Gelesen im August 2015

Patrick Ness: Die Nacht des Kranichs

Blieb etwas hinter den Erwartungen zurück, konnte aber in den richtigen Momenten auch verzücken. Ich schrieb bereits hier darüber.

Die Nacht des Kranichs von Patrick Ness, deutsche Übersetzung von Sibylle Schmidt, erschienen 2014 im Hanser Verlag, 320 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

Zoë Beck: Schwarzblende

Eigentlich für meinen Mann gekauft, damit er auch mal was von Frau Beck liest, danach habe ich es auch gelesen, erstens, weil ich wollte und zweitens, weil mein Mann sich mit mir darüber unterhalten wollte. Kameramann Niall wird durch einen Zufall mitten in einen Terroranschlag reingezogen. Zwei Männer ermorden mitten am Tag und mitten in London einen Mann im Namen des islamischen Staaten. Erst wird Niall verdächtigt, mit beteiligt zu sein, dann bekommt er den Auftrag, eine Dokumentation über den Fall zu drehen. Und dann kommt natürlich alles ganz anders und tatsächlich auch ganz anders, als man es als Leser erwartet.

Zoë Beck schreibt wie gewohnt sehr straight und schnörkellos, Schwarzblende liest sich quasi von alleine. Über die überraschende Auflösung muss man dann auch erst mal nachdenken oder – wie in unserem Fall – diskutieren. Es wird spannend, düster und auch deutlich politisch und wer mal wieder genau so einen Thriller lesen will, kann hier sehr schön zugreifen.

Schwarzblende von Zoë Beck, erschienen 2015 im Heyne Verlag, 416 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

Patricia Cammarata: Sehr gerne, Mama, du Arschbombe

Noch mehr Bücher von Menschen, die ich kenne. Hurra! Patricia Cammarata aka Das Nuf schreibt jetzt nicht nur auf ihrem Blog, sondern auch in höchstoffiziellen Büchern über das Leben mit Kindern. Das ist nicht nur amüsant sondern auch in hohem Maße lehrreich, erst recht für kinderlose Menschen wie mich. Eine ausführliche Rezension folgt, ansonsten kann man aber schon beim Familienbetrieb und bei Frau Nessy nachlesen, wie sie das Buch fanden.

Sehr gerne, Mama, du Arschbombe von Patricia Cammarata, erschienen 2015 bei Bastei Lübbe, 240 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

Nina Fröhlich: 100 Dinge, die man im Liegen machen kann

Liegen. Ganz mein Thema. Ich berichtete hier darüber.

100 Dinge, die man im Liegen machen kann von Nina Fröhlich, 2015 erschienen im Goldmann Verlag, 186 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

„Wir nennen es Wirklichkeit“: Denkanstöße zur Netzkultur

Letztes Jahr irgendwann gekauft, schon allein, weil Texte von Kathrin Passig, Moritz Metz und Holger Klein dabei waren, alles Leute, die ich kenne (schon wieder). Es handelt sich um eine Reihe von Essays zu unterschiedlichen Aspekten der Netzkultur über Post Privacy, Datenschutz und die digitale Bohème bis hin zu Podcasts und Mobbing. Wie zu erwarten fand ich einige Texte mehr und andere weniger interessant, etwas gelernt habe ich aber jedes Mal. In Teilen vielleicht etwas akademisch, aber hey, es ist der Reclam-Verlag, das war zu erwarten. Ansonsten habe ich viele bunte Post-Its ins Buch geklebt, es hat sich also auch immer wieder etwas merkens- und wieder nachschlagenswertes gefunden.

„Wir nennen es Wirklichkeit“: Denkanstöße zur Netzkultur, herausgegeben von Peter Kemper, Alf Mentzer und Julika Tillmanns, 2014 erschienen im Reclam Verlag, 258 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

Joanna Rakoff: Lieber Mr. Salinger

Joanna Rakoff arbeitete in den Neunziger Jahren direkt nach dem Studium in New York City für genau die Agentur, die auch J.D. Salinger vertritt (bzw. vertrat) und hat jetzt ein Buch darüber geschrieben. Es geht um die Agenturarbeit, ihre Kollegen und ihre Chefin, und natürlich auch ihr Leben vor und nach der Arbeit mit ihrem Freund, der sich als missverstandener Schriftsteller geriert und die kleine Wohnung, die im Winter über den Herd geheizt werden muss, weil es keine Heizung gibt. Das ganze mäandert erstmal so etwas rum, man ist unsicher, ob man das jetzt wirklich alles so interessant ist, gewinnt aber an Fahrt und wird vor allem ab der Stelle spannend, als es um die gescheiterte Veröffentlichung von Salingers Kurzgeschichte „Hapworth 16, 1924“ geht. Ich habe ja als Teenager alles von Salinger gelesen, was man so bekommen konnte (was überschaubar ist) und weiß noch, wie aufgeregt war, als es hieß, es sollte ein neues Buch erscheinen, was dann eben doch nicht passiert ist. Kann man schön machen, vor allem, wenn man wie ich ein gewisses Faible für Salinger und/oder New York City hat.

Lieber Mr. Salinger von Joanna Rakoff, deutsche Übersetzung von Sabine Schwenk, 2015 erschienen im Albrecht Knaus Verlag, 304 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

Andreas Brendt: Boarderlines

Beim Surfurlaub ein Buch übers Surfen gelesen. Kann man gut machen. Berichtet habe ich hier darüber.

Boarderlines von Andreas Brendt, erschienen 2015 im CONBOOK Verlag, 416 Seiten [Amazon-Werbelink]

Gelesen: Boarderlines von Andreas Brendt

Andreas Brendt: BoarderlinesIch verbinde Buchrezensionen ja gerne mit persönlichen Geschichten, und das ist bei Boarderlines tatsächlich eher ein Kinderspiel, wie man vielleicht auch schon an dem begleitenden Coverbild erkennen kann, das ich zur Abwechslung mal nicht von der Verlagsseite runtergeladen, sondern selbst gemacht habe. Mit passendem Hintergrund. Wir befinden uns nämlich mal wieder in Südfrankreich und stehen – mal wieder – anderthalb Stunden täglich auf einem Brett, das uns gefälligst übers Wasser zu tragen hat. Eigentlich ist es natürlich eher so, dass wir anderthalb Stunden geduldig ins Wasser waten, dann geduldig im Wasser rumstehen und auf eine geeignete Welle warten und dann versuchen, auf einem Brett zu stehen, das uns ein paar Meter nach vorne trägt, worauf wir wieder ins Wasser waten und so weiter und so fort.

Und genau das macht Andreas Brendt auch, und zwar nicht nur besonders gerne, sondern auch wesentlich länger und besser und öfter als wir. Brendt wurde schon Mitte der Neunziger Jahre mit dem Surfvirus angesteckt, auf einer Reise in den Semesterferien nach Bali. Davor war er braver Student der VWL in Köln mit wenig Surfambitionen, das war alles Zufall, aber wie das so oft ist, bestimmt der Zufall manchmal das Leben und so wurde das Surfen zur Passion, zum Lebensziel und -zweck.

Zwischen den Semestern an der Uni ging es in alle Ecken und Enden der Welt, nach Südafrika, nach Indonesien, nach Australien und Peru, nach Sri Lanka und immer wieder nach Frankreich, nur etwas weiter südlich von wo wir gerade sind und wo das Foto oben entstand, nach Moliets-et-Maâ, gerade gestern kamen wir an der Autobahnausfahrt vorbei, als wir einen Tagesausflug nach Bayonne machten. In Moliets-et-Maâ ist Andreas Brendt erst Pratikant und nachher Surfcampleiter, so finanziert er sich die Trips rund um die Welt, von Surfspot zu Surfspot, Welle zu Welle. Jeder Cent wird beiseite gelegt, um nachher monatelang in kleinen Hütten und billigsten Hotelzimmern zu leben, sich mit Händen und Füßen und gelegentlich auch auf Englisch und Spanisch mit den Einheimischen zu verständigen und immer wieder raus aufs Meer zu paddeln.

Andreas Brendt stürzt sich von einem Abenteuer ins nächste, klettert durch Höhlen eine Steilküste in Indonesien herunter, begegnet Haien und südafrikanischen Drogendealern, verhandelt mit indonesischen Polizisten die Geldstrafe fürs Rollerfahren-ohne-Führerschein, um sich dann doch noch schnell und unkompliziert einen (indonesischen) Führerschein anfertigen zu lassen. Er trifft auf andere leidenschaftliche Surfer, surft, siegt und scheitert und landet zwischenzeitlich sogar mal im Regenwald von Ecuador.

Fast zehn Jahre seines Surferlebens hat Andreas Brendt aufgeschrieben, immer sehr nah dran und packend, wobei sich gelegentlich die Frage stellt, ob sich das Buch für Leute, die wenig mit Surfen zu tun haben, ebenso packend liest wie für Leute wie mich, die zwar nur zwei Wochen im Jahr leidlich gut auf dem Brett stehen, das aber immerhin regelmäßig und mit viel Spaß. Doch neben dem Surfen geht es eben auch um die Menschen, denen Andreas Brendt auf seinen Reisen begegnet und letztlich auch um die Fragen, die man sich stellen muss, wenn man immer wieder zwischen Vernunft (richtiger Job, eigene Wohnung, fester Wohnsitz) und Leidenschaft (Surfen, fremde Länder und Abenteuer) entscheiden muss.

Ein kleiner Wermutstropfen: Frauen kommen als Surferinnen quasi nicht vor. Das mag der harschen Realität geschuldet sein, da kann Andreas Brendt vermutlich gar nichts für, aber auf Dauer ist es ein bisschen schade, wenn sich immer nur die Männer auf den Boards zusammenrotten, während die Mädels an Land bleiben und gelegentlich mal geknutscht werden.

Das Buch endet 2005 an einer Stelle, an der Brendt sich vermeintlich für einen Weg entschieden hat. Allerdings lässt die Autorenbiografie vermuten, dass es danach doch noch ganz anders weiterging. Boarderlines ist ein schönes Buch mit viel Abenteuer und Fernweh, dass sich sicher nicht ausschließlich aber vielleicht doch am allerschönsten am Strand von Biscarrosse liest, wenn man wenige Stunden später selbst wieder von der nächsten Welle an Land getragen wird. Oder eben hinfällt. Und wieder aufsteht. Und zurück ins Wasser watet. Und es noch mal versucht. So ist das beim Surfen.

Boarderlines von Andreas Brendt, erschienen 2015 im CONBOOK Verlag, 416 Seiten, 9,95 Euro. Erhältlich bei Amazon [Werbelink], bei Bücher-Lack in Fellbach und in jedem anderen Buchhandel.

Autorenporträt auf der Verlagsseite

Das Buch auf der Verlagsseite

Wer das Komplettfernwehpaket braucht, der bekommt auf der Webseite des CONBOOK-Verlags auch ein Boarderlines-Paket, komplett mit Buch, Notizblock, Zimtbonbons, Erdnussriegeln und australischem Ginger Beer und einer Reiseroute zum Selbersticken.

Gelesen: 100 Dinge, die man im Liegen machen kann von Nina Fröhlich

100 Dinge die man im Liegen machen kann von Nina FroehlichDass ich eine besondere Beziehung zu der Tätigkeit liegen habe, sollte aufmerksamen Lesern meines Blogs und Verfolgern meiner weiteren Umtriebigkeiten im Netz bekannt sein. So gehört zum Beispiel der folgende Tweet zu einem meiner größten Erfolge auf Twitter:

Auch bei der Beantwortung des Proust-Fragebogens für Blogger bekannte ich mich als treue Anhängerin des Liegens.

Proust-Fragebogen

Der kleine Lebensratgeber 100 Dinge, die man im Liegen machen kann von Nina Fröhlich gehörte also ohne Frage in mein Buchregal oder besser noch als hilfreicher Ideenlieferant auf den Nachttisch. Auch Nina Fröhlich ist begeisterter Fan des Liegens. Doch das Liegen hat einen schlechten Ruf. Es gilt als faul und bequem, als wenig produktiv. Dabei kann man so viele Dinge im Liegen tun, dass sich Sitzen, Stehen und Laufen mal warm anziehen können. Sogar Fahrradfahren kann man im Liegen. In 100 Beispielen versucht Nina Fröhlich nun also, dem Leser die vielfachen Vorzüge des Liegens näher zu bringen und diese unterschätzte Tätigkeit aus ihrer dunklen Ecke der nachgesagten Trägheit ins Licht zu befördern.

Fröhlich unterteilt die Dinge, die man im Liegen machen kann in fünf Kategorien: Beim freudvollen Liegen schlägt sie vor, doch mal Kekse zu essen, Musik zu hören (am besten auf dem Boden), im Swimming Pool Wettrennen auf einer Luftmatratze zu machen, Freunde auf Facebook zu löschen oder die Kommunikationsskills um Klopfen an der Wand zu erweitern. Beim effektiven Liegen hingegen kann man Dinge im Internet an Selbstabholer verkaufen, auf der Wiese Regenwürmer beobachten, Abos kündigen, einen Sarg Probe liegen oder einen Schmorbraten zubereiten.

Kunstvolles Liegen beinhaltet hingegen sich tot zu stellen, in Thailand beim Liegen unter einer Kokospalme eine Gehirnerschütterung zu bekommen, Blockflöte zu lernen oder eine Komparsenrolle zu übernehmen. Auch im Surfen zu versagen ist dabei etwas, was man prima im Liegen erledigen kann. Man braucht eben nur nicht aufstehen. Und da weiß ich, wovon ich rede.

Beim kurativen Liegen darf man Psychologen vollquatschen, die stabile Seitenlage üben, Selbstdisziplin üben und dem Postboten nicht öffnen, Schmerzen wegschlafen, Verstimmungen bekommen und anschließend andere volljammern.

Schließlich gibt es noch die Paradedisziplin und mein Spezialgebiet: Das prokrastinierende Liegen. Hier gibt es auch vielfältige Möglichkeiten, das Liegen nicht zu einer langweiligen, eintönigen Veranstaltung verkommen zu lassen. Man kann Selbstgespräche führen, ein Bewerbungsgespräch führen, Kabel auseinanderknoten (unter dem Schreibtisch liegend) und in Foren diskutieren.

Dass ich hier ganz faul und wenig einfallsreich mehr oder weniger Auszüge aus dem Inhaltsverzeichnis abgetippt habe, ist selbstverständlich nur dem Einfallsreichtum der Autorin geschuldet, denn wie besser sollte ich die Vielfältigkeit der Vorschläge beschreiben. Doch das Buch gefällt nicht nur ob des Einfallsreichtums der liegeerfahrenen Autorin, sondern auch, weil sie höchst amüsant schreibt. Wer also demnächst mal wieder keine Lust zum Aufstehen hat, der besorge sich jetzt 100 Dinge, die man im Liegen machen kann und muss beim nächsten Mal immerhin ein weniger schlechtes Gewissen haben. Es gibt so viele Dinge, die man im Liegen machen kann.

Ich habe mir zum Beispiel im Liegen schon Domainnamen ausgedacht. Damals musste ich noch aufstehen, um die Domains zu registrieren. Heute könnte ich das ganze komplett im Liegen erledigen.

Sibylle Berg sagte mal in einem Interview, dass sie nur Schriftstellerin geworden ist, weil man diesen Beruf vom Bett aus ausüben kann. (Ich habe keine Beweise für diese Behauptung, bin aber ziemlich sicher, dass sie es in einem Interview mit Helge Schneider in der Sendung „Helge hat Zeit“ gesagt hat.) Es gibt also vermutlich noch hundert weitere Dinge, die man prima im Liegen erledigen kann und die im höchsten Maße sinnvoll sind. Für das Liegen!

Diese Rezension wurde im Sitzen geschrieben. Es ging leider nicht anders.

100 Dinge, die man im Liegen machen kann von Nina Fröhlich, 2015 erschienen im Goldmann Verlag, 186 Seiten, 8,99 Euro als Taschenbuch. Erhältlich bei Amazon [Werbelink], bei der Bücherstube an der Tiefburg in Heidelberg und bei jedem anderen Buchhandel um die Ecke.

Das Buch auf der Verlagsseite

Das Buch wurde mir vom Verlag zu Rezensionszwecken umsonst zur Verfügung gestellt. Auf meine Bewertung hat das keinen Einfluss, ich darf schreiben, was ich will und mache das auch.

Gelesen: Die Nacht des Kranichs von Patrick Ness

Cover Die Nacht des Kranichs

Mitten in der Nacht wird George von einem Geräusch wach und findet einen verletzten Kranich in seinem Garten. Ein Pfeil steckt im Flügel. George kümmert sich um das verletzte Tier und befreit es von dem Pfeil. Der befreite Kranich fliegt davon und George bleibt allein und verwirrt zurück.

Am nächsten Tag tritt Kumiko in sein Leben. Die geheimnisvolle Frau erschafft faszinierende filigrane Bilder aus Federn. So schaffen Kumiko und George, der aus alten Büchern kleine Scherenschnitte erstellt, Kunstwerke, die jeden, der sie sieht, sofort in ihren Bann ziehen. Und es bleibt natürlich nicht bei der rein künstlerischen Beziehung. Aber Kumiko bleibt geheimnisvoll. George weiß nichts von ihrer Vergangenheit, wo sie herkommt, was sie tut, wenn sie nicht zusammen sind.

Doch es geht nicht nur um George und Kumiko. Es geht auch um Amanda, seine Tochter, alleinerziehende Mutter von JP und dauerwütend, ohne dauerwütend sein zu wollen. Amanda eckt an, passt nirgendwo rein und weiß nicht, was sie tun soll. Genauso wie ihre Kollegin Rachel, die auch nicht weiß, wohin mit ihrer Unzufriedenheit. Dann ist da Mehmet, Georges Angestellter, der eigentlich Schauspieler sein möchte, Amandas Mutter und Georges Ex-Frau und ihr neuer Mann.

In diesem Geflecht von Beziehungen, von Wünschen und Hoffnungen spielt die Geschichte von George und Kranich, die Patrick Ness inspiriert von der Geschichte der Kranichfrau, einem alten japanischen Märchen geschrieben hat. Ness ist nicht der erste, der dieses Märchen auf moderne Weise interpretiert. Auch die Band The Decemberists  widmeten dem Märchen ein ganzes Album und besangen es in drei zusammenhängenden Songs.

Am ehesten ist die Geschichte wohl im Genre des magischen Realismus anzusiedeln, ein modernes Märchen eben, ausgebreitet auf 300 Seiten. Als Leser schwankt man zwischen Mitgefühl und dem Wunsch, die Personen mögen sich doch mal zusammenreißen. Eine Identifikation mit den Protagonisten fällt schwer, letztlich bleiben die Figuren eigentümlich unnahbar, und das gilt nicht nur für Kumiko, die ja immerhin unnahbar sein soll. Die fantastischen Elemente sind rar gesät, doch anders als bei Ness‘ Kinderbuch Sieben Minuten nach Mitternacht [Werbelink], bei dem ich beim Hören des Hörbuchs im Bus anfing, recht bitterlich zu weinen, springt der Funke nicht wie erhofft über.

Vielleicht ist das aber auch Absicht. Genau wie die Kunst von George und Kumiko bleiben die Menschen in dieser Geschichte ein bisschen wie Scherenschnitte. Klar umrissen und doch nicht ganz zu fassen. Trotz dieser Kritik habe ich Die Nacht des Kranichs  gerne gelesen. Patrick Ness packt das ganz normale Alltagsleid ganz normaler Menschen in eine im positiven Sinne glatte und geradlinige Sprache. Dabei ist er gleichermaßen schonungslos und mitfühlend. Niemand kann sich rausreden, aber weil alle Fehler haben, ist das auch gar nicht so schlimm.

Die Nacht des Kranichs ist ein schönes Märchen, dass vielleicht einfach gelegentlich daran scheitert, dass in der Wirklichkeit so wenig Platz für echte Märchen ist. Aber immerhin, das lehrt uns dieses Buch, ist in der Wirklichkeit Platz für Versöhnung. Und das ist doch eine gute Nachricht, sowohl für George, Amanda, Kumiko und all die anderen als auch für uns.

Patrick Ness: Die Nacht des Kranichs (übersetzt von Sibylle Schmidt), erschienen 2014 im Hanser Verlag, 320 Seiten, 19,99 Euro. Erhältlich bei Amazon [Werbelink] und in jedem anderen Buchhandel.

Gelesen im Juli 2015

David Brin: Existence (deutsch: Existenz)

Vom Chef empfohlen. Ich habe ja immer Chefs, die auch Science Fiction und Fantasy lesen und sich dann so freuen, wenn sie merken, dass ich das auch lese, dass sie mir Bücher empfehlen. Ich habe damals ja die gesamte „Song of Ice and Fire“-Reihe von George R.R. Martin im Eiltempo gelesen, damit mein damaliger Chef jemanden hatte, mit dem er darüber reden kann. (Ich bin also in jeglicher Hinsicht eine fleißige Mitarbeiterin.)

Bei Existence brauchte ich ein bisschen, bis ich reinkam, weil erstmal mit jedem Kapitel die Figuren und Spielorte wechseln und es außerdem in der Zukunft spielt, so dass man erst mal verstehen muss, was jetzt alles an schicker neuer Technologie da ist, dann ging’s aber recht flott. Es geht um außerirdisches Leben, das in Form eines Artefakts auf die Erde kommt und eine etwas unschöne Nachricht: Jede Zivilisation ist dem Untergang geweiht, die Frage ist nur, wie lange sie durchhält und was sie dafür tun kann, vielleicht doch in irgendeiner Form weiter zu existieren.

Neben der eigentlichen Story sind es vor allem die Ideen, die in dem Buch stecken, die es so interessant machen. Und tatsächlich war ich während des Lesens etwas underwhelmed, merke aber im Nachhinein, wie viele der Ideen weiterhin im Gehirn weiternagen und das spricht deutlich für das Buch.

Existenz von David Brin, deutsche Übersetzung von Andreas Brandhorst, erschienen 2012 im Heyne Verlag, 896 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

Emily St. John Mandel: Station Eleven (deutsch: Das Licht der letzten Tage)

Station Eleven ist ein schönes Beispiel für literarische Science Fiction. Ich habe das Buch im Rahmen meines Online-Buchclubs The Sword and Laser gelesen, es stand aber sowieso auf der To-Read-Liste und sammelt gerade überall Preise ein oder ist zumindest short-gelistet.

Zwanzig Jahre nach einer Pandemie, die ungefähr 99,9% aller Menschen umbrachte, zieht die Travelling Symphony durch den Nordwesten  (mittleren Nordwesten?) Amerikas und führt Shakespeare-Stücke in kleinen Ortschaften auf, den letzten Überbleibseln der Zivilisation oder den ersten Keimzellen einer kommenden Zivilisation, je nach dem, wie man’s sieht. Nicht jedes Dorf und nicht jede Straße ist ungefährlich, es gibt keinen Strom mehr, die meisten Häuser wurden mittlerweile geplündert. Unter den Schauspielern ist Kirsten, die ein Kind war als die Krankheit ausbrach und kurz vorher miterlebte, wie der Schauspieler Arthur Leander auf der Bühne starb.

In Zeitsprüngen wird dann die Geschichte von Arthur Leander mit der Geschichte der Überlebenden der Pandemie verknüpft. Dadurch und durch die quasi nicht vorhandene Technologie in der Zukunft fühlt sich das Buch nicht an wie ein Science-Fiction-Roman, wobei man hier natürlich auch fragen könnte, was einen Science-Fiction-Roman ausmacht. Es fühlt sich noch nicht mal richtig an wie eine Dystopie, sondern vielmehr wie ein schönes ruhiges Buch, dass die Geschichte von Menschen erzählt, die auf mehr oder weniger zufällige Art und Weise miteinander verknüpft sind.

Leseempfehlung für alle, auch wenn man glaubt, mit Dystopien oder Zivilisationsuntergangsgeschichten nichts anfangen zu können. Die deutsche Übersetzung erscheint im September 2015.

Station Eleven von Emily St. John Mandel, erschienen 2014 bei Picador, 384 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

The Secret Garden von Frances Hodgson Burnett (deutsch: Der geheime Garten)

Mal wieder ein Kinderbuchklassiker, nachdem ich letztens schon Der kleine Lord als Hörbuch gehört habe. An Der geheime Garten erinnere ich mich noch sehr gut, weil ich die Bilder in der deutschen Ausgabe von Gerstenberg so schön fand. Das wäre auch die Ausgabe, die ich empfehlen würde, schon wegen der Bilder, aber ich habe das Buch auf Englisch auf dem Kindle gelesen, weil es das da umsonst gab.

Geschichte ist schnell erzählt: Die kleine Mary wird in Indien zur Vollwaise und kommt zu ihrem Onkel auf ein großes Schloss irgendwo in England. Dort wird aus dem verwöhnten Mädchen, das sich noch nicht mal alleine anziehen kann, schnell ein relativ fideles Mädchen, dessen Neugier so richtig angestachelt wird, als sie von einem geheimen Garten hört. Dem Garten der verstorbenen Frau des Onkels, der ihn nach ihrem Tod abschloss, damit ihn nie wieder jemand betreten möge.

Dann passieren natürlich noch ganz andere Dinge, das Buch ist ja hinreichend bekannt und wird immer gerne verfilmt. Das bietet sich auch an, weil es dauernd darum geht, wie schön irgendwo irgendwelche Natur ist. Aber man kann das gut lesen, auch als Erwachsener.

Der geheime Garten von Frances Hodgson Burnett (übersetzt von Friedel Hömke), 13. Auflage erschienen 2009 bei Gerstenberg, 221 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

Peter Clines: The Fold (deutsch: Der Spalt)

Als Hörbuch gehört, leider zum Schluss etwas die Orientierung verloren, weil zu ungünstigen Zeitpunkten gehört. Ich wollte aber andererseits auch nicht auf günstigere Zeitpunkte warten, weil ich es so spannend fand.

Es geht um Mike, der ein perfektes Gedächtnis hat und der von einem Freund, der um seine Qualitäten weiß, dazu überredet wird, einem unglaublichen Forschungsexperiment beizuwohnen. Dieses Experiment namens „The Albuquerque Door“ verkürzt Entfernungen, so dass man nur mit einem Schritt von einem Ort zum anderen wechseln kann.

Aber irgendwas scheint seltsam am Verhalten der Forschungsgruppe, was auch der Grund ist, warum Mike sich das ganze mal anschauen soll. Er stößt zunächst auf Zurückhaltung bis hin zu latenter Feindseligkeit, bis er auf einmal tatsächlich eine Erklärung für das seltsamen Verhalten findet, die aber das ganze Experiment in Frage stellt. An der Stelle kann ich nicht weitererzählen, obwohl man hier ganz hübsch ein Science-Fiction-Buzzword fallen lassen könnte, dann hätte man aber die Pointe schon verraten und das will ja keiner.

Zum Schluss hin wurde es etwas seltsam, aber vielleicht lag es auch wirklich daran, dass ich mich beim Hören zu oft habe Ablenken lassen. Abgesehen davon hat es die Spannung keinesfalls getrübt, so dass ich das hier doch als gute Empfehlung stehen lassen kann, vor allem für Leute, die straff erzählte Science-Fiction-Thriller mögen. Die deutsche Übersetzung ist für Februar 2016 geplant.

The Fold von Peter Clines, erschienen 2015 im Crown Verlag, 384 Seiten [Amazon-Werbelink]

 

Will Elliott: The Pilgrims

Muss irgendwann mal irgendwo empfohlen worden und günstig fürs Kindle zu haben gewesen sein. Es lag jedenfalls auf dem Kindle rum und ich hab es dann halt mal gelesen.

The Pilgrims ist zur Abwechslung ein Fantasyroman, mit dem ich sehr lange nicht richtig warm geworden bin, ohne genau zu wissen warum. Einerseits gibt es in der Geschichte keine wirklichen Sympathieträger. Der Journalist Eric Albright findet in London eine geheime Tür unter einer Brücke, durch die eines Nachts seltsame Gestalten kommen und erstmal einen Zeitungskiosk plündern, bevor sie wieder verschwinden.

Es kommt, wie es kommen muss, Eric findet einen Weg, die Tür zu öffnen, sein obdachloser Freund Case folgt ihm und zusammen – oder vielmehr erstmal getrennt – fallen sie in eine andere Welt, in der es war mages gibt, gehörnte Wesen, die zwar magische Fähigkeiten haben, aber sich darüber hinaus auch gerne mal selbst entzünden oder alternativ alles töten und fressen, was ihnen über den Weg läuft. Dazu gibt es die Invia, seltsame Flügelwesen, pit devils,  die in Höhlen wohnen und eigentlich auch alles angreifen, was nicht schnell genug ist und viele andere Wesen, vor denen man sich meistens in Acht nehmen sollte. Eric und Case werden von einer Gruppe Rebellen aufgegabelt, eben genau denen, die damals den Zeitungskiosk ausräumten und mitgenommen. Dazu gibt es noch einen unerbittlichen Herrscher der Welt, dessen Endziel ein gottgleicher Status ist und der auf diesem Weg nicht gerade zimperlich ist und ach ja…

Es ist genug los in der Geschichte, aber es wirkt nicht immer wie aus einem Guss und schwankt irgendwo zwischen Douglas Adams und Fantasyhorror. Dabei sind die Ideen gut, die Figuren ansprechend und interessant und auch sonst gibt es nicht viel zu meckern. Vielleicht ist es auch einfach die latente Hoffnungslosigkeit, die mitschwingt, weil es so selten Verschnaufpausen gibt und überall nur Gefahren lauern und Leute anderen Leuten Böses wollen.

Auf der anderen Seite kann man The Pilgrims einen gewissen Sog nicht absprechen. Vielleicht ist es hier ähnlich wie bei Existence und ich muss die Geschichte erst mal sacken lassen, um sie dann im Nachhinein besser wertschätzen zu können. Eine deutsche Übersetzung konnte ich nicht finden, auch nichts geplantes.

The Pilgrims von Will Elliott, erschienen 2014 bei Tor Books, 437 Seiten (deutlich günstiger als E-Book) [Amazon-Werbelink]

Gelesen: Still von Zoran Drvenkar

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Das erste Buch, das ich von Zoran Drvenkar las, war Der letzte Engel [Werbelink] und ich war restlos begeistert. Umso gespannter war ich, als mir ein Rezensionsexemplar von Drvenkars neuem Roman Still angeboten wurde.

Während Der letzte Engel eine Art Fantasy-Mystery-Thriller war, der sich an keine Regeln hielt, ist Still zumindest, was das Genre angeht, deutlich gradliniger. Still ist ein Thriller, wie es ja auch draufsteht.

Es geht um einen Mann, der seine Tochter verloren hat und sich auf der Suche nach einer Antwort selbst aufgibt. Es geht um ein Mädchen, dass seit Jahren in einem Zimmer darauf wartet, dass jemand ihre Erinnerung zurückbringt. Und es geht um vier Männer mit einer Mission. Um diese Figuren webt Drvenkar das Netz einer schier unglaublichen Geschichte, die ihren Ursprung weit in der Vergangenheit hat. Es geht um Jäger und Gejagte, um den Kampf ums Überleben und um ein tödliches Spiel.

Drvenkar schreibt packend und schnörkellos. Die Perspektiven wechseln zwischen dem Mann, der sich den Namen Mika Stellar gibt, den vier Männern mit ihrem Geheimnis und dem Mädchen Lucia. Still ist eine Geschichte voller Abgründe und Falltüren, die den Leser überraschen. Wenn man am Anfang noch glaube, man hätte die Grundzüge verstanden, so entpuppt sich das als Irrtum, denn Zoran Drvenkar hat ganz andere Sachen vor und mag sich nicht an irgendwelche Regeln halten.

Möglicherweise ist es die Art von überbordender Fantasie, die Der letzte Engel für mich so großartig machten, die aber Still dann in ein den entscheidenden Momenten einen Tick zu absurd und surreal wirken lassen. Zoran Drvenkar bricht Regeln, wo sie vielleicht nicht hätten gebrochen werden sollen. Das macht das Buch nicht minder spannend, im Gegenteil, nur lässt es die Leserin etwas ratlos zurück. Ja ja, verstanden habe ich das alles, aber ist es nicht alles ein bisschen zu abgefahren, die Story zu konstruiert, die Hintergrundgeschichte zu seltsam?

Das ist vielleicht der Wermutstropfen dieses Buches, das man jenseits aller Kritik durchaus in einem Zug durchlesen möchte. Das schlimmste, was man Drvenkar vorwerfen kann, ist , dass er manchmal enthusiastisch übers Ziel hinausschießt, aber wir befinden uns hier schon in einem Bereich, den man locker unter „Jammern auf hohem Niveau“ abheften kann. Da wir gerade Sommer haben, liegt es nahe, Still als Strand- oder Flugzeuglektüre zu empfehlen, es passt aber in jede Jahreszeit, ob man nun Sand zwischen den Zehen oder eine Decke über den Füßen hat.

Still von Zoran Drvenkar ist 2014 im Verlag Eder & Bach erschienen, 416 Seiten, 16,95 Euro als Taschenbuch. Man bekommt es bei Amazon [Werbelink], bei der Buchhandlung Jost in Bonn-Kessenich und in jedem anderen Buchhandel um die Ecke.

Gelesen: Dunkelsprung von Leonie Swann

Dunkelsprung_CoverMein Lieblingssatz von Leonie Swann stammt aus dem Schafskrimi Glennkill und lautet „Es stellt sich überraschend heraus, dass Mopple nachtblind war.“ Überhaupt Glennkill: Ein Kollege brachte das Buch in der englischen Übersetzung zur Arbeit und musste sich von mir Klugscheißerin direkt belehren lassen, dass „Swann“ möglicherweise wie ein englischer Name klingen könnte und das Buch zugegebenermaßen in Irland spielen würde, das Original aber eben trotzdem auf Deutsch wäre. Tatsächlich habe ich erst später sowohl Glennkill als auch den Nachfolger Garou gelesen oder mir vielmehr von Andrea Sawatzki vorlesen lassen.

Von den Schafen ist Leonie Swann mit ihrem neuen Roman Dunkelsprung jetzt von Irland nach England umgesiedelt und dabei quasi auf den Floh gekommen. Oder viel mehr auf den Flohzirkus. Der gehört nämlich Julius Birdwell, seines Zeichens Flohdompteur, Goldschmiedemeister und ganz generell Lebenskünstler. Bis er in einer eisigen Nacht den Flohzirkus vor der Tür vergisst, sich vor Trauer um seine dressierten Flöhe auf eine Brücke verirrt, aus Versehen ins eisige Wasser fällt und von einer Nixe gerettet wird, die ihm im Gegenzug das Versprechen entlockt, ihre Schwester zu finden und zu retten. So findet sich Julius Birdwell recht unfreiwillig auf einer Mission, die ihn zu Privatdetektiven, Psychologen, die aufs Vergessen spezialisiert sind, einer alten Frau mit einer Wohnung voller Milchschälchen und einem Professor und Magier mit Größenwahn führt, begleitet von der rätselhaften Elizabeth Thorn, die ihre ganz eigenen Pläne hat. Und Flöhe spielen auch noch eine Rolle, allen voran Lazarus Dunkelsprung, der Albinofloh.

Die Geschichte, die Leonie Swann erzählt ist verzwickt, mit viel Personal ausgestattet, zudem hält sie sich nicht immer an eine Zeitlinie, so dass ich einige Zeit brauchte, um in diese Geschichte reinzukommen. Möglicherweise ging es aber auch nur mir so, das kann ich nicht beurteilen, denn eigentlich bedient sich Swann einer sehr klaren Sprache, ohne viel Umschweife, direkt und sauber. Das macht beim Lesen Spaß und man möchte glauben, dass Swann beim Ausdenken und Aufschreiben ebenso viel Spaß hatte.

Leonie Swann hat ihrem neuen Buch den Untertitel „Vielleicht kein Märchen“ gegeben, eine Leseanleitung vergleichbar mit „Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten!“ Dunkelsprung ist ein gleichzeitig wundersames und wunderbares modernes Märchen, nur dass hier nicht nur manche Figuren sagenhaft sind, sondern auch das, was die eigentlich ganz normalen Menschen tun. Dabei ist das Buch durchaus fordernd und liest sich eben nicht einfach so weg, viel mehr entfaltet es seinen Sog durch die schillernde Vielfältigkeit der Figuren, die sehr sorgsam entworfen wurden, unabhängig davon, ob wir es mit ganz normalen Menschen zu tun haben, mit Fabelwesen, Flöhen oder seltsamen Leguanen, die aber in Wirklichkeit vielleicht doch gar keine Leguane sind.

Wer fantastische Geschichten einen Schritt neben unserer wirklichen Welt mag, wird an Dunkelsprung ziemlich sicher seine Freunde haben. Für alle anderen, die jetzt noch skeptisch sind, habe ich noch eines meiner Lieblingszitate von Walter Moers aus einem Interview im Jahr 2001 mit der Zeit: „Realität gibt’s ja schon, warum soll ich sie abbilden?“

Dunkelsprung von Leonie Swann, erschienen 2014 im Goldmann Verlag, 384 Seiten, 19,99 Euro. Erhältlich bei Amazon [Werbelink], bei der Buchhandlung Schmitz in Essen und in jedem anderen Buchladen.

Informationen zum Buch vom Verlag

Bücher 2014 – Plätze 5 bis 1

Es ist doch schon ein paar… ähm… Wochen her, dass ich die Plätze 10 bis 6 meiner liebsten Bücher aus dem Jahr 2014 veröffentlichte. Nun folgen die Plätze 5 bis 1. (Bücher aus dem Jahr 2014 bedeutet übrigens, dass es Bücher sind, die ich 2014 gelesen habe, nicht, dass sie im Jahr 2014 veröffentlicht wurden.)

Steelheart_cover5. Steelheart von Brandon Sanderson

Superhelden mal anders. In Steelheart retten sie nicht die Welt, sondern tyrannisieren die Menschen, was möglicherweise auch die realistischere Variante ist. David war als Junge dabei, wie sein Vater vom titelgebenden Steelheart umgebracht wurde, nachdem dieser den vermeintlich unbesiegbaren Epic, wie diese Menschen mit Superkräften genannt werden, verletzt hatte.

Jetzt ist David Teenager und schließt sich einer Gruppe Rebellen an, die die Epics bekämpft. Das ganze klingt nicht unbedingt so, als wäre hier das Rad neu erfunden wurde, ist aber dermaßen spannend, flott fantasiereich geschrieben, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte. Mein bester Young-Adult-Roman des Jahres 2014, mit Abstand.

Steelheart gibt es bei Amazon [Werbelink], bei der Buchhandlung ocelot in Berlin und in jedem Buchladen um die Ecke.

 

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4. Eine Frau spürt sowas nicht von Kirsten Fuchs

In Bayreuth gelesen, sehr gelacht. Dann meinem Mann auf der Fahrt von Bayreuth nach Frankreich daraus vorgelesen und mehrfach vor Lachen leider unfähig gewesen, weiterzulesen.

Kirsten Fuchs schreibt witzig, originell und nah am Leben, vor allem ihrem. Tatsächlich sind die Texte, in denen sie meiner Meinung nach zu Hochformen aufläuft, die, in denen sie ihre nicht ganz alltäglichen Alltagsgeschichten erzählt. Wie sie das Haus ihrer Eltern hüten muss, weil die Rohre erneuert werden (Strangsanierung heißt das im Fachjargon) oder wie sie sich Outdoorschuhe kaufen will. Oder wie sie mit ihrem Freund mal nicht an die Ostsee fährt und in einem als Hausboot verkleideten Ferienhäuschen landet. Oder wie sie mit ihrer Oma telefoniert.

Das ist alles ganz wunderbar und bei aller Absurdität immer noch so nah am wirklichen Leben, dass man denkt, es könnte genau so passiert sein. Jedenfalls fast genau so.

Eine Frau spürt sowas nicht  gibt es bei Amazon [Werbelink], als E-Book bei minimore und in jedem Buchladen um die Ecke.

 

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3. Die Besteigung des Rum Doodle von William E. Bowman

Ich habe Die Besteigung des Rum Doodle als Hörbuch gelesen von Jürgen von der Lippe gehört, was möglicherweise die beste Besetzung ist, die man sich wünschen kann.

Das Buch wurde erstmals 1956 veröffentlicht, warum es so lange dauerte, bis es bekannt wurde, bleibt ein Rätsel, denn diese Satire ist ganz hervorragend. Eine Gruppe von sieben englischen Gentleman beschließt, den Rum Doodle in Yogistan, den höchsten Berg der Welt zu besteigen. Leider entpuppt sich ein Mann nach dem anderen als vollkommen unfähig und kaum lebensfähig, der Navigator verläuft sich schon auf dem Weg zur ersten Zusammenkunft, alle Nase lang fällt irgendwer in eine Spalte und die wichtigste Frage lautet jederzeit: „Wo ist der Champagner und haben wir noch genug davon?“.

Erzählt wird aus der Sicht des Expeditionsleiters „Binder“, der die ganze Sache genauso wenig im Griff hat wie alle anderen, sich von den Trägern und dem yogistanischen Koch terrorisieren lässt, aber stets an dem Plan festhält, den Gipfel doch zu erreichen.

Maximal amüsant, schön grotesk, von Jürgen von der Lippe grandios gelesen. Kann man natürlich auch selber lesen, aber warum sollte man das tun wollen, wenn es so eine Alternative gibt?

Die Besteigung des Rum Doodle gibt es bei Amazon [Werbelink], bei der Buchhandlung proust in Essen und in jedem Buchladen um die Ecke.

 

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2. Sitzen vier Polen im Auto von Alexandra Tobor

Ola ist sechs Jahre alt und beschließt zu sterben. Weil sie die bittere Flüssigkeit nicht trinken will, die man ihr im Krankenhaus geben will. Wegen Tschernobyl. Statt dessen spuckt sie alles wieder aus, versaut dabei das gute Kleid aus der DDR und beschließt anschließend zu sterben. Ola wächst in Polen auf, im Osten, bis ihre Eltern kurz vor der Wende alles in ein Auto packen und mit ihr und ihrem Bruder in den goldenen Westen fahren.

Nur, dass im Westen gar nichts golden ist, sondern vor allem komisch. Komische Leute, komische Sitte, komische Kinder, komisches Essen. Ola muss feststellen, dass in der BRD trotz Schokolade und Spielzeug gar nicht alles so toll ist. Aber vielleicht ist dann doch nicht alles doof.

Ich habe Sitzen vier Polen im Auto in Frankreich an einem Abend quasi im Delirium von vorne bis hinten gelesen, weil ich nicht aufhören konnte. Alexandra Tobor, auch bekannt als @silenttiffy auf Twitter, hat hier ihre eigene Geschichte aufgeschrieben, ganz direkt und mit genau der richtigen Dosis an Sentimentalität und Nostalgie, nie doof, nie kitschig, immer schön und oft witzig.

Sitzen vier Polen im Auto gibt es bei Amazon [Werbelink], bei der Buchhandlung Stories in Hamburg und in jedem Buchladen um die Ecke.

 

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1. Embassytown von China Miéville

Vorneweg: Embassytown ist das Gegenteil von einfacher Literatur, aber dafür ist China Miéville jetzt auch nicht wirklich bekannt. Embassytown fordert dem Leser einiges an Vorstellungskraft ab, genauso wie man sich auf die fast surrealen Außerirdischen einlassen muss. Die Ariekei sind die Bewohner des Planeten Arieka, auf dem Avice Benner Cho lebt, in einer Diplomatenstadt, einem Handelsposten am äußersten Ende des Universums.

Die Ariekei sprechen eine besondere Sprache, bei der jedes Wort aus zwei gleichzeitig gesprochenen Wörtern besteht. Die Ariekei können auch nicht lügen, nichts erfinden. Für jede Analogie brauchen sie ein konkretes Beispiel, etwas, das wirklich stattgefunden hat. Menschen und Ariekei kommunizieren über Botschafter, vollkommen aufeinander abgestimmte Paare von eigens für diesen Zweck modifizierten Menschen, die sich ein Bewusstsein teilen müssen, um die Sprache der Ariekei so sprechen zu können, dass sie verstanden werden. Bis ein neuer Botschafter kommt, nicht künstlich verändert. Ein Botschafter, der mit seiner Sprache die Ariekei so in seinen Bann zieht, dass es zur Katastrophe kommt.

An der Beschreibung merkt man schon, dass man es hier nun wirklich nicht mit leichter Science-Fiction-Kost zu tun hat. Doch die Welt, die Miéville entspinnt, ist gleichermaßen abgefahren wie schlüssig und faszinierend, die Geschichte fesselnd und verstörend. Das ist ein ganz großes Buch, auch wenn es sicher nichts für jeden ist.

Embassytown gibt es bei Amazon [Werbelink], bei der Buchhandlung am Turm in Ochsenfurt und in jedem Buchladen um die Ecke.

Gelesen: Alles wird gut und zwar morgen! von Toni Mahoni

mahonsenToni wird von seiner Freundin Peggy sitzengelassen, von jetzt auf gleich. Ein bisschen wegen seines Bauchs, aber vor allem wegen dem, was der Bauch bedeutet. Toni soll mal sein Leben in den Griff bekommen, nicht immer nur rumgammeln, findet Peggy und deswegen geht sie erstmal nach Barcelona und Toni bleibt in Berlin und hat Liebeskummer.

Wer Liebeskummer hat, findet Tonis Kumpel Meta, der gehört nach Mallorca. Der soll nicht im tristen Berlin vor sich hin trauern, und sich lieber am Meer sonnen. Deswegen fliegt Toni nach Mallorca, hängt mit Meta und Ronny in einer Finca rum, springt mit spanischen Mädchen von der Klippe ins Meer und wird auf eine Party in der Nachbarvilla eingeladen, wo er sich im Rausch spontan in eine Statue verliebt und mit ihr zusammen umkippt. Die Statue zerbricht, die mafiösen Söhne des Villabesitzers sind wenig erfreut, Meta gibt Toni als Bildhauer aus und Toni wird mit einem Zettel, auf denen die Maße der Statue stehen, zurück nach Berlin geschickt.

Das alles passiert auf den ersten vierzig Seiten von „Alles wird gut und zwar morgen!“ von Toni Mahoni und in diesem Tempo geht es weiter. Er trifft Moni, die ihn wiederum mit Vlad bekannt macht, der tatsächlich Bildhauer ist, aber vor Arbeitsbeginn erstmal ein paar Aufträge hat. Also fährt Toni nach Polen, um Wodka zu besorgen und nach Frankreich, um Bressehühner aufzutreiben, lebend wohlgemerkt. Währenddessen sucht Peggy in Barcelona nach Informationen über die Statue und kommt dabei einem Kunstskandal auf die Spur, die Mafiosibrüder halten Meta und Ronny auf Mallorca als Geiseln und Toni lernt Katja kennen.

Im Auto atmete ich auf. Die Dinge waren auf den Weg gebracht. Was hatte ich eigentlich früher getan, als ich noch nicht Figuren der größten Bildhauer der Geschichte fälschen ließ, um meine Haut zu retten? Hatte ich nicht auch mal Musik gemacht? Wo war eigentlich meine Band? Wo waren die Partys und die Fressgelage mit mehreren Gängen und die Feste mit Tanz und fröhlichem Ringelpiez? Und wo zur Hölle war vor allem Peggy? Was war denn so schlecht an meinem Bauch? Wo war überhaupt mein Bauch?

„Alles wird gut und zwar morgen!“ ist ein wunderbar federleichtes Buch ohne dabei seicht zu sein. Wie sich Toni von einer scheinbar unlösbaren Aufgabe zur nächsten manövriert und dabei stets kurz vorm Resignieren eben doch nicht aufgibt, ist so schön liebevoll, einfach und unkitschig erzählt, dass man dieses Buch von vorne bis hinten schon alleine deswegen liebhaben muss. Dazu kommen die skurrilen Charaktere, und die Geschichte, die sich stets einen Hauch zu weit von der Realität bewegt, aber eben nur so weit, dass man immer wieder denkt: „Aber es könnte so passieren.“

Ein Sommerbuch, aber vielleicht auch ein Buch für alle Tage, an denen man denkt, es wäre alles ein bisschen zu viel. Denn wenn wir ehrlich sind: Wenn ein Toni Mahoni eine Statue fälschen kann, dann schaffen wir das auch mit der Steuererklärung.

Alles wird gut und zwar morgen! von Toni Mahoni ist 2014 im Galiani Verlag erschienen, hat 320 Seiten und kostet als broschierte Ausgabe 14,99 Euro. Man kann es auf Amazon [Werbelink] kaufen, bei der Buchhandlung Proust in Essen und bei jedem anderen Buchhandel.

Das Buch auf der Verlagsseite

Toni Mahoni in der deutschen Wikipedia

Das Buch wurde mir vom Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Das hat keinen Einfluss auf meine Rezension.

Gelesen: China 151 von Françoise Hauser und Volker Häring

BuchcoverEigentlich habe ich mit China nicht viel zu tun. Ich war einmal für zwei Tage in Hong Kong und bin seitdem von dieser Stadt und möchte unbedingt noch mal hin. Außerdem hatte ich in der elften Klasse ein halbes Jahr Chinesischunterricht, bis mir und meiner Freundin bewusst wurde, dass wir hier gerade Hochchinesisch lernten, was uns – zumindest, was das Sprechen und Verstehen angeht – sollten wir je nach China kommen, ungefähr überhaupt nicht weiterhelfen würde. Ein bisschen Faulheit wird bei der Entscheidung, den Kurs abzuwählen, wohl aber auch eine Rolle gespielt haben. Trotzdem wurden wir ungläubig angesehen, weil wir anscheinend als einzige im Kurs nicht das geringste Problem damit gehabt hatten, Schriftzeichen auswendig zu lernen.

Nach einem etwas längeren, aber ebenso wenig erfolgreichen VHS-Kurs in Japanisch weiß ich jetzt jedenfalls den wesentlichen Unterschied zwischen Japanisch und Chinesisch. Chinesisch hat quasi keine Grammatik, dafür scheitert man als Europäer an der Aussprache (ich sag nur „Tonhöhen“). Japanisch dagegen kann man als Europäer super aussprechen, aber die Grammatik ist ein kleines wehrhaftes Arschloch.

So einfach die Grammatik im Chinesischen ist (aus einem Satz macht man eine Frage, indem man ein „ma“ hintendran hängt), so komplex ist der Rest von China. Und das lässt sich in 151 kleinen Häppchen in dem Buch „China 151 – Das riesige Reich der Mitte in 151 Momentaufnahmen“ nachlesen. Hier wird alles oder zumindest fast alles abgearbeitet, was einem bei einer Chinareise seltsam vorkommen könnte. Denn es wird einem viel seltsam vorkommen. In Hong Kong hatte ich tatsächlich meinen ersten richtigen Kulturschock. (Vermutlich hätte ich schon in Vietnam einen gehabt, aber da waren wir geschäftlich und in Hotels und Konferenzzimmern lässt es sich nur bedingt kulturschocken.) Und Hong Kong ist meines Wissens „China light“, the best of China mit einem beruhigenden westlichen Einfluss.

151 Momentaufnahmen also, angefangen vom eher problematischen Umgang der Chinesen mit Afrikanern, der Möglichkeit, seine Ahnen auch online zu verehren oder dem Hang, alles abzureißen und neu aufzubauen („Chai“) über diverse aus unterschiedlichen Gründen zu verehrende Götter, Karaoke, Lotusblumen und Pekingoper bis zum chinesischen Zirkus und dem letzten Kapitel „Zu viele Menschen“. Die Texte sind kurz und können so leider das Thema immer nur anreißen. Eine Seite Text, ein Bild dazu, das muss reichen. Wer mehr wissen will, weiß aber jetzt immerhin, wonach er suchen muss und gewinnt so auf den knapp 300 Seiten zwar einen etwas oberflächlichen Überblick über dieses seltsame Land und seine Menschen, hat dafür aber überall mal reingeschnuppert. Das ist schön für zwischendurch, man muss es nicht am Stück lesen, sondern kann eine zufällige Seite aufschlagen und einfach mal lesen. Andererseits stellt sich so eben auch der „Na komm, eins noch“-Effekt ein und dann hat man auf einmal doch das ganze Buch durchgelesen und ist doch ein bisschen schlauer als vorher.

„China 151“ ist ein Rundumschlag, der kaum einen Aspekt auslässt, China gleichzeitig kritisch und liebevoll betrachtet und den unbedarften Leser damit zumindest einen Hauch näher an dieses fremde Land heranführt. Nach der Lektüre möchte ich jedenfalls ein bisschen dringender noch mal nach Hong Kong. Und den Rest von China müsste man sich dann vielleicht auch mal angucken, nur um es alles mal selbst zu erleben.

„China 151“ von Françoise Hauser und Volker Häring ist im Conbook Verlag erschienen, hat 288 Seiten und kostet 14,95 Euro. Man bekommt es bei Amazon [Werbelink], bei der Buchhandlung stories in Hamburg oder bei jedem anderen Buchhändler.

Mehr zum Buch

Conbook Verlag

(Ich habe das Buch als Rezensionsexemplar vom Verlag zur Verfügung gestellt bekommen. Dies hat keine Auswirkungen auf meine Rezension.)