“Heute geh ich mal durch die Stadt bummeln”, hab ich gestern gedacht. Man kann sogar in Hanau ein bisschen bummeln, wenn man die Ansprüche nicht zu hoch setzt. Es gibt Bücherläden und die üblichen Verdächtigen, was Klamottengeschäfte angeht. Das ist ganz bequem, denn man ist zumindest nicht gezwungen, woanders hinzufahren, sondern kriegt im Zweifelsfall fast alles auch in der Nähe. Sagen wir mal so: Das Angebot hält sich in Grenzen, aber es gibt zumindest eins.
Ein konkretes Ziel hatte ich auch, nämlich P&C, wo ich letztens ganz hinreißende Blusen mit Kirschen drauf gesehen hatte. Hallo?!? Kirschen! KIRSCHEN! Ich hab überhaupt noch nichts mit Kirschen drauf, wie konnte das denn bitte passieren? Seitdem ich diese Blusen gesehen habe, bin ich der festen Überzeugung, dass mein Kleiderschrank ohne Kirschenkleidung irgendwie auch nicht richtig was wert ist.
In der Umkleidekabine stellt sich leider raus, dass das zwar alles rein theoretisch ganz wunderbare Klamotten sind, an mir aber überhaupt nicht aussehen. Schade. Dann eben keine Kirschenblusen für mich. Das heißt dann wohl auch, dass ich weitersuchen muss. Ohne Kirschen mag ich nicht mehr.
Neben mir in der Umkleidekabine ist anscheinend eine Mutter von – wie sich nachher rausstellt – vier Kindern, die ungelogen alle weinen. Alle! Die ganze Zeit! Sobald eines kurz aufhört – vermutlich, um zu atmen – fängt ein anderes an. Die sind so gewieft und aufeinander eingespielt, die wechseln sich beim Weinen ab. Respekt. Ich denke nur, wie schön das ist, dass ich hier so allein in der Umkleidekabine stehen kann, ohne dass jemand deswegen weint, und gleich nach Hause gehen kann, zwar ohne Kirschenkleidung, aber immerhin mit Quarkriegelchen.
Genau. Eben.
Kommen wir zum eigentlichenThema dieser Geschichte. Nach Monaten voller Vergesslichkeit und mangelnden Gelegenheiten habe ich es geschafft. Ich war im russischen Supermarkt und habe die von Frau Nessy so überaus gelobpreisten Quarkriegelchen gekauft.
Tatsächlich wusste ich, wo hier in Hanau ein russischer Supermarkt ist und habe auf dem Weg in die Stadt gleich mal da vorbeigeschaut. Selbstverständlicherweise wusste ich nicht mehr, wie die russischen Quarkriegelchen heißen (Sirok heißen sie wohl, das weiß ich jetzt wieder), ich wusste ja noch nicht mal, was genau ich mir vorzustellen hätte. Ich vermutete mal, dass sie zumindest irgendwie kühl gelagert werden müssten, wegen dem Quark in den Riegelchen. Ansonsten verließ ich mich darauf, dass ich die Dinger schon wiedererkennen würde, wenn ich sie sehen würde, Frau Nessy hatte ja Bilder gezeigt.
Nach drei Runden durch den kleinen Laden war ich ziemlich sicher, dass ich die Riegelchen hier nicht finden würde, gab mich aber noch nicht geschlagen. Wer weiß? Vielleicht gab es ja einen schlimmen Quarkriegelchenlieferungsengpass und nächste Woche würden wieder haufenweise Quarkriegelchen im Sortiment sein.
“Hallo, ich suche so Quarkriegelchen, ich weiß aber nicht mehr, wie die heißen”, sage ich zu der russischen Supermarktverkäuferin.
“Mit der Schokolade? Kommen Sie mit!” sagt die russische Supermarktverkäuferin und führt mich in den Hinterraum.
Der Hinterraum, so stellt sich raus, ist gar kein für Kunden verbotenes Lager, sondern der Standort der Gefriertruhen. Man darf hier also auch als Kunde rein.
“Hier”, sagt die russische Supermarktverkäuferin und zeigt auf die Quarkriegelchen-Abteilung der Gefriertruhe. “Das sind sie?”
“Jaja”, sage ich und nicke. Das sind sie, ich erkenne die Verpackung wieder. Mit dem Pinocchio vorne drauf, genau das war’s.
“Suchen Sie sich aus und kommen dann nach vorne”, sagt sie und verschwindet wieder in den Laden.
Vier verschiedene Verpackungen kann ich erkennen, Frau Nessy empfahl die mit Kondensmilch, Erdbeer klingt mir ein bisschen zu suspekt, also nehme ich Kondensmilch und die zwei anderen.
1,17 Euro kostet der Spaß, ich kriege ein kleines Tütchen, Kassenbon brauche ich nicht.
“Wissen Sie ja jetzt, wo die sind”, sagt die russische Supermarktverkäuferin noch. “Bis zum nächsten Mal.”
Bis zum nächsten Mal, genau. DIE WEISS DOCH GENAU, DASS SIE DA DROGEN VERKAUFT!
Am Abend probiere ich das erste, natürlich gleich mal das mit der Kondensmilch und HEISSA! WIE GROSSARTIG IST DAS DENN? Ich bin ja erwiesenermaßen ein Fan von süß, aber auch sehr von Quark und von gezuckerter Kondensmilch auch und alles zusammen und WOAH!
Es steht also fest, die blauen Quarkriegelchen sind schon mal super. Die anderen hebe ich mir für später auf. Frau Nessy lag vollkommen richtig, die machen süchtig. Jetzt muss ich noch den nächstgelegenen russischen Supermarkt in Essen finden.
Am gleichen Abend gibt’s auch noch Regenbogen über der Stadt. Ich steh also wieder am Fenster und knipse den Himmel über Hanau. Das mache ich sowieso oft, denn wenn man so eine Dachwohnung hat, da sieht man ja dauernd Himmel, Wolken und Flugzeuge und findet das alles ganz hinreißend. Aber Regenbogen sind mal oberhinreißend, vor allem, wenn sie ganz trotzig ausgerechnet über besonders hässlichen Gebäuden erscheinen. Das machen die doch extra.