Endlich kommt der 31.12., der Tag auf den ich mich gleichzeitig am meisten freue und vor dem ich auch ein bisschen Angst habe, denn wir wissen ja überhaupt nicht, was heute hier noch so passieren wird, außer, dass es vermutlich laut wird.
Streicht das „vermutlich“ im vorigen Satz, es wird laut. Das merken wir schon morgens (also mittags), als der Soundcheck gemacht wird. Da wummern bei uns die Fenster, wenn der Bass aufgedreht wird. Also ein schöner Vorgeschmack auf das Programm später.
Wir lassen den Tag langsam angehen. Weil wir wieder so spät rauskommen, geht es wieder zu Pret A Manger, und dann – haltet euch fest – schreib ich meinen Roman zu Ende. Im Hotelzimmer in Edinburgh haue ich das 50233. Wort in den Rechner, speichere ab und bin fertig. FERTIG!
Der erste Gedanke ist tatsächlich ein begeistertes “Geil, ich muss mir da jetzt nichts mehr ausdenken. Ich hab frei. Ich bin fertig.” Ein bisschen schade ist es ja fast, dass die ersten Gedanken darum kreisen, jetzt nichts mehr mit dieser Geschichte zu tun haben zu müssen, die Datei nicht mehr öffnen zu müssen, seine eigenen Worte und Ideen nicht laufend irgendwie in Frage stellen zu müssen. Kurz, nicht mehr dran denken zu müssen. Es fühlt sich ein bisschen wie Verrat an. Aber gleichzeitig so toll, weil eben: 50.000 Wörter. Fünfzigtausend! In einem Monat! Es ist so toll.
Und zur Belohnung, weil ich jetzt den Kopf frei hab, gehen wir ins Kino und gucken Mission Impossible, der irgendwie deutlich besser ist, als ich erwartet habe, was vor allem an Jeremy Renner liegt, den ich vorher nicht kannte, jetzt aber gerne als nächsten James Bond haben möchte.
Nach ein paar vergeblichen Versuchen rund um die Broughton Street noch etwas zu Essen zu bekommen (alles zu oder ausgebucht), landen wir im The Conan Doyle am York Place, wo’s genau das gleiche gibt wie im Greyfriar Bobbys, aber ich zumindest etwas anderes bestelle und der Kellner wahnsinnig irre höflich und nett ist und außerdem ein bisschen so aussieht wie Michael Cera, mal abgesehen davon, dass er uns wegen irgendwelcher Verwirrungen, die noch nicht mal wirklich schlimm sind, zwei Nachtische aufs Haus anbietet. Als wir trotzdem nur einen nehmen, fragt der Michael-Cera-Kellner erst noch gefühlte zehn Mal nach, ob wir wirklich nicht zwei wollen. Wir teilen uns einmal Cranachan, was allerdings so lecker ist, dass man tatsächlich noch ein zweites hinterher bestellen könnte. Tun wir aber nicht, sondern wandern vorfreudig zurück ins Hotel.
Dabei müssen wir tatsächlich über die Partymeile, also müssen die speziellen Hoteleintrittskarten vorzeigen und können dann direkt mal einen Eindruck gewinnen, wie das wohl heute so wird. Laut wird es und Bühnen stehen überall rum, direkt am Eingang eine mit DJ und wohl noch unten irgendwo im Park eine, und die direkt bei uns am Hotelfenster und die Kirmes macht heute besonders laut Wumpa-Wumpa. Insgesamt aber alles sehr angenehm, Flaschen darf man sowieso nicht mit aufs Gelände nehmen und mittlerweile hat es auch wieder aufgehört zu regnen.
Und im Hotelzimmer machen wir dann das Fenster auf und hören der Musik zu und gucken runter und machen Photos von den Menschen da unten, die gleich mit uns Silvester, pardon: Hogmanay, feiern wollen.
Weil ich zwischenzeitlich hibbelig werde, schleusen wir uns vermutlich halblegal auch noch mal auf die Partymeile und laufen ein bisschen auf und ab. Die Schlange für die Getränkebude ist lang, ein paar Leute haben wohl doch schon etwas zu viel getrunken und so wirklich viel gibt es gar nicht zu sehen, zumal man auch für das ein oder andere Konzert Extra-Karten braucht und unsere Hotelkarten sind ja schon eher so zweifelhaft, sie legitimieren vermutlich nur zum Hin- und Wegkommen vom Hotel, wobei mal allerdings zwangsweise auf das Gelände der Street Party muss. Die beste Bühne allerdings, die können wir tatsächlich deutlich besser vom Hotelzimmer gucken, also machen wir uns wieder auf ins Warme.
Wir lungern in der Hotelbar auf den Sesseln rum und schließlich ist es fast soweit, ich besorge zwei Gläser Champagner oder Sekt oder wie auch immer, irgendwas Sprudeliges, es gibt kurz Verwirrung wegen des Zimmerschlüssels, der erst weg ist und dann aber doch in der Handtasche auftaucht und dann geht es raus.
Im Reiseführer oder so hab ich gelesen, dass alle um Mitternacht „Auld Lang Syne“ singen und ich stelle mir das sehr schön vor, wie wir gleich mitten unter Schotten und anderen Hogmanay-Touristen stehen und zusammen singen.
Um Mitternacht geht aber auch das Feuerwerk los, vor uns und hinter uns und es ist vielleicht nicht so spektakulär und groß, wie man es erwarten hätte können, aber dafür umso schöner, vor allem, weil alle ganz andächtig gucken und zwischendurch jubeln und klatschen, wenn gerade was besonders schönes am Himmel leuchtet. Wahrscheinlich steh ich die ganze Zeit nur mit einem Grinsen auf dem Gesicht da und gucke und gucke und gucke und entweder es hat keiner gesungen, oder ich habe es nicht gehört, wegen dem Feuerwerk und den jubelnden Leuten, aber an diesem Hogmanay gibt es wohl kein „Auld Lang Syne“ für mich. Auch nicht so schlimm, dann eben ohne. Oder beim nächsten Mal.
Als alles vorbei ist, ziehen wir ab ins warme kuschelige Hotelzimmer und gucken dann bestimmt noch eine Stunde lang abwechselnd oder zusammen aus dem Fenster, wo die Peatbog Fairies spielen und alle glücklich sind und hüpfen und tanzen und noch mehr hüpfen und ganz viel tanzen. Weil Hogmanay ist und weil die Musik so toll ist und überhaupt.
Und jetzt ist 2012. Wir sind in Edinburgh, unten tanzen Menschen, und es ist 2012. Alles gut.