Der Rest vom Ruhrgebiet (9): Das Dortmunder Kreuzviertel

Dass man auch ohne Blog prima beim Rest vom Ruhrgebiet (alternativ auch von Hamburg oder der Welt) mitmachen kann, beweist Johanna hier. Ihre Geschichte über das Dortmunder Kreuzviertel erreichte mich heute per Mail. Ich freu mich sehr und präsentiere hiermit den ersten Gastbeitrag.

Das Dortmunder Kreuzviertel…

…ist eigentlich gar kein ganzer Ortsteil, aber trotzdem gibt es schon seit einer ganzen Weile einen eigenen Wikipedia-Artikel darüber (ha, jetzt habe ich mich aber gut um die Fotos rumgemogelt!). Also muss es ja wohl was Schreibenswertes darüber geben. Oder etwa nicht?

Das Kreuzviertel liegt im Dortmunder Stadtbezirk Innenstadt-West, was die Lage eigentlich schon gut beschreibt: Nicht in der tatsächlichen „Innenstadt“, die befindet sich innerhalb des Wallrings, aber zu Fuß von dieser aus erreichbar.
Verkehrstechnisch ist das Kreuzviertel mit der S4, der U42, der U45 und noch so einigen Buslinien ganz gut ausgestattet. Nur mit dem Auto verzweifelt man hier, es gibt nämlich immer zu wenig Parkplätze. Das Gejammer der Erwachsenen darüber gehört zu meinen Kindheitserinnerungen.

Ja, hier bin ich aufgewachsen.
Wenn ich versuche, Menschen aus anderen Städten zu beschreiben, was dieses Dortmunder Viertel ausmacht, scheitere ich spätestens daran, eine Vergleichsmöglichkeit aus deren Stadt zu finden – so etwas wie das Kreuzviertel gibt es vielleicht tatsächlich nur einmal. (Da lasse ich mich aber gerne eines Besseren belehren.)

Dortmund hat zwar keine historische Altstadt mehr wie beispielsweise Hattingen, aber viele Häuser im Kreuzviertel sind zumindest gut hundert Jahre alt. Und dabei sind sie genau so, wie man sich klassische Altbauten auch vorstellt: hohe Decken, schwer heizbar, Stuck, wohin das Auge blickt. Dazu oft alte Bäume in den Straßen. Ich kann mich erinnern, dass ab und zu (Design?) Studierende aus der nahe gelegenen FH mit ihren Blöcken überall in unserer Straße saßen und Details der Fassaden abzeichneten.

Studierende – ein guter Punkt. Direkt an der Möllerbrücke findet man die ZVS (oder auch hilflose junge Menschen, die einen nach dem Weg dorthin fragen – hey, die finde ja sogar ich!). Überall gibt es gemütliche Kneipen, vor denen an warmen Abenden eine Atmosphäre herrscht wie… na, eben wie in einem netten Kneipenviertel. Nur bezahlbaren Wohnraum, den gibt es hier eigentlich nicht. Na ja.

Trotzdem ist die Altersstruktur hier sehr abwechslungsreich. Direkt neben einer fünfgruppigen Kita steht ein großes Haus Seniorenwohnungen. Junge Leute bevölkern den an das Kreuzviertel grenzenden Westpark und grillen, sobald es wärmer wird. Über das Leben im fortgeschrittenen Alter oder auch als studierender Mensch im Kreuzviertel kann ich zwar nicht viel sagen, aber als Kind hat man es dort einfach rundherum gut:
„Play Dates“ gab es in meiner Kindheit – immerhin schon in den 90-er Jahren – nach wie vor nicht, wir klingelten einfach bei unseren Freunden, kauften vielleicht im nahen Schreibwarenladen (Kemper!! Ein Miniladen mit Seele!) noch ein paar Süßigkeiten und ab ging’s auf den Spielplatz. Oder wir blieben einfach „vor der Tür“, spielten Tierfangen oder unsere Rollenspiele oder wir probierten den aktuellen Trend aus (Einrad fahren, Stelzen laufen…). Ohne irgendwem im Weg zu sein und ohne uns damit in Gefahr zu bringen.
Na, und was nicht nur Kindern gefällt: An der Lindemannstraße gibt es das Eiscafé Majer, die älteste Eisdiele der ganzen Stadt.

In diesem Viertel wohnen jede Menge Lehrerinnen und Lehrer. Meine Mutter, zum Beispiel. Und die Mutter einer meiner damaligen Freundinnen. Teilweise kannte ich meine Nachbarn schon aus der Schule, bevor sie auch noch zu meinen Nachbarn wurden und dann etwa mit meiner Mutter zusammen Sport machten – etwas skurril für alle Beteiligten. Auf jeden Fall war ich recht bald ganz gelassen, wenn ich in meiner Freizeit etwa über meine Kunstlehrerin stolperte, eine Situation, die den handelsüblichen Jugendlichen doch wohl eher verwirren würde.

Wodurch das Kreuzviertel nach außen hin (noch) bekannt ist, ist die Grünen-Dichte im politischen Sinn. Vielleicht liegt es am akademischen Milieu, aber vielleicht auch daran, dass man sich hier ein autofreies Leben tatsächlich vorstellen kann: Die bescheidene Parkplatzsituation habe ich erwähnt, aber dafür hat man immer mehrere Supermärkte in unmittelbarer Nähe, man ist nicht weit vom Stadtzentrum entfernt und kommt auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nahezu überall hin. Meine Eltern haben nach wie vor kein Auto, meine Schwester und ich haben nie den Führerschein gemacht.
Die Dortmunder Grünen treffen sich in der „Fetten Henne“ an der Kleinen Beurrhausstraße, habe ich gehört. Und in der Redtenbacherstraße ist ein Greenpeace-Büro. Ja, und lange, lange vor dem Bio-Boom existierte schon das Kornhaus, damals noch am Neuen Graben, inzwischen vergrößert an der Lindemannstraße ansässig und mit dem üblichen „bioladen“-Baldachin versehen.

„Ein Dorf in der Stadt“ – so präsentiert sich dieses Viertel gern nach außen. Und wenn man zu Kemper geht, um sich die Fernsehzeitung oder einen Collegeblock zu kaufen und erst mal abwartet, bis Frau Kemper mit einer langjährigen Kundin ihr Schwätzchen beendet hat (hinterm Tresen hängt ein Schild mit dem schönen Hinweis: „Bitte nicht hetzen, wir sind auf der Arbeit und nicht auf der Flucht“)… ja, dann glaubt man das auch. Sehr gerne.

Inzwischen wohne ich nicht mehr im Kreuzviertel. Aber wenn ich meine Eltern besuchen fahre und dabei in meine alte Straße einbiege, dann sehe ich nicht nur die einfach fotogenen Fassaden hinter den alten Bäumen und den wie aus einer verkehrten Zeit dazwischen geparkten Autos, sondern nach wie vor die Mäuerchen, auf denen man balancieren und die niedrigen Absätze, über die man auf Inline-Skates wunderbar springen kann – wie man den Ort eben sieht, an dem man aufgewachsen ist. Und ich bin schon stolz darauf, dass gerade dieser Ort mir so vertraut ist.

Spießig? Nöö. Eher ein Beispiel für „Dortmund / der Pott hat auch schöne Ecken“!

2 Antworten auf „Der Rest vom Ruhrgebiet (9): Das Dortmunder Kreuzviertel“

  1. Ich war sehr oft in der Krezviertel, geh da noch wenn ich in Dortmund bin. Ist wirklich eine sehr schöne Ecke von Dortmund. Ich kann mich errinnern als ich noch sehr frisch in Deutschland war als Austauschstudentin und hatte manchmals absolut nichts zu tun – und ich wurde manchmal in der Kreuzviertel einfach rumspazieren und die schöne Fassade bewundern, die Deutschen beobachten als die rum in ihren Leben gingen und habe auch oft in der West Park gegrillt. Ah die schöne Zeiten als alles einfach neu und immer faszinierend war und es in der Kreuzviertel zu erleben! …Vielleicht eine leichte Vergleichung wäre Essen-Rüttenscheid oder Essen-Südviertel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.