Wie meine Großeltern mal ein gefälschtes Bayer-Weihnachtspaket bekamen

Mein Opa war bei Bayer, so wie sich das gehörte. Was er da gemacht hat, weiß ich gar nicht so genau, irgendwas mit Buchhaltung, wo er ganz sauber und ordentlich in kleiner Schrift viele Zahlen in langen Reihen untereinander schreiben konnte. Damals war es ja auch noch so, dass man, wenn man einer Firma war, auch treu da blieb. In Leverkusen und Köln gibt es ganze Siedlungen, wo nur Bayermitarbeiter in hübschen Bayerhäuschen wohnten, die dann mit ihrem roten Bayerrad morgens ins Bayerwerk fuhren. Da, wo meine Großeltern wohnten, gab es auch lauter ehemalige Bayermitarbeiter. Auch ansonsten war man seiner Firma treu, deswegen reden wir auch an Opas Grab nie schlecht über Bayer, und fallende Bayeraktien sind sowieso ein Tabuthema. Wenn jemand in Köln-Mülheim auf dem Friedhof eine abfällige Bemerkungen über Bayer machen sollte und irgendwo ein Erdhaufen bebt, dann ist das mein Opa, der sich gerade im Grabe umdreht.

Das allerallerbeste im Leben eines Bayerpensionärs war aber das Bayer-Weihnachtspaket. Das kam einmal im Jahr, kurz vor Weihnachten und war prallgefüllt mit ein paar tollen Sachen, ein paar nützlichen Sachen, und ein paar Sachen, die man nicht mochte und seinen Kindern mitgeben konnte. Jedes Jahr war mehr oder weniger das gleiche drin, Kaffee, Tee, Dauerwurst, Bonbons, Schokolade, Lebkuchen und was man sonst noch so verschicken kann. Außerdem gab es eine Liste, auf der der Inhalt verzeichnet war und die man abhaken konnte, um zu prüfen, dass man auch wirklich alles gekriegt hatte.

Dann trug man die Kiste ins Nebenzimmer und wenn dann zu Weihnachten die Familie da war, wurde die Kiste noch mal sehr ausführlich begutachtet und das, was man sowieso nicht brauchte (Tee, wer braucht schon Tee?) an die jeweiligen Interessenten verteilt. Das Bayer-Weihnachtspaket, ich scherze hier nicht, war das Highlight des Weihnachtsfestes, wenn nicht des ganzen Jahres. Welch besseren Beweis konnte man denn haben, dass sich die Firma immer noch um einen sorgte, als so ein prallgefülltes, ordentlich verpacktes, mit einer Liste versehenes Paket? Keinen, eben.

Und irgendwann ging es Bayer dann nicht mehr so gut und dann gab es keine Weihnachtspakete mehr. Dürre Jahre. Hungerjahre. Im Stich gelassen von der Firma, Weihnachten quasi kaputt. Ein Drama.

Das ging ein paar Jahre so, bis meine Eltern und meine Tante* auf eine Idee kamen. Da sie der Bayer-Weihnachtspaketzeremonie jahrelang beigewohnt hatten und den Inhalt so mehr oder weniger auswendig kannten, würden sie einfach selber ein Bayer-Weihnachtspaket bauen und verschicken. In mühevoller Arbeit wurden die einzelnen Komponenten zusammengesucht und in einen Karton gepackt. Von einem Freund lieh man sich ein Schreiben mit einem Bayer-Briefkopf und bastelte sich so ein 1A-Bayer-Anschreiben. Die Sachbearbeiterin hieß passenderweise „Frau Gönner“ und im Kleingedruckten stand zur Abwechslung nicht die Liste des Vorstands, sondern ein Weihnachtsgruß, aber das war ja im Kleingedruckten und wer liest schon das Kleingedruckte?

Das Paket wurde verschickt und dann abgewartet. Die Überraschung und die Freude war erwartet groß. Endlich wieder ein Bayer-Weihnachtspaket! Und zwar – so hieß es auch im Anschreiben – nur für „besonders verdiente Mitarbeiter“! Was niemand ahnen konnte war, dass sich Opa selbstverständlich mit stolzgeschwellter Brust in der Nachbarschaft erkundigte, wer denn noch als besonders verdienter Mitarbeiter ein Weihnachtspaket erhalten hätte. Keiner nämlich! Alles keine besonders verdienten Mitarbeiter, nur er! Da kann man mal sehen! (Hatte er übrigens schon immer geahnt.)

Außerdem hatte er natürlich bemerkt, dass der Inhalt leicht vom üblichen Inhalt abwich und vor allem nicht so ordentlich verpackt war wie er es sonst von Bayer gewöhnt war. Das, so schlussfolgerte er knallhart, läge aber daran, dass das jetzt „irgendwelche Mädchen“ bei Bayer machen würden, und die wären bekanntlich ja nicht so ordentlich und sorgsam.

Eigentlich sollte das Geheimnis um das Weihnachtspaket am Weihnachtsabend aufgelöst werden, aber dann traute sich auf einmal niemand mehr, Opa reinen Wein einzuschenken und wir mussten alle nur sehr doll aufpassen, nicht hemmungslos loszukichern. Statt dessen nahmen meine Eltern dann halt wieder den Tee mit, den sie selbst mit in das Paket gepackt hatten. Glaubwürdigkeit muss eben sein.

Im nächsten Jahr gab es dann wieder kein Weihnachtspaket mehr. Und Oma weiß bis heute nichts und das muss auch so bleiben.

 

*Meine Tante hat schon angemeldet, dass sie gerne mal in diesem Blog erwähnt werden möchte. Hiermit erledigt. Huhu, Judith!

19 Antworten auf „Wie meine Großeltern mal ein gefälschtes Bayer-Weihnachtspaket bekamen“

  1. Hier im Hause wird ja Erzählblogging betrieben. Und das geht so: die Blogs lese ich, der Mann liest nur Fachzeugs und Weltwirtschaft. Ich bin sozusagen der Panoramafenster in die Welt der Geschichten. Und so erzähle ich dann beim Abendessen die besten Beiträge weiter, mit vielG efuchtel und Ausschmückungen. Und mit kurzen Informationen zum jeweiligen Blog. (Das ganze gibt es auch mit Tweets. Erzähltweeting sozusagen.)
    So war heute das Weihnachtspäckchen von Bayer dran.
    Ein durchschlagender Erfolg. Das Bild war so schön, wie der Opa in der Siedlung rumläuft und vom einzigen Päcken weit und breit erzählt. Ein bißchen gedauert hat er uns dann schon.
    Wir hatten trotzdem viel Spaß.
    Es ist eine wunderbare Geschichte, dankeschön.

  2. Mein Vater war Elektriker.
    Unser Weihnachts-Highlight war das Miele-Paket.
    Obendrauf eine Riesen-Weiße-Schokolade-Platte mit dem Miele-Emblem, die wurde zwischen meinem Bruder und mir unter Todesandrohungen geschwisterlich geteilt.
    Darunter befand sich eine Lage Pralinen, die ließen sich besser teilen.
    Die doofe Wurst und der doofe Schnaps war für unsere Eltern.
    Die wunderschöne Email-Döschen mit alten Miele-Plakaten habe ich jahrelang gesammelt.
    Weihnachten gab es wenig Schöneres.

    Mein Gott, wir hatten ja wirklich nichts!

    1. Was auch immer ein Fest war: Jahreshauptversammlung der Aktionäre. Opa hatte außerdem Aktien von Henkel und Stollwerck und zu den Versammlungen ging man, um die Präsente abzustauben und das Büffet zu plündern (inklusive Brötchen in der Handtasche).

      1. waaahhhh, Albtraum aller Mitarbeiter auf Hauptversammlungen: die vielen Menschen, die nur zum Plündern kommen. Das teilweise in einem Ausmaß, wie es ihrem Opa vermutlich (hoffentlich) nicht in den Sinn kam.
        Ich beobachtete z.B. Menschen, die Orangensaft in mitgebrachte Flaschen füllten. Mehr als einmal verlangten Besucher die Herausgabe meines Kugelschreibers. Dass das mein eigener, privater war, war ihnen egal. (mir fallen noch so 3 bis 50 Unverschämtheiten ein…)

        Die Paketstory ist trotzdem toll!

  3. Schöne Geschichte!!
    Mein Mann arbeitete auch bei einer Firma, die jedes Weihnachten vollgepackte Weihnachtstüten verschenkte. War für unsere Kinder immer das Highlight schlechthin, wenn Papa einige Tage vor dem Fest mit dieser Tragetasche nach Hause kam und sie sich etwas aussuchen durften!
    Auch jetzt als Rentner geht er vor Weihnachten in die Firma seine Tüte abholen. Jetzt ist es für ihn ein Fest, die Firma und ehemaligen Kollegen noch einmal zu sehen …

  4. Ahh, große Erinnerungsorgie! Mein Varter war auch bei Bayer und hat immer so Pakete bekommen. Ich meine mich zu erinnern, dass da auch so eine französische Pastete drin war, irgendetwas wie Leberwurst, aber anders und deshalb natürlich nicht eßbar. Die roten Fahrräder! Und dieses Jahr sind meine Eltern natürlich ins Fußballstadion gegangen, zur 150-Jahrfeier. Gibt es die Mitarbeiterzeitung „Unser Werk“ noch…?

    1. „Unser Werk“ heißt nun „Bayer direkt“…Weihnachtspakete gibbet leider nicht mehr. Aber zum 150 jährigen wurde ein dicker Wälzer mit Bayer Anekdoten an Mitarbeiter und Pensionisten verschickt. Schöne Geschichte Anne! Da bedauere ich paar Jahrzehnte zu spät dort angefangen zu haben. :-)…aber dafür gibbet seit paar Monaten keine niedrigen Aktienkurse mehr. :-)

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