Mülheim, mon amour

Köln-Mülheim

Gestern war ich auf der LitBlog Convention, einer kleinen Konferenz für Literaturblogger, wobei ich ja gar kein Literaturblogger bin, ich schreibe nur gelegentlich über Bücher. Aber das ist auch egal, darüber wollte ich gar nicht schreiben, oder jedenfalls nicht jetzt.

Schreiben wollte ich über den Ort, an dem die Konferenz statt fand, nämlich im Bastei-Lübbe-Verlag, der im Kölner Schanzenviertel (Ja, wir haben jetzt auch ein eigenes Schanzenviertel. Hamburg, deal with it!) sitzt. Viel alter Fabrikbau, in dem sich jetzt Verlage und andere Medienunternehmen ansiedeln. Direkt nebenan die Keupstraße, wo sich eine Dönerbude an die anderen reiht.

Wenn man also zu Bastei-Lübbe will und mit der Bahn unterwegs ist, dann fährt man – wenn man ich ist – nach Deutz und dann mit der 4 bis zur Keupstraße. Dabei kommt man auch am Wiener Platz vorbei, dem Dreh- und Angelpunkt des Köln-Mülheimer Lebens. Schön ist der nicht, wie man oben sehen kann, aber die Kernkompetenz von Köln war noch nie, pittoresk zu sein.

Ich stellte mit also vor, wie mich jemand fragen würde, ob ich gut hergefunden hätte, so zu Bastei-Lübbe im Schanzenviertel und wir ich dann sagen würde:

„Doch, doch, da vorne, da ist das Genoveva, da hat meine Mutter Abitur gemacht und gleich daneben war die Musikschule, in der ich einmal die Woche Klavierunterricht hatte, und da etwas weiter runter am Rhein, da bin ich bis 1994 auf die Schule gegangen, da konnte ich dann zu Fuß zum Klavierunterricht, das war praktisch. Und da hinten, da ist die Bücherei, in die ich immer mit meiner Oma gegangen bin, wenn sie mich vom Klavierunterricht abgeholt hat und dann sind wir auf der Frankfurter Straße zum McDonald’s. Da ist auch das Cortina, in dem Eiscafé haben schon meine Eltern gesessen und Tartufo gegessen. Und im Woolworth habe ich recht schnell gelernt, was das türkische Wort für „Mama“ ist und aufgehört, darauf zu reagieren und ja, danke, ich habe ganz gut hergefunden.“

Und das ist nur die Hälfte der Geschichten, die ich hätte erzählen können. Und in diesem Sinne ist Schönheit wirklich ganz schön relativ.

Köln-Mülheim

Nostalgiefernsehen

Ich durfte ja als Kind so viel fernsehen, wie ich wollte und bin deshalb auch sehr gut gebildet, was Werbung angeht. Mein Lieblingswerbungs-Fun-Fact ist, dass der Melitta-Mann der Opa vom Fruchtalarm-Kind ist, aber das wussten hier natürlich alle längst. Früher spielte ich mit meinen Eltern sogar ein Spiel. Es hieß „Reklameraten“, und wer als erster bei einem Werbespot sagen konnte, um welches Produkt es ging, hatte gewonnen. So ging Medienbildung in den Achtzigern.

Vorgestern guckte dann mein Mann Fernsehen, oder vielmehr, wir guckten Fernsehen, aber es lief gerade Werbung und ich machte irgendwas in der Küche, als auf einmal ein wohlbekanntes Lied lief, und ich eiligst ins Wohnzimmer hastete, um noch rechtzeitig die letzten zehn Sekunden inbrünstig mitzusingen:

Denn wer sich Allianz versichert
Der ist voll und ganz versichert
Der schließt vom ersten Augenblick
Ein festes Bündnis mit dem Glück
Eine Allianz fürs Leben

Sagen wir mal so, es fehlte nicht viel, und ich hätte mir die Hand aufs Herz gelegt und ein bisschen vor Freude geweint.

Wenn man sich jetzt diese Szene vor Augen hält, dann ist es vielleicht gar nicht so verwunderlich, dass ich mittlerweile mein Geld damit verdiene, dafür zu sorgen, dass es Software gibt, mit der Werbung gebucht werden kann. Möglicherweise hat es das Schicksal so gewollt und es war ein mir vorbestimmter Weg, für den ich nur ein paar Umwege brauchte.

Über Kinderkrankheiten und Baguette

Die Impfdebatte ist ja in vollem Gange. Ich habe keine Kinder und war unter anderem fahrlässig ungeimpft mal in Vietnam, aber das hatte andere Gründe, die mit einer gewissen Planlosigkeit zu tun hatten. Ich war nämlich nicht nur fahrlässig ungeimpft sondern auch mit dem falschen Visum in Vietnam. Hat aber keiner gemerkt. Als Biologentochter und Alumni einer Schule, auf dem einem noch was beigebracht wurde, bin ich sehr auf der Seite der Wissenschaft und dementsprechend sehr pro Impfung. Darum geht es hier aber nicht, das dürfen andere Leute mit mehr Energie bitte an anderen Stellen diskutieren.

Ich hatte Masern, Windpocken und Mumps. Ich weiß nicht mehr, wann und wogegen ich geimpft wurde. Ich erinnere mich an exakt zwei Impfungen, nämlich eine Schluckimpfung vermutlich gegen Keuchhusten und an die Impfung gegen Röteln in der Unterstufe, wo andere Mädchen weinend in der Ecke saßen, während ich vergnügt dabei zusah, wie mir die Ärztin die Spritze so in den Arm rammte, dass es blutete.

An Masern erinnere ich mich nicht, da war ich sehr jung. Ich meine mich daran zu erinnern, wie meine Oma panisch bei meiner Mutter anrief, weil die Enkelin krank sein, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil irgendwer mal irgendwie sowas erzählt hat. An Windpocken erinnere ich mich etwas besser. Ich kann das nicht empfehlen, das ist unangenehm. Das einzig positive war, dass ich, meine Cousine und mein Cousin gleichzeitig Windpocken hatten, also nicht ganz allein in Quarantäne mussten. Das ist übrigens kein Argument für Masernpartys, besser wäre gewesen, wir hätten uns gar nicht erst tagelang die Pocken vom Körper kratzen wollen.

Mumps aber, das weiß ich noch genau, weil die Geschichte darum einigermaßen originell ist. Als ich Mumps hatte waren Sommerferien und wir in Frankreich. Meine Mutter, meine Tante, mein Cousin und ich waren Campen (das letzte Jahr, danach war Schluss mit dem Unsinn, Campen, lasst das, da hat man noch nicht mal richtige Betten). Ein anderer Teil der Familie war klüger und hatte sich ein Haus im Ort gemietet.

Irgendwann fing ich an über Schmerzen in den Backen zu klagen. Beim Kauen tat es weh und sonst auch. Meine Mutter diagnostizierte einwandfrei und knallhart: Baguette! Ich hatte sicherlich die bekannte Baguettekrankheit. Wer dauernd intensiv mit den Zähnen am Brot zieht, der kriegt Baguetteweh in den Backen. Fall gelöst. Millionen Franzosen wissen, wovon ich rede.

Mit Baguette ließen sich dann leider weder die dicken Backen noch das Fieber erklären. Mein Onkel, der hilfreicherweise Arzt war, wagte eine Zweitdiagnose und tippte auf: Mumps. Das klang dann nach ein bisschen Nachdenken doch wahrscheinlicher als Baguette. Dann durfte ich ein paar Tage im Haus rumfiebern und musste nicht campen, dann war der Mumps vorbei.

Sollte das Kind also im nächsten Urlaub über Backenweh klagen, muss es nicht zwingend das lokale Backwerk sein. Außer, wenn es vernünftigerweise geimpft ist, dann ist es vielleicht doch Baguette.

Früher war manches besser. Und vieles schwieriger. Aber vielleicht auch ein bisschen besser.

tl;dr Heute kann man alles sofort immer haben, und das ist toll. Ganz ernst gemeint, ich finde das toll. Aber mittlerweile vermisse ich immer häufiger die Mühe, die nötig war, um an weniger mainstreamige Musik, Bücher oder Filme zu kommen, weil ich merke, dass ich den Dingen, die ich heute neu entdecke, viel weniger Aufmerksamkeit zukommen lasse als noch vor zehn Jahren. (Das hat sicher auch was damit zu tun, dass ich damals jünger war und weniger Geld hatte, aber ich glaube, viel davon ist eben auch die ständige Verfügbarkeit fast sämtlicher Kulturangebote im Internet.) Der Text ist unter anderem so lang, weil ich dauernd in Erinnerungen schwelge und Anekdötchen erzähle.

Ich habe ein Spotify-Abo. Und eins bei Audible. Außerdem eins bei Lovefilm und eins bei Watchever, weil ich mich nicht entscheiden kann, was ich jetzt besser finde. Ich besitze außerdem ein Kindle und habe eine lange Bestellhistorie bei Amazon. Ich bin Mitglied, wenn man das denn so nennen kann, bei einem internationalen Online-Buchclub mit Fokus auf Scheince-Fiction- und Fantasyliteratur. Ich besitze ein iPhone, mit dem man mich im Prinzip jederzeit erreichen kann.

Vor 15 Jahren war ich gerade 18, volljährig (übrigens knapp eine Woche nach der Bundestagswahl), kurz vorm Abitur und das alles gab es damals nicht.

Als ich 18 war hatte ich eine kleine CD-Sammlung, die irgendwann immerhin nicht mehr in den 72 CDs fassenden drehbaren CD-Turm passten, der neben der alten Stereoanlage meiner Eltern auf meinem Ivar-Regal stand. Ich hatte eine Kommode und eine Kleiderschrankschublade voll mit Videoskassetten die ich größtenteils selbst aufgenommen (oder aufnehmen lassen) hatte, alle nummeriert und mit Aufklebern versehen, darauf der Name des Films und der Regisseur. Ich hatte ein Bücherregal mit normal vielen Büchern, manche davon auf Englisch, die meisten auf Deutsch.

Wenn ich CDs kaufen ging, dann meistens im Saturn in Köln, entweder in der Hauptfiliale am Hansaring oder oben im Kaufhof auf der Schildergasse. Irgendwann führten die da Abhörstationen zur Selbstbedienung ein. Man nahm also die CDs, die einen interessierten, dackelte damit zu den CD-Spielern, stand eine Weile an und konnte dann einen kleinen Stapel CDs durchhören. Das war Fortschritt! Man musste mit niemandem reden! Niemand, der einem die CDs aufmachen und einlegen musste. Man konnte das alles ganz alleine machen!

CDs kosteten meistens sowas um die 30 Mark, es sei denn, man erwischte ein paar Sonderangebote. Bei meinem eher großzügigen Taschengeld konnte ich mir da auch schon mal jede Woche eine kaufen. Ich kaufte CDs von Musikern, deren Stücke im Radio liefen, auf WDR 2 oder in den SWF3 Elch-Charts. Manchmal zog ich auch mit den Musiktipps aus der CINEMA zum Saturn und hörte dann Sachen, auf die ich sonst nie im Leben gekommen wäre. Die hatte ich vorher auf einem Zettel notiert und wenn man Glück hatte, dann war sogar ein bisschen was von der Liste im Sortiment vorhanden. Ich glaube, auf diesem Weg ist auch eine CD von „Hootie & the Blowfish“ in meinen Besitz gekommen. Ich wüsste auch nicht, wie das sonst hätte passieren können.

Außerdem war ich Coverkäufer. Ich weiß von mindestens drei CDs, die ich nur nach Cover gekauft habe, und ein bisschen nach den Titeln der Songs hintendrauf. Zwei davon waren super, eine war scheiße. Es waren aber bestimmt mehr als drei und in der Gesamtquote bin ich ziemlich gut dabei weggekommen. Eine von den Coverkäufen war Katell Keinegs „Jet“ [Werbelink], nach wie vor eines der besten Alben, die ich kenne. Irgendwie bekam ich raus, dass das das zweite Album von Katell Keineg war und es ein erstes Album gab, das man aber in Deutschland nicht bekommen konnte. Also ging ich zu einem kleinen Plattenladen auf der Ehrenstraße und ließ mir dieses Album importieren.

Importieren! Ich weiß nicht mehr genau, was man alles dafür tun musste, aber ich weiß, dass mich der ganze Spaß 45 Mark und eine ungewisse Lieferzeit kostete. Innerhalb dieser ungewissen Lieferzeit machte ich mein Abitur und bekam die Gelegenheit, für ein paar Wochen nach New York (gelogen, eigentlich Hoboken, New Jersey) zu gehen, wo ich dieses Album dann einfach noch mal kaufte, weil es ja ging.

Wenn man ein Lied im Radio gut fand, dann musste man hoffen, dass die Radiosprecher einem sagten, wie das hieß oder von wem das war, oder man war auf die Hilfe anderer Medien oder Menschen angewiesen. Sowas wie Google, wo man einfach ein paar Zeilen eintippen konnte, gab es ja noch nicht in ausreichend funktionierendem Zustand oder man wusste nichts davon. Dass ich trotzdem rausfand, dass „Rotterdam (Or Anywhere)“ von The Beautiful South war und mir dann das Album kaufen konnte, muss irgendwie so eine Art Wunder gewesen sein.

Dazu kann ich auch eine Geschichte erzählen. Irgendwann Ende der Neunziger gab es nämlich ein Lied, das regelmäßig im Radio gespielt wurde, und das ich ganz toll fand. Leider gehörte es zu der Sorte Songs, die auf den Sorten Radiosender gespielt wurden, wo einem nie jemand verriet, wie der Song hieß, geschweige denn, von wem er gesungen würde. Also musste ich recherchieren, hörte mir endlos viele Platten bei Saturn an, in der irren Hoffnung, irgendwie durch Zufall mal drauf zu stoßen. Es war die Zeit von Alanis Morissette und Heather Nova, von Amanda Marshall und Meredith Brooks und irgendwie so jemand musste das sein, aber es war vergebens. Ich war kurz davor bei einem Radiosender anzurufen(!) und das Lied vorzusingen, auf dass man mir bitte verraten würde, wer das sei, aber so weit kam es dann aufgrund meiner bis heute latent vorhandenen Telefonschwäche nie.

Jahre gingen ins Land und ich meine damit wirklich Jahre. Möglicherweise ein ganzes Jahrzehnt. Und dann kaufte ich aus einem völlig anderen Grund eine CD von Sophie Zelmani und weil diese CD so super war, hörte ich mir auch andere Sachen von Sophie Zelmani an, teilweise im Internet, denn das gab es ja mittlerweile in ausreichend funktionierendem Zustand. Und dann hörte ich auf einmal das Lied, was ich zuletzt vor Jahren gehört und verzweifelt gesucht hatte. Da war es! Unglaublich! Dabei weiß ich gar nicht, was unglaublicher war; dass ich es so zufällig und unerwartet fand oder dass ich sofort „Oh mein Gott, das ist ja der Song, den ich damals so ewig gesucht habe!“ dachte.

(Es handelt sich übrigens um „You and Him“ von Sophie Zelmani. Hören kann man das hier.)

Wenn man ein Lied hören wollte, musste man es entweder physisch besitzen oder eben warten, bis es im Radio kam. MP3 gab es nicht, theoretisch bestimmt irgendwo, aber nicht praktisch. Am 88. Geburtstag meines Opas hatten wir gerade ein paar Wochen Internet zu Hause und mein Großcousin zeigte mir, wie ich MP3s runterladen konnte. Das war 1999 und für einen normal langen, mäßig codierten Track brauchte man da mit einer guten Verbindung schon gute 15 Minuten. Wenn man Glück hatte. Trotzdem: REVOLUTION!

Für meinen ersten Videorekorder gab ich 600 Mark aus. Ich ging mit meinem Vater zum Elektrohandel, sagte, ich würde gerne einen Videorekorder kaufen, mit Longplay und Zweikanal, also Sechskopf, und dafür 600 Mark ausgeben und genau das tat ich dann auch. In der Fernsehzeitung machte ich Eselsohren an alle guten Filmen und nahm auf, was das Zeug hielt. Das meiste davon habe ich sogar geguckt.

Am allerschönsten waren Filme, die im Zweikanalton ausgestrahlt wurden. Das gab es nur sehr selten. Ich hatte vielleicht eine Handvoll und war fasziniert von der Option, Filme im Original gucken zu können. IM ORIGINAL! AUF ENGLISCH! Ansonsten konnte man Filme ja nur im Kino auf Englisch gucken und auch nur in wenigen Kinos oder zu doofen Zeiten oder Filme, die man nicht sehen wollte. Mit vierzehn war ich mit meiner Brieffreundin Kathrin in Köln in einem Kino am Ring (nein, es war nicht das Metropolis) und wir guckten I.Q. im Originalton. Wir waren in diesem Kinosaal zu dritt. Also insgesamt. Kathrin und ich und noch jemand, der alleine kam. Das ist allerdings gar nichts, in „Martha – Meet Frank, Daniel and Laurence“, diesmal wirklich im Metropolis am Ebertplatz, war ich alleine im Saal. Das war allerdings auch an einem Sommernachmittag, an dem der Rest der Welt im Freibad war. Außer mir. Ich war im Kino und guckte einen Film auf Englisch. Eventuell mit Untertitel. Möglicherweise auch ohne. Darauf hatte man ja keinen Einfluss und war auf die Gnade des Kinos angewiesen.

Dann kam die DVD und man konnte auf einmal ALLES im Originalton gucken. Na ja, fast alles. REVOLUTION! Alle meine Träume wurden wahr, oder jedenfalls einer der vielen.

Mit Büchern war es ähnlich. Man war vollkommen auf die sehr überschaubare Auswahl an englischen Büchern in der örtlichen Buchhandlung angewiesen. Bei Gonski in Köln war die zwar größer, aber letztlich auch überschaubar. Vermutlich hätte man sich auch hier Bücher in der Originalsprache bestellen können, aber darauf kam ich Anfang der Zweitausender Jahre irgendwie nicht. Was man da alles hätte wissen müssen! Und wer weiß, was das dann kostet! (Wahrscheinlich gar nicht so viel, trotzdem wäre ich nie auf die Idee gekommen.)

Die Welt vor fünfzehn Jahren war für den medien- und kulturaffinen Menschen mit sehr viel Anstrengung verbunden. Was man da alles machen musste, um irgendetwas herauszufinden. Wie oft ich beim Scala-Kino in Opladen anrief, um mir von einer netten Frau mit mäßigen Englischkenntnissen die aktuellen Filme und Spielzeiten ansagen zu lassen. Zu welch seltsamen Zeiten ich ins Kino ging, weil nur da der Film lief, den ich sehen wollte. (Es gibt noch die Geschichte, wie ich mit zwei anderen Menschen an der Kasse vom Broadway stand und man uns mitteilte, dass der Kölner Stadtanzeiger da einen Fehler gemacht hätte und gar nicht „Jules und Jim“ lief, sondern etwas anderes. Da aber alle drei anwesenden Menschen auf Basis der gleichen falschen Informationen im Stadtanzeiger gekommen waren, und niemand für den anderen Film, war das dann auch nicht so schlimm und es wurde dann einfach doch „Jules und Jim“ gezeigt. Ob im Original, weiß ich aber nicht mehr, würde es aber nicht ausschließen.)

Heute bin ich oft innerlich zerrissen. Nicht nur, dass ich es selber sehr schätze, jederzeit selbst auf meinem iPhone ein Riesensortiment von Filmen einfach so abrufen und im Original gucken kann. Nicht nur, dass ich über Spotify eine gigantische Musikbibliothek habe, und Alben nicht nur antesten, sondern einfach ganz hören kann, für lächerliche 10 Euro im Monat. Ich kann über Amazon (und diverse andere Onlinehändler) quasi jedes Buch auf Englisch bestellen, wenn ich will, sogar direkt auf mein Kindle, ganz ohne Wartezeit mit einem Mausklick. Überhaupt: Alles immer und meistens sofort!

Und vor allem: Ich weiß, dass das andere Menschen auch können. Menschen, die nicht wie ich in der Nähe einer Großstadt leben, die also noch nicht mal das Programmkino haben, das gelegentlich mal Filme im Original zeigt. Menschen, die nicht einen der größten Musikläden der Welt (oder jedenfalls Deutschlands) in erreichbarer Nähe haben oder einen Buchladen mit mehr als zwei Etagen.

Ich finde das großartig, dass wir nicht mehr an irgendwelche geographischen oder infrastrukturellen Limitationen gebunden sind, die es uns erschweren, das hören, lesen oder sehen zu können, was uns interessiert. Und weil ich selber so viel Zeit investiert habe, um Dinge hören, lesen oder sehen zu können, die nicht zwingend zum Mainstream gehörten, weiß ich, was das eigentlich für eine Wahnsinnssache ist.

Auf der anderen Seite verspüre ich seit einiger Zeit ein seltsames Verlangen nach CD-Booklets. Die Dinger mit den Songtexten, die ich studierte und auswendig lernte, während ich eine CD komplett vom ersten bis zum letzten Track hörte. Die Sachen, die ich heute höre, selbst, wenn ich sie oft höre, kenne ich alle nicht auswendig, es sei denn, ich mache mir die Mühe, sie am Klavier oder mit der Ukulele zu covern. Ich vermisse die Akribie, mit der ich Liner Notes studierte und dieses Gefühl, dass das Booklet irgendwie zu der Musik dazugehörte.

Noch vor zehn Jahren guckte ich Filme und ganze Serienstaffeln drei bis zehn Mal, weil man sich gar nicht so viele DVDs leisten konnte und deswegen auf das zurückgreifen musste, was eh im Schrank stand. Wenn ich ganz verrückt drauf war, schaltete ich zu Ally McBeal auf Englisch den finnischen Untertitel ein, einfach, weil es so bekloppt war, DASS ES GING!

Heute höre ich ein Lied im Radio und schalte Shazam ein. Shazam sagt mir dann, wer das ist, und wie der Song heißt und auf welchem Album der ist und liefert mir den Link zu YouTube gleich mit. Das ist toll! Das ist unglaublich! Das ist eine ganz wundervolle Erfindung, die ich mir vor fünfzehn Jahren sehr dringend gewünscht hätte. Aber etwas fehlt doch. Die Arbeit ist weg, die Mühe, mit der man sich Dinge erarbeiten musste, die Schnitzeljagd und die Detektivarbeit und natürlich vor allem der Erfolgsmoment, wenn man auf einmal die richtige CD in der Hand hatte.

Früher war nicht alles besser. Vieles war sehr viel schwieriger. Es ist weder das Abendland, das untergeht, noch werde ich zum Kulturpessimisten. Gesamtgesellschaftlich glaube ich, dass das alles sehr gut ist. Aber persönlich merke ich immer wieder, dass ich mir das Schwierige ein bisschen zurückwünsche. Eben, weil ich deswegen das, was ich hatte, mehr schätzen konnte. Weil es schwieriger war.

Die kleinen Herausforderungen des Alltags. Satisfaction not guaranteed, but very, very likely.

Daily Music: Johnny Come Lately von Cerys Matthews/Catatonia

Eine meiner möglicherweise coolsten Aktionen war, dass ich auf einem Catatonia-Konzert war. Das ist aus mehreren Gründen cool, nämlich erstens, weil es zeigt, dass ich schon mit 18 einen exzellenten Musikgeschmack hatte, zweitens, weil ich es irgendwie geschafft habe, auf ein Konzert zu gehen, bevor sich die Band auflöste und drittens, weil das Konzert im Kölner Luxor war, das ganz vielleicht damals schon Prime Club hieß, vielleicht aber auch nicht, das weiß ich nicht mehr genau, und dass ich es deswegen irgendwie geschafft habe, nach ganz vorne zu kommen, nicht zuletzt, weil die Konzertbegleitung mich sehr souverän und bestimmt einfach mit nach vorne durchschleuste.

Jedenfalls gibt es Catatonia nicht mehr, aber man kann ja trotzdem die Musik noch hören, die bleibt nämlich super, wie zum Beispiel „Johnny Come Lately“, das Cerys Matthews hier auf einem Live-Konzert spielt. (Cerys Matthews ist übrigens wirklich unglaublich klein, das sieht man auch sehr gut, wenn man bei einem Konzert auf einmal in der ersten Reihe steht.)

Wie meine Großeltern mal ein gefälschtes Bayer-Weihnachtspaket bekamen

Mein Opa war bei Bayer, so wie sich das gehörte. Was er da gemacht hat, weiß ich gar nicht so genau, irgendwas mit Buchhaltung, wo er ganz sauber und ordentlich in kleiner Schrift viele Zahlen in langen Reihen untereinander schreiben konnte. Damals war es ja auch noch so, dass man, wenn man einer Firma war, auch treu da blieb. In Leverkusen und Köln gibt es ganze Siedlungen, wo nur Bayermitarbeiter in hübschen Bayerhäuschen wohnten, die dann mit ihrem roten Bayerrad morgens ins Bayerwerk fuhren. Da, wo meine Großeltern wohnten, gab es auch lauter ehemalige Bayermitarbeiter. Auch ansonsten war man seiner Firma treu, deswegen reden wir auch an Opas Grab nie schlecht über Bayer, und fallende Bayeraktien sind sowieso ein Tabuthema. Wenn jemand in Köln-Mülheim auf dem Friedhof eine abfällige Bemerkungen über Bayer machen sollte und irgendwo ein Erdhaufen bebt, dann ist das mein Opa, der sich gerade im Grabe umdreht.

Das allerallerbeste im Leben eines Bayerpensionärs war aber das Bayer-Weihnachtspaket. Das kam einmal im Jahr, kurz vor Weihnachten und war prallgefüllt mit ein paar tollen Sachen, ein paar nützlichen Sachen, und ein paar Sachen, die man nicht mochte und seinen Kindern mitgeben konnte. Jedes Jahr war mehr oder weniger das gleiche drin, Kaffee, Tee, Dauerwurst, Bonbons, Schokolade, Lebkuchen und was man sonst noch so verschicken kann. Außerdem gab es eine Liste, auf der der Inhalt verzeichnet war und die man abhaken konnte, um zu prüfen, dass man auch wirklich alles gekriegt hatte.

Dann trug man die Kiste ins Nebenzimmer und wenn dann zu Weihnachten die Familie da war, wurde die Kiste noch mal sehr ausführlich begutachtet und das, was man sowieso nicht brauchte (Tee, wer braucht schon Tee?) an die jeweiligen Interessenten verteilt. Das Bayer-Weihnachtspaket, ich scherze hier nicht, war das Highlight des Weihnachtsfestes, wenn nicht des ganzen Jahres. Welch besseren Beweis konnte man denn haben, dass sich die Firma immer noch um einen sorgte, als so ein prallgefülltes, ordentlich verpacktes, mit einer Liste versehenes Paket? Keinen, eben.

Und irgendwann ging es Bayer dann nicht mehr so gut und dann gab es keine Weihnachtspakete mehr. Dürre Jahre. Hungerjahre. Im Stich gelassen von der Firma, Weihnachten quasi kaputt. Ein Drama.

Das ging ein paar Jahre so, bis meine Eltern und meine Tante* auf eine Idee kamen. Da sie der Bayer-Weihnachtspaketzeremonie jahrelang beigewohnt hatten und den Inhalt so mehr oder weniger auswendig kannten, würden sie einfach selber ein Bayer-Weihnachtspaket bauen und verschicken. In mühevoller Arbeit wurden die einzelnen Komponenten zusammengesucht und in einen Karton gepackt. Von einem Freund lieh man sich ein Schreiben mit einem Bayer-Briefkopf und bastelte sich so ein 1A-Bayer-Anschreiben. Die Sachbearbeiterin hieß passenderweise „Frau Gönner“ und im Kleingedruckten stand zur Abwechslung nicht die Liste des Vorstands, sondern ein Weihnachtsgruß, aber das war ja im Kleingedruckten und wer liest schon das Kleingedruckte?

Das Paket wurde verschickt und dann abgewartet. Die Überraschung und die Freude war erwartet groß. Endlich wieder ein Bayer-Weihnachtspaket! Und zwar – so hieß es auch im Anschreiben – nur für „besonders verdiente Mitarbeiter“! Was niemand ahnen konnte war, dass sich Opa selbstverständlich mit stolzgeschwellter Brust in der Nachbarschaft erkundigte, wer denn noch als besonders verdienter Mitarbeiter ein Weihnachtspaket erhalten hätte. Keiner nämlich! Alles keine besonders verdienten Mitarbeiter, nur er! Da kann man mal sehen! (Hatte er übrigens schon immer geahnt.)

Außerdem hatte er natürlich bemerkt, dass der Inhalt leicht vom üblichen Inhalt abwich und vor allem nicht so ordentlich verpackt war wie er es sonst von Bayer gewöhnt war. Das, so schlussfolgerte er knallhart, läge aber daran, dass das jetzt „irgendwelche Mädchen“ bei Bayer machen würden, und die wären bekanntlich ja nicht so ordentlich und sorgsam.

Eigentlich sollte das Geheimnis um das Weihnachtspaket am Weihnachtsabend aufgelöst werden, aber dann traute sich auf einmal niemand mehr, Opa reinen Wein einzuschenken und wir mussten alle nur sehr doll aufpassen, nicht hemmungslos loszukichern. Statt dessen nahmen meine Eltern dann halt wieder den Tee mit, den sie selbst mit in das Paket gepackt hatten. Glaubwürdigkeit muss eben sein.

Im nächsten Jahr gab es dann wieder kein Weihnachtspaket mehr. Und Oma weiß bis heute nichts und das muss auch so bleiben.

 

*Meine Tante hat schon angemeldet, dass sie gerne mal in diesem Blog erwähnt werden möchte. Hiermit erledigt. Huhu, Judith!

Wie ich einmal daran scheiterte, eine Bravo Girl ins Haus zu bekommen

Bis ich 13 war, lebten wir ja bei meinen Großeltern im Haus. Unten die Großeltern, oben wir, aber es gab nur eine Klingel und nur einen Postkasten, wenn man zu meinen Großeltern wollte, musste man einmal klingeln, wenn man zu uns wollte, musste man zweimal klingeln, das stand auch dran auf einem kleinen Zettel, der mit Tesa neben der Klingel klebte.

Ich kam also eines Tages mit einer im Zeitschriftenladen Slatinschek brandneu käuflich erworbenen Bravo Girl nach Hause, als mir siedend heiß einfiel, dass meine Eltern nicht da waren und mich dementsprechend meine Großeltern reinlassen mussten. Einen Schlüssel habe ich nie besessen, es war vermutlich auch gar nicht nötig, es war ja immer jemand zu Hause.

Jetzt war es noch nicht mal so, dass es mit meinen Großeltern im Allgemeinen oder mit meiner Oma im Besonderen jemals Diskussionen darüber gegeben hätte, wie sie zur Bravo standen. Meinen Eltern, das wusste ich, war es egal, oder sie waren zumindest klug genug, zu wissen, dass Verbote eher albern gewesen wären. Bei meiner Oma sah das anders aus, das wusste ich instinktiv, ohne, dass wir jemals konkret darüber gesprochen hätten. Weder eine Bravo noch eine Bravo Girl würde den „Oma Approved“-Stempel bekommen, und selbst, wenn sie wohl nicht die Macht gehabt hätte, es mir zu verbieten, so wusste ich ja: Traurige, enttäuschte Omablicke ob meines sittlichen und intellektuellen Verfalls sind viel schlimmer als jedes Verbot.

Also entsann ich einen Plan. Ich würde einfach die Bravo Girl in diesen Zeitungskasten unter dem Briefkasten legen, zusammengerollt und schön weit hinten und dann später schnell nach draußen schleichen und sie holen. Da es schon Nachmittag war, war auch die Gefahr, dass jemand in den Zeitungskasten gucken würde, gering. Die Zeitung kam ja immer morgens.

Ich rollte also die ungelesene Bravo Girl mit dem Rubbeltattoo-Gimmick zusammen, schob sie tief, tief in den Zeitungskasten und klingelte. Oma öffnete und ich konnte rein und nach oben in unsere Wohnung.

Ich wartete geduldig ein bisschen ab, bis die Luft frei war und dann schlich ich mich nach unten, öffnete behutsam und leise die Tür und griff in den Zeitungskasten. Nichts. Die Bravo Girl war weg. In den wenigen Minuten, diesen vollkommen ungefährlichen Nachmittagsminuten, in denen es wirklich keinerlei Veranlassung gab, in unseren Zeitungskasten zu gucken, war es dennoch passiert. Nachfragen konnte ich natürlich nicht, da wäre ja alles aufgeflogen, also konnte ich mich nur ein bisschen verstohlen umgucken, in der Hoffnung, irgendwo meine Bravo Girl zu finden, und musste dann unverrichteter Dinge und ohne wertvolle Tipps zu Mode, Makeup und Stars wieder abziehen.

Tatsächlich fand sich ein winziger Teil meiner Bravo Girl wieder. Das Rubbeltattoo-Gimmick lag auf einmal auf der Küchenfensterbank bei Oma und von meiner Mutter erfuhr ich, dass es tatsächlich Oma selbst war, die, anscheinend vom sechsten Sinn für mangelhafte Jugendlektüre getrieben, die Bravo Girl im Zeitungskasten gefunden und zeitnah entsorgt hatte.

„So ein Schund“, hatte sie gesagt. „Was die Jugendlichen da lesen. Das hat uns einfach jemand in den Briefkasten gelegt.“ Aber das Rubbeltattoo, das hatte sie behalten, das könnte man ja noch mal einem Enkel schenken.

Daily Music: Was heute vor zehn Jahren so im Domradio lief

Letztens suchte ich etwas im Keller. Und wo ich schon mal im Keller war, suchte ich auch gleich noch die CD mit der Aufnahme von mir im Radio raus.

Das war nämlich so: Ich war mal im Radio und zwar in einem sehr, sehr langen Feature über Singer-Songwriterinnen, wo ich richtig viel erzählen und Sachen live spielen durfte. Allerdings war das auch nicht im WDR oder so, sondern im domradio, das man damals, in Zeiten, als Livestreaming im Internet noch nicht verbreitet war, nur über Satellit oder ähnlichen Unsinn hören konnte, also im Prinzip gar nicht. Dafür kannte ich den Moderator, weil ich nämlich ein paar Mal im Domforum aufgetreten war und weil die Leute das auch irgendwie gut fanden, was ich da so machte, durfte ich ins Radio. Das war sehr aufregend und ich habe vermutlich wieder sehr viel wirres Zeug erzählt, aber ich habe auch Gitarre gespielt und gesungen und das war dann ein bisschen weniger wirr.

Dass das am 7. August 2003, also wirklich vor genau zehn Jahren war, wusste ich übrigens nicht, das stand aber auf der CD drauf, deswegen glaub ich das einfach mal. Ist also totaler Zufall, aber natürlich ein Supergrund, einen meiner liebsten Songs aus der Aufnahme rauszuschneiden, amateurmäßig mit Audacity etwas zu pimpen und dann hier auf den Blog zu packen. Die Gitarre ist leider zu leise, dafür hört man aber auch nicht so gut, wo ich mich verspiele. Man muss das positiv sehen.

Und nun, without further ado: Was vor zehn Jahren so im Domradio lief. Ich nämlich zum Beispiel:

[audio:https://anneschuessler.com/wp-content/uploads/2013/08/Wondering-Song.mp3] oder hier zum Download

(Und wenn jetzt über die schlechte Tonqualität gemeckert wird: Ich hab das hier mit Mühe versucht, habe aber völlig zu Recht nie eine Karriere als Audioingenieur angestrebt. Ansonsten komm ich einfach demnächst mit einer Aufnahme vom iPhone, Klavier und Gesang mit fiesem Rauschen, schlimmer geht’s nämlich immer.)

Das Leben ist kein Ponyhof. Eine Blogparade.

Hurra! Endlich kann ich auch mal eine Blogparade präsentieren. Dass es dabei ausgerechnet um Pferde geht, ist zwar etwas eigentümlich, aber manchmal kommen die Dinge eben so, wie sie kommen, das wusste schon John Lennon.

Wer mitmachen will schreibt über sein Ponyhoftrauma und schickt mir einen Link (per Twitter oder in den Kommentaren geht natürlich auch). Wir nehmen aber auch Erfolgsstorys, da sind wir nicht so.

Meine Geschichte steht hier.

Silent Tiffy/Alexandra Tobor: Mein Leben als Pferdemädchen – Eine Verfallsgeschichte

Ellebil: Sattel fest, den Fuß im Bügel – ellebil erzählt euch was vom Pferd

Anne Kuhlmeyer: Ich bin kein Pferdemädchen

Duduismus: Wenn Wünsche Pferde wären, könnten Träumer reiten.

Kaltmamsell: Als Pferdemädchen gescheitert

Herr Punkt Markus: .pünktchen und wendy (Aus dem Archiv gekramt, aber sehr passend.)

Gesakram: Mein Leben ohne Ponyhof

Sandra Schöner: Von Stacheldraht und Dornenvögeln

Johannes Mirus: Mein Pferdemädchenwerdegang

Charming Quark: Pferdemädchen

Nathalies Regungen: Mein Pferdetrauma

Editorial Notes: Meine Pferdemännchenkarriere (kind of)

Pausenprinzessin: Am Anfang war die Susi und dann nur noch Aua

Christian Fischer vom jawl: Pferdemädchen

Die liebe Nessy: Pferdemädchen

Weniger ein Erfahrungsbericht als eine Liebeserklärung an Pferde kommt von der Freidenkerin

Hedis Welt: Wie das Pferdemädchen an mir vorbeiging

wirres.net: ix bin ein pferdemädchen

Antje Schrupp: Antje wollte in den Wilden Westen

Literarische Erinnerungen gibt es von Violine: Ich als Pferdemädchen

Katinka Feinerbs: Ich war auch ein Pferdemädchen

Opalkatze: Pferdegedöns

Suedelbien: Reiten – Ein Stück Lebensgeschichte

Frau Novemberregen schreibt eine Pferdemädchengeschichte, die gar keine ist. Oder keine Pferdemädchengeschichte, die doch eine ist. Es ist kompliziert.

Kölner Leselust: Reiten lernen oder lieber Pferdebücher?

Daniela Warndorf: Der Ponyhof

Püntanell: Pferdemädchen

Endemittezwanzig: „Warst du ein Pferdemädchen?“

Croco: Übersprungen

Bei Kalesco gibt es Ausschnitte aus dem Pferdemädchentagebuch. Sag ich mal so.

Das Leben ist mein Ponyhof: Wie ich auf den Ponyhof kam, Pferdemädchen wurde und im Blog parierte

Dachterrassenzeit: Ein toter Hengst, ein Hufabdruck, ein Date und definitiv kein Pferdemädchen

Lost Moon: Ich bin kein Pferdemädchen

Wolfsmedchen: Pferdemedchen – Wunsch oder Wahn

Loehrzeichen: In Sanftmut begraben

So, jetzt ihr!

Wie ich (zweimal) versuchte, ein Pferdemädchen zu werden und (zweimal) scheiterte.

Die wunderbare Silent Tiffy und ich drohten uns gegenseitig damit, Ernst zu machen und über unser Ponyhof- bzw. Pferdemädchentrauma zu schreiben. Frau Schöner meldete auch Interesse an. Also kann man eigentlich auch gleich eine Blogparade draus machen und dazu aufrufen, die eigenen Erfahrungen auf Ponyhöfen und in Reitschulen aufzuschreiben, ob gut oder schlecht spielt keine Rolle. Sollte das tatsächlich Anklang finden (ich glaube Dinge ja immer erst, wenn ich sie sehe), werde ich die Links zu allen Geschichten sammeln. Ansonsten eben nicht.

Auf Twitter ging es heute um Pferde und Leute wie mich, die irgendwann mal krampfhaft versuchten, Pferdemädchen zu werden, und dabei kläglich scheiterten. Ich war sogar besonders gut (eventuell auch besonders lernresistent), ich versuchte nämlich zweimal sehr krampfhaft, diese Sache da mit den Pferden und dem Reiten total gut zu finden und musste beide Male mit hängenden Schultern und unbequemen Reiterhosen geschlagen vom Felde ziehen.

Aber fangen wir am Anfang an. Als Mädchen wird man irgendwann mit Pferden konfrontiert. Wie genau das passiert, und warum das so ist, man weiß es nicht, aber spätestens im Grundschulalter schwirrt irgendwann dieses Phantasiebild des glücklichen Mädchens mit seinem treuen Begleiters herum. Man hat gefälligst Pferde gut zu finden und weil man es meistens nicht besser weiß, glaubt man dann wirklich, man fände jetzt Pferde gut. Eigentlich ist es dann zwar so, dass man Pferde trotzdem irgendwie unheimlich findet, viel zu groß und unberechenbar, außerdem beim Ponyreiten eher unbequem, mäßig spannend und mit einem großen und unberechenbaren Maul, mit dem sie einem auf große und unberechenbare Art und Weise Möhren aus der Hand schnubbeln.

Aber man hat ja Pferde gut zu finden. Sagen alle. Vor allem die anderen Mädchen in der Schule. Und die Pferdezeitschriften. Und das Fernsehen. Und die Bücher. Und überhaupt alle. Also lässt man sich ein bisschen wider besseres Wissen aber mit den größtmöglichen guten Vorsätzen auf einem Ponyhof anmelden. In meinem Fall war ich neun, es war in den Sommerferien vor der fünften Klasse und der Ponyhof war irgendwo im Münsterland. WO AUCH SONST?

Selbstverständlich hatte ich eine ziemlich klare Vorstellung davon, wie das abzulaufen hatte. Ich würde da auf den Ponyhof fahren, mit vielen anderen Mädchen zusammen reiten, spielen, in einem Zimmer schlafen, wir würden alle supergute Freundinnen werden und ich würde in Nullkommanix sowohl Reiten als auch Pferde gut finden lernen. Ich kannte mich aus, ich hatte nämlich sehr viele Schneiderbücher gelesen und da sind immer alle Freunde (außer die doofen, aber ich war ja nicht doof) und Pferde waren da auch immer super. Ich war bestens vorbereitet.

Was ich nicht bedacht hatte, war die Realität. Vor allem die realen neun- bis zwölfjährigen Mädchen. Und die realen Pferde. Und das sehr, sehr reale Reiten. Wer leichtfertig „Das Leben ist kein Ponyhof“ sagt, der war wahrscheinlich noch nie auf einem Ponyhof. Aber ich war auf einem Ponyhof und ich kann ziemlich sicher sagen: Auf dem Ponyhof ist es scheiße. Der Ponyhof ist voller Mädchen, die alle älter sind als man selber, sowieso mindestens zu zweit gekommen sind, schon seit Jahren reiten und außerdem schon seit einer Woche auf dem Ponyhof und dementsprechend voll die Checker sind, die alles bestimmen dürfen. (Zum Beispiel auch, dass jetzt alle den ganzen Berg Nutellabrote aufessen müssen, weil die Ponyhofbesitzerin die alle geschmiert hat und deswegen darf nichts übrigbleiben. NICHTS! KEIN EINZIGES BROT! WEIL WIR DANKBAR SEIN MÜSSEN! UND DESWEGEN MÜSSEN JETZT ALLE BROTE ESSEN, BIS KEIN EINZIGES MEHR ÜBRIG IST. True story.) Wenn man da nicht über einen alles überstrahlende Persönlichkeit verfügt, hat man sowieso keine Chance mehr, in den Club aufgenommen zu werden und freut sich ungefähr nach zwei Tagen schon auf den Abreisetag.

Aber es sind ja nicht nur die Mädchen, da sind auch noch die Pferde. Große Pferde. Unberechenbare Pferde. Und auf denen soll man reiten. Reiten! Wer hat sich diesen Unsinn ausgedacht, dass man auf einem Ponyhof dauernd reiten soll? Auf Pferden! Der Ponyhof gehörte einer Frau mit drei Töchtern, die alle drei für die Reitstunden und anderweitigen Aufgaben zuständig waren und bis auf eine eher wenig Verständnis für neunjährige Mädchen aufbrachten, die mit der Gesamtsituation überfordert waren und mit dem Reiten und den Pferden auch ein bisschen.

Ja. Ich habe auf Pferden gesessen. Ich bin geritten, Schritt, Trab und Galopp, wobei Schritt okay war, Trab eine einzige Zumutung und Galopp zwar unheimlich, aber immer noch besser als Trab. Ich war sehr tapfer.

Wenn man dann den Tag über ausreichend viel zum Reiten genötigt wurde, musste man abends in den kleinsten und dunkelsten Indoorpool der Welt, bekam dann irgendwelche Brote vorgesetzt und wurde abends im Schlafsaal wieder von Chefcheckermädchen auf seinen Status als Nichtclubmitglied zurückverwiesen. Man merkt es schon: Ein einziger Spaß! Wenn man einem Kind das mit den Pferden möglichst schnell wieder austreiben will, dann schicke man es zu einem möglichst ungünstigen Termin (kurz vor Ende der Ferien) in möglichst jungen Jahren alleine auf einen Ponyhof. Das klappt dann schon.

(Meine Eltern trifft hier übrigens keine Schuld. Ich wollte es ja so. Mittlerweile weiß ich, dass meine Mutter mich liebend gerne von diesem Ponyhof befreit hätte, aber der Gedanke, mich vorzeitig abholen zu lassen, kam mir überhaupt nicht. Aus unerfindlichen Gründen habe ich solche Sachen immer relativ knallhart durchgezogen.)

Man hätte jetzt denken können, dass mich diese Erfahrung für immer vom Pferdefieber geheilt hätte. Aber so einfach ist das ja nicht. Also sollte ich noch mal scheitern, aber diesmal musste ich dafür wenigstens nicht in einem Schlafsaal voller doofer Mädchen übernachten. Es war nämlich so:

Auf dem Gymnasium in Köln waren wir in meiner Klasse neun Mädchen. Vier davon waren Pferdemädchen. Vier fanden Boygroups super. Eine war ich. Um jetzt wenigstens irgendwo dazuzugehören, musste ich mich entscheiden: Pferde oder Boygroups. Weil es mir ein bisschen vernünftiger vorkam und außerdem das netteste Mädchen der Klasse auch zu den Pferdemädchen gehörte, entschied ich mich für die Pferde und verkündete, jetzt auch Reiten zu lernen.

(An dieser Stelle ist übrigens der Aufhänger der ganzen Geschichte zu finden. Es kann nämlich gut sein, dass die Reitschule, die ich zum Zwecke der Pferdemädchenstatuserreichung besuchte, genau die Reitschule ist, die Wibke Ladwig von Sinn und Verstand regelmäßig aufsucht. Kann aber auch nicht sein. Es gab zwei Reitschulen bei uns, eine in Dünnwald und eine in Dellbrück und ich habe vergessen, wo ich Reitstunden hatte. Der Name kam mir aber ein bisschen bekannt vor.)

Anscheinend hatte ich zu diesem Zeitpunkt die Erinnerungen an den Ponyhof erfolgreich verdrängt. Statt dessen verbrachte ich ganze Sommer mit Simone, mit der ich in der Grundschule in einer Klasse gewesen war, in deren Garten. Dort hatten wir einen ganzen Springparcours aufgebaut und spielten stundenlang Ponyhof. Die Geschichten waren voller Dramen und Tragödien, hatten aber meistens ein Happy End. Irgendwer war immer fürchterlich unglücklich und rannte weg, kam in Regenschauer, stürzte und brach sich irgendwelche Beine. Zwischendurch gab es Turniere, die man gewann oder auch nicht. Manchmal konnte man auch nicht teilnehmen, weil man sich ja gerade ein Bein gebrochen hatte (DRAMA!). Auch an dieser Stelle möchte ich auf einen erhöhten Konsum von Schneiderbüchern und Wendyheften verweisen, der unsere Ponyhofdramen mit den notwendigen Klischees, Storystereotypen und Schockmomenten fütterte.

Selbstverständlich konnte ich auf dem Fantasieponyhof total gut reiten. Sogar springen und Wettkämpfe gewinnen! Alles war möglich. Es hatte nur eben relativ wenig mit echten Pferden zu tun.

Wenn man dann tatsächlich Reitstunden nimmt, dann hat das überraschenderweise erschreckend viel mit richtigen Pferden zu tun und ich durfte feststellen, dass diese Tiere noch genauso groß und unheimlich waren wie auf dem Ponyhof. Aber ich war wieder tapfer. Ich ging zur Reitstunde. Und dann noch mal. Und noch mal. Ich langweilte mich ein bisschen beim Schritt, litt ausdauernd beim Trab und stand kleine Todesängste beim Galopp aus. Ich ließ mich vom Reitlehrer anschnauzen und ritt Runde um Runde im Kreis, striegelte nachher das Pferd und kratzte mit Todesverachtung Hufe aus, immer die Angst im Nacken, den Huf gleich im Gesicht zu haben.

Es war relativ simpel: Ich war kein Pferdemädchen und ich würde wohl auch keines werden. Das Leben war kein Ponyhof, glücklicherweise. Vor allem aber war das Leben auf dem Ponyhof kein Schneiderbuch. Es war nicht voll von glücklichen Mädchen, die beste Freundinnen waren und gemeinsam auf dem Rücken ihrer Lieblingspferde wilde Abenteuer bestehen. Es war voll von Mädchen, die etwas toll fanden, das ich mit Argwohn beäugte. Reiten war nicht leicht und wundervoll, sondern schwer und schmerzvoll und zwischenduch ziemlich langweilig. Pferde wurden nicht auf magische Weise zu Wesen, zu denen ich eine tiefe Verbindung hatte, zu besten Freunden gar. Nein, sie blieben große, unheimliche und unberechenbare Tiere, die mich genauso misstrauisch von der Seite anschielten wie ich sie und die vermutlich genauso wenig wollten, dass ich auf ihrem Rücken saß, wie ich auf ihrem Rücken sitzen wollte.

Es war vorbei. Ich war kein Pferdemädchen und ich sollte auch nie mehr versuchen, eins zu werden.

(Ich glaube ja, dass ich meine Mutter mit der Entscheidung, doch nicht reiten zu wollen, sehr glücklich gemacht habe. Glücklicher war sie wohl nur, als ich entschied, nicht mehr im Kinderchor singen zu wollen und meinen Eltern so schlimme mehrstündige Weihnachtskonzerte ersparte.)

Nichtsdestotrotz kann ein kleiner Teil von mir die Faszination nachvollziehen. Ich gucke dann ein bisschen neidisch auf Leute, die im Einklang mit der Natur und dem Tier und mit was man sonst noch so im Einklang sein kann über Wiesen und Felder galoppieren. Nicht zuletzt weiß ich zumindest, dass das, was da so einfach aussieht, mal überhaupt nicht einfach ist, dass man, wenn man auf so einem Pferd sitzt, von oben bis unten und von hinten bis vorne durchgeschüttelt wird, dass so ein Pferderücken irrsinnig breit und unbequem ist und dass man sich nicht so einfach mal auf ein Pferd setzen und losreiten kann.

Mit diesem Wissen denke ich alle paar Jahre mal, dass man vielleicht doch mal Reiten lernen sollte, nur für den Fall, dass man sich irgendwann mal in einer Notsituation befindet und zufälligerweise aber ein Pferd in der Gegend rumsteht (vorzugsweise mit Sattel und Zaumzeug). Dann wäre es nämlich total praktisch, Reiten zu können. Zugegebenermaßen fällt mir aber kein guter Grund ein, wie es zu so einer Notsituation kommen könnte, und dann denke ich wieder an den Ponyhof und die Reitstunden und dann denke ich, dass ich vermutlich doch nicht noch mal Reiten lernen muss. Und dann ist alles gut.