellen belagert. Katherine kommt aus gutem Hause und lebt nach dem Tod von Eltern und Großeltern bei ihrer Tante. Dort verliebt sie sich in Matthew, einem Bediensteten und überzeugt ihn, als Mann verkleidet bei der Verteidigung der Stadt helfen zu dürfen. 1854 ist Katy, Waisenkind und wieder als Junge verkleidet, mit dem Kriegsjournalisten Matthew auf dem Weg zum Krimkrieg, von dem aus Matthew über die Zustände der britischen Soldaten berichten will. 2019 werden die Wissenschaftler Katherine und Matthew als vermeintliche Terroristen erschossen, weil sie eine gefährliche Biowaffe in Umlauf bringen wollten. Und 2039 treffen die Studenten Kate und Matt sich im Labor und kommen ihrer gemeinsamen Vergangenheit auf die Spur.

Das ist alles ganz nett und insgesamt ohne größere Logikbrüche erzählt, man erfährt das ein oder andere über die britische und europäische Geschichte, die Charaktere sind gut ausgearbeitet und die Story kommt gut voran. Die Autorin erlaubt sich einige Freiheiten bei dem zu Grunde liegenden Überbau, der die Reinkarnation von Kate und Matt erst ermöglicht. Wer, wie und warum die armen Protagonisten immer wieder auferstehen und die Welt retten müssen wird hier nur angerissen, das ist auf der einen Seite nicht schlimm, lässt auf der anderen Seite aber auch mutmaßen, dass es hier das größte Konsistenzproblem gibt.

Aufgehübscht mit Chatprotokollen, Landkarten und Notizzettel-Konversationen am Kühlschrank ist das eine – im besten Sinne des Wortes – nette Zwischendurchlektüre, die man ohne Probleme all denen empfehlen kann, die weder auf besondere literarische Kniffe noch auf eine epische Geschichte aus sind.

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Gray von Leonie Swann

Nach zwei Schafskrimis und einem Flohfantasyroman wendet sich Leonie Swann unseren gefiederten Freunden zu. Gray ist zwar das namensgebende Tier des Buches, aber zur Abwechslung wird diese eher klassische Detektivgeschichte nicht aus der Sicht des Graupapageis erzählt. Ein Student des spleenigen Dozenten Augustus Huff stürzt in den Tod. Ein vermeintlicher Unfall, doch bald vermutet Huff etwas anderes. Der Student hinterlässt den plappernden Papageien Gray, der es sich auf Huffs Schulter gemütlich macht und mit dessen Hilfe dieser sich aufmacht, das Rätsel zu lösen.

Ich habe Gray als Hörbuch gehört und musste mehrfach ansetzen, was aber nur bedingt am Buch lag. Tatsächlich ist Gray insofern kein Buch zum Nebenbeihören, weil es doch einer gewissen Konzentration bedarf, den Faden nicht zu verlieren. Der Papageiroman bleibt ein bisschen hinter Glennkill und dem fantasiereichen Dunkelsprung zurück, das ist trübt das Lesevergnügen aber nicht. Wer noch auf der Suche nach einem sympathischen Whodunnit mit tendenziell sonderbarem Personal für den Sommer ist, der sollte sich Gray schleunigst in die Reisetasche packen.

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Saturday Night Biber von Anja Rützel

Alles an diesem Buch ist schön.

Anja Rützel, eigentlich Expertin auf dem Gebiet des Trash-TV, offenbart in Saturday Night Biber ihr anderes kurioses Hobby: Absurde und weniger absurde Tierarten und die absurden Hobbys und Veranstaltungen, die es rund um diese Tiere gibt.

Anja Rützel steigt im Winter auf einen Berg, um zwischen Hirschen zu sitzen, kuschelt mit einer Kuh (50 Euro für eine halbe Stunde), hält sich Schaben als Haustiere, geht zum Kaninhop-Turnier, lernt, wie man Tiere ausstopft und verliebt sich in den Ameisenbären Ernst-Einar und reist ihm bis auf die Isle auf Wight hinterher. Sie lässt sich zum Biberberater ausbilden und lernt, wie man ein Alpaka fängt.

Über das alles schreibt sie mit dem Blick eines Menschen, der zwar Menschen okay, Tiere aber grundsätzlich und in wirklich fast allen Farben, Formen und Eigenheiten um Längen besser findet. Diese Liebe fürs Tier spricht aus jedem Satz und aus jeder detailgefütterten Fußnote, die einem alle wichtigen Fun und Not-so-fun Facts über Biber, Tapire, Ameisenbären, Kühe oder Kaninchen verrät. Man lernt also auch dauernd etwas, es ist kaum auszuhalten. Außerdem ist es witzig und originell geschrieben, es gibt also keinen, wirklich keinen einzigen Grund, dieses Buch nicht zu lesen.

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Die Intelligenz der Bienen von Randolf Menzel und Matthias Eckoldt

Der Neurobiologe Randolf Menzel und der Journalist und Schriftsteller Matthias Eckoldt erklären, wie Bienen so ticken, im höchst wissenschaftlichen Sinne. Das ist interessant, aber auch nicht so ganz einfach. Ich habe hier ausführlich rezensiert.

Die Intelligenz der Bienen von Randolf Menzel und Matthias Eckoldt [Amazon-Werbelink]

 


Was man von hier aus sehen kann von Mariana Leky

Dass ich diesen Satz jetzt direkt wieder schreiben kann, erfreut mich: Alles an diesem Buch ist schön.

Fangen wir aber mit dem Problem, das ich mit Mariana Lekys Büchern habe, direkt an, dann haben wir’s hinter uns. Das Problem ist, dass ich bei ihren Büchern irgendwann immer sehr viel und rotzig weinen muss. Das sieht dann sicher nicht schön aus, aber wenn man währenddessen alleine auf der Couch liegt, sieht es ja niemand.

Ansonsten ist wirklich alles an diesem Buch schön. Die Geschichte, die Figuren, die Sprache, die Ideen, alles ist schön. Mariana Leky schafft schon wieder den kaum möglichen Spagat zwischen alten traditionellen Geschichten und moderner Sprache, nichts davon wirkt gekünstelt oder aufgesetzt, alles ist gleichzeitig skurril, magisch und ganz bodenständig.

In einem Dorf mitten im Westerwald lebt Selma, die aussieht wie Rudi Carrell. Immer, wenn Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand im Dorf und diese Nacht hat Selma von einem Okapi geträumt. So fängt alles an, und Selmas Enkelin Luise erzählt, wie es dann weitergeht. Mit dem Optiker, der in Selma verliebt ist und ihr jahrelang Briefanfänge schreibt. Mit Elsbeth, die für alles ein Wundermittel hat. Mit der traurigen Marlies, die ganz allein in dem Haus wohnt, in dem sich ihre Tante erhängt hat. Mit Luises Vater, der einen Hund anschafft, um seinen Schmerz zu externalisieren. Mit Luises Mutter, die nicht weiß, ob sie ihren Mann verlassen soll. Mit Martin, Luises bestem Freund und seinem Vater, der Jäger und Alkoholiker ist und vor dem Selma die Rehe schützen muss.

Das ist alles mit viel Humor und Liebe erzählt und es muss schon ein sehr, sehr gutes Buch kommen, um „Was man von hier aus sehen kann“ als meine Lieblingsbuch des Jahres 2017 vom Treppchen zu schubsen.

Was man von hier aus sehen kann von Mariana Leky [Amazon-Werbelink]

Lieblingstweets im Juni (Teil 2)

HÄNGEMATTENKRIEGE! KAKTUSFEIGENÖL UND SAFRAN! LÖWEN UND ROTE HANDSCHUHE! KREUZSCHLITZSCHRAUBEN! HEGELSCHE DIALEKTIK! UND HITZEFREI! ENDLICH HITZEFREI!

Gelesen: Die Intelligenz der Bienen von Randolf Menzel und Matthias Eckoldt

Ich habe ein Jahr gebraucht, um Die Intelligenz der Bienen auszulesen und das sagt vermutlich auch schon einiges aus. Zusammengefasst habe ich mir irgendwie etwas anderes versprochen, wobei das ja noch nicht grundsätzlich ein Problem ist, solange da, was man bekommt dann auch gut ist.

Gut ist das Buch, das der Neurobiologe Randolf Menzel zusammen mit dem Autor Matthias Eckoldt geschrieben hat, auf jeden Fall, nur die Zielgruppe scheint mir nicht so ganz definiert worden zu sein. Für den Laien ist das alles eine Ecke zu kompliziert, da hilft auch der Bio-LK und der jahrelange Vorbildung als Entomologentochter nichts. Für den Experten (das kann ich allerdings nicht beurteilen) ist es hingegen vermutlich zu trivial.

Randolf Menzel beschreibt, wie das Hirn der Bienen funktioniert, was man daraus für das Leben und die Wahrnehmung der Bienen und der Zusammenarbeit der Bienen ableiten kann und mit welchen Versuchen er und seine Mitwissenschaftler langsam, aber sicher zu diesen Ergebnissen gekommen sind. Dazu gibt es einen Einblick in seine Wissenschaftlerkarriere, die Rückschläge und Erfolge in der Forschung, die Hindernisse des bürokratischen Unilebens und die Tücken der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Immerhin hat mich das Buch deswegen zum Pluspunkt „Autor beschreibt eigene Irrwege oder falsche Annahmen im Verlauf seiner Arbeit“ für Kathrin Passigs automatischer Sachbuchkritik inspiriert.

Das alles wird angenehm unprätentiös und mit deutlichem Hang zur Selbstkritik erzählt, schon alleine deswegen habe ich das Buch gerne gelesen, auch wenn es mich immer wieder an meine Grenzen getrieben hat. Wohlwollend vermute ich, dass das Thema „Bienenneurologie“ einfach ein komplexes und kompliziertes Thema ist. Ein geduldigerer Leser hätte vermutlich auch bei der ein oder anderen Stelle zurückgeblättert, nebenbei gegoogelt oder jede Fußnote nachgeschlagen, aber dieser Leser war ich leider nicht. So ist nicht jedes Detail der Bienenhirnforschung auch sicher bei mir angekommen, ein besseres Verständnis habe ich trotzdem.

Zum Ende hin wird es dann auch wieder etwas gefälliger, in den letzten Kapiteln geht es um die Zusammenarbeit im Bienenstock, um den Schwänzeltanz, um Orientierung und um den Einfluss von Pflanzenschutzmitteln auf die Bienen. Das war insgesamt etwas näher an meiner Nicht-Neurobiologen-Realität, und ich kam mir nicht zwischen lauter Fachbegriffen und Versuchsaufbauten ganz verloren vor.

Wer sich für Bienen und ihre Bienenköpfchen interessiert, ist hier richtig, muss sich aber auf eine fordernde Lektüre einstellen.

Randolf Menzel und Matthias Eckoldt: Die Intelligenz der Bienen, erschienen 2016 im Knaus Verlag, 391 Seiten [Amazon-Werbelink]

Verlagsseite

Die Hundeflüsterin

Ich bin keine Hundeflüsterin, aber ich kann gut mit Hunden. Also, den meisten Hunden. Sogar Emil, der introvertierte Dackel der Architektin in unserem Haus kam letztens kurz an, um an meiner Hand zu schnüffeln, dampfte dann aber schnell wieder ab.

Gestern stand ich in der S-Bahn im Türbereich, gegenüber ein wirklich extrem niedlicher, offensichtlich noch recht junger Hund, der etwas schüchtern, aber doch neugierig ankam, und meine Hose intensiv beschnupperte.

„Haben Sie auch einen Hund?“ fragte die Hundebesitzerin.

„Nein.“

„Katzen?“

„Nö.“

„Hm.“ Sie guckte noch mal auf den Hund. „Eigentlich ist sie sonst sehr schüchtern und macht sowas nicht.“

„Die merken halt, wenn man sie mag“, sagte ich.

Dann kam meine Haltestelle und ich musste aussteigen.


Das erinnerte mich an eines meiner größten Hundekomplimente, das ich je bekommen habe, nämlich in einer Agentur in Wien, in der es mindestens vier Bürohunde gab. Zwei liefen durch die Gegend, einen sah ich gerade auf dem Weg zur Mittagsgassirunde und dann lag da noch einer unter dem Schreibtisch einer Mitarbeiterin.

Der Hund guckte mich an, ich guckte den Hund an, der Hund legte den Kopf schief, stand auf und trottete zu mir herüber.

Etwas irritiert stand die Hundebesitzerin auf und kam hinterher.

„Das… äh… der geht sonst nicht zu Fremden“, sagte sie verwundert, während ich den Hund kraulte.

Das wird schon irgendeinen Grund haben, dass ich einen Hund will, seit ich denken kann.

(Mit Katzen kann ich aber übrigens auch.)

Wie ich lernte, nicht mehr immer selber einzukaufen

Ein Thema, das das Internet (oder zumindest mein Internet) aktuell beschäftigt, ist der Spülsexismus. Ausgehend von dem Comic „You Should’ve Asked“ von Emma, die auch den schönen Begriff mental load erklärt, habe ich mehrere Artikel gelesen, die das Problem der Arbeitsteilung im Haushalt angingen. Es geht hier im Wesentlichen um die Frage, wie selbstverständlich wer in welchem Maße was tut und eben auch darum, ob klassische Hausarbeit immer noch hauptsächlich von Frauen erledigt wird.

Ich finde dieses Thema sehr spannend. Grundsätzlich habe ich mit meinem Mann Glück gehabt und würde behaupten, dass bei uns die Arbeit prinzipiell gerecht aufgeteilt ist. Wir haben auch keine Kinder, was vieles vereinfacht. Aber ich habe auch in den letzten Jahren gelernt, bei bestimmten Sachen loszulassen und Aufgaben abzugeben und dafür andere Dinge öfter zu übernehmen. Dieser Prozess ist überraschend schwierig, denn man muss auf einmal damit klarkommen, dass nicht alles genauso gemacht wird, wie man es selber machen würde. Hat man diesen Schock aber einmal überwunden, setzt die Phase der Erleichterung ein, aber dazu kommen wir später noch.

Was mich an vielen Beiträgen zu diesem Thema stört ist, dass sich alle einig sind, dass es so nicht gut ist und dass man auch relativ sicher ist, dass es nicht reicht zu diskutieren, allerdings konkrete Lösungsansätze fehlen. So dreht man sich dann im Kreis der Problembestätigung und kann so sicherlich auch ein paar Jahre weitermachen, nur ist damit natürlich auch niemandem geholfen. Deshalb an dieser Stelle ein paar Erfahrungen und Hinweise, wie man vielleicht doch ein paar Schritte vorwärts kommt.

 

Das Wort „Helfen“ verbannen

Der erste Schritt besteht darin, dass Wort helfen in Bezug auf Alltagsaufgaben aus dem Wortschatz zu verbannen. Nein, der Partner „hilft“ einem nicht, er erledigt seinen Teil der Aufgaben.

Natürlich gibt es durchaus auch Situationen, wo das Wort angebracht ist, aber eben für sehr konkrete Bitten, vor allem, wenn es um Dinge geht, die man wirklich nicht alleine erledigen kann, das schwere Paket die Treppe hochtragen zum Beispiel oder das Brett festhalten, während der andere eine Schraube reindreht.

Ansonsten wird ab sofort nicht mehr geholfen, nicht mehr beim Spülen, nicht beim Putzen, nicht beim Aufräumen, nicht bei der Wäsche, nicht beim Kinder-ins-Bett-bringen und auch sonst bei keiner Alltagsaufgabe.

Vor kurzem geisterte ein englischer Facebookbeitrag eines Mannes durch meine Timeline, der sinngemäß (ich finde den Beitrag leider nicht mehr, für Hinweise bin ich dankbar) sagte: Ich helfe meiner Frau nicht. Das ist zu fünfzig Prozent meine Wohnung und mein Haushalt, also ist es auch zu fünfzig Prozent meine Verantwortung.

 

Menschen sind unterschiedlich

Ich putze nicht. So. Jetzt ist es raus.

Ich putze nicht, weil ich einen Partner habe, der ein anderes Sauberkeitsbedürfnis hat und in der Zeit, die ich brauche, um etwas als dreckig wahrzunehmen, schon drei Mal drüber gewischt hat. Das war lange Zeit ein großes Konfliktthema, denn für ihn existierte ein Problem, das in meiner Welt nicht existierte. Für ihn existierten sogar zwei Probleme, nämlich erstens, dass es dauernd dreckig war und zweitens, dass ich mich irgendwie nicht dafür interessierte. Es hat überraschend lange gedauert, bis wir verstanden habe, warum wir uns nicht verstanden haben.

Für ihn war es vollkommen unverständlich, dass ich den Dreck nicht wahrnehmen würde und für mich war es unverständlich, dass er dauernd unzufrieden war, obwohl die Wohnung doch sauber war. Es hilft dann tatsächlich, darüber zu sprechen, allerdings am besten in einer Situation, wo nicht eine Person gerade wieder genervt ist, weil sie etwas tun musste, was der andere doch auch hätte machen können. Das Geheimnis ist: Der andere hat es einfach nicht als zu behebenden Missstand wahrgenommen. Nicht aus Bosheit, noch nicht mal aus Faulheit oder in der Gewissheit, dass der andere es schon erledigen würde, sondern einfach, weil er oder sie es nicht wahrgenommen hat.

Beziehungsarbeit ist eben auch, die Bedürfnisse des Partners kennenzulernen und zu respektieren. Was einen selber stört, empfinden andere nicht als störend, dafür sind sie furchtbar von Dingen genervt, die einem selber komplett egal sind. Es ist dann auch vollkommen unerheblich, ob man die Bedürfnisse des anderen nachvollziehen kann, man muss sie nur verstehen und respektieren und in seinen eigenen alltäglichen Handlungen berücksichtigen.

Ich weiß jetzt, dass meinen Mann die Krümel auf dem Tisch nerven, deswegen wische ich einmal drüber, obwohl ich selber auch mit einem ungewischten Tisch prima klarkommen würde. Dafür achtet er darauf, dass das Besteck zusammenpasst, wenn er den Tisch deckt, weil ich sonst noch mal in die Küche laufen und neues Besteck holen muss.

 

Einfach mal nicht machen

Eine einfache Lösung, die aber oft nicht gesehen wird ist, Dinge einfach nicht mehr zu tun. Das ist auch zugegebenermaßen nicht so einfach, wie es am Anfang klingt, denn je nach charakterlicher Disposition muss man so ein Nichtstun auch aushalten können. Man kann zum Beispiel im Kleinen anfangen und einfach mal nicht die leere Toilettenpapierrolle wegschmeißen und eine neue dranhängen. Das ist eine einfache Übung, um erst mal zu gucken, was passiert, wenn man etwas nicht tut. Im nächsten Schritt räumt man halt nicht die liegengebliebenen Klamotten vom Boden auf und schmeißt sie in den Wäschekorb. Oder – wenn man noch ausreichend saubere Kleidung hat – man wäscht halt mal einfach nicht. Oder eben: Man kauft halt mal nicht ein.

Was man nicht tun kann und was sich für diese Übung doch nicht so gut eignet, ist individuell und hängt auch von den Lebensumständen ab. Man kann die Konsequenzen vorher Gott sei Dank grob abschätzen. Wenn man nicht einkauft, muss man sich an den Vorräten bedienen, hungern, Pizza bestellen oder auswärts essen. Das klappt deutlich besser, wenn man keine Kinder hat (wobei die das mit der Pizza vielleicht gar nicht so schlimm fänden). Wenn man die Wäsche nicht wäscht, sind irgendwann keine sauberen Unterhosen mehr da. Im besten Fall ist der eigene Unterhosenvorrat größer, so dass der Partner schneller den Leidensdruck der nicht gewaschenen Wäsche zu spüren bekommt. Auch in dem Fall funktioniert es vermutlich besser, wenn man keine Kinder hat und es nur darum geht, ob der Partner mit einem hässlichen Hemd und Koalabärsocken ins Büro muss.

Dinge nicht zu tun ist anstrengend, gerade, wenn man sie vielleicht gar nicht so ungern macht, es wenig Aufwand wäre oder man eben selber unter den Konsequenzen leidet. Gerade deswegen ist diese Lösung so unbeliebt. Im schlimmsten Fall hat man einen Partner, den die Unordnung tatsächlich nicht stört und genug Geld, um jeden Abend Pizza zu bestellen, dann setzt auch der erwünschte Lerneffekt nicht ein und man muss sich etwas anderes überlegen. Im Normalfall stört es den anderen aber schon, lediglich die Leidensdruckschwelle ist etwas anders justiert.

Es hilft übrigens, wenn man selber ausreichend faul ist und einem das Nichtstun nur in seiner Konsequenz, aber nicht so sehr als Handlung per se stört. Man darf sogar schummeln und die eigenen Unterhosen waschen oder nur genau die Sachen einkaufen, die man selber mag. Das eigentliche Ziel der Übung ist, dass der andere selber auf die Idee kommt, etwas zu erledigen und es eben genau nicht gesagt bekommen muss.

In dem Artikel „Spülsexismus oder: Der sieht das einfach nicht“ von Mareike Döring heißt es:

Letztlich entsteht hierdurch aber auch ein Machtungleichgewicht. Wenn man sich mit Frauen* über das Zusammenleben mit Männern* unterhält, hört man nicht selten einen bestimmten Satz: «Der sieht das einfach nicht». Das ist nicht unbedingt als Anschuldigung gemeint, sondern eher der Ausdruck von Frust, der entsteht wenn jemand eine Woche lang über einen vollen Müllsack im Flur steigen kann. Im Grunde gibt es dann nur zwei Wege: 1. Man macht es eben doch selbst (auch wenn man sich vorgenommen hat es diesmal nicht zu tun) oder 2. Man weist darauf hin. Aber in beiden Fällen liegt die Verantwortung bei der aktiven und die Macht bei der passiven Partei.

Ich möchte hier noch einen dritten Weg vorschlagen: Den Müllsack stehen lassen, bis sich die Nachbarn beschweren. Das klappt auch nicht immer und kommt ein bisschen auf die eigene Geruchsempfindlichkeit und die Nachbarn an, aber der Weg existiert. Bei welchen konkreten Anlässen man ihn beschreitet und ob er immer zum Ziel führt, ist eine andere Frage.

 

Nicht verbessern

Hier kommt die zweite Durchhalteprüfung: Wenn der Partner tatsächlich Aufgaben erledigt, die vorher in den eigenen Zuständigkeitsbereich fielen, darf man nicht als großer Experte auftreten und zeigen, wie es richtig geht. Ich kann es nur aus eigener Erfahrung sagen. Da steht man nämlich gerade tapfer und eifrig dabei und tut etwas, was man vorher noch nie oder nur sehr selten gemacht, versucht ernsthaft sein Bestes und bekommt erstmal ein „Du machst es ja ganz falsch. Guck mal, wenn du es so machst wie ich, dann…“ zu hören.

Ich bin eine erwachsene, insgesamt sehr ausgeglichene Frau mit durchschnittlichem Geduldsfaden, aber auch bei mir dauert es dann ein niedrige Sekundenzahl, bis ich „Dann mach die Scheiße doch selber, wenn du es eh besser kannst!“ rufe und erbost Dinge auf den Boden werfe. Für die meisten Haushaltsaufgaben gilt sowieso: Es gibt meistens gar kein richtig und falsch, es gibt nur ein anders. Weil man aber etwas jahrelang alleine auf eine bestimmte Art erledigt hat, unterliegt man dem Irrglauben, das wäre die einzig richtige Art es zu tun.

Man kann die Wäsche anders aufhängen, die Spülmaschine anders einräumen und im Supermarkt andere Dinge kaufen. Man kann das Wohnzimmer von links nach rechts oder von vorne nach hinten saugen und die Papierstapel im Arbeitszimmer nach unterschiedlichen Kriterien sortieren. Natürlich gibt es auch richtig und falsch, aber darum geht es beim Korrigieren meistens nicht. So gerne wir möchten, dass der andere dies oder das auch mal erledigt, so schwer fällt es uns, zuzusehen, wie er oder sie die Arbeit völlig anders angeht. Auch hier kann man erstmal nur aushalten, etwas verzweifelt die Hände wringen, aber um Gottes Willen nichts sagen, es sei denn, man sieht, dass der Wollpullover in der 60-Grad-Wäsche landet oder das nicht spülmaschinenfeste Geschirr von Oma in die Spülmaschine geräumt wird. Dann, und nur dann, darf man etwas sagen.

Sobald sich die neue, schönere, bessere und gerechtere Aufteilung etwas gefestigt hat, darf man übrigens auch was sagen. Sollte die eigene Arbeitsweise nämlich tatsächlich besser sein, wird der Partner die guten Hinweise auch als solche einschätzen können und wenn nicht, ist es sein eigenes Problem.

Bei mir war es vor allem das Einkaufen, das ich schlecht abgeben konnte. Als auszuführende Aufgabe schon, aber am liebsten mit dem exakt gleichen Ergebnis, dass auch bei mir rausgekommen wäre. Ich habe gelernt: Mein Mann kauft andere Dinge ein als ich, aber man kann sie genauso gut essen und verbrauchen. Wenn man das einmal verstanden hat, ist man sogar doppelt erleichtert. Man hat nämlich nicht nur das Einkaufen abgeben, sondern auch die Entscheidung, was gegessen wird. Natürlich sprechen wir uns auch ab, ob es konkrete Wünsche gibt, was fehlt und was noch besorgt werden muss, aber ich habe gelernt, dass ich auch „Kauf einfach, was du meinst“ sagen kann und mein Leben dadurch nicht schlechter wird.

Warum gut gemeinte Ratschläge auch in anderen Bereichen kontraproduktiv sein können, darüber haben Kathrin Passig und ich auch schon in der Wired geschrieben.

 

Automatismen und Pläne

Menschen und ihre Bedürfnisse können sich ändern, aber man kann nicht jede erwünschte Veränderung erzwingen. Ich nehme zum Beispiel Schmutz immer noch nicht so wahr, wie mein Mann es tut. Aber ich wische jetzt einfach grundsätzlich Tische und Oberflächen nach dem Kochen und Essen ab. Ich habe Automatismen entwickelt und mache jetzt Dinge, die ich vorher nicht gemacht habe, einfach in bestimmten Situationen.

Wenn Sensibilisierung nicht klappt, dann tun es auch Automatismen und Pläne, an die man sich halten kann. Dann wird eben nach dem Essen der Tisch abgewischt, am Samstag wird gewaschen und am Abend wird alles, was im Schlafzimmer auf dem Boden rumliegt in den Schrank oder den Wäschekorb gepackt. Dann ist eben der eine am Mittwoch mit Einkaufen dran und der andere am Freitag. Zack, aus. Auch hier gilt wieder: Reden hilft. Und wenn sich irgendeine Regel als unpraktikabel oder anderweitig unbefriedigend erweist, muss man sie eben neu machen. Patricia Cammarata hat sehr ausführlich in ihrem Blog darüber geschrieben, wie sie in ihrer Beziehung Aufgaben und Verantwortlichkeiten permanent neu aushandelt und wie auch hier der Einsatz von geteilten Kalendern und Zeitplanungsapps helfen, den Alltag gerechter zu organisieren.

 

Grundsätzlich ist das Zusammenleben mit einem (oder mehreren) anderen Menschen immer ein Rezept für Konflikte. Ich glaube auch daran, dass wir hier nach wie vor ein gesellschaftliches Problem haben, dass man nicht mit ein paar guten Worten und einem Standardrezept gelöst bekommt.

Es ist aber auch so, dass es nicht nur immer die andere Seite ist, die etwas tun muss, damit es besser wird. Ganz selten nur treten Veränderungen ein, weil man mal darüber geredet hat. Menschen lernen besser, wenn sie etwas konkret erfahren. Während man intellektuell schon längst kapiert hat, dass man auch mal die Wäsche machen, die Spülmaschine einräumen oder fürs Abendessen einkaufen könnte, tritt der richtige Verstehensprozess dann ein, wenn man nur noch die löchrigen Strümpfe im Schrank hat, kein sauberes Glas mehr im Schrank steht und man den dritten Tag hintereinander Nudeln mit Ketchup essen muss.

Will man Verantwortung abgeben oder zumindest besser aufteilen, dann bedeutet das auch erstmal Arbeit. Vieles davon ist mentale Arbeit. Man muss mit dem Partner reden und zwar so, dass es über „Du musst auch mal helfen!“ hinausgeht. Man muss sich zurückhalten, Dinge nicht tun, den eigenen Leidensdruck aushalten und dabei zusehen, wie Dinge anders getan werden und nichts sagen dürfen. Das ist schwieriger als es klingt, es ist viel einfacher „Na, dann mach ich es halt schnell selbst“ zu murmeln und in alte Verhaltensmuster zu fallen. Aber die Mühe lohnt sich. Ich wage sogar zu behaupten: Für alle Beteiligten.

Lieblingstweets im Juni (Teil 1)

WALLABYS! MOTTENBISSE! KNUTSCHALLERGIE! SMALLTALK! PINIENKERNE! UND MASSLOSE LANGWEILIGE TEXTE!