Als ich im letzten Jahr zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wieder im Saturn am Hansaring war, war ich erschüttert. Nicht umsonst behauptete dieser Saturn stets, die größte Musikauswahl Europas zu bieten. Ob das jetzt wirklich stimmte oder nicht, sei dahingestellt, aber die Auswahl war wirklich, wirklich riesig. Ich kenne diesen Laden schon seit Anfang der Neunziger, seit wir den ersten CD-Spieler hatten und man sich teilweise noch selbst die CDs aus langen Regalen raussuchen musste, wenn sie nicht in der Auslage standen. Da gab’s dann nämlich zu jedem Künstler Zettelchen mit allen potentiell vorrätigen Alben und da dann einen Buchstabenzahlenkombination, mit der man dann zu den Regalen tigern konnte. (Für so Sortiersüchtige wie mich übrigens eine einzige große Freude.)
Später gab es die Regale nicht mehr, dafür stand halt alles direkt zugänglich, bei der Info gab es einen Ordner von der Dicke des New Yorker Telefonbuchs, in dem man suchen konnte, ob die gesuchte CD denn prinzipiell im Sortiment wäre, wenn man sie gerade nicht finden konnte.
Auf drei Etagen das Ganze, nur CDs, Hörbücher und DVDs, aber vor allem eben CDs. Pop, Rock, Charts und Soul unten, oben Filmmusik, Folk, Weltmusik, unten Jazz und Blues. Und natürlich der ganze Rest auch, aber danach hab ich nicht so oft gesucht. Drei Etagen! Voll mit CDs.
Das war damals, dann zogen wir irgendwann aus Leverkusen weg nach Düsseldorf, von da aus dann nach Essen und obwohl ich in Düsseldorf einen der best sortierten CD-Läden überhaupt entdeckte (und das auch an einem Ort, wo man sowas am wenigstens vermuten würde, nämlich in den Schadow-Arkaden), mein Musikkonsum hatte sich eh verlagert. Nämlich zu iTunes. Es bringt auch nichts, jetzt zu sagen „ins Internet“. Das ist albern. Ich kaufe meine Musik bei iTunes. Nicht bei Amazon und auch nicht bei irgendeinem tollen alternativen Indielabelangebot, nein. Ich finde das praktisch und deswegen mache ich das.
Und dann stand ich letztes Jahr im Saturn und war erschüttert. Von den drei Etagen ist ungefähr eine dreiviertel Etage übrig geblieben. Es gibt zwar noch ein unten, aber da gibt es Konsolenspiele und Bücher. Es war traurig. Und ich war auch traurig.
Aber ich wusste auch sofort: Ich bin das selbst schuld. Ich habe seit Monaten, eigentlich Jahren keine CD mehr gekauft, und ich bin nicht die Einzige. Man kann ja nicht auf der einen Seite aus Bequemlichkeit sein Konsumverhalten zu 95% ins Internet verlagern und dann erwarten, dass die Läden da draus trotz Gewinneinbrüchen trotzdem weiter schön ihr Riesensortiment aufrecht erhalten.
Das ist alles nichts Neues. Ich wusste das. Ich hatte schon sehr oft darüber gelesen. Nur hatte ich es selten so krass vor Augen geführt bekommen. Der Laden meiner Kindheit und Jugend, in dem ich Stunden verbringen konnte, wo es alles gab, was man sich als Musikliebhaber wünschen konnte.
Kaputt. Und vermutlich auch kaum mehr zu retten.
Ich bin selbst schuld. Das weiß ich, und ich weiß auch, dass mein bequemes Digitalkonsumverhalten dazu beigetragen hat und ich mich nicht darüber beschweren kann, nicht Zeter und Mordio schreien und die gute alte Zeit zurückverlangen. Denn ich war’s ja selber.
Wenn ich dann höre, wie gegen die Schließung der Opelwerke in Bochum oder der Auflösung der Redaktion der Westfälischen Rundschau protestiert wird, wie gefordert wird, dass die Politik irgendwas dagegen tun soll oder die Geschäftsleitung, dann denke ich manchmal: „Ja, aber was denn?“
Klingt zynisch, ich weiß. Ich weiß auch nicht, was dahinter steckt, wie die Zahlen tatsächlich aussehen und ob man wirklich alles denkbar Mögliche versucht hat, um das verhindern oder ob man schon seit langem auf einen Grund wartet, hier Geld sparen zu können.
Aber letztlich ist es doch so: Solange ich keinen Opel fahre, kann ich mich schlecht darüber beschweren, dass die Opelwerke geschlossen werden. Genauso wenig kann ich über das Zeitungssterben klagen, wenn ich nie eine Zeitung kaufe. Ich kann es traurig finden, beklagenswert und sehr, sehr tragisch für die Mitarbeiter, aber ich habe es ja selbst mit verursacht.
Die Westfälische Rundschau kann ich nicht mehr retten, ich alleine sowieso nicht, und ich wohne ja noch nicht mal in Westfalen, mein Interesse an dieser speziellen Zeitschrift ist also eher als gering einzuschätzen. Aber vielleicht sind solche Ereignisse auch ein kleiner Weckruf, der uns sagt: Das was wir da machen, das hat Konsequenzen. Ob wir diese Konsequenzen schlimm finden oder ob es uns egal ist, das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Wahrscheinlich ist es für jeden etwas anderes. Für mich war es der Besuch bei Saturn, bei dem mich der sprichwörtliche Schlag traf, wo Kindheitsnostalgie und Wirtschaftsrealität unschön aufeinanderprallten. Was ich mit dieser Erfahrung mache, das weiß ich ehrlich gesagt, noch nicht so genau, aber sie hat mich ein bisschen von der rosaroten Internetwolke runtergeholt und ich weiß jetzt:
Nichts ist umsonst und ich bin es selbst schuld.
Ja, ein sehr nachvollziehbarer Moment.
Ich denke sogar, dass man ihn erweitern kann – denn wie Du sagst: »nichts ist umsonst«. (Aber ich glaube nicht, dass Du Schuld bist)
Es sterben für alles, was wir neu und aufregend und größerschnellerweiter finden, irgendwo anders kleinere, langsamere, ältere Dinge. Wir sehen sie nur nicht immer. Manchmal nicht, weil wir keinen persönlichen Bezug haben – so wie Du ihn jetzt hattest – machmal nicht, weil es nicht an die Öffentlichkeit dringt. Weil eskeinen Nachrichtenwert hat. Oder kennt irgendwer die Lobby-Gruppe »Tante Emma« und ihren Kampf gegen Supermärkte und Malls am Stadtrand? Eben.
Ich glaube, es ist eine Frage der Bewertung. Auch ich war früher gerne im Saturn, habe jedes Wochenende fleissig die Zeitungsbeilage studiert und geguckt, was gerade im Sonderangebot war und bin dann losgefahren. Aber wenn ich heute in einem Saturn stehe, dann denke ich »geht doch bitte endlich ganz sterben«. Dann vermisse ich, zu gucken, welcher meiner Freunde die CD hat. Dann kann ich – zumindest hier – nur in die CDs reinhören, die eine schnarchnasige Plattenfirma dafür in ihrer aktuellen Promikampagne vorgesehen hat. Dann fehlt mir der Backkatalog, der Link zu Wikipedia und zu Blog/tumblr/facebooksite des Künstlers. Dann ist das alles ziemlich tot und unbenutzbar für mich. Und fragen kann man eh niemanden (haha, jemanden fragen im Saturn)
Und weder Deine noch meine Berwertung ist richtig. Richtig ist nur, dass im Kapitalismus immer etwas stirbt, damit etwas anderes entstehen kann, dass es kein unbegrenztes Wachstum gibt und dass wir es manchmal merken und manchmal nicht. Und manchmal bäumen sie sich auf beim Sterben (Presse, Musikverlage), manchmal gehen sie einfach leise und unbemerkt.