Über Gedichte

Bei Herrn Buddenbohm geht es heute um Gedichte und die Faszination, die so ein Gedicht, frei vorgetragen von den Eltern, bei Kindern auslösen kann.

Ich kenne mich da sehr gut aus, denn meine Mutter liebt Gedichte und kann sich sowas auch irre gut merken. Nach eigenen Angaben gehörte „Gedichte-auswendig-lernen“ zu ihren Lieblingsübungen während der Schulzeit und während andere sich abmühten, hat sie dann eben mal so lockerflockig Schillers „Die Bürgschaft“ gelernt und kommt da auch heute noch ziemlich weit. (Ich komme deswegen auch immer bis zur ersten Strophe, ohne das Gedicht einmal selbst gelesen zu haben.)

Am liebsten hab ich aber „Das alizarinblaue Zwergenkind“ gehört, das konnte sie auch besonders gut, mit diesem fulminanten Einstieg, dem enthusiastischen „Ui, fein!“, und dann zum Schluss der großen traurigen Enttäuschung. Kann ich nur empfehlen, lernt sich auch schön und hat so hübsche, geheimnisvolle Wörter. Auch ich krieg das so einigermaßen aus dem Kopf hin, bin aber besser bei Heinz Erhardts „Die Made“, das endet ja auch ganz furchtbar und traurig.

Gedichte sind eigentlich toll, man sollte mehr davon lesen und auch ein paar davon lernen, dann kann man bei langweiligen Partys auch unangenehmes Schweigen überbrücken oder so. Es findet sich bestimmt ein sinnvoller Anlass zu einer schwungvollen Rezitation. Am einfachsten ist das natürlich tatsächlich, wenn man Kinder hat, die bekanntlich von solchen Wundern nie genug kriegen können. Und ich sage das aus eigener Erfahrung, also Erfahrung als Kind, nicht als Eltern.

Dabei kenne ich gar nicht so viele Dichter und die, die ich kenne, passen gar nicht so recht zusammen. Max Goldt für das Absurdschönbekloppte, Robert Gernhardt für die überraschende Pointen und schönen Wortspielen, A.A. Milne für die Nostalgie und W.H. Auden fürs Romantischtragische. Je länger ich drüber nachdenke, desto mehr glaube ich, ich brauch dringend noch ein bisschen mehr Lyrikzeug im Bücherschrank. Erich Kästner, hat der nicht auch? Und Morgenstern und natürlich Heinz Erhardt? Und… ach, da gibt’s bestimmt noch viele tolle Menschen, deren Gereimtes man entdecken kann.

Meine Mutter kannte auch noch ein Gedicht. Eigentlich ist es gar kein Gedicht, sondern so eine Art Schüttelreim als Geschichte. Der Humor dabei ist sehr simpel, für Kinder aber äußerst faszinierend. Ich habe versucht, herauszufinden, woher diese kleine Geschichte überhaupt kommt und ob es jemanden gibt, dem man die folgenden Sätze originär zuordnen kann, die Suche verlief aber fruchtlos. Es scheint auch mehrerer Versionen zu geben, ich zitiere jetzt einfach die Version, die ich bestimmt hundert Mal gehört habe und wünsche viel Vergnügen beim Auswendiglernen.

(Anleitung: Den ersten Teil mit normalem, leicht beschwingten Tonfall vortragen, den zweiten Teil dann mit zusammengezogenen Stirnfalten und bösem, gruseligem Tonfall. So wird das was.)

Hinter einer Pappelgruppe saß der Zeichlehrer einer Kinderschule
und malte die Schattenrisse seiner seeligen Frau,
die Filetschürzchen in den Koffer packte.
Da kam der Schulmeister, sein Freund,

und begrüßte ihn mit einem warmen Händedruck.

Hinter einer Rappelpuppe saß der Leichenzehrer einer Schinderkuhle
und malte die Rattenschisse seiner freligen Sau,
die Geleepfürzchen in den Poffer kackte.
Da kam der Muhlscheißer, sein Freund,
und begrüßte ihn mit einem warmen Hundedreck.

Exotische Bräuche im Rheinland: Karneval

Kommen wir nun zu dem möglicherweise am häufigsten von Unwissenden verschrieenen Brauches im schönen Rheinland: Karneval.

Ja, es ist irgendwie schlimm. Aber auch: Ja, es ist irgendwie toll.

Eines gleich vorweg: Ich kenne Karneval nur aus der U18–Perspektive. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in einer Karnevalskneipe gewesen zu sein, ich habe an Karneval nie exzessiv Alkohol getrunken und dann fremde Leute geknutscht, ich war kein einziges Mal an Weiberfastnacht mit Milliarden anderer Leute in der Kölner Altstadt. Ich war noch nicht mal auf dem Rosenmontagszug.

Aber als Kind, jahaha! Da wurde Karneval gefeiert. Karneval bedeutete nämlich genau zwei Sachen: Erstens durfte man sich verkleiden und zweitens gab es Süßigkeiten in Massen und für umme! Man musste sich sich nur ein bisschen die Lunge aus dem Hals brüllen und stundenlang im Kalten stehen, aber was macht man nicht alles so als Kind für Gratissüßkram.

Karneval in Köln ist eigentlich einfach erklärt. Man verkleidet sich und dann geht man auf einen Karnevalszug, steht am Straßenrand, ruft “Kamelle” und “Strüssje”, sammelt den Kram auf (oder fängt ihn gekonnt aus der Luft, wenn man nicht ich ist) und dann ist der Spaß je nach Zuglänge nach ein bis vier Stunden vorbei.

Was die Züge angeht, hat man da große Auswahl, jedes “Veedel”, also jeder Stadtteil, hat seinen eigenen, das ist Kölner Karnevalsstolz, da machste nix. Sogar in unserer kleinen Bruder-Klaus-Siedlung hatten wir unseren eigenen Zug. Der war aber wirklich sehr, sehr klein, aber auch faszinierend, wenn in der Garage des Nachbarn am Karnevalswagen gebastelt wurde und die Vorstellung, man könnte selber auf so einem Wagen stehen damit durchaus vorstellbarer wurde.

Auf der anderen Seite hatte ich schnell geblickt: Auf einem Wagen stehen ist zwar obercool, aber dann muss man die Süßigkeiten ja den anderen zuwerfen und hat selber gar nichts davon. Ist ja doof. Dann lieber Fußvolk sein und am Ende des Tages tütenweise Süßigkeiten auf dem Boden ausschütten, sortieren und begutachten.

Weil meine Eltern wohl vernünftig genug waren, die Menschenmassen beim Rosenmontagszug zu meiden, kenne ich dieses Phänomen auch nur aus dem Fernseher. A-ha-ber: Wir hatten dafür den Veedelszoch in Köln-Ehrenfeld. Und der war auch lang. Sehr lang. Sehr, sehr lang. Und dementsprechend ergiebig. Stundenlang konnte man da an der Venloer Straße stehen, “Kamelle!”, “Strüssje!” und “Kölle Alaaf!” brüllen und tütenweise Kram fangen und aufheben und dann am Abend mit glänzenden Augen vor Bergen Süßkram sitzen, von denen man mindestens die Hälfte unter normalen Umständen nie selbst gekauft hätte, aber im Karneval gelten andere Regeln.

Mal abgesehen davon, dass es da ja auch durchaus Objekte der Begierde gab, die in der Erfolgsstatistik mit deutlich mehr Punkten verbucht werden konnten als der übliche Bonbonkram. Schokoladentafeln zum Bespiel, oder, fast schon Königsdisziplin, Pralinenschachteln. Aber eben auch die “Strüssje”, also kleine Blumensträußchen, die zwar eher so ein bisschen Erwachsenenkram waren, dadurch aber eben noch attraktiver wurden, weil schwerer zu ergattern.

Was es auch standardmäßig gab: Schwämme. Das kann mir vielleicht auch noch mal irgendwer erklären, was das mit den Schwämmen sollte. Schwämme gab es nämlich immer, große quaderförmige Schwämme. Man weiß es nicht.

Außerdem Karnevalskapellen. Karnevalskapellen liefen zwischen den großen Wagen und hatten den nicht unwichtigen Nachteil, dass Menschen, die Querflöte oder Trommel spielen üblicherweise nicht gleichzeitig Kamelle werfen können. Gefühlt kommt so ein Karnevalszug übrigens immer genau dann zu einem temporären Stillstand, wenn gerade eine Karnevalskapelle vor einem steht. Wahrscheinlich stimmt das nicht, aber ich behaupte trotzdem, dass das so war. Ist ja auch egal.

Kostüme übrigens waren sehr oft selbstgemacht. An das Engelkostüm erinnere ich mich gar nicht mehr, aber die Meerjungfrau hat meine Mama in liebevoller Detailarbeit angefertigt, genauso wie den Schmetterling. Als Schmetterling ging ich übrigens mit meiner Cousine im Partnerlook, was man auf dem Beweisbild schlecht sehen kann, weil sie offensichtlich zum Tragen einer Jacke genötigt wurde. Total doof, da kann man ja gar nicht demonstrieren, dass man Flügel hat.

Das Clownkostüm scheint mir irgendwo käuflich erworben, im Nachhinein fand ich das auch eher doof. Ich bin kein Clownkostümtyp, aber man probiert ja alles mal aus. Als Prinzessin hatte ich total hübsche Löckchen, für die meine Mama die Haare am Vorabend zu ganz vielen kleinen Zöpfchen flocht. Sieht man auf dem Beweisbild leider auch nicht.

Wovon ich gerade keine Beweisbilder habe: Ich als Zauberin mit einer umfunktionierten Schultüte als Hut, ich mit meiner Cousine für den alternativen Geisterzug kostümiert mit einer sehr, sehr gruseligen Marionette um den Hals und ich als “N”.

Das mit dem “N” war aber schon zu Teenagerzeiten, da wurde man ein bisschen subtiler bei der Kostümgestaltung. Das “N” war eine Hommage an das berühmte Preisrätsel bei Schmidteinander und bestand aus zwei großen aus Pappe ausgeschnittenen “N”s, die ich mir an zwei Schnüren verbunden über die Schultern hängte. Total einfach. Natascha erklärte sich bereit, als “D” zu gehen, und so liefen wir an Weiberfastnacht als “Ende” (Kapiert? N-D. En-De. Ende! Ach, egal.) durch die Schule. Hat, wenn ich mich richtig erinnere, exakt einer verstanden. Aber gut, war eben auch total subtil.

Wie immer könnte man noch stundenlang weitererzählen, über die zu Karnevalszeiten erstaunlich beweglichen Omas, die einem beim Kamellefangen immer dazwischensprangen, über die fiesen Cowboypistolen, vor denen ich immer ein bisschen Angst hatte, über die Karnevalslieder, von denen ich dann doch erstaunlich viele problemlos mitsingen kann, über die Karnevalssitzungen in der Schule, über den Geisterzug, bei dem man nachts durch Köln zieht und bei dem es keine Süßigkeiten, aber dafür Sambatrommelgruppen gibt, und und und…

Karneval ist gar nicht so schlimm, jedenfalls nicht, so wie ich den kenne. Aber ich kenne ja auch keinen Kneipenkarneval mit Betrinken und Fremdeleuteknutschen. Ich kenn nur den mit Verkleiden und Süßigkeiten. Und der war immer sehr toll und aufregend.

Letztlich ist es so wie mit allen Traditionen, man kann das gar nicht erklären. Wer die “aufgesetzte” Lustigkeit anprangert, dem ist vielleicht nicht klar, dass sich die Karnevalsjecken ja tatsächlich irre auf diese paar Tage freuen und zwar schon seit Monaten. Die sind nicht aufgesetzt lustig, die finden das wirklich gut.

Man muss das nicht verstehen. Man muss es auch nicht gut finden. Aber es gehört eben irgendwie dazu. Und auch, wenn ich selber nicht da stehen möchte, weil mir das zu viele Menschen sind und es kalt ist und überhaupt, aber wenn ich jetzt so auf dem Sofa sitze, mir ein bisschen die Bronchien aus dem Körper huste und gleichzeitig WDR gucke, mit den Karnevalsfeiern aus Köln und Düsseldorf und Bonn, dann geht mein Kölsches Herzchen auf und ich freu mich mit. Weil’s eben doch dazugehört, zum Rheinland und eben auch ein bisschen zu mir. Da kann man nix machen.

Und bevor wir jetzt zur ultimativen Fotoshow kommen, noch mal zum Mitschreiben: Es heißt “Karneval” (was auch darf: „Fastelovend“) und es heißt “Alaaf!”. Alles andere ist Unfug.

Bei Extramittel gibt’s auch ein schönes Plädoyer für mehr Karnevalstoleranz.

Engel

1984 als Engel.

Meerjungfrau

1985 als Meerjungfrau (KEIN TÜMPEL!).

Prinzessin

1986 als Prinzessin. Die Krone ist von Woolworth.

Schmetterling

Vermutlich 1987 im Partnerlook als Schmetterling. MIT FLÜGELN!

Clown

Irgendwann als unscharfer und tendenziell unglücklicher Clown. Das war nix.

Meinen Brokkoli aß ich nicht.

Auf Spiegel Online gab es diese Woche einen Artikel über Mäkelkinder, also solche, die dauernd am Essen rumnölen, dieses nicht essen und jenes auch nicht und das nur, wenn dies nicht drin ist. Man kennt das.

Ich war auch so ein Mäkelkind. Wobei ich noch nicht mal viel rumgemäkelt habe, ich habe nur lange Zeit relativ viel nicht gegessen. Relativ viel heißt in diesem Fall vor allem Gemüse und da vor allem gekochtes Gemüse. Paprika. Bah. Brokkoli. Pfui. Bohnen. Geht gar nicht. Blumenkohl. Igitt. Rosenkohl. Ächz. Spinat. Ürgs.

Selbst Möhren oder Erbsen waren mir eher suspekt. Ich erinnere aber auch nicht, dass die bei uns öfter auf den Tisch gekommen wäre.

Dafür gab es bei meinen Großeltern öfter Möhrengemüse. Das hab ich auch gegessen. Und Hühnersuppe, so richtig selbstgemacht aus einem richtigen Huhn, und ich hab immer das Hühnerherz bekommen und geliebt. Forelle gab es, die lag dann in der Küche so ganz komplett mit Kopf rum, hab ich auch gegessen, wobei ich damals wie heute Gräten eher so uncool finde. Kartoffeln natürlich, noch und nöcher. Im Sommer Marillenknödel und immer, wenn ich Lust drauf hatte, hat meine Oma mir ein Tomatenbrot gemacht mit dem Paderborner Brot vom Bäcker Zapp und in sechzehn kleine Stückchen geschnitten.

Ich habe Salat gegessen, viel Brot, ich bin ein Milchkind durch und durch, aber mit gekochtem Gemüse brauchte man mir nicht ankommen. Und ich bin trotzdem groß geworden und eigentlich auch nicht allzu schlecht. Glaub ich jedenfalls.

Ich habe auch keine Ahnung, ob die Tatsache, dass ich nie genötigt wurde, irgendwas zu essen, im Nachhinein dazu geführt habe, dass ich heute kaum Berührungsängste mit irgendwelchem Essen habe und sehr mutig an alles herangehe, was ich nicht kenne. Weder meine Eltern noch meine Großeltern haben mir je gesagt, ich müsste irgendwas wenigstens probieren. Mir wurde nie ein Gemüse-Nachtisch-Handel vorgeschlagen.

Das, was es nicht gab, waren Extrawürste, außer, wenn bereits bekannt war, dass ich irgendwas wirklich nicht mochte und es nicht allzu viel Arbeit war. Die mit Hackfleisch gefüllte Paprika gab es dann eben für mich ohne Paprika, Heiligabend gab es für alle Heringssalat und für mich Tomatensalat. An viel mehr kulinarische Sonderbehandlung erinnere ich mich gar nicht. Was nichts heißen muss, ich war ja noch jung und das ist alles schon länger her.

Es gab auch kein Den-Teller-Leer-Essen. Wenn man satt war, war man satt, wenn man etwas nicht mochte, dann blieb es eben liegen. Eine Ausnahme gab es. Oma mochte nicht, wenn man nur so einen Löffel voll auf dem Teller übrig ließ. Das wurde dann noch alles zusammengekratzt und gegessen. Galt aber nur für Anstandsreste, und für mich als Kind war diese Regel auch total verständlich.

Eine der traumatischsten Kindergartenerlebnisse war der eine Tag, an dem ich über Mittag bleiben sollte. Mittags gab es natürlich Mittagessen und zwar an diesem Tag mit grünen Bohnen. (Hatte ich das oben schon erwähnt? Bohnen. Geht gar nicht.) Frau Schäfer, die Kindergarten-Allround-Kraft, hatte allerdings den Gemüse-Nachtisch-Handel im Erziehungs-Repertoire. Für mich war das eine vollkommen neue und nicht im geringsten nachvollziehbare Erpressertour. Eis nur, wenn ich von den Bohnen aß?

DAFUQ?

Ich glaube, ich quälte zwei oder drei Böhnchen runter, eben um an den Nachtisch zu kommen, empfand das aber schon damals als eine sehr dreiste Nummer. Mir war nicht klar, wieso ich nicht einfach sagen konnte, dass ich keine Bohnen mochte, und gut war. Warum musste ich das essen? Auch, wenn ich bei anderen Familien zum Essen war, begegnete es mir gelegentlich wieder, diese implizite Unterstellung, man würde sich beim Essen nur anstellen und nur, wer sein Gemüse essen würde, wäre ein wirklich guter, vernünftiger Mensch. Dass ist jetzt einfach mal Gemüse nicht mochte, und auch nicht mehr mögen würde, wenn man mich kulinarisch-moralisch zum Probieren nötigen würde, wollte man mir nicht glauben, das war jedenfalls das Gefühl, was mir vermittelt wurde.

Selbstverständlich gab es dann immer die Kinder, die alles brav aßen. Die Streberkinder, rein gemüsetechnisch und da stand oder saß man nun, und nur, weil man den Spinat verweigerte, war mal auf einmal ein Mäkelkind. Dabei mochte ich doch nur keinen Spinat! Ich mäkelte noch nicht mal, ich stellte nur fest.

Natürlich gibt es genug Kinder, die sich nur von Pizza, Pommes, Nudeln und Schokolade ernähren würden, wenn man sie ließe. Ich weiß, dass ich nicht von mir auf andere schließen kann, ich habe selber keine eigenen Kinder und weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich ein Kind hätte, was regelmäßig den Teller beiseite schubsen und statt dessen die Süßigkeitenschublade leer räumen würde.

Ich kann nur das erzählen, was ich erinnere und das, was ich glaube, was daraus geworden ist. Und das ist folgendes: Ich habe so gut wie keine negative Erinnerung, die irgendwie mit Essen zusammenhängt. Ich wurde nie gezwungen, etwas zu essen. Mir wurde nie Schokolade verboten oder rationiert oder nur bei erfolgreichem Verdrückens einer festgelegten Portion Gemüse erlaubt. Ich musste nie irgendwo sitzen, bis ich aufgegessen hatte, oder was man noch so an erzieherischen Maßnahmen treffen kann. Ich musste noch nicht mal probieren.

Dafür probiere ich heute umso lieber. Ich liebe Essen. Sogar so sehr, dass ich regelmäßig einen Rosenkohl probiere, um rauszufinden, ob ich vielleicht mittlerweile Rosenkohl mag. Bislang war das Verdikt: Ich mag immer noch keinen Rosenkohl. Ich mag auch keinen Spinat und Pilze nur in Maßen. Ich kann Kohl nicht ab, außer als Salat oder Rotkohl. Ich bin extrem wählerisch, was Marmelade angeht, aus Gründen, die ich selber am wenigsten verstehe. Ich mag keine Rosinen in Zeugs, aber ich mag Rosinen pur. Meine Oma hatte früher immer ein Schüsselchen mit Rosinen im Vorratsschrank, aus dem ich regelmäßig genascht habe. Ich habe sehr positive Rosinenerinnerungen, aber ich verstehe nicht, was sie im Apfelkuchen zu suchen haben.

Insofern plädiere ich aus meiner eigenen, sehr subjektiven Erfahrung dafür, Mäkelkinder auch mal Mäkelkinder sein zu lassen. Nein, ich möchte hier niemandem vorschreiben, wie die eigenen Kinder zu erziehen sein. Dazu kenne ich die Kinder ja viel zu schlecht und ich muss das ja auch nicht tagtäglich machen.

Die Regeln, die nie explizit festgelegt wurden, aber dennoch irgendwie klar waren, habe ich verstanden: Keine Extrawürste, wenn man das Gemüse nicht mag, dann isst man eben das andere, im Zweifelsfall gibt es Salzkartoffeln mit Butter. Niemand muss essen, was er nicht mag oder wenn er satt ist, aber Anstandsreste aus purer Faulheit gildet nich.

Das meiste gibt sich später eh von alleine, und ich bin davon überzeugt, dass meine Neugier, was kulinarische Entdeckungen angeht, nicht zuletzt der Tatsache geschuldet ist, dass mich niemand gezwungen hat, irgendetwas zu essen. Mal abgesehen davon, dass ich meinen Eltern und Großeltern sehr dankbar bin, dass sie mir immer das Gefühl gegeben haben, ernst genommen zu werden. Sicher hätte ich vielleicht das ein oder andere gar nicht so schlimm gefunden, hätte man mich mit Erziehungstricks zum Probieren bekommen. Aber ich weiß nicht sicher, was mehr zählt. Der Beweis, dass grüne Bohnen gar nicht so schlimm sind (ich finde grüne Bohnen übrigens nach wie vor eher so mittelspannend) oder das Zugeständnis an das Kind, dass ein “Das mag ich nicht” als Erklärung vielleicht auch einfach reicht.

Ein Plätzchentrauma und eine Verlosung

Was meine Mutter und ich noch so gemeinsam haben: Wir backen eigentlich lieber, als dass wir das Produkt dann auch essen. Das ist bei mir noch ein bisschen ausgeprägter als bei ihr, glaube ich jedenfalls, aber wir sind beide ganz groß im Verteilen von Selbstgebackenem, weil wir gerade Lust hatten, was zu backen und da jetzt eben ein Kuchen ist, der irgendwie weg muss.

Wenigstens können wir auch backen, da bin ich jetzt einfach mal nicht bescheiden.

Was wir auch beide gemeinsam haben, ist ein Plätzchentrauma. Meine Mutter nennt es zwar nicht so, aber da ihr Plätzchentrauma mit meinem unmittelbar zusammenhängt, muss ich die Geschichte eh von Anfang an erzählen.

Ich hatte ja letztens schon erwähnt, dass meine Großeltern neun Kinder hatten. Jetzt ist es so, dass sich bei so einer Kinderzahl die Prioritäten mitunter etwas verschieben. Das bedeutet dann, dass zu Weihnachten zwar schon fleißig Plätzchen gebacken werden, es mit der Liebe zum Detail aber etwas düster aussieht, weil es doch eher auf Quantität als auf Qualität ankommt. Wenn dann mal an einem Stern eine Zacke fehlt, ganz egal, schmeckt ja trotzdem.

Allem nachvollziehbarem Pragmatismus zum Trotz konnte meine Mutter sich mit dieser etwas lieblosen Herangehensweise nicht anfreunden und legt, seit ich denken kann, einen gewissen Plätzchenperfektionismus an den Tag. Da fehlt keine Zacke am Zimtstern, der Eischnee ist einwandfrei glatt darauf gestrichen und bei den Vanillekipferl sieht eins schöner aus als das andere oder eben einfach alle gleich schön.

Ich will gar nicht wissen, was meine Mutter so aushalten musste, als ich noch kleiner war und das Plätzchenbacken noch nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit anging. Mittlerweile weiß ich aus eigener Erfahrung, welche inneren Qualen man da so erleidet. Dabei geht es weniger um die Unordnung, die kann man ja später wegmachen, sondern um den armen Plätzchenteig, der da von Kinder- oder wahlweise Laienhänden so unsachgemäß und nachlässig gehandhabt wird.

Denn ich bin leider genauso geworden und stehe nun jeden Dezember im Schatten meiner Perfektionsplätzchenbackmutter. Ein hartes Los, was aber immerhin dazu führt, dass meine Plätzchen auch immer sehr hübsch werden, erstens, weil ich es gar nicht anders kenne und kann und zweitens, weil es ja auch durchaus passieren kann, dass so eine Plätzchendose den Weg zu meinen Eltern findet. Da will man ja auch was vorzeigen können.

Dank meinem Plätzchentrauma dauerte es auch nicht lange, bis ich mich beim Kollegenplätzchenbacken vor zwei Jahren aufs Aufräumen und Abwaschen beschränkte, weil ich das Elend, das sich am Wohnzimmertisch abspielte, nicht mit angucken konnte und die Kollegen völlig unverständlicherweise nicht auf meine Ermahnungen hören wollten.

“Hauptsache ist doch, es macht Spaß”, war das alberne Argument, das meinem Wimmern entgegengesetzt wurde. “NEIN, DAS MUSS SCHÖN AUSSEHEN!” entgegnete ich hilflos und flüchtete wieder in die Küche, um Schüsseln zu spülen, während die Kollegen weiterhin fröhlich Teig misshandelten und ungleich große Plätzchen formten. Es war furchtbar.

Kommen wir zu den guten Nachrichten zurück: Ich backe gerne, ich backe gut und meistens sieht das Ergebnis auch noch recht passabel aus.

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Und jetzt die richtig gute Nachricht: Ich verteile das so unheimlich gerne und schnüre Päckchen mit Plätzchenvariationen, dass auch die Leser dieses Blogs etwas davon haben sollen. Weil mir aber gestern klar wurde, dass ich mich nie im Leben entscheiden könnte, wer eine Plätzchenladung abkriegt, das Budget aber begrenzt ist (weniger für die Plätzchen als für das elende Drumherum mit Päckchen und Porto), muss eine andere Idee her.

Deswegen verlose ich jetzt drei (DREI!) wunderbare Weihnachtsplätzchenpakete. Was da genau drin ist, kann ich noch nicht sagen, denn das meiste muss ich ja erst backen. Ziemlich sicher werden Vanillekipferl (s. Abb.) dabei sein, und vermutlich nichts mit Rosinen.

Was ihr dafür tun müsst, ist ganz einfach und entspricht den üblichen Blogverlosungsverfahren: Einfach unter DIESEM Blogartikel bis… öhm… sagen wir dem 14.12. einen Kommentar hinterlassen und fertig. Bitte das Email-Feld nicht leer lassen, damit ich euch auch kontaktieren kann.

Von der Verlosung ausgeschlossen ist prinzipiell niemand, noch nicht mal enge Verwandte, allerdings werde ich die Leute, denen ich sowieso Plätzchen schenken wollte, aus der Lostrommel rausnehmen. Aber das ist ja nicht schlimm, die bekommen ja sowieso Plätzchen. Außerdem versende ich nur nach Deutschland, es sei denn, ich bekomme wertvolle Tipps, wie man günstig und problemlos Plätzchen ins Ausland versendet.

Ein kleiner Hinweis noch am Schluss: Ich backe weder vegan noch laktosefrei, verwende weißes Mehl, weißen Zucker und normale Butter.

So. Und jetzt kann’s losgehen. Viel Spaß und viel Glück!

Der Rest der Welt: Die Bruder-Klaus-Siedlung in Köln

UPDATE: Da der Artikel über die Bruder-Klaus-Siedlung zu den meistkommentierten meines Blogs gehört und sich hier anscheinend zahlreiche ehemalige und Noch-Bewohner der Siedlung wiedertreffen, habe ich nicht mal wieder recherchiert:

Am 29.9.2019 findet laut meinen Recherchen das diesjährige Pfarrfest der Pfarrgemeinde St. Bruder Klaus statt. Wenn alles klappt, werden ich und einige Verwandte aus dem Kohnen-Clan auch kommen und regen an, dass auch der ein oder andere, der sich hier im Blog über den Artikel und die Erinnerungen gefreut hat, vielleicht zu einem inoffiziellen Ehemaligentreffen einfindet.

Genaueres kann man dem Pfarrkalender entnehmen. Die Messe mit anschließender Prozession findet um 10 Uhr statt.

 

Während Hamburg über Hamburg schreibt und das Ruhrgebiet übers Ruhrgebiet, sammelt Isa alles über den Rest der Welt. Und weil ich immerhin auch mal in Köln gelebt habe, schreibe ich jetzt mal darüber, wie das da so war. Damals. Vor zwanzig Jahren.

Die ersten dreizehn Jahre meines Lebens habe ich in dem gleichen Haus gelebt, in dem meine Mutter die ersten dreiundreißig Jahre ihres Lebens gelebt hat. Die Straße, in der wir lebten, war eine T-förmige Sackgasse und das Haus, in dem wir lebten, befand sich am rechten Ende des Querbalkens dieses T’s.

Und diese Straße, in der wir lebten, die gar nicht Straße hieß, sondern Klause, die befand sich in der Bruder-Klaus-Siedlung, und diese Siedlung befand sich, eingerahmt von der A3 auf der einen und der Bahntrasse zwischen Düsseldorf und Köln auf der anderen Seite am nördlichen Zipfel von Köln, kurz vor Leverkusen. Gerüchten zufolge liegt die Bruder-Klaus-Siedlung auch sehr günstig genau in der Einflugschneise zum Kölner Flughafen, aber davon habe ich nichts bemerkt. Wenn einen nur ein schmaler Schleichweg und eine halbherzige Schallschutzmauer von der A3 trennen, dann fallen Flugzeuge rein lärmtechnisch gar nicht mehr so ins Gewicht.

Es hat ja auch Vorteile, wenn man direkt an der Autobahn wohnt. Man ist zum Beispiel unheimlich schnell auf der Autobahn. Außerdem erschließen sich neue Freizeitbeschäftigungen, denn man kann auf der kleinen Brücke über der Autobahn stehen und den Autofahrern zuwinken und dabei zählen, wie viele a) zurückwinken, b) zurückblinken oder gar c) zurückhupen. Das können andere Kinder nicht so einfach.

Damals(TM), also zwischen 1980 und 1993 konnte man in der Bruder-Klaus-Siedlung eigentlich sehr prima wohnen. Es gab einen Kindergarten und eine Grundschule und zwei Bushaltestellen, die einen nach Köln-Mülheim brachten. In der Mitte der Siedlung stand die Kirche, daneben war das Wäldchen, das seit jeher “Wella” genannt wurde, sowie das kleine Einkaufszentrum, bestehend aus Supermarkt, Metzger, Bäcker, Getränkemarkt, Zeitschriftenladen und Frisör. Sogar eine Gemeindebücherei gab es und ein Jugendheim, das seltsam nach Knete roch.

Die Bruder-Klaus-Siedlung wurde in den frühen fünfziger Jahren komplett neu erbaut, meine Großeltern gehörten zu der ersten Generation der Siedlungsbewohner, man kannte sich also. Man kannte mich dementsprechend auch, entweder, weil man mich kannte, oder weil man meine Mutter kannte oder weil man meine Großeltern kannte. In der Bruder-Klaus-Siedlung zu leben war ein bisschen wie auf dem Dorf, nur ohne Natur und Tiere, sondern halt mit Autobahn und direkt an der Grenze zwischen einer Großstadt und den letzten Ausläufern des Leverkusener Bayerwerks.

So ganz objektiv gesehen, ist die Bruder-Klaus-Siedlung ein guter Kandidat für die Feststellung: “Also, schön ist das nicht.” Nein, ist es nicht. Hier reihen sich die in den fünfziger und sechziger Jahren eiligst hochgezogenen Ein- und Mehrfamilienhäuser aneinander, gelegentlich quetscht sich ein Neu- oder Umbau aus den Achtzigern dazwischen. Nein, schön ist das nicht. Auch die Kirche ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie man Architektur vielleicht eher nicht machen sollte. Trotzdem hat man das irgendwann aus irgendeinem Grund so gemacht, und es ist ja trotzdem Zuhause, man kannte es ja nie anders.

Dafür fuhren die Autos nur Schrittempo, ging ja in den kleinen Straßen nicht schneller, und wir Kinder durften eigentlich alles, auf der Straße mit Kreide malen, überall mit den Fahrrädern rumfahren, im Wella Schlitten fahren, auf der Autobahnbrücke den Autofahrern zuwinken, einkaufen gehen oder zu irgendeiner Freundin spielen gehen. Vielleicht sind wir deswegen auch ganz gut geraten, weil wir uns eben in unserer Kindheit gepflegt austoben durften.

Zuger Klause

Zuger Klause mit Blick auf die Berner Straße

Irgendwann hieß es mal, im Wella würde sich ein gefährlicher Mann rumtreiben, möglicherweise fielen auch die Wörter “pervers” oder “Exhibitionist”, aber ich war noch zu jung, um diese Wörter einordnen zu können. Das wenige, was ich davon verstand, sorgte vor allem für Irritation. Na ja schön, man hatte schon ein bisschen Angst, weil so beängstigend und sorgenvoll davon berichtet wurde, aber dann dachte ich auch wieder: Aha, da ist jemand der nackt oder ein bisschen nackt durchs Wella läuft, aber das ist doch in erster Linie mal sein Problem. Ich habe den Mann aus den Gerüchten auch nie gesehen, das Wella hat also in meiner Erinnerung seine Unschuld behalten dürfen.

Statt dessen sammelten wir im Mai im Wella Wiesenschaumkraut und boten dieses dann in eher stümperhaft zusammengedröselten Sträußchen vorm Supermarkt für 50 Pfennig feil. Mitleidige Menschen, die in uns die Enkel ihrer langjährigen Bekannten erkannten, kauften diese Sträußchen dann auch gelegentlich.

Wenn im Winter Schnee lag, konnte man im Wella Schlitten fahren und ansonsten blieb immer noch der Spielplatz, mit den Wippen und Schaukeln und dem großen M, einem Klettergerüst, das eben wie ein großes M aussah. Im Sommer war hier das Sommerfest, mit Hüpfburg und Gewinnspielen und anderen lustigen Sachen, zu Sankt Martin war hier das Martinsfeuer.

Es gibt da auch einen Friedhof, den “Neuen Mülheimer Friedhof” nämlich, und auf diesem Friedhof ist ein großes Grab, in dem schon meine Uroma, zwei meiner Onkel und meine Großeltern liegen und jetzt ist vermutlich kein Platz mehr. Ein paar Schritte weiter liegt mein anderer Opa, wir sind da eher pragmatisch. Das ist auch der Grund, warum ich immer noch gelegentlich in der Siedlung bin und dann werde ich immer sehr traurig, denn so schön, wie es damals war, so einfach und so idyllisch, so ist es leider nicht mehr.

Das liegt nicht nur daran, dass von den drei Generationen, die mich mit der Siedlung verbunden hat, nur noch die mittlere hier wohnt, also die Generation der Eltern meiner Freunde. Die Eltern der Eltern meiner Freunde sind mittlerweile fast alle schon tot und die Freunde wohnen wohl woanders, davon gehe ich jedenfalls aus.

Den Supermarkt gibt es nicht mehr, den Metzger auch nicht, der Zeitschriftenladen ist schon lange Zeit weg. Übrig geblieben sind nur der Bäcker und ein Getränkeladen, das ist aber auch nicht mehr der gleiche Getränkeladen wie damals. Schlimmer noch, die ganzen Geschäfte sind nicht nur weg, sie stehen auch einfach nur noch leer und rotten so langsam vor sich hin.

Wahrscheinlich sitzen hier auch keine Kinder mehr vor den leeren Geschäften und versuchen, Wiesenschaumkraut an den Mann zu bringen, denn das Wella ist ebenfalls größtenteils zugewuchert und die meisten Spielgeräte abmontiert.

Weil die A3 jetzt ausgebaut wurde, wurde die kleine Brücke erst abgerissen und dann eine neue gebaut, aber offensichtlich nicht breit genug, oder vielmehr, genauso breit wie vorher, aber mit breiterem Bürgersteig und jetzt ist die Straße nicht mehr breit genug für zwei Autos nebeneinander, und die Brücke aber zu lang, als dass man an einem Ende schon sehen könnte, ob am anderen Ende schon jemand kommt. Also darf man jetzt nicht mit dem Auto über die Brücke.

Die Häuser stehen noch und es wohnen Menschen darin, und sie – also die Häuser, nicht die Menschen – sehen größtenteils noch so aus, wie damals, die Einfamilienhäuser und die dreistöckigen Mehrfamilienhäuser am Luzerner Weg und am Baseler Weg. Den Kindergarten gibt es auch noch, genauso wie die Grundschule, es ist also noch nicht alles verloren.

Das Haus, in dem wir gewohnt haben, steht auch noch, mein Opa hat es damals an den Sohn eines Bekannten verkauft. Der Sohn des Bekannten hat dann alles umbauen wollen und ein bisschen damit angefangen und dann aber irgendwie die Lust verloren und als wir das letzte Mal da waren, wohnte immer noch keiner drin und drinnen war Bauruine. Der Sohn des Bekannten hat dann nämlich einfach das Haus nebenan auch noch gekauft, und da wohnt er jetzt drin, oder vielleicht auch nicht, die letzten Gerüchte diesbezüglich sind ja auch schon was länger her.

Zuger Klause

Das Haus ganz am rechten Ende des Querbalkens des T’s. Sah vor zwanzig Jahren genauso aus, nur mit anderem Auto davor.

Früher wohnten wir da zu fünft, unten meine Großeltern, oben meine Eltern und ich. Das Haus war aber nie als Zweiparteienhaus gedacht, obwohl es sogar größer war als die Standardklausenhäuser. Das ging, weil es ja ein Eckhaus war und war bitter nötig, weil meine Großeltern neun Kinder hatten. Aber die ganzen dreizehn Jahre, die wir so gewohnt haben, gab es nur eine Haustür und nur eine Klingel und wer zu uns wollte, der musste an der gleichen Haustür auf die gleiche Klingel drücken wie jemand, der zu meinen Großeltern wollte.

Aber man ist ja erfinderisch, und deswegen gab es einen erprobten und bewährten Klingelcode. Einmal klingeln für unten, zweimal klingeln für oben. Stand auch draußen dran, vor zwanzig Jahren.

Exotische Bräuche: Sankt Martin im Rheinland

Unfassbarerweise stellte sich neulich heraus, dass es in Deutschland Gegenden gibt, wo man zu Sankt Martin gar nicht mit seiner Laterne von Haus zu Haus zieht, Menschen mit traditionellem Liedgut entzückt und dafür dann Süßigkeiten abstaubt.

Schlimmer noch. Es wird nicht nur nicht so gemacht, sondern es ist auch völlig unbekannt, dass es woanders so gemacht wird.

Dieses Unwissen muss bekämpft werden und deswegen werde ich jetzt berichten, wie wir damals am Kölner Stadtrand Sankt Martin gefeiert haben UND WIE DAS HOFFENTLICH HEUTE AUCH NOCH GEMACHT WIRD! (’schuldigung, es ging so mit mir durch.)

Jedes Jahr fing es mit dem Laternenbasteln an. Laternen, so habe ich das zumindest verstanden, werden auch andernorts gebastelt, man läuft wohl auch damit rum, und es gibt einen Sankt Martin und ein Martinsfeuer, aber ungefähr da scheinen die Gemeinsamkeiten aufzuhören. Trotzdem muss man ja irgendwo anfangen und vielleicht hilft es dem Verständnis dieser exotischen Rheinlandsbrauchtümer, wenn ich mit etwas Bekanntem und damit Fassbaren beginne.

Laternen also. Im Kindergarten bastelt man welche, später in der Grundschule, spätestens auf dem Gymnasium ist man dann aber selber dafür verantwortlich, aber da lässt die Bereitschaft zum Laternenumzug auch schnell nach, lediglich die Aussicht auf umsonstige Süßigkeiten lassen einen vielleicht noch ein oder zwei Jahre mitmachen, danach ist man endgültig aus der Laternelaufnummer raus. Es sei denn, man ist meine Mutter, aber dazu später.

Meine erste Laterne war ein Hahn. Luftballon aufpusten, schön dick mit Leim und bunten Transparentpapierfetzen bekleben, trocknen lassen, bis es hart ist, dann Luftballon zerstecken, oben muss man eh ein Loch lassen, und dann vorne den Hahnenkopf und hinten den Schwanz aus Pappe. So ungefähr. Ich erinnere nur noch den Hahn und das Haus mit den bunten Fenstern und die Sonnenblumenlaterne.

Wenn die Laternen fertig sind und endlich Sankt Martin ist, dann gibt es den großen Laternenumzug mit Sankt Martin und Kapelle und Feuer und Weckmännern und Kladderadatsch. Kindergarten und Schule hinterm Pferd her, die Kapelle spielt das gesamte Martinsliederrepertoire (so viel isses ja nicht), und dann noch immer dieses eine Weihnachtslied, das anscheinend gar nicht wirklich eins ist, weil es ja immer schon zu Sankt Martin gespielt wird, hier… Dingens… “Lasst uns froh und munter sein”.

Man zieht also mit seiner Laterne so hinter dem Sankt Martin auf seinem Pferd und der Kapelle durch die kleine Siedlung bis zum Martinsfeuer her. Bei uns war das Martinsfeuer im “Wella”. Das Wella war das Wäldchen mitten in der Siedlung, wo auch im Sommer das große Sommerfest war und der Spielplatz und im Mai das Wiesenschaumkraut blühte und man im Winter Schlitten fahren konnte. Im Wella war auch das Martinsfeuer, da stand man dann drumrum und bekam dann irgendwann seinen Weckmann, mit den Rosinenaugen und der fiesen Pfeife, die man, obwohl sie eklig schmeckte, ja doch in den Mund steckte. Wenn man Glück hatte, war noch ein Kirschlolli am Weckmann.

Auch das scheint sich noch einigermaßen mit den Bräuchen anderer Regionen zu decken. Aber das war ja eigentlich alles nur der Pflichtteil. Das Basteln, Rumziehen, Vorm-Feuer-Rumstehen, alles ein notwendiges Übel auf dem Weg zum eigentlichen, wichtigen Teil der ganzen Veranstaltung. Die Kür, der Hauptteil, das alles kam ja jetzt erst noch.

Jetzt durfte man nämlich mit den Eltern und später auch alleine mit den Freunden losziehen und an jeder verdammten Tür klingeln, ein Liedchen vorträllern und dafür Süßigkeiten einheimsen. Gesundheitsbewusste Leute gaben auch gerne mal Mandarinen oder Äpfel, aber insgesamt setzte sich die Beute doch aus Schokoriegeln, Bonbons und ähnlichem Kram zusammen.

Man sang “Laterne, Laterne”, “Ich gehe mit meiner Laterne”, “Durch die Straßen”, “Sankt Martin” und das kölsche Martinslied von däm hellijen Zinter Mätes, meistens immer nur die erste Strophe, weil man ja weiterwollte, aber die erste Strophe von irgendwas wurde tapfer gesungen, dabei die Laterne vorsichtig geschwenkt und nachher der Beutel aufgehalten und dann ging’s zum nächsten Haus. Wir haben damals fast ausschließlich Privathäuser abgeklappert, das ging auch, weil es eben eine kleine Stadtrandsiedlung war, wo eh jeder jeden kannte und die allerhöchsten Hochhäuser drei Etagen hatten mit zwei Parteien pro Etage, also machbar.

Wir hatten übrigens Kerzen in den Laternen, immer, jedes Jahr, bis zum bitteren Ende. Diese kleinen batteriebetriebenen funzeligen Leuchten waren mir als Kind schon höchstsuspekt und das wird auch so bleiben. Nur Kerzen leuchten wirklich schön, mal abgesehen, dass man da gleich lernt, Verantwortung zu übernehmen, schließlich will man ja nicht, dass die Laterne abfackelt. Da lernt man fürs Leben, echt jetzt.

Ich bin dementsprechend auch der Meinung, man hat nur richtig gelebt, wenn einem mindestens einmal eine Laterne abgebrannt ist. Meine Laterne fing vor der Tür von Familie Spottke Feuer und fand ein trauriges Ende. Der Zufall wollte es aber, dass ich genau in diesem Jahr aus mir nicht mehr bekannten Gründen zwei Laternen hatte, die in der Schule gebastelte und die mit meiner Mutter gebastelte. Außerdem waren wir eh anscheinend fast zu Hause, denn Spottkes wohnten ja in unserer Straße. Traurig war es trotzdem und ich glaube, ich habe geweint.

Es gibt auch keine Bilder von mir und meinen Laternen. Fotos von mir in Karnevalskostümen gibt es satt, Laternen schienen irgendwie kein spannendes Fotomotiv zu sein. Dafür wurden die Laternen auf dem Speicher gehortet, denn Wegschmeißen war selbstverständlicherweise verboten, die hatte man schließlich nicht mit Herzblut gebastelt und ganz, ganz vorsichtig durch die Siedlung getragen, um sie danach einfach wegzuwerfen.

Meine Oma, bei der wir ja auch wohnten, hatte zu Sankt Martin immer selbstgebackene Lebkuchen. Dafür war sie bekannt. Bei uns gab es weder Bonbons noch Schokolade noch suspektes Obst. ES GAB LEBKUCHEN! Jedes Jahr gab es Lebkuchen, ganz verlässlich, und angeblich kamen zu uns auch noch die Leute, die schon längst erwachsen waren, aber sich zu Sankt Martin zumindest einen von Omas Lebkuchen ersingen wollten. Am Ende des Abends konnte man im Flur auf der Treppe sitzen und noch ein bisschen mit dabei sein, wenn jemand an der eigenen Tür klingelte, die erste Strophe von irgendwas sang und dafür Lebkuchen bekam. Das scheint mir immer noch ein sehr guter Abschluss für den Sankt-Martins-Zug zu sein. Heute würde ich sagen: Alles richtig gemacht.

Immer wieder mache ich zu Sankt Martin zwei Bleche Lebkuchen in der vollkommen verzweifelten Hoffnung, dass sich mal ein Kind im Großstadtdschungel zu uns verirren könnte. Im Ruhrgebiet. In den vierten Stock. In Düsseldorf stand ich da mit meinen Lebkuchen und musste feststellen, dass die Kinder nur an den Geschäften und Restaurants halt machten. Zu uns wollte keiner, dabei musste man dazu sogar nur in den ersten Stock. Ich war einmal kurz davor, mich mit einem Eimer Lebkuchen vors Haus zu stellen, verwarf die Idee dann aber doch als etwas zu eigentümlich.

Ich weiß nicht, woran es liegt, ob daran, dass wir jetzt eben doch mitten in der Stadt wohnen, wo die höchsten Häuser gerne mehr als drei Etagen haben und ich gerade mal unsere Nachbarn kenne (immerhin). Vielleicht liegt es auch an der Region, vielleicht sind die Zeiten auch vorbei, und man macht das heute nicht mehr so. Halloween lehne ich ab, für ein Kind mit Laterne würde ich sicher etwas für den Süßigkeitenbeutel finden. Aber es kommt ja keins.

Und mit meiner Mutter, das war so: Die zog nämlich, da war sie schon längst auf dem Gymnasium, mit ein paar Freundinnen los, mit einer Gitarre und einem traurigen selbstgeschriebenen Sankt-Martins-Lied und dann kamen sie aber nur bis zum Siedlungsbäcker Zapp und wurden da zur Belohnung für das schöne Lied von den Bäckereifachverkäuferinnen mit Kurzen abgefüllt. Aber die Geschichte erzählt sie natürlich selbst viel besser, sie war schließlich dabei. Ich weiß noch nicht mal mehr genau, wie’s ausging, aber ich glaube die Geschichte endet üblicherweise mit dem Satz “Der Sylvia geht’s nicht so gut”.

So ist das mit den exotischen Bräuchen im Rheinland. Und im Februar erzähl ich dann, wie das mit Karneval funktioniert.

Wie im Kindergarten

Ich beginne am besten einfach mit ein paar Tweets von heute:

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Woraufhin ich kurz über meine interne Kindergartenkarriere nachdachte und überlegte, das könnte doch ein schönes Thema für einen Blogartikel sein. Pia Ziefle erhoffte sich dadurch auch eventuelle Erkenntnisse über regionale Unterschiede, ich möchte jetzt hier nichts versprechen und fang einfach mal an.

Wir befinden uns in Köln, rechtsrheinisch (JA JA, ICH WEISS UND ICH MÖCHTE NICHTS HÖREN!) und ziemlich im Norden, genauer gesagt in der Bruder-Klaus-Siedlung. Die Zeit: Anfang der Achtziger Jahre.

Wir hatten drei Gruppen im Kindergarten, ich war in der Affenbande. Affen fand ich schon als Kind eher problematisch. Erstens hatte ich kein Bedürfnis danach, krakelend durch irgendwelche Bäume zu toben, zweitens mag ich keine Bananen und drittens finde ich Affen generell gruselig. Mal einen Schimpansen grinsen gesehen? Der führt doch was im Schilde! Echt jetzt! Das kann mir keiner erzählen, dass der nicht gerade überlegt, wie er einem möglichst effektiv in naher Zukunft Ärger macht.

Jedenfalls kam eine Identifikation mit Affen bei mir nicht in Frage. Aber da muss man durch. Die andere Gruppe war die Turnschuhbande, was allerdings für ein Kind, das Bücher schon immer lieber mochte als Bälle identifikationstechnisch auch nicht besser gewesen wäre. Wie die dritte Gruppe hieß, weiß ich nicht mehr.

Meine Kindergartenerzieherin war Frau Specht. Die anderen beiden hießen Frau Olschewski und Frau Eitelgörge und nein, ich denke mir diese Namen jetzt nicht aus, aber ich fand sie schon damals äußerst faszinierend.

Eine interne Kindergartenkarriere gab es nicht. Man kam in eine Gruppe und da war man Kind und dann wurde man älter und war immer noch Kind und irgendwann kam man in die Schule. Mir war bis heute auch nicht klar, dass es sowas gibt. Wie geht das? Wird man da befördert? Offiziell? Mit Feierlichkeit? Muss man einen Test bestehen? Schleife binden? Eine Sonne malen?

Meine beste Freundin auf dem Gymnasium erzählte mit glänzenden Augen davon, dass sie im Kindergarten Schleifenkönigin war. Sowas gab’s bei uns gar nicht. Bei uns gab’s nur Tür-zum-Hof-Aufschließen. Wer die Tür zum Hof aufschließen durfte, war der König. Das war aus Gründen, die mir heute recht schleierhaft sind, das größte Ding. Ich habe heute keine besondere Beziehung zum Aufschließen von Türen, aber damals muss da irgendwas dran gewesen sein.

Was es bei uns auch gab: Eine große Reifenschaukel im Hof. Dummerweise gab es viele Kinder, aber nur eine Reifenschaukel. Aus irgendeinem Grund waren wir immer einer zuviel und das bedeutete, dass sich einer oder eine in den Reifen legen musste. Wer auf diese bescheuerte Idee gekommen ist, weiß ich nicht, aber zusammengekauert in einem Autoreifen zu liegen war der Alternative gar nicht zu schaukeln vorzuziehen. Was für Ängste hatte ich, möglicherweise mal auserkoren zu werden, mich in den Reifen legen zu müssen. Glücklicherweise war eine unhinterfragte Annahme, dass der kleinste die arme Socke sein müsste und da fiel das Los auf den Bruder von Daniela, der war nämlich jünger und kleiner. Der Arme.

Also. Affenbande. Keinerlei Karrierechancen. Auch keine Schleifenköniginoption, lediglich Türaufschließen. Und dann auch noch Reifenschaukelpanik.

Klingt furchtbar, war’s aber nicht. Soweit ich mich erinnere, mochte ich es im Kindergarten. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, Aufstände beim Abliefern gemacht zu haben, aber darauf kommen wir später noch zu sprechen. Außerdem hatte mein Kleiderhaken ein Eichhörnchen drauf. Immerhin etwas.

So war das bei uns im Kindergarten. Es wurde gespielt und gebastelt in verschiedenen Ecken und manchmal gab es Sport in der kleinen Turnhalle. Wahrscheinlich war es wie in den meisten anderen Kindergärten Anfang der Achtziger Jahre. Vielleicht war es aber in anderen Kindergärten ganz anders. Vielleicht ist es heute ganz anders als früher. Ich bitte um Aufklärung.

Und was das Abliefern am Kindergarten angeht, war ich wohl doch nicht so harmlos wie ich immer glaubte. Meine Mutter berichtete nämlich letztens, dass ich regelmäßig rumgezetert hätte, wenn sie oder meine Oma mich zum Kindergarten gebracht hätten. Einmal, als mich mein Vater in den Kindergarten brachte, habe ich ihm dann gesagt: „Papa, ich find das viel besser, wenn du mich bringst, dann muss ich mich nicht immer so anstellen.“

Aber daran kann ich mich jetzt wirklich nicht erinnern.

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Wie man Bobos macht

Zutaten

Wo ich gerade so schön Torten backe und die Rezepte dafür aufschreibe, habe ich mich daran erinnert, dass es noch irgendwo ein Rezept für Karamellbonbons (besser bekannt als Bobos bzw. Bogbogs) haben müsste, dass ich (das weiß ich dank meiner Oma, die jedes Bild und Schriftstück ihrer einzigen Enkeltochter penibelst datiert hat) im Januar 1987 niedergeschrieben habe. Ich habe dieses Zeitdokument dann heute Abend total überraschend dann tatsächlich in einer der vielen Lagerkisten gefunden und möchte es der Welt nicht vorenthalten.

Die paar Rechtschreibfehler und die fehlenden Mengenangaben bitte ich zu entschuldigen. Ich wurde zu diesem Zeitpunkt noch gegen meinen Willen im Kindergarten festgehalten und musste mir jeden Scheiß selber beibringen. Und dass Mengenangaben hilfreich sein könnten, war mir wohl auch irgendwie entgangen.

Rezept

 

Falls es wider Erwarten nicht gut zu lesen sein sollte (man kann das Bild auch anklicken, dann wird es größer), hier der originale Wortlaut dieses sensationellen Rezeptes:

ZUTATEN FÜR BOBOS

MEHL EINE MEGE ZUKER SANE UND EIN BISCHI SAZL UND FETT VANLILE

DAS ALLES IN EINEN TOPF TUEN UNND KÄFTIG UMRÜRNEN

WEEN MAN DAS GEMACHT HAT LSEST MAN ES NOCH WARM WERDEN

DAN LEGT MAN ES AUF EINE PLTTE UND LEGT ES AUFEINANDAR

DAN SNEIDET MAN DEN TEIG IN KLEINE STÜKE DIE UNGEFER SO AUSEHEN UND DAN IST DAS BOGBOG FERTIG

Man beachte auch die 1A-Illustrationen, die ja wohl sehr genau zeigen, wie die Bobos nachher aussehen sollen. Ich finde, ich kann da ganz schön stolz auf mich sein. Die Karriere als Foodblogger hat also doch schon sehr früh ihren Ursprung gehabt. Es war mehr oder weniger unvermeidlich.

Stücke

Disclaimer: Dieser Post wurde parallel auf meinem “normalen” und dem Foodblog veröffentlicht, da er zu beiden passt und ich mich nicht entscheiden konnte. Wer beide Blogs liest, der entschuldige bitte die Redundanz, alle anderen ignorieren diese Information einfach.

Auch ich bin für Opladen

Oma ist jetzt im Heim. Das ist gut für Oma, Oma wollte ins Heim, denn seit Opa tot ist, ist sie allein zu Hause und seit sie einmal überfahren wurde und sich danach extrem geschickt nochmal ein Bein gebrochen hat, geht’s auch nicht mehr ohne Rollator. Oma ist zäh, aber so zäh dann auch wieder nicht.

Jetzt hat sie endlich, endlich ein Apartment im Seniorenheim bekommen. Das ist ein sehr schönes Seniorenheim, man kann hier erstmal ein paar Jahre wohnen und sich selbst versorgen, und wenn’s dann nicht mehr geht, dann muss man nicht mehr umziehen. Außerdem ist es mitten in der Fußgängerzone, also kann Oma mit dem Rollator zu Woolworth und zum Supermarkt und im Sommer dann auch ins Eiscafé, das ist nämlich aber mal so direkt um die Ecke, das hängt ja fast schon am Seniorenheim mit dran.

Dass Oma jetzt im Heim ist, ist also für alle Beteiligten eine gute Nachricht.

Für die Enkeltochter, also mich, bedeutet das auch, dass Oma- und Elternbesuch jetzt recht mühelos miteinander verknüpft werden können, wie auch letzten Freitag geschehen. Ich war also wieder mal in Opladen.

Opladen ist sehr toll. Es fängt schon damit an, dass Opladen offiziell zu Leverkusen gehört, was aber eigentlich alle, denen was daran liegt, so gut wie möglich verleugnen. Ähnlich wie im Ruhrgebiet läuft auch hier die große “Wir wollen unser altes Autokennzeichen wiederhaben”-Aktion und auch am Bahnhof steht nichts von Leverkusen.

Opladen hat auch eine eigene Fußgängerzone, die war aber auch mal schöner, jedenfalls erinnere ich das so. Zwar gibt es noch ein Schild, das auf den Teeladen hinweist, der hat aber schon seit Jahren zu, es ist wohl nur noch niemand auf die Idee gekommen, das Schild abzunehmen. Von den ehemals zwei Bücherläden hat nur noch einer auf, und der auch nicht so richtig, da hängt nämlich ein Schild, dass wegen technischer Störungen oder so auf Weiteres zu ist. Möglichweise ist das Licht kaputt, ich weiß es nicht, kann auch nicht fragen, ist ja zu.

Positiv zu vermerken ist, dass die drei Eiscafés, die logischerweise alle nebeneinander im letzten Viertel der Fußgängerzone liegen, anscheinend keinerlei Existenzprobleme haben. Außerdem gibt es jetzt einen Merzenich, angeblich schon seit Jahren, wie mir meine Eltern versichern, ich hab ihn Freitag zum ersten Mal gesehen. Der Kuchen beim Merzenich ist aber laut Oma nicht so gut. Mit Kuchen kennt sie sich aus.

Was vor allem auch immer noch steht, was mich glücklich macht und hoffnungsfroh in die Zukunft schauen lässt: Den Opladener Grill gibt es auch noch. Diesen kleinen vollkommen schmucklosen Imbiss, in dem ich im Alter zwischen 14 und 18 nach der Schule mit Natascha große Mengen an Pommes Frites weggefuttert habe, es gibt ihn noch. Ich seufze einmal nostalgisch in mich rein.

Dann ist ja alles gut.

Bahnhof

Gleis 5

Hässlich

Kacheln

Gleis 2 und 5

Bus

Doofe Ampel

Kunst

Ja!

Grill

Bubble Tea

Six Degrees

Beim Mutter-Geburtstag erzähle ich den Freunden meiner Eltern: „Ich hab neulich noch an euch gedacht.“

„Es ist nämlich so, dass ich auf einer Lesung war, und einer von den drei Fragezeichen hat die deutsche Übersetzung gelesen und der hat auch eine Hörspielfirma…“

„Ja ja, die L.“ sagen sie da sofort.

Es stimmt, die L. arbeitet da. Ein seltsames Gefühl irgendwie, ganz zufällig einen Namen zu sehen von einem Menschen, den ich eigentlich gar nicht kenne und auch nie wirklich gekannt hab, den ich aber sofort zuordnen kann, und sofort an andere Leute denke, die ich seit Jahren nicht gesehen habe, die ich dann aber doch wieder treffe, beim Geburtstag eben. Und die die L. kennen, weil die nämlich mit ihrer Tochter befreundet war oder ist und ich war ja auch ein bisschen mit der Tochter befreundet, so wie man halt mit jemandem befreundet ist, der im gleichen Alter ist und deren Eltern mit den eigenen Eltern befreundet sind. So eben.

Und dann erzählen sie ein bisschen von der L. und von der N., das ist die Schwester und vom M., das ist der Bruder.

Und als sie vom M. erzählen, da guckt meine Cousine ein bisschen komisch. Die streichelt gerade den Hund, also den Hund, den einzig wahren Hund, der nichts mehr hört, und hauptsächlich noch rumliegt, sich aber auch sehr freut, wenn man zur Tür reinkommt.

Den M., sagt sie, den kennt sie jetzt aber. Also die Cousine. Das ist nämlich der Freund von der K. (oder der C., wer weiß, wie so Namen geschrieben werden), und mit der ist sie ziemlich gut befreundet.

„Und der M. ist gerade Onkel geworden“, sagt die Cousine.

„Genau“, sagen die Freunde. „Die N. hat nämlich ein Kind gekriegt.“

Und so ist das dann wohl, das man in seinem Leben so ziemlich vielen Menschen über den Weg läuft und eh mal sich’s versieht, arbeitet eine in Berlin bei einer Hörspielproduktion und der Bruder ist der Freund von der Freundin von der Cousine und das mit den Six Degrees klingt mal wieder wie ein ziemlich überzeugendes Dingens.