Einen Wettbewerb gegen nicht existierende Bücher zu gewinnen – wie schwer kann das schon sein.
Aus der Einleitung von Das neue Lexikon des Unwissens
Am Ende dieser Rezension wird eine beschämte Entschuldigung stehen, weil ich so furchtbar lange gebraucht habe, um a) das Buch fertig zu lesen und b) dazu dann auch was zu schreiben. Aber dazu später.
Vor vielen, vielen Jahren habe ich im Radio eine Buchempfehllung von Elke Heidenreich gehört. Sie erzählte vom „Lexikon der berühmten Tiere“ von Karen Duve und bereicherte meinen Wortschatz dabei mit einem neuen Wort: „Ma-ob-Buch“.
Ein Ma-ob-Buch ist ein Buch, bei dessen Lektüre gerne die Aufforderung „Guck ma‘ ob Dings auch drinsteht“ fällt, wobei „Dings“ selbstverständlich als Platzhalter für etwas Konkreteres steht.
Vor nicht ganz so vielen, aber doch schon einigen Jahren las ich „Eine kurze Geschichte von fast allem“ von Bill Bryson. Behalten habe ich davon zwar nicht viel, aber ich erinnere mich daran, dass fast jedes Kapitel mit dem Hinweis endete, dass wir zwar schon einiges über Dieses oder Jenes in Erfahrung bringen konnten, im Wesentlichen aber trotz der ganzen Forschung weitestgehend ahnungslos sind, was den ganzen Rest angeht.
Das neue Lexikon des Unwissens von Kathrin Passig, Aleks Scholz und Kai Schreiber ist ein bisschen eine Mischung. Es ist nicht ganz ein Ma-ob-Buch, weil man ja meistens gar nicht weiß, was man nicht wissen könnte, sondern eher ein „Ach-schau-Buch“. Beim Blick ins Inhaltsverzeichnis oder wahlweise beim schnellen Durchblättern des Buches ist der Gedanke nämlich gerne „Ach schau, Dings ist auch drin“. Und ähnlich wie bei Bill Bryson, nur eben deutlich expliziter, erfährt man eine Menge über Dinge, bei denen man gar nicht wusste, dass man eigentlich gar nichts über sie weiß.
Es fängt an mit Außerirdischem Leben, geht über Brüste, Erdbebenvorhersagen und Tiefseelaute bis zur Zeit (so allgemein) und endet beim Zitteraal und versucht sich an der tendenziell schizophrenen Aufgabe, Wissen über Unwissen zu vermitteln.
Das funktioniert auch ganz gut, es ist eben auch gar nicht so schizophren, wie es auf den ersten Blick scheint. Das Schöne am Nichtwissen ist ja, dass man nicht nur darüber schreiben kann, was man nicht weiß, und warum man es nicht weiß, sondern auch darüber, was man zumindest schon herausgefunden hat und was man so alles versucht hat, um mehr herauszufinden und wer wann wo mit welcher Methode auch mal ordentlich gescheitert ist.
Das Autorentrio versucht dabei, alles so erklären, dass man es möglichst auch versteht, wenn man keine Ahnung von der Materie hat, gerne humorvoll und mit schönen Analogien. Warum das bei mir nur so halb funktioniert, hat zwei Gründe, für die die Autoren herzlich wenig können. Erstens bin ich, was Bücher angeht, fürchterlich vergesslich. Ich weiß meistens nach einem Monat nicht mehr, worum genau es in einem Buch ging. Zweitens konnte ich mich mit Physik, Astronomie und ähnlich Geartetem noch nie so wirklich anfreunden und tragischerweise sind das gerade die Bereiche, in denen sich das Unwissen mit Vorliebe tummelt.
Ich verstehe die Analogien und kann mir grob vorstellen, worum es ging, aber bei den Details steige ich aufmerksamkeitstechnisch sehr schnell aus. Das ist jahrelanges gelerntes Verhalten und wird sich eventuell auch nicht ändern, auch wenn es mich selber manchmal ärgert.
Vielleicht mochte ich deshalb auch irgendwie die Einleitung am liebsten. Da standen die schönsten Sätze drin, ich hab im (mir gerade ob akuter Rechnerprobleme nicht vorliegenden) e-Book allein in der Einleitung ganz viel angemarkert, weil alles so schön formuliert war und ich mich so drüber gefreut hab.
Glücklicherweise geht es auch ähnlich weiter und gerade in den Kapiteln, in denen es ein bisschen weniger um physikalische Phänomene oder astronomisches Unwissen geht, hatte ich auch viel Spaß beim Lesen und Nichtdazulernen. (Das ist natürlich Blödsinn, man lernt eine Menge dazu.) Zum Beispiel weiß ich jetzt, dass ich besser alles anzweifeln sollte, was mir jemand über Ernährung erzählen will und warum man sehr philosophisch über Löcher debattieren kann. Und als Rechts-Links-Legastheniker (meine bevorzugte Richtung ist bekanntlich „Da lang!“) habe ich mich besonders darüber gefreut, dass es gerade darüber so viel Unwissen gibt.
Warum ich trotzdem so lange gebraucht hab, das Buch auszulesen, obwohl es eigentlich durchgängig sehr locker-flockig geschrieben ist, ohne dabei auf die Nerven zu gehen oder albern zu werden, lag vor allem am Format. Ich kann gut e-Books, wenn ich sie aufs Kindle laden kann. Dann les ich die in Nullkommanix aus. E-Books auf dem Rechner kann ich hingegen nicht so gut, denn trotz ausgeprägter Internetliebhaberei lese ich lange Texte immer noch bevorzugt auf Papier oder eben auf dem Kindle.
Das neue Lexikon des Unwissens habe ich dementsprechend über mehrere Wochen hinweg stückweise in ICEs, im Waschsalon und in Edinburgher Hotelzimmern gelesen. Da die Kapitel nicht zusammenhängen, geht das auch ganz gut, lediglich das schlechte Gewissen wurde immer größer.
Das war die Entschuldigung für die lange Lesezeit. Eine gute Entschuldigung für die lange Wartezeit zwischen Zu-Ende-Lesen und Rezension-Schreiben gibt es nicht.
Das neue Lexikon des Unwissens ist ein schönes Ach-schau-Buch, man kann es am Stück oder in Scheiben lesen und weiß nachher tatsächlich mehr, auch wenn man sich gelegentlich auch von vermeintlich bereits erlangtem Wissen verabschieden muss, weil sich herausstellt, dass das alles Unfug war. Es ist im Rowohlt-Verlag erschienen, hat eine adäquate Anzahl von Seiten und ist hoffentlich mehr oder weniger überall erhältlich.
Und ganz zuletzt möchte ich die Gelegenheit nutzen, mal wieder auf das wunderbare QI hinzuweisen, die Quizshow mit Stephen Fry, in der es seit der letzten Staffel auch den „Nobody Knows“-Joker gibt, für die eine Frage der Episode, auf die niemand die Antwort weiß.