In den letzten Tagen entbrannte mal wieder eine Diskussion um Frauenzählen, Frauenquote, Verantwortlichkeiten und andere vermeintliche Befindlichkeiten. In diesem Fall ging es um die brandeins. Eine Abonnentin hatte sich aus einem dumpfen Gefühl heraus die Mühe gemacht, in der aktuellen brandeins und einigen alten Ausgaben Frauen zu zählen und war zu einem für sie wenig befriedigenden Ergebnis gekommen, was sie der Zeitschrift auf Facebook kundtat.
Das hätte auch vermutlich gar nicht so viele Leute aufgeregt, wenn die brandeins bzw. einer ihrer Redakteure darauf nicht eher unglücklich reagiert hätte. Die brandeins würde eben nicht auf eine Quote achten, hieß es, es gäbe halt Themen und dann würde man sich Leute überlegen, die dazu passen würden und das wären dann eben oft keine Frauen. Als diese Antwort nicht besonders überraschend gar nicht gut ankam, wunderte man sich, es wäre doch gar nicht so gemeint gewesen, und es könne ja jemand gerne 50 intelligente Frauen vorschlagen.
Wer mehr über diese Diskussion lesen will, Felix Schwenzel hat das sehr schön zusammengefasst. In Anbetracht dessen, dass eine ähnliche Diskussion kürzlich bei dem Crowdfunding-Projekt der Krautreporter aufebbte, versuche ich aber nun mal, einige der häufigsten Fragen und Gegenargumente zu beantworten bzw. zu entkräftigen.
1. Was sind wir denn für eine Gesellschaft, in der Leute Frauen zählen?/Das ist doch Erbsenzählerei!/Habt ihr nichts besseres zu tun?
Ich habe hier schon mal darüber geschrieben, warum ich Frauen zähle. Im Wesentlichen geht es darum, einen brauch- und vorzeigbaren Beweis für ein dumpfes Gefühl zu haben. Das Gefühl nämlich, ob des Geschlechtes unterrepräsentiert zu sein. Ich möchte im Zweifelsfall nicht sagen müssen: “Ich habe das Gefühl, dass bei X oder Y zu wenig Frauen vorkommen.” Ich möchte sagen können: “Bei X oder Y kommen zu wenig Frauen vor. Ich habe nämlich nachgezählt und folgende Zahlen sind dabei herausgekommen.”
Außerdem geht es darum, strukturelle Probleme aufzudecken und das geht eben am besten erst mal über Quantität. Einfacher gesagt: Ich muss gar nicht über die Qualität diskutieren, wenn ich schon bei der Quantität ein Problem habe. (Anne Roth zählt zum Beispiel schon seit längerem Frauen bei Konferenzen.)
Oder noch anders gesagt: Ich kann die Rahmenbedingungen kritisieren, ohne dass ich den Inhalt kritisiere. Zwei Paar Schuhe.
Ein Beispiel: Im letzten Jahr gab es zwei Mal einen Thementag mit Konzerten, einmal auf irgendeinem ZDF-Spartensender und einmal auf 3sat. Den ganzen Tag Konzerte. Von morgens bis spät in die Nacht. Bei dem ZDF-Spartensender gab es exakt ein Konzert einer Frau. Cyndi Lauper. Nachts um drei. Bei 3sat sah es ein bisschen besser aus, immerhin gab es drei oder vier Konzerte von insgesamt über zwanzig, was aber eben immer noch wahnwitzig traurig ist.
Wir reden hier nicht über die IT-Branche oder eine Ingenieurszeitschrift, sondern um Musikkonzerte, wo es doch nun wirklich möglich sein sollte, mehr als drei oder vier ausreichend interessante Künstlerinnen zu finden. Die Tatsache, dass in der Redaktion, das diese Auswahl getroffen hat, niemand auf die Idee gekommen ist, dass dieses Verhältnis, ganz gelinde gesagt, problematisch sein könnte, finde ich bemerkenswert. Und nicht auf eine gute Art.
Und was die Frage „Habt ihr nichts besseres zu tun?“ angeht: Erstens kann ich recht schnell zählen und zweitens habe ich in so einer Situation tatsächlich nichts besseres zu tun, als für mein diffuses Gefühl eine solide Datenbasis zu erlangen. Um nämlich dann sagen zu können: „Nein, es ist kein Einzelfall und nein, ich bilde mir das auch nicht ein.“
2. Aber es geht doch um den Inhalt!
Ja. Und?
“Es geht um den Inhalt” ist eines der schlechtesten Argumente überhaupt, denn es ist genauso irreführend wie implizit beleidigend.
Frauen machen ungefähr 50 Prozent unserer Gesellschaft aus. Zu behaupten, es wäre nicht möglich, unter diesen 50 Prozent ausreichend interessante Menschen für Thema A bis Z zu finden, ist schlichtweg eine nette Formulierung von “Männer sind halt interessanter als Frauen”, was wiederum eine nette Formulierung von “Frauen sind zu vernachlässigen”ist.
Im schlimmsten Falle befinden wir uns hier in einer Todesspirale. Zeitschrift X interviewt männlichen Experten Y zu Thema Z. Zeitschrift V möchte jetzt auch darüber berichten, kennt das Interview aus Zeitschrift X und fragt aus naheliegenden Gründen bei Experten Y nach, ob er nicht auch. Sendung W möchte jetzt einen kleinen Beitrag zu Thema Z machen, recherchiert und findet Experten Y bei Zeitschrift X und V, denkt sich “Ja, der muss sich ja auskennen!” und fragt mal nach. Auf die Idee, dass es zu Thema Z auch noch drölfzig interessante Experten sowohl weiblichen als auch männlichen Geschlechts geben könnte, kommt zu diesem Zeitpunkt niemand mehr.
3. Zeitschrift X/Organisation Y/Konferenz Z hat nun mal keine Pflicht, einer Frauenquote gleich zu kommen!
Nein, hat sie nicht. Muss sie auch nicht tun. Aber sie verliert mich dann halt möglicherweise als Interessentin. Wem das egal ist, das ist dann nicht mein Problem. Genauso wenig wie es eine Pflicht zur Frauenquote gibt, genauso wenig habe ich eine Pflicht, mich für Produkte, die die Existenz von Frauen ignorieren zu interessieren.
4. Wir wollen hier die Realität abbilden, und da gibt es halt in Branche X nicht so viele Frauen!
Ein zugegebenermaßen auf den ersten Blick sehr valides Argument, dass sich aber auch ganz gut auseinanderdröseln lässt.
Ich arbeite als Softwareentwicklerin, mein Mann arbeitet in der Energiebranche. Ja, es ist schwierig. Aber ich kenne weibliche Softwareentwicklerinnen und ich kenne weibliche Ingenieurinnen. Es gibt uns!
Niemand erwartet eine Verzerrung der Realität, doch auch hier scheint es mir ein großer Teil Bequemlichkeit zu sein, der dazu führt, dass in männerdominierten Branchen auch hauptsächlich Männer porträtiert werden. Und das führt wieder zu einer Todesspirale, nur halt zu einer noch schlimmeren. Denn, wenn in Zeitschriften, Fernsehsendungen und auf Konferenzen immer nur Männer als Macher, Manager und Experten reden, dann müssen wir uns auch nicht wundern, wenn sich in der Realität nichts ändert. Wie auch, wenn dauernd vermittelt wird, dass Frauen nichts Interessantes zu sagen hätten.
Dieses Argument klingt okay, ist aber bitterböse und sagt: “Wir haben kein Interesse daran, die Realität zu ändern.” Kann man natürlich machen, da muss jeder selber wissen, welchen Anspruch er an sich selbst stellt. Von einer Zeitschrift wie der brandeins, die von sich selber wohl gerne behaupten würde, auch jenseits des Tellerrands zu agieren, kann ich jedenfalls durchaus auch erwarten, dass sie in der Lage ist, sich über die üblichen Geschlechterstereotype hinwegzusetzen.
5. Dann macht es doch selber besser!/Macht doch einfach mal selber Vorschläge!
Die kurze Antwort: That’s not my fucking job!
Die längere Antwort: Kennt ihr diese Szene, wenn in irgendeiner Castingshow ein Kandidat ausgebuht wird und dann beleidigt sagt: “Kommt doch auf die Bühne und macht es besser!”
Was hier missverstanden wird: Ich kann eine Leistung kritisieren und nicht gut finden, ohne dass ich selber in der Lage sein muss, es besser machen zu können. Ich kann – um Felix Beispiel aufzugreifen – in einem Restaurant das Essen kritisieren, weil es versalzen ist, ohne dass ich selber überhaupt kochen können muss.
Genauso bin ich nicht in der Verantwortlichkeit, eine Zeitschrift mit besserer Frauenquote zu veröffentlichen, nur weil ich eine andere wegen ihrer schlechten Frauenquote kritisiere. Da sind schon Leute, die von sich behaupten, sie könnten gute Zeitschriften herausbringen, und ich muss ihnen zutrauen, sich dieser Aufgabe stellen zu können. Und zwar ohne meine Hilfe.
Ich bin auch nicht verantwortlich dafür, Vorschläge zu machen oder den Verantwortlichen bei der Suche nach geeigneten Gesprächspartnerinnen oder Speakerinnen zu helfen. Ich gehe davon aus, dass sie das sehr gut alleine können, weil sie hoffentlich Profis sind und einen entsprechenden Anspruch an ihre eigene Arbeit haben.
Anatol Stefanowitsch hat dazu unlängst auch etwas Kluges geschrieben.
6. Aber mit dem Finger auf Zeitschrift X/Organisation Y/Konferenz Z bringt doch auch nichts und in Afrika sterben die Kinder!
Im besten Fall bringt es ein paar Leute dazu, umzudenken und sich in Zukunft mehr Mühe zu geben, ein bisschen länger zu suchen und nicht immer die gleichen Leute zu fragen. Das wäre mal ein Anfang.
Oftmals wird Kritik hier auch als böser Fingerzeig verstanden. Doch meist ist ja das Gegenteil der Fall. Julia Mnsk ist Abonnentin der brandeins, also offensichtlich interessiert an dieser Zeitschrift. Mit ihrer Kritik teilt sie den Machern dieser Zeitschrift mit, dass sie etwas stört und fragt, ob es nicht möglich wäre, daran etwas zu ändern.
Genauso sah es vermutlich auch bei vielen Kritikern des Frauenverhältnisses bei den Krautreportern aus. Nur, wenn mich etwas grundsätzlich interessiert, habe ich auch ein Interesse, die Verantwortlichen darauf hinzuweisen. Wird Kritik niedergebügelt oder ignoriert, ist die Chance, dass ich später bereit bin, mein Geld in diese Richtung auszugeben, recht gering.
Es gibt hier also zwei Optionen: Nichts sagen und Zeitschrift X/Organisation Y/Konferenz Z in Zukunft nicht mehr zu unterstützen. Oder eben Kritik äußern in der Hoffnung, dass sich etwas ändert und man auch in Zukunft mit einem guten Gefühl Geld in diese Richtung schubsen kann.
