Was Sie schon immer über Frauenzählen wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten.

In den letzten Tagen entbrannte mal wieder eine Diskussion um Frauenzählen, Frauenquote, Verantwortlichkeiten und andere vermeintliche Befindlichkeiten. In diesem Fall ging es um die brandeins. Eine Abonnentin hatte sich aus einem dumpfen Gefühl heraus die Mühe gemacht, in der aktuellen brandeins und einigen alten Ausgaben Frauen zu zählen und war zu einem für sie wenig befriedigenden Ergebnis gekommen, was sie der Zeitschrift auf Facebook kundtat.

Das hätte auch vermutlich gar nicht so viele Leute aufgeregt, wenn die brandeins bzw. einer ihrer Redakteure darauf nicht eher unglücklich reagiert hätte. Die brandeins würde eben nicht auf eine Quote achten, hieß es, es gäbe halt Themen und dann würde man sich Leute überlegen, die dazu passen würden und das wären dann eben oft keine Frauen. Als diese Antwort nicht besonders überraschend gar nicht gut ankam, wunderte man sich, es wäre doch gar nicht so gemeint gewesen, und es könne ja jemand gerne 50 intelligente Frauen vorschlagen.

Wer mehr über diese Diskussion lesen will, Felix Schwenzel hat das sehr schön zusammengefasst. In Anbetracht dessen, dass eine ähnliche Diskussion kürzlich bei dem Crowdfunding-Projekt der Krautreporter aufebbte, versuche ich aber nun mal, einige der häufigsten Fragen und Gegenargumente zu beantworten bzw. zu entkräftigen.

 

1. Was sind wir denn für eine Gesellschaft, in der Leute Frauen zählen?/Das ist doch Erbsenzählerei!/Habt ihr nichts besseres zu tun?

Ich habe hier schon mal darüber geschrieben, warum ich Frauen zähle. Im Wesentlichen geht es darum, einen brauch- und vorzeigbaren Beweis für ein dumpfes Gefühl zu haben. Das Gefühl nämlich, ob des Geschlechtes unterrepräsentiert zu sein. Ich möchte im Zweifelsfall nicht sagen müssen: “Ich habe das Gefühl, dass bei X oder Y zu wenig Frauen vorkommen.” Ich möchte sagen können: “Bei X oder Y kommen zu wenig Frauen vor. Ich habe nämlich nachgezählt und folgende Zahlen sind dabei herausgekommen.”

Außerdem geht es darum, strukturelle Probleme aufzudecken und das geht eben am besten erst mal über Quantität. Einfacher gesagt: Ich muss gar nicht über die Qualität diskutieren, wenn ich schon bei der Quantität ein Problem habe. (Anne Roth zählt zum Beispiel schon seit längerem Frauen bei Konferenzen.)

Oder noch anders gesagt: Ich kann die Rahmenbedingungen kritisieren, ohne dass ich den Inhalt kritisiere. Zwei Paar Schuhe.

Ein Beispiel: Im letzten Jahr gab es zwei Mal einen Thementag mit Konzerten, einmal auf irgendeinem ZDF-Spartensender und einmal auf 3sat. Den ganzen Tag Konzerte. Von morgens bis spät in die Nacht. Bei dem ZDF-Spartensender gab es exakt ein Konzert einer Frau. Cyndi Lauper. Nachts um drei. Bei 3sat sah es ein bisschen besser aus, immerhin gab es drei oder vier Konzerte von insgesamt über zwanzig, was aber eben immer noch wahnwitzig traurig ist.

Wir reden hier nicht über die IT-Branche oder eine Ingenieurszeitschrift, sondern um Musikkonzerte, wo es doch nun wirklich möglich sein sollte, mehr als drei oder vier ausreichend interessante Künstlerinnen zu finden. Die Tatsache, dass in der Redaktion, das diese Auswahl getroffen hat, niemand auf die Idee gekommen ist, dass dieses Verhältnis, ganz gelinde gesagt, problematisch sein könnte, finde ich bemerkenswert. Und nicht auf eine gute Art.

Und was die Frage „Habt ihr nichts besseres zu tun?“ angeht: Erstens kann ich recht schnell zählen und zweitens habe ich in so einer Situation tatsächlich nichts besseres zu tun, als für mein diffuses Gefühl eine solide Datenbasis zu erlangen. Um nämlich dann sagen zu können: „Nein, es ist kein Einzelfall und nein, ich bilde mir das auch nicht ein.“

 

2. Aber es geht doch um den Inhalt!

Ja. Und?

“Es geht um den Inhalt” ist eines der schlechtesten Argumente überhaupt, denn es ist genauso irreführend wie implizit beleidigend.

Frauen machen ungefähr 50 Prozent unserer Gesellschaft aus. Zu behaupten, es wäre nicht möglich, unter diesen 50 Prozent ausreichend interessante Menschen für Thema A bis Z zu finden, ist schlichtweg eine nette Formulierung von “Männer sind halt interessanter als Frauen”, was wiederum eine nette Formulierung von “Frauen sind zu vernachlässigen”ist.

Im schlimmsten Falle befinden wir uns hier in einer Todesspirale. Zeitschrift X interviewt männlichen Experten Y zu Thema Z. Zeitschrift V möchte jetzt auch darüber berichten, kennt das Interview aus Zeitschrift X und fragt aus naheliegenden Gründen bei Experten Y nach, ob er nicht auch. Sendung W möchte jetzt einen kleinen Beitrag zu Thema Z machen, recherchiert und findet Experten Y bei Zeitschrift X und V, denkt sich “Ja, der muss sich ja auskennen!” und fragt mal nach. Auf die Idee, dass es zu Thema Z auch noch drölfzig interessante Experten sowohl weiblichen als auch männlichen Geschlechts geben könnte, kommt zu diesem Zeitpunkt niemand mehr.

 

3. Zeitschrift X/Organisation Y/Konferenz Z hat nun mal keine Pflicht, einer Frauenquote gleich zu kommen!

Nein, hat sie nicht. Muss sie auch nicht tun. Aber sie verliert mich dann halt möglicherweise als Interessentin. Wem das egal ist, das ist dann nicht mein Problem. Genauso wenig wie es eine Pflicht zur Frauenquote gibt, genauso wenig habe ich eine Pflicht, mich für Produkte, die die Existenz von Frauen ignorieren zu interessieren.

 

4. Wir wollen hier die Realität abbilden, und da gibt es halt in Branche X nicht so viele Frauen!

Ein zugegebenermaßen auf den ersten Blick sehr valides Argument, dass sich aber auch ganz gut auseinanderdröseln lässt.

Ich arbeite als Softwareentwicklerin, mein Mann arbeitet in der Energiebranche. Ja, es ist schwierig. Aber ich kenne weibliche Softwareentwicklerinnen und ich kenne weibliche Ingenieurinnen. Es gibt uns!

Niemand erwartet eine Verzerrung der Realität, doch auch hier scheint es mir ein großer Teil Bequemlichkeit zu sein, der dazu führt, dass in männerdominierten Branchen auch hauptsächlich Männer porträtiert werden. Und das führt wieder zu einer Todesspirale, nur halt zu einer noch schlimmeren. Denn, wenn in Zeitschriften, Fernsehsendungen und auf Konferenzen immer nur Männer als Macher, Manager und Experten reden, dann müssen wir uns auch nicht wundern, wenn sich in der Realität nichts ändert. Wie auch, wenn dauernd vermittelt wird, dass Frauen nichts Interessantes zu sagen hätten.

Dieses Argument klingt okay, ist aber bitterböse und sagt: “Wir haben kein Interesse daran, die Realität zu ändern.” Kann man natürlich machen, da muss jeder selber wissen, welchen Anspruch er an sich selbst stellt. Von einer Zeitschrift wie der brandeins, die von sich selber wohl gerne behaupten würde, auch jenseits des Tellerrands zu agieren, kann ich jedenfalls durchaus auch erwarten, dass sie in der Lage ist, sich über die üblichen Geschlechterstereotype hinwegzusetzen.

 

5. Dann macht es doch selber besser!/Macht doch einfach mal selber Vorschläge!

Die kurze Antwort: That’s not my fucking job!

Die längere Antwort: Kennt ihr diese Szene, wenn in irgendeiner Castingshow ein Kandidat ausgebuht wird und dann beleidigt sagt: “Kommt doch auf die Bühne und macht es besser!”

Was hier missverstanden wird: Ich kann eine Leistung kritisieren und nicht gut finden, ohne dass ich selber in der Lage sein muss, es besser machen zu können. Ich kann – um Felix Beispiel aufzugreifen – in einem Restaurant das Essen kritisieren, weil es versalzen ist, ohne dass ich selber überhaupt kochen können muss.

Genauso bin ich nicht in der Verantwortlichkeit, eine Zeitschrift mit besserer Frauenquote zu veröffentlichen, nur weil ich eine andere wegen ihrer schlechten Frauenquote kritisiere. Da sind schon Leute, die von sich behaupten, sie könnten gute Zeitschriften herausbringen, und ich muss ihnen zutrauen, sich dieser Aufgabe stellen zu können. Und zwar ohne meine Hilfe.

Ich bin auch nicht verantwortlich dafür, Vorschläge zu machen oder den Verantwortlichen bei der Suche nach geeigneten Gesprächspartnerinnen oder Speakerinnen zu helfen. Ich gehe davon aus, dass sie das sehr gut alleine können, weil sie hoffentlich Profis sind und einen entsprechenden Anspruch an ihre eigene Arbeit haben.

Anatol Stefanowitsch hat dazu unlängst auch etwas Kluges geschrieben.

 

6. Aber mit dem Finger auf Zeitschrift X/Organisation Y/Konferenz Z bringt doch auch nichts und in Afrika sterben die Kinder!

Im besten Fall bringt es ein paar Leute dazu, umzudenken und sich in Zukunft mehr Mühe zu geben, ein bisschen länger zu suchen und nicht immer die gleichen Leute zu fragen. Das wäre mal ein Anfang.

Oftmals wird Kritik hier auch als böser Fingerzeig verstanden. Doch meist ist ja das Gegenteil der Fall. Julia Mnsk ist Abonnentin der brandeins, also offensichtlich interessiert an dieser Zeitschrift. Mit ihrer Kritik teilt sie den Machern dieser Zeitschrift mit, dass sie etwas stört und fragt, ob es nicht möglich wäre, daran etwas zu ändern.

Genauso sah es vermutlich auch bei vielen Kritikern des Frauenverhältnisses bei den Krautreportern aus. Nur, wenn mich etwas grundsätzlich interessiert, habe ich auch ein Interesse, die Verantwortlichen darauf hinzuweisen. Wird Kritik niedergebügelt oder ignoriert, ist die Chance, dass ich später bereit bin, mein Geld in diese Richtung auszugeben, recht gering.

Es gibt hier also zwei Optionen: Nichts sagen und Zeitschrift X/Organisation Y/Konferenz Z in Zukunft nicht mehr zu unterstützen. Oder eben Kritik äußern in der Hoffnung, dass sich etwas ändert und man auch in Zukunft mit einem guten Gefühl Geld in diese Richtung schubsen kann.

36 Antworten auf „Was Sie schon immer über Frauenzählen wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten.“

  1. Vielen Dank. Am Wochenende hatte ich mal wieder ein ebenfalls nettes Beispiel. Die Absolventenfeier der Universität Bonn. Man freute sich, dass 2/3 der AbsolventInnen Frauen waren und ließ dann nur Männer reden. Drei der fünf Festredner (Rektor, Dekan und AStA-Vorsitzender) waren qua Amt bestimmt, die übrigen zwei (berühmter Alumnus der Uni und jemand aus den Reihen der AbsolventInnen) waren quasi frei wählbar.

    1. das ist nun wirklich ein sehr gutes Beispiel für Diskriminierung, aber genau die Beobachtung wonach 2/3 der AbsolventInnen Frauen sind ist der Unterschied zu Annes Beispiel.
      Du kennst das Verhältnis und Dir stößt diese Bevorzugung des „einen Drittels“ zu recht sauer auf, denn hier werden die tatsächlichen Verhältnisse zugunsten der Minderheit ignoriert.
      Allerdings vermisse ich bei Annes Kritik genau diese Beschreibung der Verhältnisse die die „Verhältnismässigkeit“ vorgeben würde.
      Angenommen es wären 10 Redner noch „frei“ wählbar gewesen, welches Geschlechter-Verhältnis hätten diese? 7:3 bzw 6:4 gemäß der AbsolventInnenzahlen?
      wäre auch „50:50“ bei den freien Rednern für Dich „in Ordnung“ gewesen wenn 80% der AbsolventInnen Frauen gewesen wären?

  2. So ein guter Text von Dir und dann ist wieder der „Du lebst Dein Leben falsch!“ verlinkt.
    Als ob ich mit als angestellter Softwareentwickler in nicht-leitender Position irgendwie aussuchen könnte, mit wie vielen Frauen ich zusammenarbeite (ja, es sind sehr wenige).
    :-(

    1. So habe ich den Text von Anatol Stefanowitsch gar nicht verstanden. Natürlich gibt es immer Limitationen, gerade auf der Arbeit, wo man sich ja vieles nicht aussuchen darf.

      Ich habe es vielmehr so verstanden, dass es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass man sich mit den Frauen in seinem privaten und beruflichen Umfeld auch über Sach- und Fachthemen unterhält. Mein Mann und ich reden ja auch über die Arbeit, dabei habe ich bedingt Ahnung vom Kraftwerkbau und er ist kein Softwareentwickler, aber wir finden da durchaus fachliche Aspekte, zu denen wir beide was zu sagen haben und lernen ja auch von dem, was der andere erzählt.

      Das heißt dann nicht, dass ich zwingend bei einem Ingenieursprojekt als Kandidatin geeignet wäre, es macht nur einen generellen Unterschied, ob ich in meinem Alltag Frauen als gleichwertige Diskussionspartner jenseits von Smalltalk wahrnehme oder ob ich das nicht tue. Dann fallen mir nämlich, sobald es um mögliche Mitmacher für irgendein Projekt geht, tatsächlich nur Männer ein.

      1. „es macht nur einen generellen Unterschied, ob ich in meinem Alltag Frauen als gleichwertige Diskussionspartner jenseits von Smalltalk wahrnehme“

        Guter Punkt! Als ich vor ca. 3 Jahren einen Artikel über Frank Schirmacher schrieb, erwähnte ich dies einigen Kolleginnen (zwischen 30 und mitte 40) gegenüber. Keine wusste, wer Frank Schirmacher war.
        Seitdem erwähne ich diesen Kolleginnen gegenüber Themen außerhalb des „weiblichen“ Interessenkreises nicht mehr.

    2. So habe ich den Text übrigens auch nie verstanden (Schreibs nur, weil ich ihn auch schon oft verlinkt habe).
      Schau doch mal wem du followst oder frage dich, wenn jmd dich fragen würde: Ich suche BloggerInnen für ein xy Projekt, ob dir da nur Männer einfallen würden.
      Nicht? Siehste. Du bist nicht gemeint.

      1. Stefanowitsch hat das mM eben nicht so eng gefasst, deshalb sehe ich hier schon faschistoide Tendenzen.
        Dass zu wenig Frauen in den Schaltzentralen sitzen ist unbestritten, die Konsequenz daraus kann doch nciht sein, jedes Projekt auf den Frauengehalt hin zu untersuchen.
        Krautreporter ist ein sehr gutes Beispiel. Da wurde ja nicht nur die mangelenden Frauen kritisiert, auch die fehlenden Migrationshintergründe.
        Es kann im Umkehrschluss ja nicht sein, dass jedes Projekt auf Quote abgeklopft wird und jedes Team sich rechtfertigen muss, warum Frauen, Behinderte oder Menschen mit Migrationshintergrund zu wenig vertreten sind.

        1. Wenn du dir die Wortwahl noch mal überlegen möchtest, ich bin gerne bereit, das auch im Nachhinein noch zu ändern.

          Ansonsten bin ich grundsätzlich schon der Meinung, man kann bei fast allen Projekten durchaus auch gucken, wie viele Frauen, Menschen mit Behinderung oder Migrationshintergrund usw. vertreten sind. Das muss ja nicht zwingend heißen, dass das Projekt damit schlecht ist oder so nicht funktionieren kann. Es gibt bestimmt in vielen Einzelfällen nachvollziehbare Gründe, warum irgendwas so ist, wie es ist. Generell zu hinterfragen, warum es in so vielen Fällen aber noch kein zufriedenstellendes Verhältnis gibt, bleibt davon jedoch unberührt.

          1. „Generell zu hinterfragen, warum es in so vielen Fällen aber noch kein zufriedenstellendes Verhältnis gibt“

            Ich grüble gerade über den von Dir verwendeten Ausdruck des „zufriedenstellenden Verhältnisses“.
            Ein „zufriedenstellendes“ Verhältnis wäre doch eigentlich dann gegeben, wenn die Frauen, Männer, Menschen mit Behinderund oder Menschen mit Migrationshintergrund auch in jener Häufigkeit vertreten sind, der Sie gemessen an der relevanten Gesamtmenge auch entsprechen.
            Warum es „zufriedenstellend“ sein soll, wenn Personen nicht wirklich proportional vertreten sind erschliesst sich mir momentan nicht, weil dies ja die Wahrnehmung der Realität künstlich verzerrt.
            Ein Beispiel: in einer Partei mit 20% Frauenanteil eine 40%-Frauen-Quote bei Mandaten zu fordern entspricht nicht dem Verhältnis der „Basis“;
            Klar, die BASIS bereits sollte eigentlich dem Geschlechter-Verhältnis der Bevölkerung entsprechen, das ist aber nicht wirklich eine Sache von Diskriminierung, denn den Eintritt in eine Partei verwehrt man gemeinhin niemandem nach Geschlecht, sondern des persönlichen Engagements.
            De facto halbiere man damit die Chance von männl. Personen auf ein Mandat rein in Abhängigkeit von ihrem Geschlecht, die Chance von Frauen wird verdoppelt rein auf Basis des Geschlechts. Meinem Verständnis nach diskriminiert man damit nach Geschlecht, was aber deshalb „in Ordnung“ ist weil es die „richtigen“ bevorzugt.

            Nun stelle ich mir die Frage: ab wann is ein Verhältnis für dich „zufriedenstellend“? Gehst Du da von den Verhältnissen der partizipierenden Teilgruppen von Menschen zu einander aus?
            Oder geht es Dir mit „zufriedenstellend“ eher um einen abstrakten Wert wie „50%“ oder den „Anteil an der Gesamtbevölkerung“ ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Partizipation an einem bestimmten Thema?

            Wie viele Ingenieurinnen gibt es in der relevanten Gesamtmenge an IngenieurInnen? Kennst Du da auch konkrete Zahlen, oder gehst Du da nur von deinem persönlichen Umfeld aus?

  3. Ich möchte auch noch hinzufügen, dass es die RedakteurInnen sind, die für die Recherche von möglichen AutorInnen bezahlt werden. Daher, warum sollte ich unbezahlterweise deren Job übernehmen? Bin übrigens selbst Ingeneurin und weiß daher zu gut, dass einem oft ein ExpertInnenstatus von vornherein nicht zugetraut wird.

  4. Zu Punkt 1: Sie können zu jedem diffusen Gefühl Belege und Fakten „finden“ – alles eine Frage des Fokus. Männer können sich benachteiligt fühlen – und dann Männerbeauftragte vs. Frauenbeauftragte zählen, sich beklagen, dass sie aus Jobgründen nicht so oft Elternzeit machen Dürfen etc. pp, da gäbe es 100 Beispiele Sie müssen bereit sein, den Fokus zu verändern, um zu erkennen, was man Ihnen erklären will – das sind Sie offensichtlich nicht, denn Sie zählen weiter. Und das hat Ihnen offensichtlich das ein oder andere Magazin voraus, das einfach gut arbeitet und Nicht nach Frau/Mann schaut.

    Punkt 6: Können Sie sich vorstellen, dass Sie bei Menschen, die Frauen genauso offen gegenüber stehen wie Männern, egal in welcher Lage oder Situation – durch Ihre, ich nenne es mal sture Penetranz, erst Widerwillen wecken? Dass Sie Fürsprecher für Gleichberechtigung in allen Lebenslagen verlieren – ein Umdenken der anderen Art sozusagen. Sie schaden Ihrer Sache.

    1. Lieber Martin, können Sie ihren ersten Punkt weiter ausführen? Welchen Fokus meinen Sie, den die Autorin hinsichtlich des angeführten Beispiels der Männer/Frauen Verteilung auf Konferenzen ändern soll? Das Sie sich lediglich auf das Thema konzentrieren soll und nicht wer darüber referiert?

      Bzgl fehlender Rechte der Väter in Bezug auf Elternschaft muss ich Ihnen Recht geben. Das fängt schon bei der Anerkennung der Vaterschaft an, die nur mit Einwilligung der Frau erfolgen, und dann nur vorm Familiengericht (Meines Wissens) eingeklagt werden kann. Da hatte ich mich kurzfristig gefragt in welchem Jahrhundert wir uns befinden.

  5. In der taz haben wir gezählt, wie häufig Frauen bei uns schreiben, wie häufig wir über Frauen schreiben und wie häufig wir Frauen auf Fotos abbilden. Ausgewertet haben wir vier vollständige Erscheinungswochen. In dem Zeitraum erschienen 1.501 Artikel mit 197.703 Zeilen. Davon schrieben Frauen 69.121 Zeilen, das entspricht einem Anteil von 35,5 Prozent. Unter den 865 Haupt-ProtagonistInnen (Personen, die in einem Artikel hauptsächlich zu Wort kommen – was nur für einen Teil der Artikel klar bestimmt werden kann) waren 247 Frauen, das entspricht einem Anteil von 28,6 Prozent. Auf den Fotos der vier Wochen wurden 776 Personen abgebildet. Darunter waren 256 Frauen, das entspricht einem Anteil von 33 Prozent.

    Den niedrigen Frauenanteil unter den AutorInnen fanden wir erschreckend. Der Zustand hier entspricht nicht unserem Anspruch. Für das am schlechtesten abschneidende Sportressort (11 Prozent Autorinnenanteil) planen wir jetzt ein Kurzpraktikum für 20 sportinteressierte Nachwuchsjournalistinnen, damit wir hier auf mehr Autorinnen aufmerksam werden.

    Zu einer Frauenquote für Text-ProtagonistInnen und für Foto-Abgebildete gibt es dagegen verschiedene Meinungen in der Redaktion. Die Grundsatz-Frage ist, ob eine Zeitung ein Spiegelbild der Gesellschaft sein sollte oder nicht. In unserer Gesellschaft sind Frauen weniger sichtbar und Männer häufiger in Machtpositionen, demzufolge kann man argumentieren, dass sich das dann auch in unserer Berichterstattung über diese Gesellschaft wiederspiegeln müsste. Jemand aus dem Auslands-Ressort formulierte das so: In unserem Bericht über das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union können nicht zu 50 Prozent Frauen auftauchen, wenn dort keine sind.

    Andere dagegen finden, dass Medien nicht darauf beschränkt sein sollten, über die Gesellschaft bloß zu berichten. Medien seien durch ihre wichtige Rolle in der Gesellschaft auch in der Lage, diese zu verändern, und aus dieser Position erwachse eine Verantwortung, die Eingriffe in die Themen- und Protagonistenauswahl rechtfertige. Indem Frauen in den Medien als präsenter und mächtiger dargestellt werden, als sie bisher noch sind, steige ihre Wahrnehmung und es gebe mehr positive Vorbilder für andere Frauen. Zudem sinken auch die realen Hürden für Frauen, in Machtpositionen zu gelangen, wenn die Gesellschaft es wegen der Berichterstattung für normal hält, dass Frauen in solchen Positionen sind.

    Ein Konsens in der taz, welcher Weg hier der richtige ist, war allerdings nicht möglich, aber die Ergebnisse der Zählung haben zumindest zu einer Debatte darüber geführt und die Sensibilität erhöht.

    Alle Zahlen aufgeschlüsselt auf die einzelnen taz-Ressorts gibt es hier: http://blogs.taz.de/hausblog/2014/06/04/frauen-in-der-taz/

  6. Sehr schöner Text!
    Teufelskreise gibt es einige, so auch bei der Studienwahl: Immer noch kommen viele Abiturientinnen gar nicht auf die Idee, ein technisches Studium (mein Bereich) in Betracht zu ziehen. Als ich anfing, betrug der Frauenanteil in meinem Semester 3,irgendwas %, neulich habe ich etwas von 15% gehört. Das ist ein Riesenschritt, aber statistisch fehlt da noch ungefähr ein Faktor 3. Wenn ich erzähle, was ich jetzt im Beruf mache, kam schon mehr als einmal die Reaktion „das wäre vielleicht auch was für mich gewesen“ von einer Frau. Daher braucht es weibliche Vorbilder und Informationen. Vielen Dank Anne, für das Vorbild sein und das Aufschreiben der Gedanken zu diesem Thema, da kann man sehr gut drauf verweisen!

    1. Dazu habe ich gerade einen netten Zeitungsbericht gelesen, wenn ich ihn online finde, dann poste ich ihn. Demnach findet die „vermännlichung“ oder „verweiblichung“ der Berufswahl schon in der Gundschule statt.
      87% der Mädchen in Grossbritannien denken bei Schulbeginn der weiterführenden Schule (also nach der Gundschule) es gäbe „Männer-“ und „Frauenberufe“, und das hat nichts mit dem Beruf der Eltern zu tun, sondern mit der Suggestion in den Medien.
      So sagten z.B. 11% aus, Ingenieur sei ein Beruf, den auch Frauen machen können, 42% sagten Arzt sei ein Beruf auch für Frauen, 66% der Mädchen sagten Frauen können auch Tierärzte werden und 94% sagten, Frauen können Lehrer werden.
      Bei den gleichen Berufen und dem männlichen Gegenpart war es dagegen anders: Ingenieur 98%, Tierarzt 92%, Arzt 89% und Lehrer 47%… Wo die fehlenden % hinkommen weiss ich nicht, vielleicht sind das die „Keine Angabe“-Prozent, oder die Mädchen denken, der Beruf sole von niemandem ausgeübt werden…
      Naja, wir müssen wohl viel viel früher ansetzen mit dem „alle Bereiche für Frauen und Männer öffnen“…

      1. Ich würde sagen, dass fängt schon nach der Geburt an. Wenn Eltern ihre Kinder noch in der typischen Geschlechterrolle erziehen, ist das schon keine Gleichberechtigung mehr und das zieht sich dann durch das ganze Leben. Wenn Jungen noch Raufolde sein sollen, bei Sport und Spiel agressiv um den Sieg kämpfen aber wie Indianer keinen Schmerz kennen sollen, Mädchen dagegen immer brav, lieb und nett sein sollen, daneben im rosa Kleidchen mit ihren Püppchen kochen üben, sind das wohl keine gleichen Startbedingungen ins Leben.
        Wenn unsere Jungen nicht schon mit den Puppen kochen und die Mädchen nicht auch Raufbolde(innen?) sein dürfen, wie soll dann am Ende Gleichberechtigung stehen? Wie soll man später im Beruf selbstbewusst ein angemessenes Gehalt einfordern um den geschlechtlichen Lohnunterschied auszugleichen, wenn einem von klein auf Zurückhaltung eingeimpft wurde? Wie soll sich eine Gesellschaft zur Gleichberechtigung entwicklen, wenn Ungleichberechtigung immer wieder reproduziert wird?

        Im Beruf sind auch Quoten eigentlich unwichtig, wichtig wäre eigentlich, dass jeder Mensch die gleichen Chancen auf einen Arbeitsplatz hat. Wenn sich auch in der Gesamtheit ausmachen lässt, dass Geschlechter bestimmte Berufe bevorzugen, so hat dies überhaupt keine Aussagekraft für eine Einzelperson, Statistik macht nie Aussagen zu einzelnen Subjekten.
        Interessanterweise werden im, in der Gleichberechtigung führenden, Land (Norwegen), eher „geschlechstypische“ Berufe gewählt, als z.B. in islamischen Ländern. Wenn jeder die freie Wahl und gleichen Chancen hat, ist das auch gar kein Problem, vor allem dann nicht, wenn es nicht „wertvolle“ und „wertlose“ Berufe gibt, es gilt eben, den Menschen wertzuschätzen.
        Quoten, ob nun vorgegeben oder nur abgezählt, verlieren erst ihre Bedeutung, wenn das Geschlecht keine Rolle mehr spielt, auch wenn dann die Geschlechterverhältnisse in Bereichen alles andere als repräsentativ sind.

        Gruß maxi

  7. Ich kann das aus der journalistischen Praxis komplett unterschreiben: Ist erstmal ein „Experte“ gefunden, dann hängen sich alle anderen Journalistenkollegen auch noch an ihn dran. Ich versuche bei meinen Reportagen und Portraits auch nicht, wie Dahlmann es nennt, „krampfhaft“ auf Proporz zu achten, aber wenn es Professor und Professorin gibt – und schon drei andere Herren im Text vorkommen – , dann versuche ich meistens (aus Gründen von Vorbildfunktion und Sichtbarkeit!) die Frau zum Gespräch zu überreden. Übrigens, auch das ist nicht immer leicht: Frauen treten wahnsinnig gerne von Interviewanfragen zurück, reden ihr Expertentum oder ihre rhetorischen Fähigkeiten klein, verweisen an Chefs, Kollegen etc. Da muss man manchmal schon ein bisschen nachhelfen. Dass ein Mann jemals zu mir gesagt hätte: Das traue ich mir nicht zu, dazu kann ich nichts sagen, da bin ich nicht der Richtige – das hab ich original noch nie erlebt.

  8. Liebe Anne Schüssler! Danke für diesen wahnsinnig tollen Text und eine Auflösung dieser Totschlagargumente wie: „Können wir jetzt wieder sachlich werden und über das Thema reden?“.
    Ich nehme auch gern meine Finger zur Hand und zähle durch. Bei dem dumpfen Gefühl, wenn Abbildung und Realität zwei unterschiedliche Aussagen vor Augen zu haben:
    https://www.facebook.com/einfachebuchfuehrung/photos/a.231454070362630.1073741830.221034368071267/233369693504401/?type=1&theater

    Herzliche Grüße

  9. Den 4. Punkt kann ich nicht richtig nachvollziehen. Wenn du sagst, niemand erwarte, dass die Realität „verzerrt“ werde, gleichzeitig aber sagst, Frauen sollten in solchen Branchen überproportional (gemessen an ihrem Anteil in den Branchen) in den Medien präsentiert werden: Ist das nicht genau die Verzerrung der Realität, die angeblich niemand fordert (Wenn auch zu einem vermeintlich guten Zweck)?
    Was ich auch nicht ganz nachvollziehen kann: Wieso sollen Medien eine größere Verantwortung für die Veränderung des status quo tragen als „die Frauen“ (als gedachte Gesamtheit)? Wäre es nicht eher Aufgabe der Frauen, sich verstärkt in den jeweiligen Bereichen zu engagieren, wenn sie eine stärkere Sichtbarkeit von Frauen in diesen Bereichen wünschen?
    Ich finde den Vorwurf, Medien würden Frauen in männerdominierten Branchen nicht ausreichend abbilden, mitunter ziemlich fragwürdig. Damit wird indirekt behauptet, die Frauen würden keinerlei Mitverantwortung dafür tragen, dass ihr Geschlecht in bestimmten Bereichen gemessen am Bevölkerungsanteil unterrepräsentiert ist.

  10. Ich finde beim Thema Frauenquote kann man erstmal eine halbe Stunde erzählen, da das Problem schon früher anfängt. Gesetzliche Vorgaben zum Thema Quote würden z.B. auch zwangsläufig dazu führen, das es mehr BetreuungsPLÄTZE gibt und eben dann auch mehr Frauen arbeiten gehen können. Das es mehr BetreuungsMÖGLICHKEITEN gibt, die es zB. auch erlauben, das Kind für mehrere Tage gut betreut zu wissen und die Eltern so an Konferenzen, Geschäftsreisen etc teilnehmen können.

    1. Diese Aussage halte ich für sehr zweifelhaft. Frauenquoten können nur einen sehr, sehr kleinen Ausschnitt aus dem gesamten Jobangebot betreffen, nämlich Führungspositionen. Und selbst bei Führungspositionen sind allenfalls Großunternehmen betroffen, im klassischen Mittelstand sind Frauenquoten wohl nicht durchsetzbar. Wenn es um Frauenquoten geht, sprechen wir also maximal von ein paar tausend Stellen. Deutschlandweit. Dafür wird kein einziger Betreuungsplatz mehr geschaffen, schon weil im Zweifel bei der Suche nach weiblichen Führungskräften nicht geschaut werden wird, dass eine Entlastung stattfindet; sondern es werden die Frauen gefördert werden, die es schaffen, sich die Zeit für eine Führungsposition zu nehmen. Und das werden nicht diejenigen sein, die nicht wissen, wie sie Geschäftsreisen, 60-Stunden-Woche und ihre Familie unter einen Hut bringen können. Sondern diejenigen, die ohnehin schon Vollzeit arbeiten und die entweder kinderlos sind oder die ihre Kinder auch jetzt schon betreuen lassen können (und die das auch wollen).

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