Auf Spiegel Online gab es diese Woche einen Artikel über Mäkelkinder, also solche, die dauernd am Essen rumnölen, dieses nicht essen und jenes auch nicht und das nur, wenn dies nicht drin ist. Man kennt das.
Ich war auch so ein Mäkelkind. Wobei ich noch nicht mal viel rumgemäkelt habe, ich habe nur lange Zeit relativ viel nicht gegessen. Relativ viel heißt in diesem Fall vor allem Gemüse und da vor allem gekochtes Gemüse. Paprika. Bah. Brokkoli. Pfui. Bohnen. Geht gar nicht. Blumenkohl. Igitt. Rosenkohl. Ächz. Spinat. Ürgs.
Selbst Möhren oder Erbsen waren mir eher suspekt. Ich erinnere aber auch nicht, dass die bei uns öfter auf den Tisch gekommen wäre.
Dafür gab es bei meinen Großeltern öfter Möhrengemüse. Das hab ich auch gegessen. Und Hühnersuppe, so richtig selbstgemacht aus einem richtigen Huhn, und ich hab immer das Hühnerherz bekommen und geliebt. Forelle gab es, die lag dann in der Küche so ganz komplett mit Kopf rum, hab ich auch gegessen, wobei ich damals wie heute Gräten eher so uncool finde. Kartoffeln natürlich, noch und nöcher. Im Sommer Marillenknödel und immer, wenn ich Lust drauf hatte, hat meine Oma mir ein Tomatenbrot gemacht mit dem Paderborner Brot vom Bäcker Zapp und in sechzehn kleine Stückchen geschnitten.
Ich habe Salat gegessen, viel Brot, ich bin ein Milchkind durch und durch, aber mit gekochtem Gemüse brauchte man mir nicht ankommen. Und ich bin trotzdem groß geworden und eigentlich auch nicht allzu schlecht. Glaub ich jedenfalls.
Ich habe auch keine Ahnung, ob die Tatsache, dass ich nie genötigt wurde, irgendwas zu essen, im Nachhinein dazu geführt habe, dass ich heute kaum Berührungsängste mit irgendwelchem Essen habe und sehr mutig an alles herangehe, was ich nicht kenne. Weder meine Eltern noch meine Großeltern haben mir je gesagt, ich müsste irgendwas wenigstens probieren. Mir wurde nie ein Gemüse-Nachtisch-Handel vorgeschlagen.
Das, was es nicht gab, waren Extrawürste, außer, wenn bereits bekannt war, dass ich irgendwas wirklich nicht mochte und es nicht allzu viel Arbeit war. Die mit Hackfleisch gefüllte Paprika gab es dann eben für mich ohne Paprika, Heiligabend gab es für alle Heringssalat und für mich Tomatensalat. An viel mehr kulinarische Sonderbehandlung erinnere ich mich gar nicht. Was nichts heißen muss, ich war ja noch jung und das ist alles schon länger her.
Es gab auch kein Den-Teller-Leer-Essen. Wenn man satt war, war man satt, wenn man etwas nicht mochte, dann blieb es eben liegen. Eine Ausnahme gab es. Oma mochte nicht, wenn man nur so einen Löffel voll auf dem Teller übrig ließ. Das wurde dann noch alles zusammengekratzt und gegessen. Galt aber nur für Anstandsreste, und für mich als Kind war diese Regel auch total verständlich.
Eine der traumatischsten Kindergartenerlebnisse war der eine Tag, an dem ich über Mittag bleiben sollte. Mittags gab es natürlich Mittagessen und zwar an diesem Tag mit grünen Bohnen. (Hatte ich das oben schon erwähnt? Bohnen. Geht gar nicht.) Frau Schäfer, die Kindergarten-Allround-Kraft, hatte allerdings den Gemüse-Nachtisch-Handel im Erziehungs-Repertoire. Für mich war das eine vollkommen neue und nicht im geringsten nachvollziehbare Erpressertour. Eis nur, wenn ich von den Bohnen aß?
DAFUQ?
Ich glaube, ich quälte zwei oder drei Böhnchen runter, eben um an den Nachtisch zu kommen, empfand das aber schon damals als eine sehr dreiste Nummer. Mir war nicht klar, wieso ich nicht einfach sagen konnte, dass ich keine Bohnen mochte, und gut war. Warum musste ich das essen? Auch, wenn ich bei anderen Familien zum Essen war, begegnete es mir gelegentlich wieder, diese implizite Unterstellung, man würde sich beim Essen nur anstellen und nur, wer sein Gemüse essen würde, wäre ein wirklich guter, vernünftiger Mensch. Dass ist jetzt einfach mal Gemüse nicht mochte, und auch nicht mehr mögen würde, wenn man mich kulinarisch-moralisch zum Probieren nötigen würde, wollte man mir nicht glauben, das war jedenfalls das Gefühl, was mir vermittelt wurde.
Selbstverständlich gab es dann immer die Kinder, die alles brav aßen. Die Streberkinder, rein gemüsetechnisch und da stand oder saß man nun, und nur, weil man den Spinat verweigerte, war mal auf einmal ein Mäkelkind. Dabei mochte ich doch nur keinen Spinat! Ich mäkelte noch nicht mal, ich stellte nur fest.
Natürlich gibt es genug Kinder, die sich nur von Pizza, Pommes, Nudeln und Schokolade ernähren würden, wenn man sie ließe. Ich weiß, dass ich nicht von mir auf andere schließen kann, ich habe selber keine eigenen Kinder und weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich ein Kind hätte, was regelmäßig den Teller beiseite schubsen und statt dessen die Süßigkeitenschublade leer räumen würde.
Ich kann nur das erzählen, was ich erinnere und das, was ich glaube, was daraus geworden ist. Und das ist folgendes: Ich habe so gut wie keine negative Erinnerung, die irgendwie mit Essen zusammenhängt. Ich wurde nie gezwungen, etwas zu essen. Mir wurde nie Schokolade verboten oder rationiert oder nur bei erfolgreichem Verdrückens einer festgelegten Portion Gemüse erlaubt. Ich musste nie irgendwo sitzen, bis ich aufgegessen hatte, oder was man noch so an erzieherischen Maßnahmen treffen kann. Ich musste noch nicht mal probieren.
Dafür probiere ich heute umso lieber. Ich liebe Essen. Sogar so sehr, dass ich regelmäßig einen Rosenkohl probiere, um rauszufinden, ob ich vielleicht mittlerweile Rosenkohl mag. Bislang war das Verdikt: Ich mag immer noch keinen Rosenkohl. Ich mag auch keinen Spinat und Pilze nur in Maßen. Ich kann Kohl nicht ab, außer als Salat oder Rotkohl. Ich bin extrem wählerisch, was Marmelade angeht, aus Gründen, die ich selber am wenigsten verstehe. Ich mag keine Rosinen in Zeugs, aber ich mag Rosinen pur. Meine Oma hatte früher immer ein Schüsselchen mit Rosinen im Vorratsschrank, aus dem ich regelmäßig genascht habe. Ich habe sehr positive Rosinenerinnerungen, aber ich verstehe nicht, was sie im Apfelkuchen zu suchen haben.
Insofern plädiere ich aus meiner eigenen, sehr subjektiven Erfahrung dafür, Mäkelkinder auch mal Mäkelkinder sein zu lassen. Nein, ich möchte hier niemandem vorschreiben, wie die eigenen Kinder zu erziehen sein. Dazu kenne ich die Kinder ja viel zu schlecht und ich muss das ja auch nicht tagtäglich machen.
Die Regeln, die nie explizit festgelegt wurden, aber dennoch irgendwie klar waren, habe ich verstanden: Keine Extrawürste, wenn man das Gemüse nicht mag, dann isst man eben das andere, im Zweifelsfall gibt es Salzkartoffeln mit Butter. Niemand muss essen, was er nicht mag oder wenn er satt ist, aber Anstandsreste aus purer Faulheit gildet nich.
Das meiste gibt sich später eh von alleine, und ich bin davon überzeugt, dass meine Neugier, was kulinarische Entdeckungen angeht, nicht zuletzt der Tatsache geschuldet ist, dass mich niemand gezwungen hat, irgendetwas zu essen. Mal abgesehen davon, dass ich meinen Eltern und Großeltern sehr dankbar bin, dass sie mir immer das Gefühl gegeben haben, ernst genommen zu werden. Sicher hätte ich vielleicht das ein oder andere gar nicht so schlimm gefunden, hätte man mich mit Erziehungstricks zum Probieren bekommen. Aber ich weiß nicht sicher, was mehr zählt. Der Beweis, dass grüne Bohnen gar nicht so schlimm sind (ich finde grüne Bohnen übrigens nach wie vor eher so mittelspannend) oder das Zugeständnis an das Kind, dass ein “Das mag ich nicht” als Erklärung vielleicht auch einfach reicht.
Ja! Sowas von!
Wir mussten früher alles kosten, wenn es dann aber wirklich nichtbgeschmeckt hat, mussten wir es nicht essen. Außer beider Buttergemüsemischung, da war klar,mich mag die Komponenten, dann muss ich das auch so mögen. Hat leider ein Trauma ausgelöst, das esse ich jetzt nicht mehr. Ansonsten war da wie gesagt sehr viel Freiheit, wir mussten nicht aufessen und komische Deals gab es auch nicht. Es gab aber auch nicht immer Nachtisch…
Heute übe ich Sachen zu mögen, z. b. Brokoli, den ich inzwischen echt mag. Oder Käse. Da bin ich noch in der Ubungsphase. Nur an Rosenkohl, da komm ich nicht ran. aber man muss ja auch nicht alles mögen…
Das ist wirklich sehr interessant. Ich war jahrelang auch „mäkelig“. Als kleines Kind hab ich alles gegessen, aber später dann kaum noch was. Bei meinem Bruder war es ebenso.
Für meine Eltern war das toll, im Urlaub im Restaurant aßen wir Kinder Spaghetti Bolognese oder Pommes mit Ketchup (oft haben wir uns eine Portion geteilt, nicht weil wir nicht mehr bekamen, sondern weil wir nicht mehr wollten).
Ich frage mich heute noch, wovon wir genau gelebt haben, aber geklappt hats. Groß geworden sind wir auch, mein Bruder besonders groß.
Trotzdem muss ich sagen, im Gegensatz zu dir, dass ich ans Essen früher keine wirklich positiven Erinnerungen habe. Das Wochenende wurde mir regelmäßig durch den Gedanken „Oh mann, wir müssen ja noch Mittagessen“ verdorben.
Eigentlich waren meine Eltern immer recht entspannt, wir sollten halt probieren und wenn es gar nicht ging, wars meist ok. Nur hin und wieder kriegten sie nen Rappel, ich erinnere mich lebhaft daran, wie es mal Sauerkraut gab. Und wir sollten auf jeden Fall und unter allen Umständen und mit Hängen und Würgen dieses blöde Sauerkraut essen. Mein Bruder hat sich irgendwann Honig dran getan, aber es wollte einfach nicht runtergehen. Das war grausam. Ich esse heute noch kein Sauerkraut. Ich mag es auch einfach nicht.
Den berühmten Nachtisch-Handel gab es bei uns auch nicht. Der wäre auch nie verlockend genug gewesen für uns.
Heute gehts eigentlich. Mit den Jahren hab ich entdeckt, dass Essen durchaus auch Spaß machen kann und es meistens auch schmeckt. Ich freue ich über unbekannte Sorten in unserer Gemüsekiste, da hab ich schon viel entdeckt. Und ganz frisch, gekocht und mit Butter, schmeckt sogar Rosenkohl.
In unserem Haushalt bin mittlerweile sogar eher ich der Allesesser. Der Mann, der früher immer sagte, er äße alles, entdeckt immer mehr, was er nicht mag und das steht leider oft konträr zu meinem Geschmack.
Ich hoffe, dass ich es bei potentiellem Nachwuchs irgendwann mal besser mache. Eine Phase der einseitigen Ernährung ab dem Kindergartenalter ist ja normal (da gabs auch mal nen interessanten Spiegelartikel), aber das Essen sollte schon allgemein positiv besetzt sein.
Naja, und selbst wenn nicht, ich weiß ja, dass man auch ohne Essen groß und stark werden kann. ;-)
Sehr schön. Meine Kindheit (70er) sah in dieser Hinsicht ähnlich aus. Meine Mutter kochte zwar ungern aber trotzdem sehr gut und es gab für meine Eltern und mich grundsätzlich dasselbe – keine Extrawürste, die ich auch nicht erwartet hätte. Wenn ich etwas nicht mochte, dann musste ich es nicht essen. Mir wurde vorgeschlagen, es wenigstens zu probieren, aber ich wurde nie dazu genötigt. Nachtisch gab es bei uns nie, hat auch keiner vermisst, insofern kannte ich auch keine Nachtisch-Deals. Dafür gab es zum Essen immer einen Salat (mal grünen Kopfsalat, mal Wachsbohnensalat, mal Gurken- oder Tomatensalat, Chicoréesalat etc. aber immer extra). Und was es bei uns auch immer zum Essen gab: etwas zu trinken. Das scheint zumindest damals eher ungewöhnlich zu sein, jedenfalls guckten die Mütter der Kinder, bei denen ich manchmal zu Mittag aß immer sehr erstaunt, wenn ich um ein Glas Wasser oder Milch bat (ich war auch ein Milchkind). Getrunken wurde gar nichts oder erst später.
Ich glaube, das hängt teils auch an der kriegserfahrenen Generation unserer Eltern und Großeltern, die selbst noch gehungert haben und oft eine „es wird gegessen was auf den Tisch kommt“ Haltung haben. Ich habe einfach Glück gehabt mit meiner Familie, die ihre üblen Erfahrungen nicht an mich weitergegeben haben.
Vor allem bei meinen Großeltern ist es noch erstaunlich, die hatten immerhin zwei Kriege miterlebt und danach neun Kinder großgezogen. Wahrscheinlich war da die Luft so ein bisschen raus. Allerdings hab ich auch nie im Essen rumgestochert oder miesmuffelig rumgenölt (glaub ich jedenfalls), ich mochte halt vieles einfach nicht und hab dann das gegessen, was ich mochte.
Meine Eltern hatten ja mit sowas eh nichts am Hut und ich hab ja durchaus Salat gegessen, nur halt kein Gemüse. Außerdem war ich nie so ein Süßigkeitenkind, insofern musste man da nicht irgendwie abwehrend eingreifen. Bei meinen anderen Großeltern war ich das einzige Enkelkind, da durfte ich eh alles und war mit meiner Oma regelmäßig nach dem Klavierunterricht bei McDonald’s. Hauptsache, das (Enkel-)Kind war zufrieden.
Finde ich gut, wie deine Eltern und Großeltern das geregelt haben. Ich meine, Kinder sind schließlich in der Lage, herauszufinden, ob ihnen etwas schmeckt oder nicht. Da muss man ihnen kein Essen aufwzingen und überhaupt dieses Wort „mäkelig“ – schlimm.
Ich glaube mich jedenfalls zu erinnern, dass ich kein sooo mäkeliges Kind war. Rosenkohl. Yummy. Spinat. Immer her damit. Pilze. Lecker.
Aber ein paar Dinge gibt es natürlich, die ich nicht mochte und bis heute nicht abkann, dazu gehören Spargel, Rosinen und Rote Beete. Wenn ich darüber nachdenke, esse ich heute überhaupt weniger als früher. Mein Vegetarierdasein beispielsweise wird als purer Trotz angesehen und die Köpfe werden verärgert geschüttelt, wenn ich Braten, Schmalz, Wurst und Fisch verschmähe. Aber Gemüse im Allgemeinen fand und finde ich schon ganz angenehm.
Liebe Grüße,
Karo
Paderborner mit Butter, Tomaten (die, die noch nach was schmeckten!) und Zwiebeln. OH MEIN GOTT! Da kann ich heute noch für sterben!!! Ich hab immer die Kanten vom frischgekauften Brot abgeknabbert, bevor es in Scheiben geschnitten wurde (sowas hat man früher noch selbst gemacht..).
Ich glaub ich war nie großartig mäkelig. Es gab ein paar Sachen, die ich nicht mochte (Kartoffelsalat und Bockwurst, mein persönlicher Albtraum) und die Schmand-Salatsoße meiner Mutter (die immer nach Marienkäferpipi schmeckte – also das Pipi roch so wie die Soße schmeckte… – nicht dass ich das je probiert hätte..).
Heute esse ich fast alles und bin sehr probierfreudig. Auch wenn meine Eltern mich oft gezwungen haben, was zu essen (gebratenes Hähnchen, das war immer so zäh, dass ich fast auf den Teller gekotzt hätte. Den ganzen zusammengekauten Ballen, der parout nicht runter wollte..). Ich esse heute noch nicht gerne Grillhähnchen.. So manche Sachen bleiben echt.
Was ich aber ganz schrecklich finde, sind so Kinder, die zu ALLEM nein sagen, ohne es überhaupt probiert zu haben. Oh, es ist ein Gemüse? Dann mag ich es nicht. ARRRGGGGH! Blach – probier es doch wenigstens! Gib ihm eine Chance!!!
Ich hab noch keine eigenen Kinder und bin gespannt wie es wird. Ich hoffe es kommt dabei nicht sowas raus, wie mein Schwager: der ist so gut wie überhaupt und sowieso nur Fleisch. Toll. Da macht das Kochen für die Ehefrau doch richtig Freude! *sturzkrieg*.
Schöner Artikel! Du hast echt Glück gehabt.